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Am Tage von Buchholtzens Ankunft regnete es in Strömen. Es konnte ihnen nicht zugemutet werden, den Weg nach Sophienlust zu Fuß zurückzulegen. So wendete ich mich auf Xaver Windschagls Anraten an den Fuhrwerksbesitzer Grüneigl, der ein ausgedientes Taxi sein eigen nannte, das er gegen angemessenes Entgelt in den Dienst der Allgemeinheit stellte. Generationen hatten auf seinen erbsenfarbigen Plüschpolstern gesessen, und der Duft, der seinem Innern entströmte, erinnerte lebhaft an den eines Raubtierkäfigs. Herr Grüneigl steuerte sein Taxi persönlich den steilen Weg nach Sophienlust herunter; es klang, als bräche ein Lastwagen mit Anhänger über uns herein!

Buchholtzens kamen bleich und hohläugig zum Vorschein. Sie mußten mit Tee und Kuchen gelabt werden, bevor sie ein wenig aus sich herausgingen. Herr Buchholtz war das, was man einen schönen Mann nennt. Groß und gut gewachsen, mit glänzenden schwarzen Haaren, einem koketten Schnurrbärtchen und Mandelaugen, mußte er für Frauen, die südländisches Aussehen lieben, unwiderstehlich sein. Daß er Frau Buchholtz zum Bund fürs Leben erkoren hatte, war ein Beweis für die Anziehungskraft der Gegensätze. Frau Buchholtz besaß jene fahlblonde Unscheinbarkeit, hinter der man unablässig nach inneren Werten zu forschen bestrebt ist. Zweifellos war sie eine Gattin und Mutter von Format.

Die kleine Edith, fünfjährig und sehr schüchtern, schien der Mutter nachzugeraten. Sie tat am ersten Tag den Mund nicht auf und weigerte sich stumm aber hartnäckig, Hinz zu folgen, der sich auf meinen strengen Befehl hin mürrisch erbot, ihr das Gartenhäuschen mit den bunten Fenstern zu zeigen.

Buchholtzens hatten ihr Faltboot mitgebracht; sie gedachten bei Sonnenschein den ganzen Tag auf dem Wasser zu liegen. Als es gegen Abend aufhörte zu regnen, begaben sie sich an den See, um das Boot klarzumachen. Herr Buchholtz führte ein strammes Kommando, sogar die kleine Edith mußte heran, und nach einer halben Stunde war, wie der Schmetterling der Raupe, dem unscheinbaren Paket aus grauem Segeltuch ein stattliches Boot entschlüpft, das den Namen „Rumpelstilzchen“ in weißen Buchstaben am Bug führte.

Abends, beim Schlafengehen, pflegten Johannes und ich die Eindrücke des Tages auszutauschen. Eigentlich handelte es sich dabei weniger um einen Austausch als um einen Monolog meinerseits, den Johannes mit mehr oder weniger sparsamen Randbemerkungen begleitete.

Wir bewohnten jetzt ein Nordzimmer mit sehr wenig Platz, und Johannes war gereizt, weil er an allen Ecken und Enden anstieß. Trotzdem war ich sehr gespannt zu erfahren, wie ihm Buchholtzens gefielen. Johannes stand am Waschtisch und bearbeitete sein spärliches blondes Haar zur Förderung des Wuchses eifrig mit zwei Bürsten.

„Hm“, knurrte er mißmutig.

„Was willst du damit sagen?“ forschte ich wißbegierig.

„Er sieht wie ein Maronihändler aus“, tat Johannes endlich kund. Man mußte es ihm lassen: wenn er sich entschloß, seine Meinung zu äußern, traf er meist den Nagel auf den Kopf.

„Und wie findest du sie?“ Während Johannes ins Bett kroch, brummte er, kein Mensch könne von ihm nach dreistündiger Bekanntschaft einen geschlossenen Vortrag über die Familie Buchholtz verlangen.

„Sie ist ein armes Hascherl“, sagte ich.

„Schon möglich“, murmelte Johannes, halb im Schlaf.

Zwei Tage später hießen wir Herrn Amtsgerichtsrat Perlhuhn willkommen. Wir brachten es allmählich zu einer gewissen Routine im Empfang der Gäste. Angefangen bei der besorgten Frage, ob der Gast eine angenehme Reise gehabt habe, bis zum Hinweis auf die Klingel im Zimmer, bestimmt, Rosa oder Frau Windschagl herbeizurufen, klappte alles vorzüglich.

Amtsgerichtsrat Perlhuhn machte den Eindruck eines leicht zufriedenzustellenden Menschen. Er fand das „Grüne Kabinett“ viel zu schön für einen alten Junggesellen und verzichtete, ohne mit der Wimper zu zucken, auf den Balkon. Außer einem Rucksack und dem Angelgerät führte er kein Gepäck mit sich. Nicht zehn Pferde wären imstande, ihn an einen jener Orte zu bringen, an denen man gezwungen sei, sich mehrmals am Tage umzuziehen, beteuerte er beim Abendessen, da höre für ihn die Gemütlichkeit auf.

Fräulein Posiegel, die in Herrn Perlhuhn aus unbekannten Gründen einen Gesinnungsgenossen witterte, stimmte beifällig zu. Sie sagte, gerade in der vollkommenen Zwanglosigkeit seien Reiz und Erholung des Ferienaufenthaltes begründet.

„Sind Sie nicht auch dieser Ansicht, mein lieber Herr Berthold?“

Johannes schreckte auf. Er hatte sich gerade von Frau Buchholtz erzählen lassen, daß Edithchen ungewöhnlich spät die ersten Zähne bekommen hatte; Frau Buchholtz wollte wissen, ob dies bei Hinz auch der Fall gewesen sei.

Johannes sah mich fragend an; ich konnte ihm jedoch nicht zu Hilfe eilen, weil Herr Amtsgerichtsrat Perlhuhn eifrig bestrebt war, mich in die Geheimnisse des Angelsports einzuweihen. Zwischendurch war ich gezwungen, Hinz mit mahnenden Blicken zu bedenken, der das Heidelbeerkompott gleichmäßig auf Gesicht, Hände und sein weißes Hemd verteilte.

Nach Tisch überredete Fräulein Posiegel Herrn Perlhuhn zu einem kleinen Spaziergang am Seeufer. Herr Buchholtz orientierte sich bei Johannes über die Unterhaltungsmöglichkeiten in Seewang und brach anschließend zu einem Abendschoppen in die „Blaue Forelle“ auf. Was Frau Buchholtz betraf, so saß sie, nachdem die kleine Edith zu Bett gebracht war, mit mir unter der Linde und erzählte, an einem Pullover strickend, von ihrem Leben in der mitteldeutschen Kleinstadt.

Herr Buchholtz war Bankprokurist und obendrein ein Mahn von großen geselligen Talenten. In jedem Kreise war er beliebter und gefeierter Mittelpunkt. Frau Buchholtz fand dies nur allzu verständlich. Sie ließ den Pullover sinken und sah verloren vor sich hin. Es war nur bedauerlich, daß sie selber die Neigungen ihres Mannes nicht so teilen konnte, wie sie es gerne gewollt hätte. Seit Ediths Geburt war sie nicht recht gesund; es fehlte hier und da, der Arzt führte alles auf Blutarmut zurück. Frau Buchholtz hoffte, die Ruhe in Sophienlust werde ihr gut tun. Ein Mann von der strahlenden Gesundheit des Herrn Buchholtz fühlte sich zuweilen gereizt und behindert durch eine kränkliche Frau.

„Man versteht das ja nur zu gut, nicht wahr?“ sagte Frau Buchholtz mit einem schwachen Lächeln.

Ich sprach die herzliche Hoffnung aus, daß Frau Buchholtz sich in Sophienlust recht wohl fühlen möge. Vor meinem Auge stand der verführerische Herr Buchholtz mit dem koketten Schnurrbärtchen und den Mandelaugen. Die kleine unscheinbare Frau tat mir auf einmal in der Seele leid!

Sommergäste in Sophienlust

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