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Unsere Gäste saßen beim Tee auf der Terrasse, als ich mit Fräulein Aurelius herauskam. Die Unterhaltung stockte; alle Augen wandten sich dem neuen Gaste zu mit jenem abschätzenden Blick, der wie ein Damoklesschwert über dem Neuling hängt, jeden Augenblick bereit, ihn zu zerschmettern.

Fräulein Aurelius lächelte höflich; sie war es augenscheinlich gewohnt, Staunen in den Augen ihrer Mitmenschen zu lesen. Irgendwie bedeutete sie eine Sensation in unserem schlichten Kreise. Ihre zarte Schlankheit, das silberige Blond ihrer Haare, verbunden mit dem kindlichen Blick großer dunkler Augen, verliehen ihr jenen Nimbus holder Schutzbedürftigkeit, dem das männliche Geschlecht augenblicklich und widerstandslos verfällt, während die Weiblichkeit sich impulsiv zu einer geschlossenen Front der gefährlichen Konkurrentin gegenüber zusammenschließt.

In einen Korbsessel gelehnt, beantwortete Fräulein Aurelius mit sanfter Stimme alle Fragen, ihre Reise und ihren Gesundheitszustand betreffend; sie hielt dem stählernen Blick Fräulein Posiegels ebenso stand wie dem bewundernden der Herren Perlhuhn und Buchholtz und bewies für ihre zwanzig Jahre eine erstaunliche Gewandtheit. Die Bezeichnung „zartes Vögelchen“, mit der ihre Mutter sie unserer Obhut anempfohlen hatte, galt offenbar in erster Linie ihrer körperlichen Beschaffenheit.

Nach dem Tee begab sich Fräulein Aurelius auf ihr Zimmer, um auszupacken. Wir blieben zurück, von dem sonderbaren und durch nichts zu beweisenden Gefühl beherrscht, als beginne mit dem Erscheinen des silberblonden Mädchens eine neue Ära in Sophienlust. In der Tat schien sie sich alsbald durch die fröhlichen Klänge eines Grammophons anzukündigen, das vom Balkon des „Handtuchs“ herab schmelzend behauptete: „Du bist die schönste, die herrlichste Frau.“

Fräulein Posiegel sandte einen feindseligen Blick zum ersten Stock empor, bevor sie sich an den Amtsgerichtsrat wandte mit der Frage, ob er Lust habe, sie auf einem Gang ins Dorf zu begleiten, Herr Perlhuhn versagte sich; er zog es vor, bei der Hitze noch ein wenig auf der Terrasse zu verweilen. Seine kleinen pfiffigen Augen funkelten vergnügt, und das pfeffer- und salzfarbene Haar, das er in Bürstenform geschnitten trug, umstand seinen Kopf wie die Stacheln einen Igel. So zog denn Fräulein Posiegel allein los, mit Staubmantel und Regenschirm, obwohl die Sonne mit dreißig Grad Celsius vom Himmel brannte.

„Und was werden wir beginnen?“ fragte Frau Buchholtz und rollte den Pullover für Edithchen zusammen.

„Nichts“, entgegnete Herr Buchholtz unfreundlich. Die Sonne, der er sich bis dahin so gern und unter freigebiger Zurschaustellung seines wohlgewachsenen Körpers ausgesetzt hatte, zwang ihn plötzlich, den Rest des Nachmittags im Liegestuhl unter der schattigen Linde zu verbringen. Allerdings stellte er es seiner Frau großzügig frei, das Faltboot zu benutzen oder mit Edith einen Spaziergang zu machen.

Frau Buchholtz verstaute seufzend das Strickzeug im Handarbeitsbeutel. Edith quengelte seit geraumer Zeit; sie langweilte sich und wollte am Wasser spielen. Frau Buchholtz nahm sie bei der Hand und schlug den Weg zum Seeufer ein. Sie hätte sich gern ein wenig auf ihr Bett gelegt; seit dem Morgen wurde sie von heftigem Kopfweh geplagt. Aber Herr Buchholtz und die kleine Edith kamen allein nicht gut miteinander aus; so blieb ihr nichts übrig, als sich, vom unwilligen Blick ihres Mannes bedrängt, zu opfern.

Fräulein Aurelius kam erst beim Abendessen wieder zum Vorschein. In einem blumigen Dirndl mit Puffärmeln aus weißem Organdi und einem winzigen rotseidenen Schürzchen glich sie einer jener reizenden Trachtenpuppen, die in den Bazaren der Kurorte den Beschauer anlächeln.

Johannes hatte Tom mit herausgebracht. Er belebte unsere Abendtafel ungemein. Nachdem er sich bei mir über die Steckenpferde unserer Gäste unterrichtet hatte, tummelte er sie bei Tisch nach Herzenslust. Angefangen bei den Hirschgeweihen, die er kühn als schönste Wanddekoration pries, über die mannigfachen Reize eines Faltbootes hinweg bis zur naturnahen Beschaulichkeit des Angelsportes, gab er jedem redlich das Seine und gewann alle Herzen im Sturm.

„Ein reizender Mensch“, raunte Fräulein Posiegel Herrn Amtsgerichtsrat Perlhuhn zu, und der Amtsgerichtsrat, bestrebt, sich erkenntlich zu zeigen, äußerte den lebhaften Wunsch, Toms Bilder kennenzulernen.

„Aber nein“, wehrte Tom in edler Bescheidenheit ab, „reden wir nicht von der Kunst! Ein saures Brot, Herr Amtsgerichtsrat, ein verdammt saures Brot! Ich hätte in die Fußstapfen meines seligen Vaters treten und Konditor werden sollen.“

Fräulein Posiegel war entsetzt. Sie begriff nicht, wie ein Jünger im Dienste der Kunst —

„Sagen Sie das nicht, gnädiges Fräulein“, sagte Tom ernsthaft, „Laien haben da so hehre Vorstellungen. In Wahrheit ist die Kunst eine sehr spröde und tyrannische Dame, das dürfen Sie mir glauben. Übrigens hätte ich auch als Konditor meinen künstlerischen Lüsten frönen können. Bedenken Sie nur die phantasievolle Ornamentik auf Kuchen und Torten!“

Alles lachte. „Sie sind mir einer“, sagte Fräulein Posiegel und drohte scherzhaft mit dem Finger, „ja, ja, das lose Künstlervölkchen!“

Fräulein Aurelius bat mit leiser Stimme um ein wenig Salz. Herr Buchholtz, seit geraumer Zeit in ihren Anblick versunken, schrak empor. Beim Hinüberreichen zitterte seine Hand, so daß er die Hälfte des Salzes verschüttete.

„Oh“, sagte Fräulein Aurelius erschrocken, „verschüttetes Salz bedeutet Streit.“

Herr Buchholtz lächelte, mandeläugiger denn je. „Das wollen wir doch nicht hoffen“, sagte er, „im Gegenteil“ —

„Ich begreife nicht, wie man abergläubisch sein kann“, unterbrach Fräulein Posiegel und sah sich streng im Kreise um. „Aberglauben ist ein Zeichen von Schwäche. Wer mit beiden Füßen in der Wirklichkeit wurzelt und seine Pflicht tut, kommt nicht auf dumme Gedanken.“

„So ist es“, bestätigte Tom, „haben Sie gehört, gnädiges Fräulein?“

Fräulein Aurelius schaute verwirrt auf; Fräulein Posiegels mißbilligende Rede war spurlos an ihr vorübergegangen. Sie hatte Herrn Buchholtz gelauscht, der mit bewegten Worten den Zauber einer Faltbootfahrt im Mondenschein schilderte.

Später unternahmen wir zu dritt, Johannes, Tom und ich, einen Bummel durch den Park. Die kleinen Blüten des Jasmin standen wie weiße Sterne im Dunkel; der See war unter einem mondlosen Himmel schwarz wie geschmolzenes Blei. Drüben schimmerten die „Lamperl“ an der Strandpromenade von Seeried wie bunte Märchengirlanden durch die Nacht.

Tom zündete sich eine Zigarette an; der huschende Schein des Zündholzes beleuchtete einen Augenblick sein helles unbekümmertes Gesicht. „Diese kleine Aurelius ist entzückend“, sagte er und blies den Rauch genießerisch von sich, „aber sie hat es faustdick hinter den Ohren.“

„Aber Tom!“ Ich war empört. „Ein zartes Geschöpf, eben von schwerer Krankheit genesen —“

„Na, und?“ lachte Tom, „willst du etwa damit ihre blütenweiße Unschuld beweisen? Diese Silberblonden —“

Johannes erkundigte sich lachend, ob Tom aus dem reichen Schätze seiner Erfahrung spreche. Toms Zigarette glühte wie ein Leuchtkäfer durch die Nacht. Nein, Silberblond war nicht sein Fall, zumal wenn es durch die Wunder der Chemie erzeugt wurde.

„Denkt an mich“, schloß er, während wir eingehakt dem Hause zuschritten, „dies kleine Ungeheuer wird euch noch allerhand zu schaffen machen!“

Sommergäste in Sophienlust

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