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Einige Tage später fuhr Johannes nach L., um die Formalitäten der Erbschaft mit Onkel Theodors Rechtsanwalt zu erledigen. Ich verhieß ihm bei seiner Rückkehr eine genaue Liste der neu anzuschaffenden Gegenstände. Johannes hatte sich bereit erklärt, der Instandsetzung von Sophienlust einen Tausender zu opfern. Die Summe kam mir riesengroß vor. Damals ahnte ich noch nicht, daß Sophienlust ein Moloch war, unersättlich im Verschlingen von Zahlungsmitteln.

Abends erschien zuweilen Tom; auch meine Freundin Lydia stellte sich ein und bot ihren Beistand an. Jeder für sich allein mochte noch angehen; wenn sie jedoch zusammentrafen, war es aus mit ernsthafter Beratung. Tom hatte ein Auge auf Lydia geworfen; er war von Stund an für den Ernst des Lebens verloren. Es blieb mir nichts übrig, als die beiden, mit Wein und Zigaretten versehen, in der Sofaecke sich selbst zu überlassen.

Eine Frage von entscheidender Bedeutung war die Festsetzung der Pensionspreise gewesen. Johannes und Tom hatten den von mir vorgeschlagenen Tagespreis von zehn Mark für die Ausgeburt einer größenwahnsinnigen Phantasie erklärt. Sie ließen auch einen schüchternen Hinweis auf den Nachmittagstee, der im Gegensatz zu anderen Pensionen in Sophienlust verabreicht werden sollte, nicht gelten.

„Mehr als 7 Mark 50 können wir auf keinen Fall verlangen“, erklärte Johannes und hielt mir alle Mängel, einschließlich des Badezimmers mit dem „schiefen Turm“ eindringlich vor Augen.

„Du vergißt die persönliche Behandlung, die wir unseren Gästen angedeihen lassen werden“, wandte ich ein.

„Dafür zahlt kein Mensch auch nur einen Groschen mehr“, sagte Johannes pessimistisch und fügte hinzu, daß wir Nordzimmer und Turmgelaß nur mit 6 Mark 50 in Rechnung bringen dürften.

Wir hatten einen Plan des Hauses ausgearbeitet, an Hand dessen wir feststellten, daß wir sechs, unter Hinzuziehung des Turmgemachs sogar sieben Gäste beherbergen konnten. Ich war voller Optimismus. Es mußte mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht auf unsere Kosten und sogar ein wenig darüber hinaus kämen!

Während Johannes fort war, fuhr ich nach Sophienlust hinaus. Ohne August erwies, sich die Fahrt nach Seewang a. See als mühseliges Unternehmen. Die Reichsbahn befuhr nur das Westufer des Sees. Von Amsteg aus war man auf den Postautobus angewiesen, der, laut Fahrplan, nur in den Monaten Juni bis Oktober mehr als dreimal täglich verkehrte. Was den Dampfer anging, so überquerte er unter souveräner Nichtachtung der Zuganschlüsse zweimal am Tage den See. Es gelang mir, Seewang mittels Bahn und Postauto in fast dreistündiger Fahrt zu erreichen. Wieder durchschritt ich mit der braven Frau Windschagl das Haus. Es fehlte an allen Ecken und Enden, meine Liste wurde über alle Befürchtungen hinaus lang. Johannes’ Gesicht umdüsterte sich, als er sie zu Gesicht bekam; er schärfte mir immer wieder ein, nur das Allernötigste dürfe angeschafft werden.

Die nächsten Wochen brachte ich in Warenhäusern und auf Versteigerungen zu. Meine Familie sah mich nur bei den Mahlzeiten; Hinz verwilderte zusehends, er trieb sich den ganzen Tag auf der Straße herum; ich hatte ihn im Verdacht, daß er überhaupt keine Schularbeiten mehr machte. Aber ich konnte es im Augenblick beim besten Willen nicht ändern.

Meine Gedanken gehörten einem Eßservice aus Nymphenburger Porzellan, das auf einer Auktion billig zu haben war, weil einige Stücke fehlten. Ich fand Stühle für das Eßzimmer, die den vorhandenen wohl an Pracht, nicht jedoch an Unbequemlichkeit nachstanden. Im Warenhaus liebäugelte ich mit einem Waschgeschirr, das mit Szenen aus Grimms Märchen geschmückt war, entschloß mich jedoch des Preises wegen schweren Herzens zu einem einfarbigen. Ich gedachte, die Waschgeschirre dem jeweiligen Wandanstrich anzupassen, in der Hoffnung, daß eine so feinsinnige Übereinstimmung der Farben die Gäste über das Fehlen fließenden Wassers trösten würde. Es galt, die Bestände an Bett- und Tischwäsche aufzubessern, Möbel für die große Terrasse und Liegestühle mußten gekauft werden. Fünfhundert Mark waren im Nu dahin.

Als wir das nächste Mal hinausfuhren, begleitete uns Tom mit Frieda. Es muß hier zum Verständnis des geschätzten Lesers eingeschaltet werden, daß Frieda weder Toms Frau noch seine Freundin ist. Wir sehen vielmehr in Frieda einen pechschwarzen Hund von gänzlich unbestimmbarer Rasse vor uns. Tom hatte ihn eines Tages halbverhungert auf der Straße aufgelesen; keine Frau konnte seither zärtlicher an ihm hängen als Frieda. Sie besaß unter ihrem düsteren Fell ein Herz voll goldener Treue. Tom hatte sie zur Erinnerung an seine erste Liebe Frieda getauft.

Während wir mit den Handwerkern verhandelten, wandelte er, von Frieda gefolgt, durch die Räume und brach angesichts der Hirschgeweihe, der Bilder und des ganzen verstaubten Hausrats in helle Begeisterung aus. Ihm zufolge gehörte Sophienlust einer Epoche an, die schon fast klassisch zu nennen war.

„Alles wiederholt sich“, predigte er entflammt, „unsere Generation läßt Biedermeier und Barock neu erstehen, oder sie huldigt der modernen Sachlichkeit. Unsere Kinder und Kindeskinder jedoch werden wieder in Plüschportieren und quastengeschmückten Polstermöbeln schwelgen. Ein paar Jahrzehnte höchstens, und Sophienlust ist, so wie es dasteht, hochaktuell. Ich für mein Teil bin heute schon so weit, diese ganze verstaubte Behaglichkeit zu genießen, ohne mich allerdings in ihren Besitz zu wünschen. Aber denkt an mich! Wenn Hinz einmal heiratet —“

„Halt ein“, riefen wir lachend, aber Tom war in großer Form wie immer, wenn er eines seiner Steckenpferde ritt.

Zum Schluß zeigten wir ihm das verfallene Gartenhäuschen; es brachte ihn vollends außer Rand und Band. Er konnte nicht genug davon bekommen, die Welt vermittels der bunten Scheiben in rotem, blauem und grünem Licht zu sehen. Dies Gartenhäuschen sei ein Stück wiedererstandener Kindheit, sagte er und versank in Erinnerungen an den Park seiner Großmutter, in dem es einen Irrgarten und ein „Persisches Zelt“ gegeben hatte.

Während der ganzen Rückfahrt schwärmte er davon und nahm uns zum Schluß feierlich das Versprechen ab, das Gartenhäuschen nicht abbrechen zu lassen.

Sommergäste in Sophienlust

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