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Der fünfte März begann wie alle Tage; vielleicht war er um eine Schattierung grauer und trübseliger als seine Vorgänger.

Beim Frühstück war Johannes schlechter Laune, weil er sich verschlafen hatte und zu spät dran war. Hinz, siebenjährig, schleckte den Honig vom Brot und mußte abwechselnd von Johannes und mir ermahnt werden. Schließlich war es so spät geworden, daß Johannes ihn im Wagen zur Schule nehmen mußte.

Ich war froh, als beide fort waren. Es herrschte nun eine grämliche Stille in der Wohnung. Ich ging umher und wedelte mit dem Staubtuch über die Möbel. Alles kam mir verbraucht und aufbesserungsbedürftig vor im grauen, nichts beschönigenden Licht dieses Tages. Das Wohnzimmer müßte eine neue Tapete haben, dachte ich, und die Bezüge sind auch schon recht verschossen. Ich seufzte bei dem Gedanken, wieviel Geld nötig war, um dem Verfall erfolgreich zu steuern. Wenn man der Wissenschaft glauben darf, erneuert sich der Mensch alle sieben Jahre von Grund auf; warum ist es bei den Dingen unseres täglichen Lebens nicht ebenso?

Meine Gedanken gingen zu Johannes. Wenn der neue Roman von Armin Pütter, den er im Herbst herausbringen will, ein Bombenerfolg wird — — Ich konnte mir die geringe Wahrscheinlichkeit dieser Hypothese nicht verhehlen. Johannes ist ein Idealist; er will das Publikum zu seinem Glück zwingen. Armin Pütters Bücher hingegen haben die Eigenschaft, im gleichen Maße an literarischem Wert zu gewinnen, in dem sie für den Durchschnittsleser ungenießbar werden. Der Vertrieb geistiger Erzeugnisse ist ein ebenso edles wie saures Brot! Wenigen Auserwählten gelingt es, damit auf einen grünen Zweig zu kommen.

Manchmal kann ich mich des ketzerischen Gedankens nicht erwehren, daß Johannes besser getan hätte, Apotheker oder Delikatessenhändler zu werden. Vielleicht stellten wir dann heute eine wohlfundierte Familie dar! Auf keinen Fall jedoch werde ich Hinz gestatten, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, obwohl auch er schon einen unverkennbaren Drang zu künstlerischer Betätigung offenbart.

Auf meinem Schreibtisch prangt von seiner Hand ein getreues Porträt unseres wackeren kleinen Fordwagens, den Freund Tom, weniger seines prunkvollen Äußern, als vielmehr seines unverwüstlichen Motors wegen „August den Starken“ getauft hat. August, ein Modell aus dem Jahre 1929, ist hochrädrig wie ein Zirkuskarren; von Stromlinie, Vorderradantrieb und Schwingachse ist ihm nichts an der Wiege gesungen worden. Dafür verbindet er das Aussehen unbestechlicher Rechtschaffenheit mit dem imponierenden Lärm eines Rennwagens. Wenn wir zu einer kleinen Sonntagsfahrt aufbrechen, strömt die Nachbarschaft an die Fenster, wo ihre Neugier sich alsbald in verständnisvolles Schmunzeln verwandelt.

„Seid froh, daß ihr überhaupt einen Wagen habt“, sagt Tom, der, als Maler einem noch weniger gewinnbringenden Beruf als wir ergeben, auf dem Fahrrad erstaunliche Leistungen im Überbrücken von Entfernungen vollbringt.

An jenem fünften März kam die zweite Post wie gewöhnlich um elf Uhr. Sie brachte einen Einschreibebrief an Johannes. Ich drehte den gelben Umschlag mißtrauisch hin und her; er roch förmlich nach Steuer und Finanzamt! Nun wird er sich wieder ärgern, dachte ich, als ich den Brief auf Johannes’ Schreibtisch legte. Gelbe Umschläge mit Maschinenschrift pflegten im allgemeinen nichts Erfreuliches zu enthalten. Manuskripte waren hoch das Beste, was man von ihnen erwarten durfte, und auch sie stellten meist ein zweifelhaftes Vergnügen dar.

Dieser Brief sah nicht nach Manuskript aus. „Dr. Hellbrich / Rechtsanwalt und Notar“ stand links unten in der Ecke. Also doch nicht vom Finanzamt! Ich wurde sehr neugierig, aber ich versagte es mir heroisch, den Brief zu öffnen. Johannes und ich waren der Ansicht, daß die Gemeinsamkeit der Ehe sich nicht auf das Briefgeheimnis erstreckt.

Auch Johannes betrachtete mittags den gelben Brief voller Argwohn. „Hoffentlich kein romanschreibender Rechtsanwalt“, sagte er, „das hätte mir noch gefehlt!“

„Warum?“ fragte ich, „vielleicht käme einmal etwas Spannendes dabei heraus. Du mit deinem ewigen Armin Pütter — —“

Johannes hatte den Brief geöffnet, er las halblaut: „Sehr geehrter Herr Berthold — — teile ich Ihnen mit — — mangels Leibeserben — —“ Sein Gesicht nahm einen ungläubigen Ausdruck an, seine Augen flogen über die Zeilen — —

„Sag, ist es etwas Schreckliches?“ fragte ich atemlos.

Johannes ließ das Blatt sinken. „Eva“, sagte er erschüttert, „wir sind Hausbesitzer geworden!“

Sommergäste in Sophienlust

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