Читать книгу Sommergäste in Sophienlust - Ell Wendt - Страница 5
2
ОглавлениеEs ist keine Kleinigkeit, sozusagen von einer Minute zur andern in den Besitz eines Hauses zu gelangen, das bisher allen Wünschen so unerreichbar gewesen war wie ein Schloß im Mond. Die Nachricht traf uns unerwartet wie der berühmte Blitz aus heiterem Himmel. Wir brauchten Zeit, unser Glück zu fassen.
Rein äußerlich betrachtet, verhielt sich die Sache folgendermaßen: Wir hatten vor einigen Wochen die Nachricht von Onkel Theodors Tod mit der milden Trauer zur Kenntnis genommen, die man beim Ableben alter und entfernt lebender Verwandten zu empfinden pflegt. Der Onkel hatte das immerhin beachtliche Alter von 75 Jahren erreicht; fast ein Jahrzehnt lang hatten wir ihn nicht mehr gesehen. Er verbrachte seinen Lebensabend, von einer betagten Haushälterin betreut, in L., eine Tagereise von uns entfernt.
Wir wußten, daß er herzleidend und seit dem Tode seiner Frau, der guten Tante Sophie, ohne rechte Lebensfreude gewesen war. So waren wir geneigt, den Tod in diesem Fall als freundlichen Erlöser zu betrachten. Es war uns bekannt, daß des Onkels ehemals beträchtliches Vermögen durch unglückliche Spekulationen stark zusammengeschmolzen war; kein Gedanke an Erbschaft hatte sich in unsere Wehmut um den guten Onkel eingeschlichen. Um so unverhoffter kam uns dieser Brief, in dem schwarz auf weiß zu lesen stand, daß Onkel Theodor mangels Leibeserben seinem Neffen Johannes Berthold das Landhaus Sophienlust in Seewang a. See, Oberbayern, vermache. Mit allem Inventar.
Wir luden Tom zum Abendessen ein, das große Ereignis gebührend mit uns zu feiern. Tom, blond und von riesenhafter Statur, packte Johannes bei den Schultern und schüttelte ihn, bis ihm Hören und Sehen verging. „Gratuliere, alter Junge!“ rief er mit dröhnender Stimme, „haha, das nenne ich Glück — im Unglück“, fügte er, des verstorbenen Onkels eingedenk, taktvoll hinzu.
Auch Hinz war außer Rand und Band. „Warum hat der Onkel uns das Haus nicht schon früher geschenkt?“ fragte er, als ich ihn zu Bett brachte.
„Aber Herzchen, er wollte doch selber darin wohnen.“
„Wollte er gar nicht“, rief Hinz, „Onkel Tom hat gesagt, er versteht nicht, warum der alte Knabe —“
„Putze dir ordentlich die Zähne“, unterbrach ich streng, und nahm mir vor, Tom zur Vorsicht in Gegenwart des Jungen zu ermahnen.
Hinz sprang mit einem Anlauf ins Bett und hupfte darin auf und nieder, daß die Federn krachten. „Ich freue mich, ich freue mich!“ sang er nach einer selbst erfundenen Melodie und wollte anschließend wissen, ob wir nun immer in dem neuen Hause wohnen würden.
„Das wird sich alles finden“, sagte ich und deckte ihn zu mit der dringenden Aufforderung, er möge ein guter Junge sein und schnell einschlafen.
Im Wohnzimmer setzte ich mich in einen der großen, mit buntem Cretonne bezogenen Sessel. Die Stehlampe mit dem geblümten Seidenschirm tauchte den Raum in sanftes Licht; alle Mängel an Wänden und Möbeln schienen ausgelöscht. Ich hörte Johannes sagen, daß Onkel Theodor seit Tante Sophiens Tod nicht mehr gern in Sophienlust geweilt habe. Das Haus sei mehrmals vermietet gewesen, doch nun stehe es schon seit geraumer Zeit leer.
„Und wann werdet ihr hinausziehen?“ fragte Tom.
„Das ist eben die Frage“, sagte Johannes bedächtig (diese Bedächtigkeit brachte mich manchmal zur Raserei), „wahrscheinlich werden wir es uns nicht leisten können, das Haus zu bewohnen.“
„Bist du wahnsinnig?“ riefen Tom und ich aus einem Munde.
Johannes lächelte überlegen. „Wie stellt ihr euch das eigentlich vor?“ hub er an, „Sophienlust ist kein Wochenendhäuschen, sondern eine ausgewachsene Villa mit mindestens zehn Zimmern und einem beträchtlichen Park. Um die Jahrhundertwende legte man Wert auf Geräumigkeit. Rechnet euch mal bitte die Steuern aus, Grundsteuer, Hauszinssteuer usw., von den übrigen Spesen gar nicht zu reden!“
Ich schwieg betreten, während Tom sich erkundigte, ob Johannes an die Möglichkeit glaube, das Haus zu einem annehmbaren Preis zu verkaufen.
„Nein“, sagte Johannes düster, „wer kauft heute schon ein großes Haus?“
„Na also“, sagte Tom befriedigt, als sei damit alles aufs beste geregelt.
„Was soll das heißen?“ fragte Johannes gereizt.
„Daß ihr selber darin wohnen werdet“, verkündete Tom.
„Aber ich sage dir doch gerade —“
In mir schoß ein Gedanke empor wie eine Leuchtrakete. „Wir müßten natürlich die Wohnung während der Sommermonate schließen.“
Johannes sah mich mißbilligend an. „Und das Büro?“ fragte er.
„Wozu habt ihr den braven August?“ kam mir Tom zu Hilfe, „außerdem kannst du jederzeit bei mir übernachten.“
Johannes schwieg nachdenklich. Dann erklärte er in einem Ton finsterer Endgültigkeit, er habe den ganzen Nachmittag mit Berechnungen zugebracht. Wie man es auch drehe und wende, das Haus sei zu groß und zu kostspielig für eine Familie von drei Personen.
Nun konnte ich nicht länger an mich halten. „Wir werden das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden“, rief ich frohlockend.
Johannes und Tom sahen mich erwartungsvoll an.
„Indem wir in Sophienlust wohnen und zahlende Gäste aufnehmen werden“, fuhr ich siegesgewiß fort, „wenn jeder pro Tag zehn Mark zahlt —“
„Hör auf, hör auf“, schrie Johannes, „du bist verrückt geworden!“
„Warum?“ fragte Tom, „ich finde, sie ist vernünftiger als du.“
Ich sandte einen dankbaren Blick zu Tom hinüber. Johannes lächelte mit beleidigender Skepsis, aber dann begannen wir doch, den Plan zu erörtern. Die Rechnung mußte aufgehen, wenn wir imstande waren, genügend Gäste aufzunehmen. In diesem Fall müsse sich sogar ein Überschuß herauswirtschaften lassen, behauptete Tom.
Johannes starrte, von Zweifeln bedrängt, vor sich hin. „Wir werden morgen hinausfahren und uns das Haus ansehen“, entschied er schließlich, „seit zehn Jahren hat Onkel Theodor es nicht mehr bewohnt. Ich könnte mir vorstellen, daß es eine ziemliche Bruchbude ist.“
„Um so romantischer wird es werden“, sagte Tom, „schon der Name Sophienlust strotzt von Romantik. Die Gäste werden sich darum reißen, zu euch zu kommen. Sei kein Narr, Johannes! Das Schicksal gibt euch höchstpersönlich eine Chance!“
Aber Johannes, pessimistisch von Natur, ließ sich nicht ohne weiteres gewinnen. Er fragte düster, ob ich mir darüber klar sei, daß wir auf jedes Privatleben verzichten müßten, falls der Plan sich verwirklichen lasse.
Ich lachte. Im Augenblick kam mir alles ungeheuer einfach vor. Der geldliche Erfolg würde uns für jede Entsagung entschädigen. „Denk nur, Johannes, wir werden es zu Wohlstand und Ansehen bringen. Niemand wird in Zukunft sagen können, daß wir einem brotlosen Beruf obliegen. Und wenn obendrein der Roman von Armin Pütter ein Bombenerfolg wird —“
„Stop!“ rief Tom lachend, „deine Phantasie schießt ins Kraut, meine Liebe!“