Читать книгу Mord in der Gascogne - Ellis Brink - Страница 6

Fahrt

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Liège, Namur, dann die schiefergrauen Ardennenorte, eingebettet in dichte schwarzgrüne Tannenwälder. Die Bürgersteige fast ohne Menschen, die Häuser grau mit Schieferdächern. Sie fuhr in Richtung Bouillon. Transinne, Maissin und Paliseul, dann folgte eine Hochebene als Industriegebiet umfunktioniert. Nun ging es in eine tiefe Schlucht hinunter und wieder einen Anstieg bis zur französischen Grenze empor. Die Grenzanlage, seit langem nicht mehr gewartet, bot einen trostlosen Anblick. Die zwei Lkw, die dort rasteten, mussten - um das zu wagen - wohl noch viel Schlimmeres erlebt haben.

Bei Sedan, Ausfahrt 3 war ein Intermarché mit Tankstelle, hier würde sie mal nachtanken.

Schließlich weiter in Richtung Reims und Troyes. Die Landschaft war so eintönig, dass man gar nicht glauben mochte, dass hier ein so köstlicher Tropfen wuchs. Dafür war auf dieser Autobahn halb Großbritannien unterwegs und hieß deshalb " autoroute des anglais ".

Auf einem Zettel, der vor ihr am Armaturenbrett des Fahrzeugs hing, hatte sie ganz akribisch jede jemals auf den früheren Fahrten gesichtete Radarfalle eingetragen und erzählte sich laut, bei welchem Kilometerstand die nächste zu erwarten war. Eine Ablenkung bei der doch monotonen Fahrerei war Troyes, hier fuhr sie von der A 26 ab und gleich auf die Stadtautobahn, um dann die A 5 zu erreichen. Wieder Langeweile pur.

Bei der Ausfahrt Vulaines überholte sie ein schwarzer Citroen C 5, die Scheiben auch gleich schwarz getönt. " Leute, ihr seid zu schnell ", dachte sie, als die Umrisse des Wagens an ihr vorbeizischten." Wenn ihr Pech habt, da vorne war schon drei Mal eine mobile Radarfalle...!"

Kilometer folgte Kilometer, sie hörte " 107,7 ", den französischen Verkehrssender und wartete auf die Abbiegung zur A 19. Der Anblick des schwarzen Citroen C 5 auf dem nächsten Rastplatz ließ sie kichern. An dem Fahrzeug beugte sich einer der charmanten " Gendarmen" zum Fahrerfenster.

Wer jemals das Vergnügen hatte, einen engeren Kontakt zu dieser Spezies zu erlangen, wusste, warum sie lächelnd die Lippen spitzte: Oh, là là!!

Nun gut, den Wagen sah sie so bald nicht wieder, das würde wohl Stunden dauern - und was das kostete!!??

Aufgepasst, endlich Sens und bald kam die Abfahrt Chuelles, bei Chuelles verließ sie die Autobahn und fuhr über Landstraßen weiter. Hier präsentierte sich wieder das typische ländliche Frankreich.

An einem der kleinen Wäldchen, die sich immer wieder rechts und links der Landstraße erstreckten, würde sie eine Rast einlegen und picknicken. Um eine schöne Stelle zu finden, drosselte sie die Geschwindigkeit und dann bog rechts in einen immer breiter werdenden Weg ein, der sich zu einer Lichtung in den dichten Laubbäumen weitete.

Puh, fahren strengt schon an, sie reckte sich, öffnete den Kofferraum und streckte die Hand zur Kühltasche aus. Während sie sich wieder aufrichtete, sah sie einen dunklen Schatten auf der Landstraße am Weg vorbeizischen.

"Was war das denn?", dachte sie. Hunger und Durst waren stärker als alle Neugier und nach den köstlichen Schnittchen nahm sie sich erst mal die Regionalkarte vor und schaute noch mal die Lage ihres Übernachtungsquartiers an. Das Hotel hieß " La Ferme de Beaufois " und lag bei Chateau - Renard.

Im Ort angelangt, bog sie nach links zum Schloss ab und schon nach wenigen Kilometern erreichte sie die Hoteleinfahrt. Das La Ferme de Beaufois war ein alter Gutshof aus dem 18. Jahrhundert und lag in einem zauberhaften achttausend Quadratmeter großen Park, durch den ruhig und leise murmelnd die Ouanne floss.

Das " gelbe Zimmer " hatte sie noch von Köln aus gebucht und es lag, wie ihr versichert wurde, mit direktem Zugang zum Park und eigenem Eingang. Die Reifen knirschten über den Kies der Einfahrt, sie öffnete die Fahrertür und spürte die Kiesel unter ihren roten Sandaletten. Ebenso rot der neue Rock und dunkelrot das T-Shirt und die Handtasche. Durchgestylt bis zu den Zehennägeln ergriff sie einen

Koffer aus ihrem " Kofferset " - vier Koffer

einschließlich Beautycase - und schritt der Rezeption

entgegen. Unter drei Platanen am rechten Rand des Parkplatzes stand ein schwarzer Citroen C 5. Diese Automarke schien sie heute zu verfolgen.

" Bonjour, Madame Land, n'est-ce pas ", säuselte Madame und reichte ihr den Schlüssel nebst kopfgroßem Anhänger. Sie sind im gelben Zimmer untergebracht. Wenn Sie reservieren, können Sie heute Abend die " cuisine " von George genießen." " Mais, bien sûr, je suis ravie", murmelte Karla zurück. Sie einigten sich auf 19.30 Uhr. So hatte sie

noch Zeit, den Park und vielleicht den Ort zu erkunden.

Was man besichtigen musste, so beschloss sie, war die Kirche und natürlich die Befestigungsanlagen, die an sie angrenzten. Karla lief ein kleines holperiges Sträßchen zur Kirche hoch, unter einem mittelalterlichen Torbogen

hindurch und bewunderte das Farbspiel von blauem Himmel, graubraunen Steinquadern und die überall in den Ritzen der Quader wuchernden kleinen blühenden Unkräuter.

Schon ein wenig außer Puste erreichte sie den Parkplatz gegenüber der Kirche. Schon wieder ein schwarzer Citroen! Fuhr jetzt wirklich jeder zweite Franzose einen C 5?

So " günstig " war der ja nun auch nicht. Tant pis! Pah!

Ein schmaler Weg führte von der Kirche weiter zu der Ruine des Donjons. Neben dem Weg blühten gelbe Nachtkerzen, von

Schmetterlingen umflattert und Bienen schossen wie Blitze in die weit offenen Kelche.

Die Luft duftete und gerade noch rechtzeitig bemerkte sie, dass der Pfad nun von Steinbrocken übersät war.

"Augen auf, Blick auf den Boden", dachte Karla und bog um eine Kurve des schmalen Weges.

Direkt vor ihr ein Mann, den Rücken ihr zugekehrt, er telefonierte ohne sie zu bemerken.

" Nicht mit Gewalt. Nein, ein Waffeneinsatz ist hier noch nicht angebracht. Wir treffen uns in Barcelonne!"

Er drehte sich um und fuhr erschrocken zusammen, als er sie bemerkte. Der Monsieur war bekleidet mit Jeans und beigefarbenem Poloshirt, kurz warf er ihr einen kalten Blick zu, drehte sich um und ging Richtung Kirchparkplatz davon.

" Na so was", dachte sie, "der hat die Höflichkeit mit der Muttermilch eingesaugt. Blöder Typ! Bloß nicht ärgern."

Mit Waffen und ihren Besitzern wollte sie nichts zu tun haben. Ebenfalls am Kirchplatz angekommen, trank sie noch einen Café au lait und begab sich dann gemächlich in ihr gelbes Zimmer auf eine kleine Ruhepause. 19.00 Uhr, sie war fix und fertig wie eine auf Glanz polierte Kastanie, schwarze Jeans, leichtes weißes Sweatshirt, Goldschmuck von Mutti. So gerüstet schritt sie Richtung Restaurant. Erst noch ein kurzer Blick nach draußen, noch dämmerte es nicht. Auf dem "Parking" bemerkte sie wieder den Citroen. Wo der wohl herkam, Upps: 32. Aus dem Gers also. Diese Fahrzeuge passten eigentlich nicht so zum Gers. Jeeps, Pick - Ups und Fahrzeuge, die sich mutig noch immer so nannten und eigentlich nur durch den festsitzenden Dreck zusammengehalten wurden - das ja!

Überhaupt das Gers. Es ist ein wenig bekanntes ländliches Departement im Südwesten von Frankreich.

Es gehört zur ehemaligen Gascogne und die Gascogne kennt ja

jeder von den Filmen über D'Artagnan, den jungen Musketier, der genau hier seine Kinder- und Jugendtage verlebte. So wie er ist auch fast jeder Gersois oder jede Gersoise gutmütig, aber häufig zu Scherzen aufgelegt. Sie sind wie oft bei der bäuerlichen Gesellschaft üblich, stark der Tradition verhaftet, sehr konservativ und doch durchaus interessiert und neugierig auf alles, was sie nicht kennen. Der Gersois liebt mit Inbrunst sein Land, seine Region, seine Traditionen, sein Heim, das gute Essen und die guten Tropfen - und wenn es auch andere interessante Orte gibt, so etwas wie das Gers gibt es natürlich für ihn nur einmal auf der Welt. Deshalb sollte man es nach Möglichkeit besser nie verlassen, und alles Neue aus sicherer Distanz mit einem abwartenden Schmunzeln betrachten.

Die Landwirtschaft spielt hier die Hauptrolle und bestimmt, gefolgt von den Jahreszeiten, das Leben. Geflügel, überwiegend Enten, werden im Freiland gezüchtet und letztendlich zur berühmten Stopfleber verarbeitet. Ansonsten findet man Mais, Wein und klar auch die Gascogner Variante des Cognacs, den Armagnac. Die Landschaft punktet mit sanft geschwungenen Hügelketten, entweder von Weinstöcken oder von Sonnenblumen überzogen. Dazwischen liegen die uralten Wehrdörfer mit ihren zentralen Marktplätzen, die von Arkadengängen gesäumt werden. Einsame Bauerngehöfte, umrahmt von wundervollen Schirmpinien , Eichen oder gewaltigen Zedern - sie geben einem Haus erst das gewisse Flair und weisen darauf hin, dass dieses Gebäude etwas Besonderes ist - wechselten mit den typischen " Pigeonniers " kleinen Taubenhäusern inmitten der Felder oder an den Gehöften liegend. Und " oui " es gibt Schlösser, große, kleine und riesige, nicht wenige sind heute " Domaines " d.h. Weingüter oder stellen Armagnac her.

Quer durch das Gers läuft auch der mittelalterliche Jakobsweg nach " Saint Jacques de Compostelle " und Kirchen oder Kulturdenkmäler laden zum Verweilen ein. Folgen die Pilger den Landstraßen, so werden sie von den hohen

ausladenden Platanenreihen beschattet.

Ja, das Gers, ganz sicher ein Geheimtipp für Touristen, denn kaum einer kennt es und es braucht ein bisschen Zeit, um in diese Landschaft und ihre Menschen einzudringen. Karla könnte noch stundenlang über diese Gegend erzählen, aber jetzt ging es erst einmal zum Essen.

Im Restaurant, dezent schummerig gehalten, verfrachtete Madame sie in eine Ecke: Bloß nicht vorzeigen, die Kleine, sollte das wohl bedeuten. Dabei war sie für ihr Alter noch ganz gut dabei: Honi soit qui mal y pense.

Karla hielt sich die Speisekarte vor die Nase und begann andächtig zu lesen.

Mit schnellen Schritten eilte Madame herbei und sie bestellte terrine de saumon, fumé maison, foie gras chaud aux raisins und zum guten Schluss beafteck grillé.

Madame schien mit der Auswahl zufrieden und sagte das auch " Très bien, Madame. Et le dessert?"

Damit wartete Karla lieber noch und vertröstete Madame auf

später. Die lieferte ihr eine Karaffe Wasser, einen

leichten Rosé aus der Region und entschwebte mit Grazie, um das Brot zu holen.

Und schau an, es gab auch noch einen kleinen Happen, den amuse gueule.

Sie lehnte sich zurück, ließ den Wein auf der Zunge kreisen und schaute zufrieden in den dämmerigen Park hinaus.

Zwei Tische weiter, an einem der runden vier Personen Tische nahmen zwei Herren Platz. Anzug, Krawatte, gestylt der eine und schau an, der andere war doch der unangenehme Typ von der Kirche. Jetzt bemerkte er sie auch, brummelte irgendetwas in Richtung seines Begleiters und verzog sein Gesicht. Schon drehte der sich um und schaute in ihre Richtung, kackfrech begutachtete er sie von oben nach unten. Gut schaute er schon aus. Dunkle Haare und dunkle Augen, wenn man so etwas mochte, schlank und groß. Der Ausdruck seiner Augen schien ihr allerdings zu mutwillig. Und dieser Waffenfreak noch dazu! Nein, mein Herr!

Einordnen könnte sie die Herren nicht. Waffeneinsatz! Wer führte solche Gespräche? Verbrecher? Auf jeden Fall dubiose Gestalten. Barcelonne. Sie kannte ein Barcelonne im Gers. Aber wer sollte in diesem ruhigen und unbekannten Ort mit Waffen herumfuchteln? Besser klare Kante zeigen und nichts mit solchen Leuten zu tun haben.

" Enchanté, Madame " grüßte der Kackfreche laut zu ihr herüber und klar drehten sich jetzt alle Köpfe zu ihnen um. Glücklicherweise erschien Madame mit der Terrine und sie konnte sich mit Essen und Trinken beschäftigen. Zu den beiden würde sie sicher nicht mehr hinschauen.

n'est - ce pas = nicht wahr cuisine = Küche, hier Speisen

bien sûr = sicherlich je suis ravie = ich bin entzückt

tant pis = macht nichts

domaine = Weingut

honi soit qui mal y pense = ein Schuft, der Böses dabei denkt

terrine de saumon, fumé maison = Lachsterrine, nach Art des Hauses

foie gras chaud aux raisins = warme Entenleber mit Weintrauben

très bien = sehr gut

amuse gueule = kleines Häppchen

enchanté = freut mich ( Sie kennen zu lernen )

Mord in der Gascogne

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