Читать книгу Theorie und Praxis des Generalstreiks in der modernen Arbeiterbewegung Inauguraldissertation - Elsbeth Georgi - Страница 10
§ 3. Ziele des Klassenstreiks.
ОглавлениеDas Ziel eines Klassenstreiks kann die Erfüllung von Forderungen sein, die nur einen Teil der Streikenden unmittelbar interessieren, um deren Durchsetzung willen aber aus Solidaritätsgefühl auch nicht unmittelbar interessierte Arbeiterkategorien in den Ausstand treten; indem sie die Sonderforderung zu der ihren machen, bringen sie die Klassenzusammengehörigkeit des Proletariats zum Ausdruck, verwandeln sie das Sonderziel in ein mittelbares Klassenziel, wollen sie mittelbar die proletarischen Klasseninteressen fördern. (Hierher gehören vor allem die romanischen Sympathiestreiks.)
Das Ziel des Klassenstreiks kann aber auch die Erfüllung von Forderungen sein, an denen die Gesamtheit des Proletariats interessiert ist (oder interessiert sein könnte), ein unmittelbares Klassenziel; und zwar handelt es sich hierbei um jede Art von Gesamtforderungen, um Teilpostulate, wie um Endpostulate.
Die Teilforderung kann wirtschaftlicher Natur sein, sich z. B. auf die Einführung des Achtstundentages,[32] auf die Einführung von Versicherungseinrichtungen[33] usw. für eine Gesamtarbeiterschaft beziehen. Oder die Einzelforderung trägt, wie dies bei den bisherigen Klassenstreiks mit unmittelbarem Klassenziel die Regel war, politischen Charakter.
[32] Vgl. den auf dem intern. Kongr. in Zürich 1893 aufgetauchten Plan.
[33] Vgl. Girardins Vorschlag.
In erster Linie handelt es sich hierbei um prinzipielle politische Forderungen, um politische Rechte,[34] in allererster Reihe um das politische Wahlrecht.[35] In der Defensive: Schutz der Verfassung gegen den Staatsstreich;[36] Verteidigung des Wahlrechts gegen "reaktionäre Anschläge"; Bekämpfung eines als ungenügend und entwicklungshemmend empfundenen neuen Wahlprojekts (wie 1902 in Schweden); Effektuierung nur theoretisch vorhandener Rechte.[37] In der Offensive: Eroberung parlamentarischer Grundrechte (z. B. in Begleitung der bürgerlichen Revolution; Rußland); Ausbau der Demokratie, Erzwingung "drängender politischer Forderungen",[38] vor allem Eroberung des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts.[39]
[34] Umrath, "Zur Generalstreikdebatte", p. 15; Roland-Holst (Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 25); Amsterdamer Resolution über den Generalstreik (Prot. p. 24 ff.); v. Elm (Prot. Gwft. Kongreß Köln 05); Destrée und Vandervelde, "Le Socialisme en Belgique", p. 22; Bernstein, "Ist der politische Streik in Deutschland möglich?", p. 36.
[35] Durch das zugleich das Koalitionsrecht bedingt wird, vgl. Kloth, "Generalstreik und Maifeier auf dem Gewerkschaftskongreß in Köln"; Liebknecht (Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 195, 196); vgl. auch Prot. Parteitg. Jena 05; A. v. Elm, "Rückblick auf den 5. deutschen Gewerkschaftskongreß.
[36] Vgl. z. B. Girardins Plan von 1851 (unten p. 38); Parvus, "Staatsstreich und politischer Massenstreik".
[37] So wünscht Lensch ("Politischer Massenstreik und politische Krisis") den Klassenstreik, um die tatsächliche Bedeutung des dem Proletariat zugänglichen Parlaments zu erhöhen; "pour briser la force de la soldatesque", die sich in der Dreifuskrise über das Parlament hinwegzusetzen schien, also um dieses und die parlamentarische Regierung zu unterstützen, würde Kautsky ("Jaurès et Millerand", Mouvement socialiste 1899) seinerzeit den französischen Proletariern den Eintritt in einen Klassenstr. empfohlen haben, wenn Kautsky nicht selbst — und mit Recht — gezweifelt hätte, daß ein bürgerliches Ministerium sich dieses Hilfsmittels bedienen würde.
[38] Cohnstaedt, a. a. O. p. 743, 744; ähnl. Amsterdamer Resolution über den Generalstreik, a. a. O.; Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 193.
[39] Die Wahlrechtsforderung erschien schon in der Chartistenbewegung, und die verlockende "Idee, durch Einstellung der Arbeit die Gewährung politischer Forderungen zu erzwingen", taucht "in der Geschichte der modernen Demokratie" immer wieder auf (Bernstein, "Der Streik als politisches Kampfmittel", p. 689).
Außerdem kommen auch gelegentliche politische Teilforderungen vor, die sich auf einzelne unliebsame Maßnahmen der Regierung beziehen, deren Ausführung oder Wiederholung verhindert werden soll, z. B. auf kriegerische Unternehmungen,[40] oder auf die Beeinflussung der Wirtschaftskämpfe durch die öffentliche Gewalt.[41]
[40] Durch den Kriegsstreik (Prot. int. Kongr. Brüssel 1891, p. 24, 27, 31; Prot. int. Kongr. Zürich 1893, p. 20 ff.; Prot. int. Kongr. London 1896, p. 24; Jaeckh, "Die Internationale", p. 76; Hervé (cit. in der "Hilfe", XI. Jahrg. Nr. 21); Enquête sur l'idée de patrie et la classe ouvrière [Mouvement socialiste 1. und 15. Nov. 05, p. 327)]; La "Patria" e l'Antimilitarismo, Inchiesta fra la classe operaia organizzata ["Il Divenire sociale", 16. XII. 04, p. 387, 388]) und zwar entweder spez. Militärstreik (Dienst- und Stellungsweigerung), oder Streik der auf den Krieg bezüglichen Gewerbe, oder überhaupt Klassenstreik im Moment des Kriegsausbruchs.
[41] Klassenstreik z. B. als Protest gegen Soldatenverwendung bei Streiks (Italien 1904); oder als Protest gegen die Hinderung des Streikpostenstehens ("die famose Idee des Genossen Wiesenthal", deren Mitteilung durch Bömelburg auf dem Kölner Gewerkschaftskongreß 05 große Heiterkeit erregte [vgl. Prot. p. 219]).
Bei den Endzielen, den proletarisch-revolutionären Zielen, handelt es sich einerseits um positive Forderungen: Eroberung der Staatsgewalt, "Ergreifung der politischen Macht",[42] "Diktatur des Proletariats",[43] sei es, daß der Klassenstreik nur als "letzte, ernsteste Drohung vor dem Sturm", als "Präludium" der Revolution auftritt,[44] sei es, daß er die direkte Einführung der proletarischen Aera beabsichtigt.
[42] Parvus, "Staatsstreich und politischer Massenstreik", p. 394.
[43] Leipziger Volkszeitung vom 8. 3. 04, Art. "Märzluft", zit. von David, "Rückblick auf Jena", p. 842, Note 1.
[44] Eckstein, "Was bedeutet der Generalstreik?" p. 363; — Zetkin, a.a.O.; Block, "Formen und Möglichkeiten des Massenstreiks"; Cohnstaedt, a. a. O.
Andererseits handelt es sich um negative Forderungen: Beseitigung der kapitalistischen Ausbeutung,[45] Beseitigung, "Zersprengung des Klassenstaats",[46] "um Raum zu machen für die Freiheit",[47] in deren Schutz sich alsdann die neue Gesellschaftsordnung entwickeln werde.[48] Mehrfach wird übrigens auch die "transformation sociale" selbst, die Aneignung des gesellschaftlichen Eigentums und die Einführung der neuen Ordnung, also nicht bloß das Niederreißen, zu den Obliegenheiten dieses sogenannten "Expropriationsstreiks" oder "absoluten Generalstreiks"[49] gerechnet.[50]
[45] Friedeberg, "Weltansch."; ähnlich Thesing, "Per la questione dello sciopero generale."
[46] "Der Generalstreik" ("Weckruf", 28. Mai 04); Sorel, "Lo sciopero generale"; Friedeberg, "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 4, 15, 26, 27, 31; derselbe, "Weltansch.", Nr. 40; Mazuel, vom P. S. R. ("Congrès général des organisations socialistes françaises Paris 1899", p. 254, 255).
[47] "Weckruf", a. a. O.
[48] So z. B. Friedeberg, "Weltansch."; "Antimilitarismus u. Generalstreik" (Beilage zur "Wahrheit", Nr. 11, p. 11).
[49] Roland-Holst, "G-str. u. Sozd.", p. 5; Louis, "L'Avenir du Socialisme", p. 297.
[50] So Bakunins Anhänger auf dem Kongreß in Brüssel (Umrath, "Zur Generalstreik-Debatte", p. 13, 14); so die in Brüssel erscheinende "Internationale" im März 1869, daß der G.-str. "in einem die Gesellschaft erneuernden Zusammenbruch endigen" werde; so der Kongreß in Genf 1873 (vgl. Weill, p. 163); so die Allemanisten (Richard, "Manuel socialiste", p. 78 ff.); — so die "Jungen" (vgl. Kampffmeyer, "Der Generalstreik und die Eroberung der ökonomischen Macht"); Briand, "La grève générale et la révolution". — López Montenegro wünscht (in der Broschüre "La huelga general") die Herbeiführung der sozialen Revolution durch den allgemeinen, womöglich internationalen Ausstand, der nicht eher beendigt werden solle, "bis die Häuser den Bewohnern gehörten, die Erde und ihr Ertrag den Bebauern ..." usw.; "Die Neugestaltung der Produktion werde sich schon von selber machen" (vgl. Eltzbacher, "Der Anarchismus und die soziale Revolution in Barcelona", p. 7).