Читать книгу Theorie und Praxis des Generalstreiks in der modernen Arbeiterbewegung Inauguraldissertation - Elsbeth Georgi - Страница 14
§ 6. Vergleich des Klassenstreiks mit verwandten Aktionsmitteln.
ОглавлениеDem Klassenstreik sind eine Reihe anderer Aktionsmittel des Proletariats verwandt, die ebenfalls auf massenhafter Verweigerung notwendiger Funktionen beruhen oder beruhen können.
Praktisch kommt fast ausschließlich der Entzug wirtschaftlicher Funktionen in Betracht, und zwar vor allem der Entzug wirtschaftlicher Funktionen innerhalb des Produktionskreises; hierbei handelt es sich in erster Linie um die Mittel mit obligatorischer Arbeitsverweigerung. Unter diesen begreift der Normalfall, die offene Arbeitsverweigerung, also der Streik, auch den Klassenstreik in sich. Und zwar gleicht letzterer in seinem gewerblichen Wirkungsvermögen völlig den übrigen großen Streiks, steht hierin also, wie diese, in genauem Gegensatz zum partiellen Streik.
Die gewerbliche Wirkung eines Streiks auf die Unternehmer beruht im allgemeinen auf dem Interesse derselben am Fortgang der Produktion. Dieses Interesse, das den Unternehmer unter Umständen zur Nachgiebigkeit gegenüber den Forderungen seiner Arbeiter bestimmt, ist ein doppeltes. Der Fortgang der Produktion sichert einerseits die Verzinsung des im Betrieb angelegten Kapitals, sowie den Unternehmergewinn (zugleich die Erhaltung der Betriebseinrichtungen in brauchbarem Zustand): positives Interesse, und erschwert andererseits die Verdrängung durch die Konkurrenz (Einführung neuer Verfahren, Abfangen der Kundschaft usw. während des Streiks): negatives Interesse.
Das positive Interesse wird zwar vom Massenstreik, also auch vom Klassenstreik, ähnlich berührt, wie vom partiellen Streik; etwas stärker noch insofern, als beim Massenstreik von einer Aushilfe durch die Streikversicherung viel weniger zu erwarten steht, als bei einem partiellen Ausstand; dafür vermindert sich aber beim Massenstreik (und erst recht beim Klassenstreik) die Rücksichtnahme seitens der Arbeiter auf die wirtschaftlichen Konjunkturverhältnisse,[98] so daß hierbei wohl ausnahmslos auch solche Unternehmungen getroffen werden, denen gerade eine momentane Betriebsstockung zum Vorteil gereicht; ja, auch die dem Unternehmer gewöhnlich aus dem Streik erwachsenden Schwierigkeiten gegenüber Dritten (Nichteinhaltung von Lieferfristen, Konventionalstrafen usw.) verringern sich, je größere Dimensionen der Streik annimmt, je mehr er als Kasus angesehen werden darf.[99]
[98] Es kann beim Kl.-str. um so weniger Rücksicht auf die wirtschaftliche Konjunktur genommen werden, je mehr Rücksicht auf den politisch günstigen Moment genommen werden muß (vgl. Hanich, Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 65); eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Konjunktur wird überdies um so schwerer, je größer der Streik ist, da sich bei starker gewerblicher und geographischer Differenzierung der Beteiligten kaum ein Zeitpunkt finden läßt, wo sich alle fraglichen Gewerbe und Plätze annähernd gleicher Prosperität erfreuen.
[99] Schon die gewöhnlichen Streiks, bes. Angriffsstreiks, pflegen als Casus angesehen zu werden (vgl. ab-Yberg, p. 95).
Erscheint hiernach schon das positive Interesse des Unternehmers normalerweise durch den Massenstreik eher weniger bedroht, als durch den partiellen Streik, so tritt eine völlige Umkehrung des Verhältnisses bezüglich des negativen Interesses ein. Die Unternehmerkonkurrenz spielt nämlich eine um so kleinere Rolle, je größere Dimensionen der Streik annimmt; denn je vollständiger die Einbeziehung aller miteinander konkurrierender Unternehmungen, um so geringer für jede einzelne die Gefahr der Konkurrenzstärkung während der Arbeitsunterbrechung.[100] Den kräftigeren Unternehmungen kann der Massenstreik durch die Beseitigung schwächerer Konkurrenten[101] sogar noch direkten Vorteil bringen. — Das Konkurrenzmoment als Faktor des Entgegenkommens, als Faktor des Streikerfolges, verliert also mit Ausdehnung des Streiks immer mehr an Bedeutung[102] und verschwindet überhaupt völlig, sobald die Gesamtheit der konkurrierenden Betriebe stillliegt.[103]
[100] Ähnlich liegen die Verhältnisse beim partiellen Streik gegen Monopolisten (vgl. Düwell, "Zur Frage des Generalstreiks").
[101] Da diese sich ev. schon an den positiven Beeinträchtigungen durch den Streik verbluten; um die großen Unternehmer empfindlicher zu treffen, schlug daher Ellenbogen (Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 54) vor, den Kleinbetrieb von einem ev. Wahlrechtsstreik ausdrücklich auszunehmen.
[102] Eckstein, p. 258, 259; Grosch, "Der Generalstreik", p. 14, 15; vgl. auch Kautsky, "Allerhand Revolutionäres", p. 687 ff.
[103] Soweit dies nicht der Fall ist, können die Unternehmer übrigens durch internationale und nationale Vereinbarungen den Konkurrenzausschluß selbst herbeiführen (vgl. Düwell).
Der Massenstreik, und mit ihm der Klassenstreik, werden also in ihrer Wirkung auf das Unternehmertum stets hinter der Wirkung des partiellen Streiks zurückbleiben müssen, da das positive Interesse des Unternehmers an der Aufrechterhaltung des Betriebes keinesfalls stärker berührt, sein negatives Interesse aber ausgeschaltet wird. Der Massenstreik kann also keineswegs von vornherein als der Superlativ des partiellen Streiks angesehen werden; noch weniger ist die Berechtigung seiner Anwendung aus etwaiger Erfolglosigkeit partieller Ausstände zu folgern.[104]
[104] Dies tut z. B. Briand (Prot. int. Kongr. Paris 1900, p. 32, und "La grève générale et la révolution", p. 4, 5); vgl. auch Umrath, a. a. O.; Dejeante (Congrès général ... Paris 1899, p. 257 ff.). — Die tatsächliche Zunahme der Massenstreiks und die Wahrnehmung, daß dieselben immer häufiger den Charakter politischer Ereignisse tragen (bes. im Eisenbahnbetrieb und im Bergbau: Pennsylvanien, Kolorado, Frankreich, England, Belgien, Deutschland, Österreich usw.), förderte die Überzeugung, diese Waffe, die "die technische Entwicklung den Arbeitern in die Hand gegeben" habe (Prot. Parteitg. Wien 05, p. 132), sei auch im politischen Kampf anzuwenden (vgl. Kautsky, "Der Kongreß in Köln"; ders.: "Die soziale Revolution", p. 49, 50; Roland-Holst, "G-str. u. Sozd.", p. 32 ff., 54; Bernstein, "Trust und Streik"; ders.: "Der Kampf in Belgien und der politische Massenstreik", p. 416; ders. am Parteitg. in Jena (Prot. p. 315); Stadthagen (ebenda, p. 330).
Was dem Massenstreik aber an gewerblicher Wirkung abgeht, das kann unter Umständen die außergewerbliche, die soziale Wirkung ersetzen, die den partiellen Streiks überhaupt fehlt, oder doch nur den exzeptionellen unproletarischen Streiks[105] zukommt.
[105] Streiks der Schüler, Advokaten, Ingenieure, Richter, Handelsgehilfen, Ärzte, Apotheker, Munizipalbeamten (Streik der Gemeinderäte bei der südfranzösischen Winzerbewegung 1907). Die österreichische Hausbesitzerversammlung soll gar den abenteuerlichen Plan gefaßt haben (sofern keine Zeitungsente vorliegt), alle Wohnungen zu kündigen, falls die Regierung nicht unverzüglich an die Abänderung der Hauszins- und Gebäudesteuer ginge (gemäß "Fremdenblatt", cit. von der Arbeiterzeitung Wien, 24. Juni 1906).
Die soziale Wirkung des Massenstreiks kann von der Zahl der Streikenden abhängen; denn jede Arbeitsniederlegung sehr vieler Menschen veranlaßt eine allgemeine Beunruhigung, Erregung, Unsicherheit, eine allgemeine Störung von Handel und Wandel.[106]
[106] Resel (Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 70 ff.) Die Minderung der Kaufkraft der Ausständigen wird sich auf dem das Proletariat versorgenden Markte fühlbar machen; das Stillliegen vieler Betriebe zwingt, infolge der arbeitsteiligen Entwickelung, auch zahlreiche Dritte zur Arbeitsunterbrechung; die Verlängerung der Umschlagsdauer des Kapitals wird ein Sinken der Industriewerte nach sich ziehen usw.
Doch es kommt nicht nur auf die Zahl der Ausständigen, sondern auch auf die soziale Bedeutung der stillgelegten Werke an, wonach sich die soziale Wirkung in qualitativer Richtung bestimmt. Unter den sozial wichtigen Unternehmungen aber wird die Arbeitsruhe derjenigen Gruppen den bedeutendsten Effekt herbeiführen, von deren fortwährenden Leistungen, also von deren ununterbrochener Inbetriebhaltung das gesellschaftliche Dasein in besonderem Maße abhängt (wie Kraft- und Lebensmittelversorgung, Transport, Sanitätsdienst usw.). Je allgemeiner in diesen Unternehmungen der Streik, um so empfindlicher seine Wirkung auf die Gesellschaft.[107]
[107] Zur Förderung des sozialen Druckes bemühen sich die Arbeiter daher auch um Fernhaltung der Konkurrenz beim Streik; so wurde z. B. beim Streik im Ruhrgebiet seitens der Arbeiterschaft versucht, die belgische und englische Kohle durch Verständigung mit den dortigen Genossen fernzuhalten.
Auch das staatliche Leben ist durch den Massenstreik mannigfachen Beunruhigungen, unter Umständen sogar geradezu einer Gefährdung ausgesetzt, — ganz abgesehen davon, daß der Staat durch jede gesellschaftliche Krise indirekt mitgetroffen wird.
Einerseits handelt es sich auch dem Staat gegenüber um quantitativ bestimmte Wirkungen, sofern dieser nämlich die streikenden Massen um ihrer Zahl willen nicht mehr in den Schranken von Recht und Ordnung zu halten vermag; andererseits um qualitativ bestimmte Wirkungen, wenn große Streiks "an Stellen, wo sie dem Staat und der öffentlichen Gewalt am empfindlichsten sind", ausbrechen (Verkehrs- und Nachrichtendienst, Militärverproviantierung usw.), infolge der Natur der streikenden Betriebe die eigensten Funktionen des Staates stören und eine "Desorganisation des Staatsmechanismus" einleiten würden.[108]
[108] Auf eine solche Wirkung rechnen Parvus, a. a. O.; Zetkin (vgl. Vorwärts, 23. Aug. 05); Roland-Holst, a. a. O. p. 100 ff.; Kautsky, "Allerhand Revolutionäres" p. 208.
Wenn qualitativ und quantitativ bestimmte gesellschaftliche Wirkungen sich vereinigen, wenn der Massenstreik "der ganzen bürgerlichen Gesellschaft Unbequemlichkeiten und Verluste" zufügt,[109] "die notwendigen Funktionen der Wirtschaft" stilllegt und Störungen im öffentlichen Betrieb bewirkt,[110] den "Lebensprozeß der kapitalistischen Gesellschaft" bedroht, wenn er als "maladie publique",[111] als "nationale Kalamität"[112] auftritt oder auftreten soll, dann wird es sich kaum um den innergewerblichen Massenstreik handeln, dann wird in der Regel ein Klassenstreik vorliegen, oder zum mindesten doch ein solcher gewerblicher Massenstreik, dem wir, eben um dieser Wirkungen willen, eine Grenzstellung anweisen, den wir als Pseudo-Klassenstreik bezeichnen müssen.
[109] Kautsky, a. a. O. p. 690.
[110] Adler (Prot. Parteitg. Wien 05, p. 126).
[111] M. Fazy, Zu den Motionen Scherrer und Sulzer (Amtl. Stenogr. Bulletin der Schweiz. Bundesversammlung, Jahrg. XVI, p. 912).
[112] Kautsky, "Die Soziale Revolution", p. 49 ff.; ähnl. Ulrich, "Die Arbeiterausstände und der Staat", p. 1, 2.
Die gewerblichen und die außergewerblichen Wirkungen des Klassenstreiks treten in verschiedenen Kombinationen auf, je nachdem es sich um Forderungen an die Unternehmer oder um solche an die Öffentlichkeit handelt. (Natürlich versuchen wir hier nur eine Schematisierung des Vorgangs, eine sozusagen geometrische Skizzierung der typischen Grundformen, die unter der vielfarbigen Übermalung durch die stets veränderliche Wirklichkeit noch hervorschimmern.)
Bei wirtschaftlichen Forderungen wird die Druckkraft des Streiks bloß auf die Unternehmer zwar nicht eben bedeutende Erfolge herbeiführen; hingegen vermag vielleicht der zugleich auftretende gesellschaftliche Druck die Öffentlichkeit dermaßen zu beunruhigen, daß sie einzuschreiten versucht, den empfangenen Druck weiterleitet, ihn auf die "widerspenstigen Unternehmer" überträgt. Je weniger die Allgemeinheit unter der Erfüllung der Streikforderung zu leiden hat, je mehr sie den Standpunkt der Arbeiter teilt und den der Unternehmer tadelt (wie dies manchmal großen Monopolisten gegenüber der Fall ist), um so energischer wird sie auch die Erfüllung der proletarischen Wünsche verlangen, so daß also auf den Unternehmern außer dem allerdings nur schwachen gewerblichen Druck ev. indirekt noch der bedeutendere gesellschaftliche Druck lastet. Von der politischen Stärkeverteilung hängt es ab, ob die Unternehmer ev. auch durch gesetzliche Regelung der fraglichen Verhältnisse zur Gewährung der Forderung gezwungen werden können.[113]
[113] Ein derartiger Vorgang lag beim österr. Kohlengräberstr. vor (vgl. Kautsky, "Allerhand Revolutionäres", p. 689 ff.), wäre aber auch beim reinen Kl-str. denkbar.
Bei politischen Forderungen kommt es zwar hauptsächlich auf die Stärke des direkten gesellschaftlichen Druckes an, doch läßt sich dieser indirekt noch durch den gewerblichen Druck, den der Streik auf die Unternehmer ausübt, steigern; denn zeigen letztere auch wenig Entgegenkommen bei ökonomischen Forderungen, die sie ev. aus der eigenen Tasche befriedigen müßten, so neigen sie hier naturgemäß eher ein wenig zu Konzessionen, wo sich der immerhin auch bei Massenstreiks erwünschte gewerbliche Frieden auf Kosten dritter, nämlich auf Kosten der Regierung erkaufen läßt. Je nachdem im Arbeitgeber der Staatsbürger oder der Unternehmer vorherrscht, wird er seinen Einfluß für oder gegen die Arbeiterforderung in die Wagschale werfen.[114]
[114] Je mehr der Unternehmer seinen Schaden "auf die politische Maschine" übertragen könne, "um so wirksamer wird der Streik sein" (Adler, Prot. Parteitg. Wien 05, p. 126 ff.; ähnl. Kautsky, a. a. O.).
Bricht der Klassenstreik in einem revolutionären Moment aus, wenn also eine Kluft zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat besteht, so kann auf letzterem außer dem direkten unter Umständen auch noch der von Gesellschaft und Unternehmertum auf die Regierung überwälzte, also ein indirekter Streikdruck lasten.
Eine Überwälzung eines indirekten Streikdrucks auf die Regierung ist natürlich in wirklich demokratischen Staatswesen völlig gegenstandslos,[115] da in solchen eine Kluft zwischen Regierung und Volksmajorität prinzipiell ausgeschlossen ist. Überhaupt ist in der durchgeführten politischen Demokratie jeder politische Streik so überflüssig,[116] wie es der gewöhnliche Streik bei durchgeführter gewerblicher Demokratie sein würde.[117] Nur wer, wie die französischen revolutionären Syndikalisten, an die ausschlaggebende Bedeutung sektiererischer Minoritäten glaubt, der wird auch in der Demokratie den Streik predigen.[118]
[115] Gegen den pol. M-str. in der Demokratie äußerte sich z. B. der Schweizer. Arbeitersekretär Greulich; vgl. auch z. B. Bourdeau, p. 442.
[116] Kautsky, a. a. O. p. 732, 733.
[117] Bernstein, z. B. "Der Kampf in Belgien und der politische Massenstreik", p. 416 ff.