Читать книгу Theorie und Praxis des Generalstreiks in der modernen Arbeiterbewegung Inauguraldissertation - Elsbeth Georgi - Страница 18

§ 7. Klassenstreikähnliche Bewegungen im Altertum und in neuerer Zeit.

Оглавление

Der Klassenstreik ist keineswegs so neu, wie es ihm manche seiner heutigen Entdecker nachrühmen.[137] Denn er trat schon in den sozialistischen "Flegeljahren" auf,[138] er erschien bereits an der Wiege der modernen Arbeiterbewegung. Und eigentlich ist er noch viel älter; eigentlich stammt er aus dem Altertum. Die antike Geschichte kennt zwar keinen wirklichen Klassenstreik in unserem modernen Sinn, aber doch immerhin klassenstreikähnliche Bewegungen: nämlich den "sagenhaften Massenstreik der Juden in Ägypten, der nach der Bibel ausbrach, weil die Beamten des Pharao den jüdischen Ziegelarbeitern nicht das nötige Stroh zum Ziegelbrennen lieferten, und am Ende der Dinge die Folge hatte, daß Pharao mit seinen Truppen im roten Meer ertrank".[139] Und eine klassenstreikähnliche Bewegung war auch der Auszug der Plebejer auf den heiligen Berg im Jahre 494 v. Chr.[140] Wollten die gedrückten Bauern die Patrizier durch diesen Entzug militärischer und ökonomischer Kräfte in Verlegenheit setzen und dadurch zur Nachgiebigkeit bewegen? Wollten sie nur den unerträglichen Lasten entfliehen? Jedenfalls war den Römern die Wirkung der Sezession empfindlich genug, um ihre Beendigung durch ein kostbares politisches Recht, das Volkstribunat, zu erkaufen.[141]

[137] Von der "neuen Strategie" spricht z. B. E. Th. in dem Artikel "Der Parteitag von Jena und der Generalstreik" ("Einigkeit" 9. 12. 05).

[138] Vliegen (Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 28).

[139] Bernstein, "Der politische Massenstreik und die politische Lage der Sozialdemokratie in Deutschland", p. 18; auf den jüdischen Volksstreik verweist auch Penzig, "Massenstr. und Ethik", p. 3; ferner Nationalrat Scherrer, der Moses als Streikführer bezeichnet (vgl. das amtl. stenogr. Bulletin der schweizerischen Bundesversammlung, Bern 1906, Jahrg. XVI, p. 864); vgl. Exodus, Kap. 5 ff.

[140] Freilich handelte es sich auch hierbei nicht gerade um freie Lohnarbeiter. — Das aus dem Krieg heimkehrende römische Heer erfährt, daß die Reformen zu Gunsten der Bauern vom Senat abgelehnt worden sind; es verläßt darauf den Feldherrn und zieht in militärischer Ordnung auf den heiligen Berg, wo es Miene macht, eine neue Plebejerstadt zu gründen. "Dieser Abmarsch tat selbst den hartnäckigsten Pressern auf eine handgreifliche Art dar, daß ein solcher Bürgerkrieg auch mit ihrem ökonomischen Ruin enden müsse: der Senat gab nach." (Mommsen, "Römische Geschichte", 3. Aufl. 1861, 1. Band, 2. Buch, Kap. II, p. 263, 264).

[141] Auf den Auszug der Plebejer als auf einen der ältesten Klassenstreiks verweisen Bernstein ("pol. M. Str. u. pol. Lage", p. 19; ders., "Der Streik", p. 9); Penzig a. a. O. p. 3ff.; Bourdeau, "Les grèves politiques", p. 425.

Auch das ausgehende Mittelalter weist, mit dem Beginn der kapitalistischen Produktionsweise, Erscheinungen auf, die dem modernen Klassenstreik nicht unähnlich sind. So in Flandern, wo sich im 14. Jahrhundert die soziale Gärung, deren Träger hauptsächlich die Arbeiter der Wollindustrie waren, in Volksbewegungen geltend machte, "bei denen sich leicht alle für einen Arbeiterstreik charakteristischen Erscheinungen wahrnehmen lassen".[142] Auch der sogenannte Ciompi-Aufstand in Florenz 1378, der von den niedersten Elementen der Wollenzunft ausging, scheint streikartigen Charakter getragen zu haben.[143] Als Vorläufer in neuerer Zeit wäre z. B. aus den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts die Lohnbewegung der Hamburger Schlosser zu nennen, der sich aus Solidarität zunächst andere Gesellen, dann auch die Fabrikarbeiter anschlossen, so daß eine Zeit lang allgemeine Arbeitsruhe herrschte; die Bewegung wurde jedoch, da die Demonstrationen bald einen aufrührerischen Charakter annahmen, mit Waffengewalt beendigt.[144]

[142] Vgl. Pirenne, Geschichte Belgiens, p. 419, 420.

[143] Vgl. Doren, "Die Florentiner Wollentuchindustrie", p. 240 ff., 410. —

[144] Vgl. A. Heinrich, "Ein Generalstreik in Hamburg vor 100 Jahren", p. 507.

Wenige Jahre, ehe sich in Hamburg aus einem partiellen Streik zufällig eine klassenstreikartige Erscheinung entwickelte, hatte bereits Mirabeau geäußert, das Volk könne "se croiser les bras pour obtenir justice",[145] und als "erster Verkünder des Generalstreiks" den privilegierten Ständen in der Nationalversammlung zugerufen: "Prenez garde! ... n'irritez pas ce peuple qui produit tout,[146] et qui pour être formidable n'aurait qu'à être immobile".[147]

[145] Vgl. Destrée und Vandervelde, "Le socialisme en Belgique", p. 258.

[146] Unter "peuple" ist natürlich der Tiers-Etat, also Bürgertum inkl. Lohnarbeiter, zu verstehen.

[147] Cit. bei Jaurès, (Enquête, p. 111) und Umrath, a. a. O. p. 13.

Nach den angeführten Beispielen kann zugegeben werden, daß "das große Wort >Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!<, dieses Wort mit allen Phantasien, mit allen Konsequenzen, besonders mit aller Begeisterung, die sich daran knüpft .... dem Proletariat selbstverständlich in Fleisch und Blut" liegt, so daß der Gedanke des Klassenstreiks "ganz selbstverständlich ... in verschiedenen Ländern, zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Formen und mit verschiedener Bestimmtheit" auftritt.[148] Dennoch darf der proletarische Masseninstinkt nicht als einzige Quelle der Klassenstreikidee angesehen werden; diese wurde vielmehr zu gleicher Zeit "von Theoretikern ausgeheckt ... philosophisch begründet ... von einzelnen Denkern des Proletariats ersonnen".[149] Der theoretische und der praktische Faktor haben gemeinsam an der Ausgestaltung dieses Gedankens gearbeitet.

[148] Dr. V. Adler (Prot. Parteitg. Wien, 05, p. 125).

[149] Dies bestreitet Adler a. a. O.

Theorie und Praxis des Generalstreiks in der modernen Arbeiterbewegung Inauguraldissertation

Подняться наверх