Читать книгу Theorie und Praxis des Generalstreiks in der modernen Arbeiterbewegung Inauguraldissertation - Elsbeth Georgi - Страница 7

§ 1. Definition.

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Wollen wir aus dem Begriffskonglomerat, das sich hinter dem Schlagwort "Generalstreik" versteckt, einen wissenschaftlich brauchbaren Begriff herausschälen, so müssen wir von vornherein jene Streikformen ausschalten, die lediglich Spezialfälle des inner-gewerblichen Kampfes der Arbeiter darstellen,[1] also Streiks, die lediglich eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die beteiligten Berufsangehörigen bezwecken.

[1] Vgl. Umrath, "Zur Generalstreikdebatte", p. 15.

Zu diesen auszuschaltenden Streiks gehört z. B. der große österreichische Kohlengräberausstand, der, dank seinem ökonomischen Druck (Mangel an Brennmaterial, Gefährdung der Industrie) und der ihm in der öffentlichen Meinung zu teil gewordenen Unterstützung, das Gesetz über die Arbeitsdauer in Bergwerken, den gesetzlichen Neunstundentag herbeiführte.[2] Ferner gehört hierher der Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet 1905, der ebenfalls einzig gegen die Unternehmer gerichtet,[3] ebenfalls von der Öffentlichkeit unterstützt war[4] und ebenfalls die Zusicherung einer legislativen Regelung wirtschaftlicher Verhältnisse herbeiführte.[5] Hierher gehört weiter der ungarische Eisenbahnerstreik 1904, der mit einem Mißerfolg endigte,[6] in gewissem Sinne läßt sich endlich noch der erfolgreiche "Musterstreik" der Arbeiter und Beamten der Schweizerischen Nordostbahn im Jahre 1897 hierzu rechnen.[7] Alle diese Ausstände werden häufig als "Generalstreiks", günstigstenfalls als "Berufsgeneralstreiks" bezeichnet. Sie unterscheiden sich aber von einem gewöhnlichen Ausstand in nichts, als in ihrer Ausdehnung. Und allein um eben dieser Ausdehnung willen wurden sie zu "Generalstreiks" gestempelt.

[2] Soz. Prx. 17./1. 07, "Wahlreform und Sozialpolitik in Österreich"; Prot. Parteitg. Jena 05, p. 305; Prot. Parteitg. Wien 03, p. 45; vgl. auch Roland-Holst, "G-str. u. Sozd." p. 42, dort auch über den Massenstreik der pennsylvanischen und den der französischen Bergleute (p. 42).

[3] 200 000 Arbeiter streikten, trotz Abratens der Führer, trotz schlechter Konjunktur, so groß war die allgemeine Erregung über das Vorgehen der Unternehmer (betr. das "Wagennullen", Berechnung der Ein- und Ausfahrtszeit usw.); vgl. Hue über den Generalstreik im Ruhrgebiet.

[4] Die Streikenden fanden Unterstützung sowohl in den Kreisen der Arbeiterschaft, (auch bei den ausländischen Arbeitern; die belgischen Arbeiter traten in den Solidaritätsstreik, vgl. Roland-Holst a. a. O. p. 10, Note), als auch im Bürgertum: die Öffentlichkeit stellte sich auf ihre Seite; die Regierung unterstützte die Streikleitung; die Polizei besorgte Säle für die Ausständigen, schaltete die Anwendung einer Reihe von Bestimmungen des Vereinsgesetzes aus, hielt mit der Streikleitung vielfach telephonische Verbindung; es kam überhaupt nicht zu Ruhestörungen (Leimpeters, "Die sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften", p. 929); der Streik mußte aus Mangel an Mitteln abgebrochen werden.

[5] Die spärliche Berggesetznovelle, die den Arbeitern aber keineswegs genügte, vgl. z. B. Bebel, Prot. Parteitg. Jena 05, p. 305.

[6] Seit 1899 hatte das Eisenbahnpersonal sich mehrfach um wirtschaftliche Verbesserungen bemüht; mit dem endlich 1904 erscheinenden Gesetzentwurf betr. die Regelung der Bezüge der Staatsbahnangestellten waren diese nicht zufrieden. Ein geringfügiger Anlaß am 19./4. 04 genügte, um sofort den allgemeinen Streik herbeizuführen. Der Eisenbahnbetrieb im ganzen Land ruhte. Es streikten 30 000 (Chronique du Musée social, Mai 04, p. 193, 194; nach "Der Massenstreik der Eisenbahner in Ungarn", von einem Ungarn, streikten 42 000 Personen); die Streikenden strömten nach Pest; am 20. April wurde mit der Regierung unterhandelt, aber erfolglos. 10 000 Streikende wurden als Reservisten eingezogen (vgl. Umrath, "Zur Generalstreikdebatte", p. 15; auch Ungar, a. a. O.), das Eisenbahnregiment mobilisiert, die Arbeiterführer verhaftet, die Truppen konsigniert. Nach 5 Tagen nahmen die Arbeiter die Arbeit wieder auf, nachdem die oppositionellen Abgeordneten ihnen die Förderung ihrer Angelegenheit zugesichert hatten; die Eisenbahnerforderungen wurden erst 3/4 Jahre später erfüllt (vgl. Soz. Prx. XIV. 51. Sp. 1347, 1348).

[7] Vgl. ab-Yberg, "Die Strikes und ihre Rechtsfolgen", p. 15, 16; Prot. Parteitg. Jena 05, p. 307.

Ein großer Streik ist aber an sich noch kein "Generalstreik". Vielmehr wird der "Generalstreik" definiert bald als "einheitliche Verabredung verschiedener Berufskategorien zum Zwecke gewaltsamer Erzwingung von Zugeständnissen der Unternehmer oder gar der Staatsgewalt, ... die zu dem geltenden Recht in Widerspruch stehen",[8] bald als friedliche Arbeitsniederlegung in einem ganzen Staatswesen, sodaß alle Produktion und aller Verkehr gehemmt wird,[9] bald als gleichzeitige Arbeitseinstellung der "wichtigsten Gruppen, welche das ganze Reproduktionssystem repräsentieren".[10] Aber Ausdehnung über das ganze Land, oder Gleichzeitigkeit, oder Hemmung allen Verkehrs und aller Produktion, oder friedliche Form, oder rechtswidrige Forderungen lassen sich keineswegs bei sämtlichen der in Frage kommenden Erscheinungen konstatieren. Diese differieren vielmehr in Eigenschaften, Zielen und Wirkungsweise ganz außerordentlich von einander; nur ein äußerst weitmaschiges Begriffsnetz wird zugleich den schwedischen und den italienischen, die spanischen und die russischen sogenannten Generalstreiks, die Anschauungen von Pouget und Bernstein, Nieuwenhuis und Kautsky zu umspannen vermögen. Daher müssen wir uns begnügen, den sogenannten Generalstreik als demonstrativen Massenausstand zur Förderung proletarischer Klasseninteressen zu definieren.

[8] v. Reiswitz, "Generalstreik?", p. 82, 83.

[9] Eckstein, "Was bedeutet der Generalstreik?", p. 358.

[10] ab-Yberg, "Die Strikes und ihre Rechtsfolgen"; ebenso fordert Jaurès (Enquête, p. 97) "que les corporations les plus importantes, celles qui dominent tout le système de la production, arrêteront à la fois le travail".

Aber der lässige Sprachgebrauch etikettiert nicht nur Unternehmungen und Theorien allerverschiedensten Stils gleichmäßig mit der Marke "Generalstreik". Er ersetzt diese auch beliebig durch verwandte Ausdrücke, wie "Massenstreik", "politischer Massenstreik", "Solidaritätsstreik", "Sympathiestreik", "generalisierter Sympathiestreik (grève géneralisée)"; ja, er versteht unter "Generalstreik" ("general strike", "grève générale", "sciopero generale")[11] bald die Gesamtheit der in Frage stehenden Erscheinungen, bald nur einen Spezialfall derselben.[12]

[11] Der Ausdruck stammt aus der Chartistenbewegung, wo man neben "sacred week", resp. "sacred month" auch von "national holiday", "national strike", "general holiday" und "general strike" sprach.

[12] Als nämlich in den 1890er Jahren neue Klassenstreikarten auftauchten, drangen die Vertreter sowohl der alten, wie auch der neuen Lehre auf eine Differenzierung in der Benennung, um das eigne Dogma vor der diskreditierenden Verwechslung mit dem der feindlichen Schule zu bewahren (vgl. z. B. Ledebours Äußerungen gegen Friedeberg auf der Generalvers. des Wahlvereins für den 6. Wahlkreis am 29. IX. 1905 ["Vorwärts" Nr. 230, 1. X. 05]; Kautsky: "Der Bremer Parteitag", p. 7-9). In den interessierten Kreisen wird unter "Generalstreik" daher jetzt im allgemeinen das alte Steckenpferd der Anarchisten verstanden, während das bei den Sozialdemokraten akkreditierte Kampfmittel "politischer Massenstreik" heißt.

Zur Vermeidung der üblichen Verwechslungen ist daher die Einführung eines neuen Terminus für unsere Untersuchung unentbehrlich. So brauchen wir denn im folgenden für den Oberbegriff, also den demonstrativen Massenausstand zur Förderung proletarischer Klasseninteressen, die Bezeichnung "Klassenstreik", und wir reservieren den Ausdruck "Generalstreik" für den Unterbegriff, für eine ganz spezielle Form des Klassenstreiks.

Theorie und Praxis des Generalstreiks in der modernen Arbeiterbewegung Inauguraldissertation

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