Читать книгу Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi - Elsebeth Egholm - Страница 6

OKTOBER 1997

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Der Wind hatte sich ein wenig gelegt. Auch der Regen hatte aufgehört, und die Sonne schien einen zähen Kampf gegen die Wolkendecke auszufechten.

Isabel dachte an das Grab und fragte sich, ob die Blumen wohl den Regenguss überlebt hatten. Sie hätte gern gewusst, wie sie am nächsten oder übernächsten Tag oder in einer Woche aussehen würden, ob jemand sie entfernte, oder ob sie einfach liegen bleiben und verrotten würden.

Während sie sich mit diesen Überlegungen beschäftigte, fiel ihr Blick aus dem Fenster auf eine Gestalt, die sich über den Kirchplatz kämpfte. Es war ein älterer Mann, und sie erkannte in ihm den Pastor, der Solveig begraben hatte.

Sie schaute sich um. Sie hatten sich verändert. Natürlich hatten sie das. Mette sah wie immer traumhaft schön aus, und es war unbegreiflich, dass dieser schmale Leib zwei Kinder zur Welt gebracht haben sollte. Aber ihre unbekümmerte, mädchenhafte Art war verschwunden. Sie war ernster geworden, und Isabel hatte das Gefühl, dass die Schatten in Mettes Blick nicht von Solveigs Tod verursacht worden waren. Pernille ähnelte mehr denn je einem angespannten Windhund vor einem Rennen; lang gestreckt und schlank, wie immer auf dem Stuhl in sich versunken wie eine Feder, die jeden Moment in die Höhe jagen konnte. Trotzdem war auch sie nicht dieselbe wie früher. Ihre Züge waren schärfer, und das, was früher einmal ein offener, idealistischer Blick gewesen war, kam Isabel jetzt eher verbittert vor. Oder irrte sie sich? Hatte Solveigs Tod sie einfach so hart getroffen?

Sie fragte sich, ob die beiden anderen wohl darüber nachdachten, wie sehr sie selber sich verändert hatte. Sie war ja schließlich nicht mehr das junge musikalische Talent, vor dem die Zukunft offen lag. Was lasen die anderen wohl in ihrem Blick? Enttäuschung in der Liebe? Die Angst, alt zu werden, ohne alles erreicht zu haben? Die Trauer über den Verlust der Großmutter, die ihr dermaßen fehlte, dass sie manchmal glaubte, davon noch verrückt zu werden?

Als habe sie diese Gedanken gelesen, sagte Pernille:

»Du warst immer eine seltsame Größe in unserer Gruppe, Isabel.«

»Wer redet hier von seltsam«, entgegnete Isabel wie aus der Pistole geschossen. »Du hattest doch immer allerlei interessante Gebrechen und hast trotzdem für uns andere Gesundheit und Politik gepredigt. Und Vegetarierin warst du zu allem Überfluss auch noch!«

»Nur zur Hälfte«, gestand Pernille. »Aber du hast in deiner eigenen Welt gelebt. Du hattest keine Ahnung davon, was um dich herum vor sich ging.«

Isabel sah Pernille neckend an.

»Das brauchte ich doch auch nicht. Darüber hast du uns schließlich informiert. Mit allen frischen Nachrichten aus der Hochburg des Sozialismus. Und mit immer neuen unterhaltsamen Tatsachen über das Recht der Frau auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper.«

»Es war immer witzig, Pernilles vorbehaltlose Meinung über irgendein aktuelles Thema zu hören.« Mette lächelte. »Da brauchten wir gar keine Zeitung zu abonnieren, und das hätten wir uns ja ohnehin nicht leisten können . . . ich zumindest nicht.«

»Aber Solveig wohl«, erinnerte sich Isabel und begegnete ein weiteres Mal Pernilles Blick. »Sie hatte schon siebzehn Jahre, ehe das modern wurde, die Jyllandsposten abonniert. Ich habe mich so oft gefragt, welche Gemeinsamkeiten ihr beide wohl haben könntet.«

Sie hatte sich nicht so ungeschickt ausdrücken wollen. Jetzt sah sie, dass Pernilles Augen hinter ihren Brillengläsern blank wurden und dass die vertraute Röte sich über Hals und Wangen verbreitete.

»Ganz ruhig, so war das nun auch wieder nicht gemeint«, sagte Isabel besänftigend. »Ich weiß ja schließlich, dass ihr euch schon gekannt habt, ehe du wusstest, dass Marx und Mao die Welt erschaffen haben – als alles noch gut war.«

»Zur Hölle mit Marx und Mao«, murmelte Pernille verbissen. »Und zur Hölle mit ihr. Zur Hölle mit allem«, erklärte sie und leerte ihr Glas mit einem einzigen langen Zug.

Isabel hätte gern den Arm um sie gelegt. Um sie sanft hin und her zu wiegen, was ihre Mutter garantiert nie mit ihr gemacht hatte. Doch das konnte sich bei Pernille keine erlauben. Bei ihr gab es immer diese Distanz, was vielleicht an ihrem hohen Wuchs lag, vielleicht auch an etwas anderem. An etwas sehr Privatem. Nur Solveig hatte es gekonnt. Solveig, die Pernille seit ihrer Kindheit gekannt hatte.

»Ich weiß ja, dass wir nicht das Recht haben, uns verraten zu fühlen«, sagte sie dann. »Aber Gefühle lassen sich nicht diktieren. Und du bist vielleicht die unter uns, die hier die stärksten Gefühle hat.«

Pernille wandte ihr Gesicht ab.

»Du hast sie am besten gekannt, Pernille«, sagte Mette mit ihrer freundlichen Stimme. »Hast du wirklich gar keine Vorstellung davon, was sie dazu getrieben haben kann?«

Sie schaute eine nach der anderen an.

»Wer war Solveig eigentlich? Früher war sie diejenige, zu der wir kommen konnten. Aber wie oft hat sie uns ihre Probleme anvertraut? Wie gut haben wir sie eigentlich gekannt?«

Pernille starrte aus dem Fenster, auf die Kirche und den Friedhof. Isabel sah, dass ihre Unterlippe ganz leicht zitterte. Sie folgte ihrem Blick. Der Kirchplatz war leer, kein Mensch war zu sehen. Ein dünner Fächer aus Sonnenstrahlen war jetzt durch die Wolkendecke gedrungen.

»Ich weiß nicht, wie gut irgendeine von uns sie gekannt hat«, murmelte Pernille fast unhörbar. »Ich glaube, sie hatte immer das Gefühl, uns Dank schuldig zu sein. Aber in Wirklichkeit war es ja vielleicht genau umgekehrt.«

Sie fügte mit ihrer üblichen, schonungslosen Ehrlichkeit hinzu:

»Für mich war sie eine Zeit lang das Einzige, was meinem Leben einen Sinn gab.«

Der Club der Unzertrennlichen - Skandinavien-Krimi

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