Читать книгу Finale - Emil Zopfi - Страница 12
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Weitere Helfer waren eingetroffen, Kletterer aus andern Gebieten, die von dem Unfall gehört hatten, und freiwillige Retter, die aus dem Tal heraufgestiegen waren. Sie lehnten an Bäumen, hockten auf dem Boden, unterhielten sich. Zigaretten glommen auf. Felix hörte Italienisch, Deutsch und holpriges Englisch, wenn sich die verschiedenen Nationalitäten untereinander verständigten. Alle warteten, dass etwas geschehe, dass sie Hand anlegen, sich nützlich machen konnten. Er sass auf seinem Rucksack, musste immer wieder die gleiche Frage beantworten: «Wie ist es passiert?»
«Ich weiss es nicht.» Er deutete auf das Seil, das in der Wand hing.
Ein Kletterer zog am Seil, doch es blieb verklemmt. «Da ist noch ein Knoten drin.»
«Sie hat sich zum Umfädeln losgeseilt, ohne sich zu sichern, und ist dabei ausgerutscht.»
«Bestimmt nicht, sie war Bergführerin.»
«Oder der Typ da hat sie fallen lassen, hat sie losgebunden und das Seil wieder nachgezogen.»
«Vielleicht ist der Stand ausgebrochen.»
Einer wollte hinaufklettern und nachsehen, doch die andern hielten ihn zurück. Es war schon zu dunkel, die Felsen nass. «Ein Absturz genügt für heute.»
Zwei Sanitäter brachten eine Schaufelbahre, die man in zwei Teile zerlegen konnte und damit die Verletzte anheben, ohne ihre Wirbelsäule zu gefährden. Für den Transport gehöre eine Schale aus Kunststoff dazu, die sei noch unterwegs, erklärten sie. Sie trugen Helme mit Stirnlampen, leuchteten Andrea ins Gesicht. Der Blutstreifen aus ihrem Mundwinkel war eingetrocknet, sie kniff ihre Augen zusammen, als sie das Licht blendete. Die Sanitäter hockten auf den Boden, rissen eine Dose Bier auf, reichten sie hin und her.
Wenig später rollte unvermittelt das Dröhnen eines Helikopters über die Wand. Er war aus einem andern Tal aufgestiegen, schwebte dicht über dem Grat, schaltete Scheinwerfer ein. Die knorrigen Stämme von Zwergeichen ragten ins grelle Licht. Steine, Laub und Föhrennadeln prasselten herab. Die Seitentür wurde aufgeschoben, zwei Gestalten sprangen heraus.
«Was soll das? Was macht ihr dort oben?», rief einer der jungen Italiener hinauf.
Der Hubschrauber entfernte sich von der Wand, leuchtete den Fels an. Ein Seil kringelte herab. Ein Mann seilte sich ab, der zweite folgte. An einer Föhre machten sie Zwischenstand, zogen das Seil ab, warfen es wieder aus. Die Enden klatschten zwischen den Wartenden auf den Boden. «Bravo!», rief jemand. «Viva i pompieri! Viva l’Italia!»
Ein Feuerwehrmann glitt am Seil herab. Er trug eine Uniformjacke mit Gradabzeichen, einen Kletterhelm, am Gürtel pendelten Karabinerhaken aus Stahl und ein Beil. Ein Offizier offenbar, mit gepflegtem Schnauz und energischem Gesichtsausdruck. Er leuchtete mit seiner Stirnlampe in die Runde, trat kurz zur Verletzten. «Warum liegt sie noch hier? Wo ist die Bahre?»
Ein Sanitäter erklärte ihm, dass die Transportschale zur Bahre noch nicht eingetroffen sei. Der Mann, der sie herauftragen sollte, hatte offenbar den Weg verfehlt. Der Offizier stiess wüste Flüche aus, telefonierte. «Was stehst du herum? Geh suchen!», fuhr er den Sanitäter an.
«Es ist unmöglich, die Verletzte da hinunterzutragen», wandte der andere ein. Da gibt’s eine Felswand mit Seilen.»
«Wer sind wir denn?», brüllte der Offizier. «Packt an. Ein paar sollen schon vor, eine Seilbahn einrichten. Ihr seid doch Bergsteiger, oder nicht?» Dann begann er, mit seinem Beil einen Busch wegzuhacken, der ihm den Weg zu verstellen schien. Sein Kollege zog das Seil ab, schoss es auf und warf es einer Gruppe von Kletterern vor die Füsse. «Dai, dai, bewegt euch!»
«Was sollen wir?» Tom griff sich das Seil.
«Den Weg hinab, irgendwo hat es einen Fels, dort sollt ihr eine Seilbahn einrichten», übersetzte Felix.
«Und wie geht das?»
«Der Feuerwehrmann wird es dir zeigen.»
Tom warf sich das Seil über die Schulter, hängte sich seinen Rucksack an. Hinter dem Feuerwehrmann schritt er davon, ein paar Leute folgten. Andere blieben unschlüssig stehen.
«Warum ziehen wir sie nicht die Wand hoch und tragen sie nach Orco?»
«Was ist mit dem Helikopter? Hat der keine Seilwinde?»
Stimmen in mehreren Sprachen redeten durcheinander, machten Vorschläge. «Übersetz das! Frag den Meister.» Jemand stiess Felix in die Seite. «Du kannst doch Italienisch.»
Er fragte den Offizier, ob man die Verletzte nicht besser nach Orco bringe.
«Niente Orco. Wir tragen sie hinab.»
Noch immer schwebte der Hubschrauber über dem Tal, strahlte mit Scheinwerfern den Abhang an. Sein Licht blendete, die Baumstämme warfen bizarre Schatten auf den bleichen Fels. Die Menschen waren nur noch als schwarze Schemen zu erkennen, wenn sie ins Licht traten, sonst blieben sie von der Nacht verschluckt.
Endlich traf der Mann mit der Transportschale ein, eine Art Boot aus Kunststoff. Die Sanitäter zogen die Teile der Schaufelbahre auseinander, setzten sie auf beiden Seiten der Verletzten an, schoben sie vorsichtig unter ihren Körper. Als sie die Bahre anhoben, stöhnte Andrea leise. Sie fühlte wohl, dass die Rettung begann. Felix hob die Kleider auf, die sie unter ihren Körper geschoben hatten. Er polsterte die Schale mit zwei Jacken, mit den andern Kleidern deckte er Andrea zu. Die Sanitäter schnallten sie fest. Vier Kletterer hoben die Transportschale an und setzten sich vorsichtig in Bewegung. Im Rhythmus ihrer Schritte schwankte sie hin und her wie ein Boot bei leichtem Seegang.
Der Hubschrauber löschte seine Scheinwerfer, drehte ab und flog talauswärts davon. Stille und Dunkelheit senkten sich über den Abhang. Nur noch das Schleifen der Schritte auf dem steinigen Pfad war zu hören, das Kratzen von Ästen an den Kleidern der Männer, die die Bahre trugen, und die Rufe, mit denen sie sich verständigten, die Axthiebe der Feuerwehrleute, die den Weg freihackten, das Wimmern einer Ambulanz oder eines Polizeifahrzeugs in der Tiefe. Felix suchte in der Dunkelheit seinen Rucksack, sammelte das Klettermaterial ein, das noch herumlag. Er stopfte Andreas Schuhe und Expressschlingen in ihren Rucksack, schnallte ihn auf seinen. Dann folgte er dem Lichtschein einer Stirnlampe talwärts.