Читать книгу Finale - Emil Zopfi - Страница 7

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Tom nervte. Er war der stärkste Kletterer der Gruppe, trainierte in der Kletterhalle und im Fitnessstudio. Das gab er den andern zu spüren. Hina hatte sich geweigert, mit ihm zu klettern. Ich hasse diesen Werbefuzzi, hatte sie gesagt. Selbständiger Grafiker, hatte er sich vorgestellt, ein Typ mit Pferdeschwanz und Dreitagebart, der Anschluss suchte. Kurz zuvor von seiner Partnerin getrennt, hatte er verkündet. Am Abend in einer Pizzeria hatte er sich an Andrea gedrängt und auf sie losgequatscht. Ihre Website sei bieder und verstaubt. Er würde ihr einen trendigen Redesign machen. Als er mit der Hand ihren Rücken berührte, hatte sie ihn weggeschoben.

Jetzt balzte er um Sabine, sie schien es zu geniessen, wetteiferte und flirtete mit ihm. Volker hockte abseits, stopfte Wurstbrote in sich hinein. Er war der Geniesser, ein gemütlicher Schwabe, Sozialarbeiter in Karlsruhe. Sabine dagegen ehrgeizig, eine angehende Juristin. Andrea versuchte, die Gruppenspiele zu ignorieren. Ich bin Bergführerin, nicht Psychologin, sagte sie sich. Vielleicht war der Brechreiz am Morgen ein Zeichen, dass sich etwas ändern muss. Wie lange führe ich nun schon? Wie viele Male bin ich schon in Finale gewesen mit einer Gruppe wie dieser, in der es oft ein zerstrittenes Paar, einen eingebildeten Schwätzer, eine frustrierte Single und einen melancholischen Alten gibt? Der Tag ging zu Ende, sie war froh darüber.

Hina rief nach ihr. Sie kletterte mit Felix an einer Wand nebenan und winkte ihr. «Holst du uns die Express runter?»

Auch das noch. Andrea beherrschte sich. «Willst du es nicht versuchen? Ich geb dir Tipps.»

«Ich mag nicht mehr, ich friere.» Hina hielt Andrea das Seilende hin. Zwischen ihren Lippen klebte eine selbstgedrehte Zigarette.

«Na dann.» Andrea seilte sich an, es war ihr Job. Die Kundin war Königin, auch am Berg.

«Ich steig dann toprope nach. Bitte fädle ein an der Umlenkung, die Schlinge hängt schon.»

Bequemer geht’s nicht mehr, dachte Andrea. Hina kletterte nicht schlecht, sie war gelenkig und leicht, im Vorstieg eher ängstlich, launisch und oft unkonzentriert am Fels. Sie rauchte viel und kiffte gelegentlich. Erst kurz vor der Kletterwoche hatte sie sich per Mail angemeldet, ein Entschluss aus dem Bauch heraus. Sie war im Zug angereist, weil ihr auf einer langen Autofahrt schlecht werde.

«Ich muss schnell verschwinden.» Hina warf die Zigarette auf den Boden, trat sie aus, reichte Felix das Seil zum Sichern. «Hast du ein Grigri?»

«Ich mach’s mit Halbmastwurf.» Er klinkte den Bremsknoten in den Karabiner an seinem Gurt, schraubte ihn zu.

Andrea setzte den Helm auf, wie sie das von den Teilnehmern verlangte. Sie prüfte Felix’ Bremsknoten. «Gut so.»

Dann stieg sie vor, eine mittelschwere Route, mit Bohrhaken gut gesichert. Steil erst, dann plattig, zum Schluss ein kleiner Überhang, etwas abgespeckt die Griffe. Sie kletterte routiniert, dabei wanderten ihre Gedanken. Daniel. Seit ihrem Streit vergangene Woche war Schweigen, kein Anruf, keine sms. Auch sie bockte. Ihre Beziehung brauchte Veränderung. Am Stand hängte sie sich die Bandschlinge in den Karabiner an ihrem Gürtel. Sie sah hinab. Felix stand zum Sichern dicht an der Wand, schaute herauf. Ein zuverlässiger Mann. Hina war verschwunden.

Andrea hob den Daumen. «Stand!»

Sie zog ein Stück Seil nach, klinkte es mit einem Mastwurf in den Schraubkarabiner, band sich los und fädelte das Seilende durch den Ring der Umlenkung, lehnte sich dabei zurück. Unvermittelt glitt ihr das Seil durch die Finger, sie fasste nach, spürte, wie es über ihren Handballen streifte, sich in die Haut brannte. Dann ist es weg, sie schnappt danach, greift ins Leere. Ihr Herz macht einen Sprung, als habe es Flügel bekommen. Die Wand kippt nach hinten, die Wolkenschlieren am Himmel drehen sich, Baumwipfel purzeln kopfüber bis zum Grund des Tales, und es ist, als gleite sie schwerelos auf sie zu. Ich stürze, ich falle. Wo bleibt der federnde Widerstand des Seils? Schatten von Fels und Gebüsch wirbeln vorbei, gelb und grün und grau. Ein Gedanke zuckt durch ihren Kopf. Nein! Nur nicht jetzt, nur nicht hier! Sie schreit, spürt einen Schlag auf ihr linkes Bein, prallt mit einer Hand auf den Fels, zieht ihren Kopf ein, krümmt sich zusammen, hört ein Zischen und Kratzen und einen dumpfen Aufschlag.

Ein Bild blitzte auf. Sie sah ihren Körper neben dem Weg liegen, als schwebe sie über ihm. Sie sah sich selber, ohne die Augen zu öffnen. Sekunden nur, dann stürzte sie weiter in die Tiefe, in Dunkelheit und Stille. Sie lag in einem Feuer aus Kälte und Schmerz, ihr Leib brannte.

Finale

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