Читать книгу Finale - Emil Zopfi - Страница 9

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Sie schwebt. Hoch über den Wolken der Cerro Torre. Sie spürt ihre Füsse nicht mehr, kalt, kalt, nach Tagen in der Wand aus goldgelbem Fels und sprödem Eis, das auf dem glatten Granitpanzer klebt. Prekärer Weg auf die Spitze der Pagode aus Urgestein. Verrückter Weg, unmöglicher Weg. Mehr Traum als Wirklichkeit. Dreimal versucht, dreimal gescheitert. Sie hatten eine Linie gefunden, Südwand, Seillänge um Seillänge durch Risse, Platten, über Eisbalkone. Über ihnen glimmt der Gipfel, wenn das Licht durchs Gewölk bricht, ein zerbrechlicher Eispilz. Ganz nah scheint er, doch unerreichbar im Sturm. Gescheitert, das Leben umsonst aufs Spiel gesetzt, aufgegeben, kurz vor dem Ziel. Aufgegeben für immer.

Hingestreckt liegt sie und zittert und der Sturmwind wimmert und weint, und fernes Pochen schlägt einen Takt, als steige ein Hubschrauber auf und hole sie aus dieser mörderischen Wand. Ein Schlagen und Klopfen an unsichtbare Türen aus Luft, ihr Herz, gepeitscht vor Angst und Sehnsucht. Ich will leben, leben, leben. Daniel … Stimmen reden in fremden Sprachen auf sie ein, schreien ihr Worte ins Ohr, die sie nicht versteht, Halluzination. Sie greift nach dem Seil, doch da flammt dieser lodernde Schmerz in der Seite auf, im Kreuz, im Bein, ein Höllenfeuer. Der Fuss kalt und leblos. Erfroren. Ist er überhaupt da? Links oder rechts? Warum? Wo bin ich, fragt sie, aber kein Laut dringt aus ihrer Kehle. Keine der fremden Stimmen antwortet. Wo bin ich, wo bin ich? Sie schreit, sie ruft, sie flüstert. Nichts. Eingetrocknet alles, ausgetrocknet, ausgedörrt. Kein Wasser mehr, kein Brennstoff, um Schnee zu schmelzen. Nur dieser unstillbare Durst.

Cerro Torre, Patagonien. Die Zeit tropft. Wie das Wasser von den Eisschwertern über ihnen. Sie liegen im Biwaksack und der Sturm tobt, und sie umklammern sich, um sich zu wärmen. Körper an Körper, eng umschlungen, ineinander verkrallt. Nicht aus Liebe, es ist der verzweifelte Wille, den Lebensfunken warmzuhalten, diese Hölle zu überleben, die Hölle, durch die der Weg in den Himmel führt. Zu Mutter. Hoch oben sitzt sie, auf der Spitze des gleissenden Bergs, auf dem Eispilz, blickt herab und zeigt ihr schneeweisses Lächeln. Weisst du noch, damals, als du gestürzt bist im Garten, auf die Kieselsteine. Dein Knie blutete, du hast geweint. So klein warst du noch, so klein und so tapfer. Ich hab dich aufgehoben, ins Haus getragen, aufs Sofa gelegt, verbunden, hab dich getröstet, geküsst. Ja, so war das. Und dann sind wir zusammen auf Berge gestiegen. Weisst du noch? So hat alles begonnen, und so wird alles enden. Im Mutterschoss.

Finale

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