Читать книгу Finale - Emil Zopfi - Страница 18

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Eine Kette von Lichtern kroch wie ein Glühwurm den steilen, von Felsstufen durchsetzten Hang hinab. Immer wieder rollten Steine in die Tiefe, gefolgt von Warnrufen und Geschrei. Felix hangelte sich an einem Seil hinab, das an einen Baum geknüpft war. Es war alt und ausgewaschen, einige Knoten gaben Halt. Der Weg war durch die Erosion zum Bachbett geworden, gefüllt mit losem Geröll. Er beeilte sich, damit er die Transportschale nicht aus den Augen verlor. Andrea war bei Bewusstsein und stöhnte leise, wenn einer der Träger ausrutschte und die Bahre umzukippen drohte. Kletterer aus verschiedenen Ländern lösten sich beim Tragen ab. Einer stolperte nebenher, hielt den Infusionsbeutel in die Höhe. Durch das Sprachengewirr schallten die Kommandos des Offiziers. «Capo», nannten ihn die Italiener.

«Avanti! En avant! Vorwärts!», krähte er. «Wenn wir unten sind, habe ich auch noch Deutsch gelernt.»

«Vorwärts ist ja schon unsere halbe Sprache», gab ein Deutscher zurück. Einige lachten.

Am Fuss der Schuttrinne erkannte Felix im Lichtkegel eines Scheinwerfers Tom und Sabine. Sie sassen auf einem Absatz, Tom stützte den Kopf in die Hände, wirkte erschöpft. Sabine massierte seinen Rücken. Sie sind ein Paar, dachte Felix. Volker hatte Hina ins Hotel begleitet. Während der Woche hatte er sich ständig mit Sabine gestritten. Er war wohl eifersüchtig, weil sie stärker kletterte, mit Tom wetteiferte und schäkerte. Tom, der eitle Kerl, war bei Andrea abgeblitzt, hatte auch bei Hina gescharrt. Doch sie liess sich nicht einmal sichern von ihm. Spiele junger Leute, oder war es mehr? Felix fiel ein, dass Tom die Unglücksroute vor ihm geklettert war. Vielleicht hatte er etwas manipuliert an der Umlenkung, schob nun die Schuld auf ihn. Ein absurder Verdacht, den er gleich von sich wies. Es war ein Unfall. Aus Erfahrung wusste er, dass Bergführer oft in banalen Situationen verunglückten. Sie stürzten unangeseilt in Gletscherspalten, rutschten auf Hüttenwegen aus, endeten unter Schneebrettern. Andrea war ihm den ganzen Tag schon unkonzentriert, in Gedanken abwesend erschienen. Etwas bedrückte sie.

Die Transportschale stockte, Träger wechselten sich ab. Felix trat heran: «Wie geht’s?»

«Okay», presste Andrea hervor.

«Schmerzen?»

«Es geht.»

«Wir sind bald unten.»

Sie schloss die Augen, ihre Gesichtszüge verkrampften sich.

Frische Träger packten an. Im gleichen Augenblick stockte der Generator, das Scheinwerferlicht ging aus. Rufe flogen durch die Dunkelheit hin und her, Steine krachten herab. Jemand schrie auf und fluchte, offenbar getroffen. Der Brennstoff war ausgegangen. Der Capo brüllte ins Telefonino, orderte Benzin.

«Keiner bewegt sich!», befahl er. Ohne Licht sei der Transport zu gefährlich, Steinschlag, Absturzgefahr. Die wenigen Stirnlampen, die noch funktionierten, genügten nicht. Also warten.

Sie befanden sich in der Nähe eines Bachs auf Felsplatten, die mit Moos bewachsen und glitschig waren. Zigaretten glommen auf. Eine Frau ging herum, verteilte Kaugummi. Felix zog sich einen, bedankte sich, rollte das Papier zwischen den Fingern und schnippte es weg.

«Unten gibt’s Freibier und Pizza», rief jemand. Gelächter kam auf, man erzählte Witze und Anekdoten, eine aufgeräumte Stimmung machte sich breit. Die Nationen Europas hatten sich zur Rettung vereint wie einst am Eiger, als man am Stahlseil den Italiener Claudio Corti aus der Nordwand holte, seinen Begleiter Stefano Longhi jedoch hängen und sterben lassen musste. Die Eigerwand war das Ziel gewesen, damals. Aber der Freund hatte sich am Vorabend unwohl gefühlt, und so waren sie zur Nordostwand ausgewichen. Sie hätten die Nordwand geschafft, davon war Felix überzeugt, sein Freund hätte überlebt, und auch sein Leben wäre anders verlaufen. Expeditionen, Achttausender, Anden. Er spuckte den Kaugummi aus.

Die Träger hatten die Transportschale abgesetzt, schief lag sie auf den Felsplatten in der Dunkelheit. Felix sass auf einem Baumstrunk, rieb sich Hände und Arme. Er hatte geschwitzt, nun fror er. Seine Kleider waren feucht, die Vliesjacke hatte er als Polster für die Verletzte weggegeben. Endlich setzte das Knattern des Aggregats ein, der Schweinwerfer ging wieder an.

«Forza, ragazzi! Vorwärts!» Die Männer hoben die Bahre hoch, langsam glitt sie auf die ausgewaschenen Felsen am Talgrund zu, über die ein Rinnsal floss. Auf der andern Seite des Bachs empfing sie eine Schar Neugieriger, die schwatzten und glotzten. Der Kommandant schritt voraus, scheuchte sie mit rudernden Armbewegungen zur Seite. Pfleger in weissen Kitteln kamen ihnen entgegen, Zigaretten zwischen den Lippen. Sie folgten der Bahre, die in einem langen Zug von Menschen daherschwebte wie eine Trophäe nach einer erfolgreichen Jagd. Blitzlicht zuckte auf, Journalisten mischten sich unter die Retter. Bei einer Steinbrücke erreichte die Kolonne die Fahrstrasse. Mehrere Feuerwehrfahrzeuge, zwei Ambulanzen, Polizeiwagen und Privatautos parkten in einer langen Kolonne. Polizisten in Uniform regelten mit Leuchtstäben den Verkehr. Die Zuschauer klatschten, als die Rettungsmannschaft eintraf. Presseleute drängten sich um den Offizier, der sich in der Rolle des Helden und Retters in Pose warf, nach allen Seiten Auskunft gab, Hände schüttelte.

Ein Arzt in grünem Kittel und feinen Schuhen dirigierte die Träger mit der Transportschale zu einer Ambulanz. Wieder blitzten Kameras. Pfleger hoben die Bahre aus der Schale auf einen Rollwagen, schoben ihn ins Fahrzeug. Sirenen gingen an, Blaulicht begann zu kreisen, die Ambulanzen fuhren los.

Felix lehnte an die Brüstung der Steinbrücke, ein Schwächegefühl hatte ihn ergriffen, die Erleichterung nach der stundenlangen Anspannung. Nun spürte er Hunger und einen bohrenden Schmerz im Kopf, weil er schon lange nichts mehr getrunken hatte.

Ein junger Mann in Jeans und Faserpelzjacke trat auf ihn zu. «Sie waren beim Unfall dabei?» Er zeigte einen Ausweis. «Polizia di Stato. Ispettore Milani. Sie sprechen Italienisch?»

«Certo, Ispettore.»

Es gebe ein Protokoll, wie immer nach Rettungen. «Versicherungen und so weiter, Sie verstehen.» Milani fuhr sich mit der Hand über den blanken Schädel, zog aus der Gesässtasche einen kleinen Block, notierte Name, Adresse, Hotel, Handynummer. Felix zeigte seine Identitätskarte. Schilderte kurz den Hergang des Unfalls aus seiner Sicht.

«Die Frau hat die Umlenkung erreicht und ist dann gestürzt. Warum?»

«Das kann ich mir nicht erklären.»

«Sie haben doch gesichert.»

«Ich habe keinen Zug verspürt. Das Seil blieb einfach hängen.»

«Haben Sie etwas fasch gemacht beim Sichern? Das kommt hin und wieder vor.»

«Bestimmt nicht.»

«Ihre Kollegen glauben das aber.»

Er hatte Tom und Sabine befragt. Sie seien überzeugt, Felix habe einen Fehler gemacht beim Sichern.

«Sie kletterten auf einer andern Route, können nichts gesehen haben.»

«Gab es Augenzeugen ausser Ihnen?»

«Eine Teilnehmerin war in der Nähe. Ob sie etwas gesehen hat, weiss ich nicht. Sie ist ins Hotel zurückgekehrt.»

Milani machte eine Notiz. Dann sah er Felix an: «Sie seien ein wenig erfahrener Kletterer, sagen Ihre Kollegen. Stimmt das?»

Felix zog mit dem Schuh eine Linie in den sandigen Grund. «Als junger Mensch war ich ab und zu in den Bergen. Ist aber schon lange her.»

Der Inspektor reichte ihm eine Visitenkarte. «Melden Sie sich bitte morgen Vormittag auf der Questura in Savona, Via dei Partigiani. Fürs Protokoll, eine Formalität.»

«Werde ich.»

«Bringen Sie die Frau mit, die noch dabei war. Wie hiess sie?»

«Hina. Mehr weiss ich nicht.»

Der Inspektor stutzte, als er den ungewöhnlichen Namen hörte. Dann fragte er, ob er Felix ins Hotel bringen könne.

«Danke, ich gehe zu Fuss.»

Milani bestieg einen blau-weissen Alfa, ein Polizist in Uniform sass am Steuer. Es war das letzte Auto, das wegfuhr. Felix blieb allein auf der Brücke zurück. Auch Tom und Sabine waren verschwunden. Nacht und Stille lagen über dem schwarzen Tal, die Felsbänder in den steilen Abhängen schimmerten bleich. Bei einer Gruppe von Häusern an der Strasse sah er das Schild Pizzeria Cornei, doch war nirgends mehr Licht. Die Deichseln eines alten Bauernkarrens, der im Garten stand, ragten in die Luft wie Kanonenrohre. Felix merkte, dass er noch immer den Klettergürtel trug, Expressschlingen daran und das offene Magnesiasäcklein. Er zog den Gürtel aus, stopfte ihn in den Rucksack.

Während er auf der Strasse gegen das Meer schritt, redete er zu seiner Frau. «Warum musste ich alter Esel wieder mit Klettern beginnen? Verzeihst du mir, Anna?» Sie schwieg, wie immer. Ihre Antwort kannte er, es wäre dieselbe gewesen wie damals. Ich oder der Berg. Entscheide dich, Felice.

Er hatte sich für Anna entschieden. Für die grosse Liebe und ein langweiliges Leben als Gymnasiallehrer. Warum ihn die Lust gepackt hatte, die jahrzehntelang verdrängte Passion wieder aufzunehmen, konnte er sich nicht wirklich erklären. Er war vor einem Schaufenster gestanden, hatte Seile gesehen, Expressschlingen und moderne Kletterschuhe mit schwarzer Sohle ohne Profil. Er hatte den Laden betreten, sich nach Kletterkursen erkundigt, Schuhe, Gürtel und ein paar andere Dinge gekauft. Er hatte die Website von rock’n’ice studiert und sich für die Kletterwoche angemeldet.

Ein Auto kam ihm entgegen, blendete ab, fuhr vorbei. Wasser spritzte aus einem Schlagloch an seine Hosenbeine. Die ersten Häuser tauchten auf, eine Brücke führte über das Flussbett, an dessen Grund lange Schilfrohre wuchsen. Die Luft roch nach Abwasser und Schlamm.

Finale

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