Читать книгу Finale - Emil Zopfi - Страница 15
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Die Bar Centrale in Finalborgo war ein Treffpunkt der Kletterszene. Daniel trat ein, sah sich um. Am Tresen standen drei Männer in Fliesjacken, Kletterhosen und Turnschuhen, Biergläser in der Hand. Auf einem Stuhl bei der Tür hockte ein Einheimischer vor einem leeren Glas, glotzte ihn an. Im Raum nebenan sassen an runden Tischen ein paar Bergsteiger oder Mountainbiker und unterhielten sich lautstark. In einer Ecke lief der Fernseher, ohne dass jemand hinschaute.
Daniel bestellte einen Espresso. Die junge Frau hinter der Theke lächelte ihm zu, zeigte ihre leicht vorstehenden Zähne. Ob sie sich erinnerte? Mit Andrea war er hier zum Frühstück eingekehrt oder zum Bier am Nachmittag nach dem Klettern. Die Frau war damals noch ein Teenager gewesen, inzwischen war sie rundlich geworden, trug ihre schwarzen Haare kurz geschnitten, war jetzt wohl verheiratet und Mutter. Ihr Vater, ein hagerer Mann, der aussah wie ein pensionierter Professor, bediente die Kaffeemaschine. Zur weissen Schürze trug er eine rote Krawatte. Bedächtig klopfte er den Kaffeesatz aus dem Kolben in einen Behälter, füllte neues Pulver ein, drückte es fest. Der Kaffee tropfte in die Tasse und verbreitete den Duft, der typisch ist für die italienischen Bars.
«Bitte, mein Herr. Ihr Kaffee.» Die junge Frau stellte die Tasse auf einen der bereitstehenden Unterteller.
Daniel löffelte Zucker aus der Dose, rührte. «Sie sprechen sehr gut Deutsch.»
«Mamma stammt aus Köln.»
Daniel fragte, ob sie von einem Kletterunfall gehört habe. Sie wandte sich an die drei Männer. Er verstand ihre Antworten nicht, die sie mit ausschweifenden Gesten unterstrichen, dabei zu ihm herüberschauten. Der Alte hörte ihnen zu, wischte sich die Hände an der Schürze. Immer wieder fiel das Wort «Silenzio».
Silenzio, Preis der Liebe. Das hatte in der kryptischen sms gestanden. Abgeschickt von Andreas Handy, das seither verstummt war. Die einzige Nachricht seit dem Streit kurz vor ihrer Abreise zur Kletterwoche. Er hatte sie versetzt, hatte die Sitzung der Berufungskommission vorgeschoben, um abzusagen. Den wahren Grund hatte er verschwiegen. Er hatte keine Worte gefunden und den richtigen Moment verpasst. Seit dem Scheitern ihrer Expedition zum Cerro Torre wirkte sie bedrückt und verschlossen. Sie müssten sich aussprechen, doch ihre Wege strebten auseinander. Sie floh in die Berge, er in die Arbeit. War das der Preis der Liebe?
Die Ahnung, der Unfall sei kein Zufall, peinigte ihn seit der Abfahrt. Eine letzte Botschaft, nein, das war nicht Andreas Stil, beruhigte er sich. Dafür kannte er sie zu gut. Aber kannte er sie wirklich? Liebte er sie?
Die junge Frau polierte mit einem Tuch die Granitplatte der Theke. «Es habe einen Unfall gegeben an der Falesia del Silenzio. Eine Frau sei abgestürzt, verletzt.»
Daniel war es, als hätte ihn ein Felsblock auf den Kopf getroffen. Eine Frau. Das konnte nur Andrea sein. Il Silenzio, das war der Schlüssel. Er kannte das Felsband, sie hatten dort geklettert, in gelben Überhängen an Löchern, die nur für einen oder zwei Finger Platz boten. Andrea leicht und locker wie eine Artistin am Trapez. Er hatte sich abgemüht, war viel zu schwer geworden. Dass sie an jenem Fels stürzte, konnte er sich nicht vorstellen. Sie war erfahren, die Routen waren gut gesichert.
«Weiss man mehr? Wer die Frau war, wohin man sie brachte?»
Die drei Kletterer waren zu ihm getreten. «English?», fragte einer.
«Yes, of course.»
Sie hatten von dem Unfall gehört. Ein Gerücht, sagten sie, Genaues wüssten sie nicht. Es gebe immer wieder Kletterunfälle in der Gegend, meist Fehler beim Sichern. An der Rocca di Corno sei vor Jahren ein junger Deutscher deswegen zu Tode gestürzt. Oft passiere das den Deutschen, weil sie manchmal abseilten, statt umzulenken. Das gebe viele Missverständnisse.
«Wo bringt man die Verletzten hin?», unterbrach Daniel den Redeschwall des Italieners, der gut englisch sprach und das offensichtlich gerne zeigte.
«Pietra Ligure, Ospedale Santa Corona.»
Er erklärte den Weg. Hinab zur Küste, dann auf der Aurelia rechts ab. «Soll ich mitkommen? Es ist nicht weit.»
«Nicht nötig. Ich habe GPS.»
Daniel kippte den Espresso, der kalt geworden war, bezahlte, trat ins Freie.
Die Steinfliesen der Piazza waren nass. Die Fassaden der Palazzi wirkten im Licht der Lampen kalt und abweisend. Die Geschäfte und der Kletterladen rockstore hatten ihre Gittertüren verschlossen. Daniel schritt über den Platz, sah in einer Spaghetteria ein paar Leute sitzen. Er war hungrig, doch die Unruhe trieb in weiter. Ein Junge auf einem Moped fuhr über den Platz, bog in eine Seitengasse. Auf dem Kirchturm beim Stadttor schlug die Glocke die Stunde, zehn träge, metallen klingende Schläge.