Читать книгу Das Herz und die Dunkelheit - Emily Byron - Страница 11
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Nines Mund stand sperrangelweit offen, während sie gebannt meinen Schilderungen der letzten Nacht lauschte.
„Doch, doch. Selbst hier im beschaulichen Vorort ist man vor Überfällen nicht mehr sicher.“
„Das mein ich nicht. Der Typ war hier? In dieser Wohnung?“
Ach Nine.
„Ja, war er.“
„Und was ist passiert, nachdem er dir die Hände verbunden hat?“
„Nichts. Er ist aufgestanden und gegangen.“
Der letzte Rollmops rutschte Nine aus den Fingern und landete mit einem unschönen ‚Platsch’ auf dem Parkett.
„Tschuldigung“, sagte sie hastig und verbog sich wie eine Brezel, um sich die Küchenrolle auf dem Tisch zu angeln, ohne ihre Sitzposition verlassen zu müssen. Amüsiert und leicht beeindruckt beobachtete ich ihre Verrenkungen. Sie war nicht umsonst Sportlehrerin.
„Und dann?“, fragte sie, während sie den eingelegten Happen aufklaubte und noch einen kurzen Moment begutachtete, bevor sie sich dazu entschloss, ihn lieber doch nicht mehr zu essen.
„Dann war er weg“, antwortete ich.
„Aber das kann doch nicht sein. Siehst du ihn denn wieder? Hast du wenigstens eine Nummer, wo du ihn erreichen kannst?“
Es lag mir schon auf der Zunge, Nine von dem Fund meiner beiden Kater zu berichten, als ein Lämpchen in meinem Kopf warnend zu leuchten begann.
„Moment mal. Wieso sollte ich denn seine Nummer überhaupt haben, geschweige denn ihn wiedersehen wollen? So einen heruntergekommenen Kerl wie den?“
Schlagartig errötete Nine. Ich traute meinen Augen kaum. Unruhig rutschte sie auf ihren vier Buchstaben hin und her und wischte zum gefühlten hundertsten Mal über die Stelle, auf der der eingelegte Fisch gelandet war.
„Nine?“, fragte ich mit einem sehr ernsten Unterton.
„Ach komm, Jordis. Du willst mir doch nicht erzählen, dass dir nicht schon in der Bar aufgefallen ist, wie wahnsinnig gut der Mann ausgesehen hat. Wenn man sich mal den ganzen Dreck wegdenkt.“
Bei dieser Bemerkung begann wiederum mir die Hitze ins Gesicht zu steigen. Gott sei Dank musste ich meinen roten Kopf aber nicht überspielen, da Nine ihre ungeteilte Aufmerksamkeit immer noch der Reinigung des Fußbodens widmete.
„Er hat dir also gefallen?“ Ich entschied mich dafür, meine Sicht der Dinge erstmal für mich zu behalten. Dass mir Caydens gutes Aussehen unter all den Dreckschichten nicht entgangen war, musste ich meiner Freundin ja nicht gleich auf die Nase binden.
„Nicht, wie du denkst. Du weißt, ich stehe nicht auf lange Haare. Aber ich erkenne einen attraktiven Mann, wenn ich ihn sehe.“
„Du bist der Knaller“, antwortete ich verblüfft. Egal wie betrunken Nine auch war, wenn es um anbaggerungswürdige Kerle ging, funktionierte ihr Radar immer einwandfrei.
„Also, was ist – hast du seine Nummer?“
Ich seufzte. Sie würde sowieso nicht lockerlassen. Also entschied ich mich, sie einzuweihen.
„Das nicht gerade. Aber er hat hier was verloren.“
Wie vom Blitz gestreift hob Nine den Kopf. Beinahe wären ihr die Augen rausgefallen. „Was?“
Ich fasste in die Kängurutasche meines grauen Hoodies und holte Caydens Handy hervor, das ich bei Nines Ankunft wohlweislich erstmal hatte verschwinden lassen. „Jen und Berry haben es durch den Flur gekickt, nachdem ich von der Polizei zurück war. Ich nehme an, er hat es im Bad verloren, als er mich verarztet hat. Er hatte es ja dann plötzlich sehr eilig zu gehen. Ist ihm deshalb wohl nicht aufgefallen.“
„Ja und jetzt?“, fragte Nine aufgeregt und robbte im Schneidersitz zu mir heran, um sich das Handy aus der Nähe anzuschauen.
„Es war nicht gesperrt. Ich hab ins Telefonbuch geschaut und seinen Bruder angerufen.“
Da fiel Nines Kinnlade endgültig gen Süden. Noch bevor sie fragen konnte, erzählte ich ihr von dem Telefonat, aber gerade nur soviel, dass ihre Neugier gestillt war. Wenn es um Männer ging, konnte die liebe Nine nämlich gelinde gesagt durchaus lästig werden. Deshalb gab ich das Handy auch nicht aus der Hand. Wenn Nine das Foto der Unbekannten gesehen hätte, hätte sie nicht nur Fragen über Fragen gestellt, sondern auch noch das komplette Handy nach weiteren Bildern durchsucht. Ich kannte meine beste Freundin nur zu gut. Was die Privatsphäre anderer betraf, war sie ziemlich schmerzfrei.
„Was der wohl erlebt haben mag?“
„Keine Ahnung“, antwortete ich, „ich wollte da nicht so direkt nachfragen.“
„Muss heftig gewesen sein. Umsonst kappt man nicht monatelang den Kontakt zu den Menschen, die einen lieben.“
„Denke ich auch. Geht uns aber nichts an.“
„Stimmt“, grübelte Nine, „aber bist du denn nicht wenigstens ein kleines bisschen neugierig?“
Meine Freundin diesbezüglich anzuflunkern, wäre völlig sinnlos gewesen. Dafür kannte sie mich einfach viel zu gut.
„Doch, klar. Wer wäre das nach so einem Erlebnis nicht? Aber dennoch respektiere ich, dass jeder seine Privatsphäre hat.“
„… sagt die Frau, die einfach in einem fremden Handy schnüffelt und irgendwen anruft.“
Nine warf mir einen Blick zu, der mich wissen ließ, dass sie mir den letzten Teil meiner Antwort dann doch nicht so ohne Weiteres abkaufte.
„Na, hast du eine Idee, wie ich Cayden sonst mitteilen soll, dass sein Telefon bei mir ist?“
Ein freches Grinsen zeichnete sich unter Nines dicken Augenringen ab.
„Ist schon okay, Jordis. Hätte ich auch so gemacht, wenn mir einer gefällt.“
Blut stieg mir erneut mit Lichtgeschwindigkeit in die Wangen. Ich wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, um Nine ihr Grinsen aus dem Gesicht zu fegen, als das Handy klingelte. Vor Schreck rutschte es mir aus der Hand und wäre auf dem Boden gelandet, wäre Nine nicht mit gepardenhafter Schnelligkeit nach vorne gehechtet, um es aufzufangen. Der Rollmops leistete im Kampf gegen ihren Kater offenbar ganze Arbeit. Nur eine Sekunde später hatte sie abgenommen.
„Hallo. Nein, hier ist nicht Jordis, hier ist Nine, ihre Freundin.“
Um Himmels Willen.
Erst saß ich wie gelähmt auf dem Sofa, weil mein Gehirn verarbeiten musste, was soeben gegenüber im Küchenbereich passierte. Als die Nachricht angekommen war, stürzte ich mich auf Nine und versuchte, ihr das Handy zu entreißen. Das wiederum wurde mir umgehend mit tausend Nadelstichen in den Handinnenflächen quittiert. Einen erneuten Versuch wehrte Nine gleich zu Beginn ab, indem sie mir fest in die Nase kniff und sie eisern festhielt. Schmerz schoss mir von der Nasenspitze ins Gesicht, als sie mich lockerleicht wie einen dressierten Pudel einhändig auf den Boden zwang.
„Ach Sie sind das… nein, sie kann gerade nicht… Habe ich mitbekommen. Ihr geht es gut, danke … Ja, ist es. Natürlich, kein Problem. Ja, ich sage es ihr. Tschüss.“
Als Nine meine Nase losließ und ich mich wieder aufrichtete, hätte ich ihr am liebsten eine geknallt.
„Sag mal, spinnst du? Das tat weh.“
Ich versuchte, meine arme, kleine Nase mit den nicht verbundenen Fingerspitzen zu massieren.
„Komm schon, das ist weniger schlimm als die Schürfwunden. Ruh dich lieber noch eine Runde aus und dann ziehst du dir für heute Abend was Schönes an.“
Ich dachte, mich verhört zu haben. Mein Mund öffnete sich, aber es kam nichts heraus. Mein Sprachzentrum war wohl durch den Nasengriff in deutliche Mitleidenschaft gezogen worden. Nine allerdings verstand auch so.
„Heute Abend hast du nämlich ein Date.“
„Ein was?“
Nines hinterlistiges Grinsen wurde so breit, dass es fast einmal um ihren Kopf herumging.
„Ein Date. Mit deinem blonden Retter. Gut, kein richtiges Date. Er kommt und holt sein Handy ab. Wenn das nicht die Gelegenheit ist.“
Was zum Teufel für eine Gelegenheit, wollte ich sagen, doch allein bei dem Gedanken daran, Cayden wiederzusehen, wurden mir die Knie weich.
„Aber …“
„Nichts aber“, gluckste Nine und gab mir Caydens Handy wieder.
„Er gefällt dir. Das rieche ich auf zehn Meter gegen den Wind, egal wie sehr du das verbergen willst. Außerdem glaube ich, dass sich unter dem ganzen Dreck ein überaus interessanter Mann mit einer noch interessanteren Geschichte verbirgt. Jordis, überleg doch mal. Arschlöcher retten einfach keine Frauen vor Überfällen.“
Manchmal war es schon erstaunlich, wie sehr sich unsere Gedanken ähnelten, wenngleich wir uns in unseren Persönlichkeiten komplett voneinander unterschieden.
„Und dann bringt er dich auch noch heim und hilft dir, deine Verletzungen zu behandeln. Ich finde, er hat sich zum Dank eine Einladung zum Essen redlich verdient. Meinst du nicht auch?“
Immer noch zu geplättet kramte ich in meinem Hirn nach irgendetwas, was ich Nine wütend an den Kopf werfen konnte, weil sie so ungehemmt über den meinen hinweg gehandelt hatte. Ich musste mir jedoch ziemlich schnell eingestehen, dass das unfair gewesen wäre. Denn auch, wenn ich Nine nichts davon erzählt hatte, so war mir die Idee mit dem Essen ja bereits selbst gekommen. Ich holte einmal tief Luft und schwenkte innerlich die weiße Fahne.
„Was schlägst du also vor?“
Vor Begeisterung klatschte Nine mehrmals in die Hände. Von ihrem Kater war nichts mehr zu sehen.
„Großartig. Als Erstes notierst du dir die Handynummer von diesem Alan. Und dann machen wir das so …“
Während mir meine Freundin von ihrem Plan berichtete, konnte ich ihr allerdings nur noch mit halbem Ohr folgen, denn mein Herz schlug mir bis zum Hals bei dem bloßen Gedanken daran, Cayden in wenigen Stunden wiederzusehen.