Читать книгу Das Herz und die Dunkelheit - Emily Byron - Страница 14
9)
ОглавлениеIch erwachte aus einem traumlosen Schlaf durch die Wärme eines mich an der Nase kitzelnden Sonnenstrahls. Benommen beschloss ich, meine Augen noch nicht zu öffnen, sondern mich noch einmal umzudrehen, als ich etwas in meinem Mund bemerkte. Irgendwie war meine Zunge extrem pelzig. Genervt drückte ich sie gegen den Gaumen, um dieses Gefühl abzustreifen. Ein lautes Miauen zwang mich daraufhin, entgegen meines Vorhabens doch die Augen aufzuschlagen. Berry saß vor mir und sah mich mit seinen großen Katzenaugen so fragend an, als mache er sich Sorgen um mich. Ich folgte seinem Rücken bis hinunter zum Schwanz. Verdutzt stellte ich fest, dass dieser in meinem Mund endete.
„Mann, Berry!“, schimpfte ich verschlafen, als ich die pelzige Spitze zwischen meinen Lippen hervorzog. Das wiederum quittierte mir der Kater mit einem sichtlich verärgerten Fauchen, bevor er von der Couch sprang und sich Richtung Futternapf trollte.
‚Was kann ich denn dafür, wenn du mir im Schlaf den Schwanz abkaust?’, schien er zu meckern. Und hatte damit vermutlich sogar recht. Ein weiterer Protestmaunzer erklang, als ich mich bewegte und damit unabsichtlich Jen von meinem Bauch herunterschubste.
„Ihr macht mich fertig“, motzte ich zurück, „sonst seid ihr doch auch nicht so penetrant anhänglich.“ Angefressen wollte mich noch einmal unter die Decke kuscheln, als mir allmählich dämmerte, warum ich hier lag und nicht in meinem Bett. Erschrocken fuhr ich hoch und schaute wie irre um mich. Doch mein Gast vom gestrigen Abend war nirgends zu sehen.
„Cayden?“, rief ich mit belegter Stimme. Wie zu erwarten erklang statt einer menschlichen Antwort nur das fordernde Maunzen der zwei hungrigen Stubentiger, die sich bereits vor ihren leeren Näpfen positioniert hatten.
„Ja, gleich“, krächzte ich genervt, erhob mich schlaftrunken von der Couch und schlurfte ins Bad. Erstmal eine Dusche zum Wachwerden, dann Frühstück, wiederholte ich gleich einem Morgenmantra. Ich hatte so tief geschlafen, dass es selbst das kühle Wasser aus dem Brausekopf nicht schaffte, meine Lebensgeister wieder vollständig im Hier und Jetzt zu versammeln. Wie benebelt ich tatsächlich war, erkannte ich jedoch erst, als ich mir das Duschgel mit dem herrlichen Duft nach Sommerblaubeeren einfach auf die verbundenen Handflächen drückte.
‚So ein Mist. Aber ist jetzt eh schon zu spät’, dachte ich lapidar und begann, mich mitsamt den Pflastern einzuseifen. Zu meiner Verwunderung verspürte ich dabei keinerlei Schmerzen. Noch während das Wasser über mich strömte, zog ich die durchgeweichten Schutzfolien von meinen Handinnenseiten ab und musste mehrmals blinzeln. Der Schorf hatte sich bereits vollständig gelöst und nichts als frische, noch gerötete Haut zurückgelassen.
„Das gibt’s ja nicht“, sagte ich verblüfft, während ich unablässig meine Hände betrachtete. Mir war zwar bewusst, dass ich überdurchschnittlich gut heilte, aber dieser Fortschritt war selbst für mich als Biologiefachfrau nur schwer nachzuvollziehen.
Im Schnelldurchlauf beendete ich meine Morgenwaschung, trocknete mich ab und schlang mir das kuschelig weiche Frotteetuch um den Leib sowie ein weiteres um meinen nassen Kopf. Beim Blick in den Spiegel erschrak ich, als mir einfiel, dass ich mitsamt Kontaktlinsen eingeschlafen war. Glücklicherweise waren es nur Einmallinsen, die ich schnell entfernte und durch meine Brille ersetzte. Abermals untersuchte ich ungläubig meine Handinnenseiten. Deutlich sah man die Umrisse der Verletzungen, die sich rötlich vom Rest der Haut abhoben. Das ist unmöglich, ging es mir immer wieder durch den Kopf. Doch egal wie lange ich meine Hände begutachtete, der Heilungsgrad blieb der gleiche.
Mehrere laute Maunzer ertönten aus der Küche und mahnten mich, meine sklavischen Frühstücksdienste für die beiden Herren nicht zu vergessen. Automatisiert, wie ein dressiertes Äffchen, schlüpfte ich in meine Hausschuhe und trabte gen Küche, während meine Gedanken immer wieder um meine schnelle Genesung und den gestrigen Abend kreisten. Sobald ich nur annähernd daran dachte, was auf der Couch passiert war, begann es in meinem Bauch zu kribbeln, als würde sich dort eine gesamte Termitenkolonie ein neues Zuhause bauen. Es war so wunderbar gewesen, als Cayden mich geküsst hatte, und hätte ich nicht noch einen letzten Funken Vernunft aufgebracht, wer weiß, wie dieser Abend dann geendet hätte. Grübelnd stellte ich den beiden Fellknäueln ihre frisch gefüllten Näpfe hin, über die sie sofort herfielen.
„Von euch beiden hat man gestern dann auch nichts mehr gesehen, wenn ich mich recht erinnere?“
Als Antwort erhielt ich nur ein lautstarkes Schmatzen.
„Ihr seid mir ja wirklich eine große Hilfe“, seufzte ich und wollte gerade die Aluschalen mit dem Korma in den Kühlschrank stellen, als mir ein Zettel auffiel, der zwischen ihnen lag. Es war die Rechnung des Lieferservice, auf die mit Kugelschreiber quer ein einzelnes Wort geschrieben stand:
Danke.
Ich starrte wie gebannt auf diese fünf Buchstaben. Stammte das von Cayden? Die Logik ließ keinen anderen Schluss zu. Ein leichtes Flattern meldete sich in meiner Magengrube. Irgendwo freute ich mich über diese knappe Nachricht, zeigte sie doch, dass ich es geschafft hatte, eine Öffnung in die Dornenhecke zu schlagen, die Caydens Herz umgab. Andererseits war er einfach so verschwunden, nachdem ich eingeschlafen war. Ich kratzte mich am Kopf.
Wieso war ich überhaupt so schnell so tief weggepennt?
Und warum zum Geier waren meine Hände bereits jetzt so gut verheilt, als wären die Verletzungen mehrere Tage alt?
Meine Freude über Caydens Nachricht und das Kribbeln in meiner Mitte rutschten bei diesen Überlegungen nach und nach in den Keller und machten allmählich Platz für ein Gefühl, das mir ganz und gar nicht gefiel. Das alles war so rätselhaft, nichts schien der Normalität zu entsprechen. Meine Hände waren dafür das beste Beispiel. Aber so sehr ich mir den Kopf zermarterte, ich kam auf keine einleuchtende Erklärung. Wenn es etwas gab, das mich fuchsig machte, dann so etwas. Für den Bruchteil einer Sekunde kam mir der Gedanke, ob sich hier vielleicht etwas zugetragen hatte, was nicht mit den normalen Gesetzen der Naturwissenschaft erklärt werden konnte. Doch sobald sich diese Überlegung in meinem Gehirn geformt hatte, stieß ich sie auch schon mit dem Rammbock der Vernunft zur Seite.
“Schwachsinn, so etwas gibt es nicht“, sagte ich fest und stellte endlich das Essen in den Kühlschrank. In diesem Moment klingelte mein Handy und tanzte vibrierend auf dem Couchtisch. Mit vor Aufregung pochendem Herzen rannte ich hinüber, weil ich dachte, es könnte vielleicht Cayden sein – bis mir einfiel, dass ich ihm meine Nummer nicht gegeben hatte. Etwas enttäuscht erkannte ich Nines Durchwahl auf dem Display und wusste, dass mir jetzt die Ablieferung des gestrigen Reports in allen Einzelheiten bevorstand. Darauf hatte ich zum jetzigen Zeitpunkt allerdings wenig Lust. Ich konnte mir auf so viele Dinge keinen Reim machen, und weder wollte ich Nine Anlass zu wilden Spekulationen geben, noch wollte ich tatsächlich auf Details eingehen. Mehr denn je erschien mir das, was gestern zwischen Cayden und mir passiert war, wie ein kostbarer Vertrauensbeweis, und ich befürchtete, ihn zu zerstören, sobald ich ihn an die große Glocke hängte. Aber es war auch nicht fair, meine Freundin, die sich um mich gekümmert und die verrückte Situation gestern vermutlich erst möglich gemacht hatte, einfach am ausgestreckten Informationsarm verhungern zu lassen.
„Hallo Nine“, seufzte ich ins Handy, als ich mich mit einem grummelnden Bauchgefühl ins Schlafzimmer begab, um mir frische Kleidung aus dem Schrank zu holen.
„Und, wie war‘s?“, fiel sie sofort mit der Tür ins Haus.
„Ganz okay“, sagte ich halbherzig und kam mir dabei ein Stück weit schäbig vor, denn genau genommen war es weit mehr als nur okay gewesen. Aber Nine, das ahnte ich schon, würde sowieso wie ein Bluthund so lange nach pikanten Informationen jagen, bis sie sie alle kannte.
Ich sollte Recht behalten.
„Du schwindelst mich an“, sagte sie nach einer kurzen Pause anklagend. „Jordis, versuch erst gar nicht, mir was vorzumachen. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, wenn du nicht die Wahrheit sagst. Und eben weil ich dich kenne, gehe ich davon aus, dass der Herr nicht mehr bei dir ist. Wir können also offen reden. Was ist passiert?“
„Ach, Nine“, seufzte ich erneut, während ich mich wie ein nasser Sack aufs Bett fallen ließ.
„Ich habe ehrlich gesagt nicht die geringste Ahnung. Es war alles so komisch.“
„Hm“, schnaubte meine Freundin. Ich konnte förmlich hören, wie es am anderen Ende der Leitung in ihrem Kopf ratterte.
„Das schreit geradezu nach einer Lagebesprechung bei Gino. Du, ich und eine große Portion Tiramisu-Eis. Heute Mittag. Widerstand zwecklos.“
„Du bist gnadenlos“, maulte ich. Wenn es eins gab, das ich noch mehr liebte als Ben & Jerry‘s, dann war es das Tiramisu-Eis aus unserer kleinen Eisdiele gegenüber vom Stadtpark. Es war unser Problemkiller Nummer Eins. Immer, wenn einer von uns eine Situation über den Kopf wuchs, fielen wir ins Gino’s ein und ließen uns den cremig-bitteren Kakaogeschmack so lange auf der Zunge zergehen, bis wir eine Lösung gefunden hatten.
„Ich weiß“, feixte Nine, „und weil du ja sowieso gerade Probleme mit den Händen hast, kannst du dir statt einer Waffel auch gleich einen ganzen Becher bestellen. Der Claudio macht das sicherlich für dich.“
Ich verdrehte die Augen. Claudio, der achtzehnjährige Neffe des Eisdielenbesitzers, half seit über einem Jahr regelmäßig hinter der Theke aus – um sein Taschengeld aufzubessern, und weil die Familie, so hatte Gino selbst uns augenzwinkernd berichtet, den kleinen Taugenichts praktisch dazu verdonnert hatte. Seitdem hatte ich den Salat. Es war mir zwar unbegreiflich, aber seit er mich das erste Mal gesehen hatte, hatte Claudio einen Narren an mir gefressen. Nine amüsierte sich immer wieder über seine unermüdlichen Anmachversuche, während sie mir dagegen ziemlich unangenehm waren. Ich hatte deswegen schon nicht mehr ins Gino’s gehen wollen, aber das Tiramisu-Eis aus der Eisdiele am anderen Ende von Farmsen war im Geschmackstest mit Pauken und Trompeten durchgefallen. Somit war ich gezwungen, Prioritäten zu setzen und Claudios penetrante Flirtversuche weiterhin über mich ergehen zu lassen. Weil ich aber gerade jetzt wirklich keine Lust hatte, Nines schadenfrohe Stichelei mit Aufmerksamkeit zu würdigen, ging ich nicht weiter darauf ein.
„Dann also bis gleich.“
„Sehr schön“, antwortete Nine und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: „Ich muss dir übrigens auch noch was erzählen. Ich warne dich lieber schon mal vor. Könnte sein, dass Gino heute sein ganzes Tiramisu-Eis an uns verkauft.“
In meinem Kopf klingelten alle Alarmglocken Sturm.
Wenn meine Freundin so etwas sagte, dann kam es für gewöhnlich dick.
Und zwar so richtig, richtig dick.