Читать книгу Das Herz und die Dunkelheit - Emily Byron - Страница 7

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Mein Herz raste wie ein Ferrari auf einem Autobahnabschnitt ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Das Atmen fiel mir mit jeder Sekunde schwerer. Mit wackeligen Schritten bewegte ich mich auf das potenzielle Opfer meiner Saufrundenaufgabe zu. Insgeheim betete ich inständig dafür, dass er für eine normale Konversation zu benebelt war. Ich versuchte mich von dem tosenden Blutrauschen in meinen Ohren abzulenken, indem ich den Fremden genauer inspizierte. Er trug schwere Bikerboots, eine dunkle Hose und eine schwarze Lederjacke. Seine rechte Hand hielt ein Glas mit einer braunen Flüssigkeit so fest umklammert, als würde er vom Hocker stürzen, sobald er losließe. Der linke Arm war auf dem Tresen aufgestützt. Den Kopf hielt der Mann gesenkt, so dass sein Gesicht von den fast weißblonden Haaren völlig verdeckt wurde. Ich schaute genauer hin. Seine Haare waren so lang, dass sie ihm in dieser Haltung bis zu den angewinkelten Knien auf dem Barhocker reichten. Wäre sie nicht so strähnig gewesen, hätten meine Begleiterinnen und ich – da war ich mir sicher – umgehend einen Mord für diese Mähne begangen. Gewaschen musste sie einfach der Traum jeder Frau sein. So aber wirkte sie wie der gesamte Rest des Mannes nicht sehr gepflegt. Die Hose war mit Schlammspritzern übersät, und auch die Lederjacke hatte eindeutig schon bessere Tage gesehen. Ein leicht säuerlicher Geruch stieg mir in die Nase, je näher ich an den Unbekannten herantrat. Er hatte eindeutig seit Längerem nicht mehr geduscht. Deshalb ging ich dazu über, nur noch durch den Mund zu atmen.

Danke Mädels, schimpfte ich im Stillen.

Noch ein Schritt, dann stand ich direkt vor dem Fremden.

Und jetzt?

Hilflos drehte ich mich zu meinen Begleiterinnen um, die allesamt noch immer so breit grinsten, dass es einmal um den jeweiligen Kopf ging. Fragend gestikulierte ich ihnen, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte. Während Irina und Maria prustend auf der Theke zusammenklappten, bedeutete mir Nine unmissverständlich, dass ich mich nicht länger rumdrücken und einfach improvisieren sollte. Wie ich sie in diesem Moment verfluchte! Ich schwor mir, wenn sie das nächste Mal eine Ausrede für eins ihrer Horrordates suchte, brauchte sie mit meiner Hilfe garantiert nicht mehr zu rechnen.

„Hallo“, sagte ich unsicher zu dem Fremden und versuchte, mich betont locker mit dem Ellenbogen auf dem Tresen abzustützen. Mir schlotterten die Knie dermaßen, dass alles, was mich aufrecht hielt, willkommen war. „Bist du öfter hier?“

Der Unbekannte gab keinen Mucks von sich. Er schaute nicht mal zu mir auf. Entweder war er taub oder doch so stark betrunken, dass er nichts mehr um sich herum mitbekam.

„Ähm, hallo?“, sagte ich erneut und kam mir immer lächerlicher vor. Um so schnell wie möglich aus dieser Situation herauszukommen, beschloss ich, alle Anmachsprüche über Bord zu werfen und einfach die Wahrheit für sich sprechen zu lassen. „Entschuldigung, ich bin mit meinen Freundinnen hier, und es läuft so eine Art Wette, ob ich es schaffe, dass Sie mir Ihre Telefonnummer geben. Sie müssen mir nicht mal Ihre richtige Nummer geben, es reicht, wenn Sie mir ein paar Zahlen auf eine Serviette schreiben. Würden Sie das bitte für mich tun? Wenn ich ohne Nummer zurückkomme, hab ich den ganzen Abend das Geläster am Hals.“

Weiterhin keine Regung von meinem Gegenüber. Jetzt war ich mit meinem Latein am Ende. Vielleicht konnte ich bei den Mädels auf ein klein wenig Gnade hoffen, wenn ich ihnen erklärte, dass der Typ zu blau war, um noch irgendetwas auf die Reihe zu bekommen.

„Okay, ich verstehe. Danke jedenfalls und nichts für ungut“, sagte ich resigniert, nachdem weiter keine Antwort kam. Ich wandte mich bereits zum Gehen, als plötzlich eine dunkle Stimme hinter mir ertönte.

„Tolle Freundinnen, die solche Dinge von dir verlangen.“

Ich fror mitten in meiner Bewegung ein.

Diese Stimme war die schönste und wärmste, die ich jemals bei einem Mann gehört hatte. Ihr wunderbarer Klang vibrierte in meinem Magen und verursachte mir umgehend Gänsehaut. Nie hätte ich damit gerechnet, dass ein derart ungepflegter Mann einen so reinen Bass haben könnte.

Ich löste mich aus meiner Starre und drehte mich erneut zu dem Unbekannten um. Er hatte sich noch immer kein Stück bewegt.

„Wie meinen Sie bitte?“

„Ich sagte, dass das tolle Freundinnen sind, die zu ihrer eigenen Belustigung von dir verlangen, fremde Männer anzusprechen, obwohl dir das offensichtlich sehr unangenehm ist.“

Wieder schickte mir diese Stimme leichte Schauer über die Haut. Am liebsten hätte ich mich darin eingewickelt wie in eine weiche Decke. Wie wundervoll sie klang. Weniger schön war dagegen, was er gesagt hatte. Zu meiner Verblüffung hatte der Mann die Situation nämlich vollkommen richtig erfasst. Er war wohl doch nicht so betrunken, wie ich zunächst angenommen hatte.

„Naja, es ist ein Junggesellinnenabschied. Da macht man eben solche Sachen.“

Keine Ahnung, welcher Teufel mich in diesem Moment ritt, mich vor einem völlig Fremden zu rechtfertigen. Vielleicht wollte ich unterbewusst die Unterhaltung aufrechterhalten, um seine Stimme noch einmal zu hören.

„Soso. Macht man das also so? Was haben denn die anderen heute schon Peinliches gemacht, worüber du gelacht hast? Ich schätze nichts.“

Autsch.

Treffer versenkt.

Tatsächlich war bisher keiner meiner Begleiterinnen irgendeine ihrer Aktionen unangenehm gewesen. Nur ich hatte mich alle fünf Minuten stellvertretend in Grund und Boden geschämt.

„Das … das geht Sie nichts an“, konterte ich perplex und wunderte mich immer mehr, welchen Scharfsinn dieser Typ an den Tag legte.

Ein tiefes Lachen ertönte und verursachte ein Kribbeln in meiner Körpermitte. So eine klare Stimme und so eine abgewetzte Optik bekam ich gerade einfach nicht auf die Reihe.

Da plötzlich drehte der Fremde seinen Kopf und fixierte mich.

„Aha. Geht mich also nichts an. Aber für euer kindisches Spielchen war ich gerade gut genug.“

Ich weiß nicht, was mich in dieser Sekunde mehr aus den Schuhen fegte. War es dieses wie in Marmor gemeißelte, makellose Gesicht mit einer Haut wie Alabaster? Oder die hellblauen, fast silbrig schimmernden Augen, die wirkten, als sei der Unbekannte einem Märchen aus Schnee und Eis entsprungen, frostig kalt wie der Zorn, der in seinen Worten vibrierte?

Ich öffnete meinen Mund, nur um ihn wortlos wieder zu schließen. Wie gern wollte ich etwas erwidern, aber es hatte mir im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen.

„Schon gut“, sagte der Mann stattdessen, nahm einen großen Schluck aus seinem Glas und wandte sich wieder dem Barmann zu, der ihm ungefragt einen Whiskey nachschenkte.

„Es ist immer leichter, an der Oberfläche zu bleiben, als hinter die Fassade zu blicken. Da lebt es sich für Menschen wie euch sowieso viel sorgloser.“

Empörung ballte sich heiß in meinem Inneren zusammen.

Oberfläche?

Menschen wie uns?

Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein?

„Nur weil Sie hier herumhängen wie ein stinkender Trauerkloß und keine Lust auf einen harmlosen Spaß haben, brauchen Sie noch lange nicht beleidigend werden.“

Ich hörte, wie das Gackern hinter mir schlagartig verstummte.

Erschrocken fasste ich mir an den Mund. Super, Jordis, dachte ich, eine hervorragende Idee. Provozier einen Mann, der so groß ist wie ein Schrank und auch noch seine Hemmschwelle durch Alkohol gesenkt hat. Besser kann der Abend ja kaum werden.

In meinem Rücken spürte ich die entgeisterten Blicke von Nine, Irina und Maria, und ich verstand sehr gut, warum sie so aus allen Wolken fielen. Ich war schon immer eher der verschlossene Typ gewesen, und es war nicht leicht, mich hinter dem Ofen hervorzulocken. Aber wenn mich eines wütend machte, dann war es herablassende Arroganz. Da brannten bei mir zuverlässig die Sicherungen durch. Allerdings wünschte ich mir diesmal, ich hätte vielleicht doch besser meine Klappe gehalten.

Der Fremde griff nach seinem Glas, leerte es in einem Zug und drehte sich im Anschluss komplett zu mir um. Mein Herz machte einen Satz nach unten und verkroch sich auf Nimmerwiedersehen in meiner Unterhose. Obwohl ich in diesem Augenblick am liebsten das Weite gesucht hätte, blieb ich wie festgenagelt an meinem Platz stehen. Nach außen musste es wirken, als hätte ich keine Angst, mich der Konfrontation zu stellen. In Wirklichkeit aber war ich vor Panik einfach nur gelähmt. Der Mann musterte mich eingehend durch den Vorhang aus strähnigen Haaren vor seinem Gesicht. Mich beschlich das Gefühl, dass er abwog, ob es sich lohnte, sich noch weiter mit mir abzugeben. Seine hellen Augen besaßen trotz des Alkohols eine solche Klarheit, dass ich mich unweigerlich fragte, ob wirklich Whiskey in seinem Glas gewesen war.

„Du wirfst mir also vor, beleidigend zu sein, und bist dabei im gleichen Zug um keinen Deut besser?“

Mist, durchfuhr es mich siedend heiß, da hatte er sogar recht. Ich hätte nicht sagen dürfen, dass er stank. Aber entschuldigen konnte und wollte ich mich jetzt auch nicht. Er hatte mich schließlich erst zu diesem Ausbruch getrieben. Aus Mangel an Alternativen nahm ich allen Mut zusammen und holte trotzig zum Gegenschlag aus.

„Wollen Sie etwa leugnen, dass Sie nicht gerade nach Rosen duften? Das ist eine Tatsache, die jeder hier bestätigen kann. Sie haben sich ein Urteil über mich als Mensch erlaubt, obwohl Sie mich überhaupt nicht kennen. Das ist ja wohl ein himmelweiter Unterschied.“

Als sein Blick den meinen traf, fuhr mir ein solcher Stich ins Herz, dass ich dachte, es würde in meiner Brust in zwei Hälften gespalten. So sehr mich dieser Kerl auch aufregte, so musste ich mit jeder weiteren Sekunde, die ich ihn anstarrte, unweigerlich feststellen, dass unter all dem Schmutz ein sehr attraktiver Mann steckte. Seine Augen funkelten wie tanzendes Sonnenlicht auf einem klaren Bergsee, der mich einlud, in ihn einzutauchen. Ich konnte das Wasser auf meiner Haut förmlich spüren, wie es mich lockend umschmeichelte. Im Geiste sah ich den Fremden und mich inmitten des Sees, wie sich unsere Körper, umgeben vom kühlen Nass, aneinander rieben, wie wir uns unter Wasser leidenschaftlich küssten, während seine Hand …

„Lerne erst einmal, Menschen nicht nach ihrem Äußeren zu beurteilen. Dann reden wir weiter.“

Der Schreck fuhr mir in alle Glieder, als ich mit rasendem Herzen aus meinem Wachtraum herausgerissen wurde. Ich musste mich einmal kurz schütteln, um wieder in der Realität anzukommen. Was zum Geier war da nur gerade passiert? Der Mann hatte sich inzwischen von seinem Platz erhoben und mit dem Gesicht so nah zu mir herabgebeugt, dass sich sein warmer Atem auf meiner Haut niederschlug. Er war so unglaublich groß, und sowohl das enge Shirt als auch die dunkle Jeans ließen keinen Zweifel daran, dass der Stoff einen bemerkenswert durchtrainierten Körper verhüllte. Er hätte mir Angst machen sollen. Stattdessen wurden mir die Knie weich, während der Nachklang seiner Worte noch wie ein Messer durch mein Ego schnitt.

„Ich… ich…“, stammelte ich und fluchte innerlich wie ein Rohrspatz, weil ich nur dämliches Gestottere zustande brachte. Auf der einen Seite wäre ich dem Fremden am liebsten mit dem nackten Hintern ins Gesicht gesprungen, weil er mich einfach so als oberflächliche Partypute abstempelte. Auf der anderen erzeugte gerade diese Vorstellung erneut eine derart erotische Fantasie hinter meiner Stirn, dass ich nur schwer an mich halten konnte, trotz der speckigen Aufmachung nicht sofort vor allen Anwesenden über den Fremden herzufallen. Himmelherrgott, was war denn nur los mit mir?

Ein herablassendes Lächeln blitzte im Gesicht des Fremden auf. Es wirkte fast, als wüsste er, was für Szenen sich gerade im meinem Gehirn abspielten. Ich merkte, wie mir sengende Hitze in die Wangen schoss. Nur eine Sekunde später zog sich der Mann von mir zurück, legte dem Barkeeper einen Schein mit der Bemerkung „stimmt so“ auf den Tresen und verließ, ohne mich noch eines weiteren Blickes zu würdigen, die Bar.

Immer noch völlig von der Rolle drehte ich mich mit offenem Mund zu meinen Begleiterinnen um. Auch ihnen stand die Fassungslosigkeit noch immer ins Gesicht geschrieben.

Nine war die Erste, die sich wieder fing.

„Was zur Hölle war das denn?“

Benommen setzte ich mich wieder auf meinen Platz und hielt kommentarlos die Hand in ihre Richtung auf, woraufhin sie mir ohne weiter zu fragen einen Schnaps reichte.

„Das weiß ich auch nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß und leerte diesmal ohne mit der Wimper zu zucken das Fläschchen in einem Zug.

Nein, ich wusste wirklich nicht, was da gerade passiert war.

Ich wusste auch nicht, welches Hormon mich da in wilder Rodeomanier geritten hatte, so dass ich mich vor Verlangen fast vergessen hätte – und das, obwohl die Konversation alles andere als erfreulich verlaufen war. Am Alkohol, da war ich mir trotz meines schwimmenden Kopfes sicher, lag es nicht. Aber was auch immer es gewesen war, mein immer noch vor Aufregung pochendes Herz ließ keinen Zweifel daran, dass ich diesen Mann unbedingt wiedersehen musste.

Das Herz und die Dunkelheit

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