Читать книгу Das Herz und die Dunkelheit - Emily Byron - Страница 12

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Jetzt hatte ich den Salat. Ich bereute es umgehend, dass ich mich von einem irrationalen Gefühl und dem Enthusiasmus meiner Freundin schlichtweg hatte einlullen lassen. Doch ändern konnte ich es nicht mehr, dass ich in meiner besten Röhrenjeans und meinem schönsten Top – lang, schwarz und mit Wasserfallausschnitt – vor den köstlich duftenden Aluschalen stand, die der indische Lieferdienst soeben für einen nahezu fürstlichen Preis bei mir abgeliefert hatte. Cayden hatte Nine mitgeteilt, dass er gegen sieben Uhr vorbeischauen wollte und genau eine Viertelstunde vorher war das Abendessen bei mir eingetroffen. Mein Magen knurrte bereits wie ein Löwe, der tagelang keine Beute zu fassen bekommen hatte. Erst jetzt merkte ich, wie sehr mir die letzten 24 Stunden wirklich zugesetzt hatten. Nachdem Nine mir die Klamotten rausgelegt und mir genaue Instruktionen für den Abend gegeben hatte, war mir Gott sei Dank doch noch Zeit für ein kurzes Nickerchen mit meinen beiden Stubentigern auf der Couch geblieben, ehe ich mich ans Werk machen musste. Beziehungsweise Nine. Die war nämlich einfach dageblieben und hatte während meiner kurzen Pause ein wenig für mich eingekauft und meine Bude aufgeräumt. Wobei nicht wirklich viel zu tun gewesen war, mein einziger wunder Punkt bestand in dem sich immer weiter türmenden Klamottenberg auf einem Hocker neben dem Bett. Ich hatte noch nicht nachgesehen, ging aber davon aus, dass Nine dieses Problem beseitigt hatte. Kaum hatte ich mich nach meiner kleinen Auszeit von der Couch erhoben, hatte sich meine Freundin sogleich mit allerlei Kosmetikkram an mein Gesicht gemacht und mich – das musste ich tatsächlich zugeben – so verschönert, dass es zwar nicht übermäßig geschminkt, aber dennoch toll aussah. Einmal hatte ich während der Prozedur gewagt zu fragen, ob das alles denn notwendig war. Schließlich wollte Cayden nur sein Handy holen, und dafür hatte er sich vorher ganz sicher nicht unter die Dusche begeben, ganz abgesehen davon, dass ich nicht mal wusste, wo er wohnte und ob ihm so etwas wie sanitäre Einrichtungen überhaupt zur Verfügung standen. Nine hatte mich nur scharf angesehen, woraufhin ich jeden weiteren Einwand herunterschluckte. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, aus mir hässlichem Entlein einen Jungschwan zu zaubern, und ich war ehrlich gesagt zu nervös um zu protestieren. Allein bei dem Gedanken an Cayden bekam ich zittrige Hände. Das wiederum gefiel mir ganz und gar nicht. Ich wollte nicht, dass ein Mann solche Reaktionen bei mir verursachte. Wohin das führte, wusste ich nur zu genau. Und ich war nicht bereit, noch einmal Wachs in den Händen eines Mannes zu werden, bloß damit er mich dann doch fallenließ. Jetzt nicht und auch nicht in Zukunft. In der Hoffnung auf einen schocktherapeutischen Effekt rief ich mir daher schonungslos den Moment in Erinnerung, in dem Dani mir verkündete, er wolle sich fortan nur noch auf seine Karriere als Musiker konzentrieren und jede Ablenkung sei ihm dabei hinderlich.

Hinderlich.

Er hatte mich, die ich immer an ihn geglaubt und ihn unterstützt hatte – unsere gemeinsame Zeit, unsere Liebe! – als hinderlich bezeichnet. Wie einen lästigen Ballast, den er lange mit sich herumgeschleppt hatte und nun endlich abladen durfte. Alle Liebe war nichts wert gewesen. Ich selbst war plötzlich nichts mehr wert gewesen.

Oh nein, dachte ich wütend. Das würde mir nie wieder passieren. Nie wieder. Der Gedanke half mir, mich wieder ein wenig zu erden. Allerdings konnte auch er das komische Gefühl in meinem Magen nicht völlig abstellen. Das Gefühl, dass mehr hinter Caydens Fassade steckte. Es loderte immer wieder auf wie eine Stichflamme, wenn ich an seine eisblauen Augen dachte. Sie bargen eine Geschichte in sich, von der ich spürte, dass sie erzählt werden wollte. Andererseits … wie kam ich eigentlich darauf, dass er sie gerade mir erzählen wollte? Bisher hatte er dazu wohl wenig Anlass.

Während Nine mich ihrer Expressverschönerung unterzog, mir die Haare frisierte und mich ermahnte, endlich wieder öfter Kontaktlinsen zu tragen, um meine schönen braunen Augen zu betonen, hing ich all diesen Gedanken nach und kam doch zu keinem anderen Ergebnis als dem, dass ich nicht wusste, was mich erwartete. Aber vielleicht war das auch gar nicht mal das Schlechteste.

Und da stand ich also nun vor diesem wunderbaren Essen, das seinen köstlichen Duft exotischer Aromen in meiner ganzen Wohnung verströmte, und übertönte mit meinem Magenknurren sogar das Maunzen meiner zwei Mitbewohner, die sich bettelnd um meine Beine schlängelten.

„Nichts da, damit verderbt ihr euch den Magen. Ihr habt heute schon bekommen“, wies ich Jen und Berry zurecht und scheuchte sie in Richtung ihrer noch halbvollen Näpfe. Meckernd trollten sie sich und machten sich über den Rest ihres Nassfutters her. Ich seufzte tonlos. Wenn die zwei gewusst hätten, wie gut sie dran waren! Sie konnten sich schon jetzt die Bäuche vollschlagen. Ich hingegen …

Sehnsüchtig starrte ich das Essen an. Nine hatte mich zwar angewiesen, die Deckel erst dann von den Aluschalen zu entfernen, wenn es an der Tür klingelte, aber ich war inzwischen so hungrig, dass ich einen ganzen Elefanten hätte verdrücken können.

Einen kleinen Elefanten.

Einen Babyelefanten.

Einen ganz kleinen Babyelefanten.

Na gut, dann eben nur ein Erdmännchen. Aber immerhin.

Reichlich umständlich entfernte ich den Pappdeckel von der ersten Aluschale und ging beim Geruch des heiß dampfenden Navratan Korma fast in die Knie. Kardamom und Garam Masala erhoben sich in dicken Duftschwaden in die Luft und durchfluteten selbst die letzte Ecke meiner Wohnung.

„Sorry Nine, aber ich kann nicht warten. Ich sterbe vor Hunger“, sagte ich zu mir selbst, denn Madame hatte schon vor einer Stunde einen Abgang gemacht. Mit beiden Händen umfasste ich den Löffel, den sie mir ebenso wie einen Teller bereits hingestellt hatte, und tauchte ihn in die cremige Konsistenz des Kormas. Nachdem es mir gelang, ohne Malheur einige Portionen auf den Teller zu bugsieren, versuchte ich es mit dem Reis – und scheiterte kläglich. Denn kaum hob ich den Löffel an, kullerten die Körnchen munter über den Tisch und auf den Boden.

„Mist!“, fluchte ich.

In diesem Moment klingelte es.

„Nochmal Mist“, wiederholte ich, während mein Herz sich als Stabhochspringer versuchte. Ich steckte den Löffel zurück in den verbliebenen Reisberg und huschte zur Tür.

„Ja bitte?“, antwortete ich an der Gegensprechanlage und versuchte, so gelassen wie möglich zu klingen. Dabei vibrierte mein Herzschlag bis unter die Kopfhaut.

„Cayden hier“, vernahm ich kurz und knapp diesen vollmundigen Bass, der meine Pulsfrequenz innerhalb einer Sekunde noch um ein paar weitere Schläge in die Höhe trieb.

Anstatt zu antworten, drückte ich einfach auf den Öffner. Er wusste ja, wo meine Wohnung lag. Abgesehen davon konnte ich sowieso nichts mehr sagen, weil mein Mund plötzlich wie ausgetrocknet war.

„Mensch Jordis, was soll das denn? Reiß dich gefälligst am Riemen!“, faltete ich mich selber auf Taschentuchformat zusammen in dem verzweifelten Versuch, meine Aufregung zu drosseln. Es war einfach wie verhext. Mein Körper machte, was er wollte und ich wurde dabei nicht einmal gefragt.

„Mau?“, tönte es plötzlich im Duett zu meinen Füßen. Als ich hinabsah, versuchten meine zwei Wohnungshelden gerade, sich an mir vorbei und durch den geöffneten Spalt zwischen Tür und Rahmen zu drücken.

„Nein, ihr bleibt hier. Sagt mal, was ist denn nur…“

Ohne Vorwarnung zwickte mich Berry in meinen rechten großen Zeh. Vor Schreck strauchelte ich nach hinten, ließ die Tür los und – schwupps! – rannten beide Kater in den Hausgang, geradewegs auf Cayden zu, der soeben um die Ecke bog.

„Pass auf!“, rief ich noch, doch da hatten die beiden Räuber schon zum Sprung angesetzt. Cayden reagierte blitzschnell, öffnete seine Arme und fing die Kater, so als wären sie nichts weiter als plüschige Fußbälle, mit seiner Brust ab.

„Na, das nenn ich eine Begrüßung“, sagte er, während er Jen und Berry umarmte und zuließ, dass sie sich untermalt von einem wahren Schnurrkonzert unablässig an ihm rieben.

Ich stand komplett verdattert in der Tür und wusste nicht, was mich aktuell mehr irritierte. Dass meine beiden Stubentiger sich verhielten wie verknallte Teenager … oder dass ich es ihnen ehrlich gesagt am liebsten gleichgetan hätte. Denn der Mann, der gerade meine Kater wie kleine Kinder in den Armen hielt und sie abwechselnd hinter den Ohren kraulte, hatte mit dem verschmutzten Fremden von gestern Nacht nur noch die abgewetzten Klamotten gemein. Ein herber Zedernduft verteilte sich von Cayden aus im ganzen Obergeschoß, begleitet von einer fast nicht wahrzunehmenden, spritzig-leichten Zitrusnote. Dieser Geruch erinnerte mich an herabgefallenes Laub nach einem Regenschauer an einem warmen Spätsommermorgen, während die aufgehende Sonne die letzten Wassertropfen verschwinden ließ. Am liebsten hätte ich so tief eingeatmet, dass es mir die Lunge sprengte, so unwiderstehlich fand ich dieses Parfüm. Doch meine Brust war wie zusammengeschnürt von Caydens Aussehen. Wie ein Umhang aus weißer Seide flossen seine langen Haare über seine Schultern fast bis zu den Hüften herab. Übertroffen wurde ihr helles Leuchten nur noch von dem porzellanartig weißen Teint und seinen hypnotisch schillernden Augen. Irrte ich mich oder war die abweisende Kühle inzwischen ein Stück weit aus ihnen gewichen? Ich meinte, in ihnen im Gegensatz zu letzter Nacht auf einmal einen Hauch Wärme wahrzunehmen, als sein Blick den meinen traf, und hatte große Mühe, meinen Mund nicht aufklappen zu lassen. Die Frage, ob Cayden eine Dusche zur Verfügung stand, war hiermit voll und ganz geklärt. Oh Gott, wie gut er roch…

„Darf ich?“

Abrupt wurde ich aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart gerissen. In der Zwischenzeit war Cayden mit den beiden Katern im Arm direkt vor mich getreten. „Ich vermute, die gehören dir.“

Bildete ich mir das nur ein oder spiegelte sich die zuvor entdeckte Wärme aus Caydens Augen nun auch in einem Anflug von Freundlichkeit in seiner Stimme? Noch dazu meinte ich, ein kleines Lächeln entdeckt zu haben, nur ein ganz kurzes, so flüchtig wie der Flügelschlag eines Kolibris.

„Ja, natürlich.“

Immer noch vollkommen geplättet, öffnete ich die Tür und ließ Cayden mitsamt seinem plüschigen Fanclub eintreten.

„Müsst ihr mich so blamieren?“, schimpfte ich die beiden Verräter und klaubte sie von meinem Besuch herab wie reife Äpfel von einem Baum. „Tut mir leid, sie haben wohl einen ziemlichen Narren an dir gefressen.“ Was ich ihnen nicht verübeln konnte, setzte ich im Stillen hinzu, versuchte aber, so gelassen wie möglich zu wirken.

„Sie haben im Übrigen auch dein Handy gefunden.“

Caydens rechte Augenbraue erhob sich zu einem formvollendeten Bogen.

„Danke. Wo ist es?“

Jetzt trat Nines Plan in Aktion.

„Im Wohnzimmer. Komm einfach mit.“

Ich setzte meine beiden Mitbewohner auf den Boden und ging mit puddingweichen Beinen voran. Hinter mir vernahm ich Cayden einmal stark die Luft einsaugen.

„Riecht gut. Du hast gekocht.“

Das war mehr eine Feststellung denn eine Frage.

„Nicht ganz.“ Ich drehte mich zu ihm um und hielt meine zugepflasterten Hände hoch. „Lieferdienst.“

Cayden nickte. „Kluge Entscheidung. Wo ist denn nun mein Handy?“

Etwas enttäuscht deutete ich in Richtung Wohnzimmertisch, auf dem das Objekt der Begierde lag, und welches Cayden, ohne mich weiter zu beachten, an sich nahm. Während er mir den Rücken zugedreht hatte, versuchte ich fieberhaft, meinen rasenden Puls und das unaufhörliche Kribbeln im Bauch in den Griff zu bekommen. Je länger ich ihn betrachtete, desto mehr wuchs mein Verlangen, ihn zu berühren. Er war so unglaublich groß und besaß eine Silhouette, die so manchen Gewichtheber neidisch gemacht hätte. Breite Schultern hoben sich unter einem kraftvollen Atem und bildeten den Abschluss eines imposanten Rückens, an dessen unterem Ende sich in einer recht engen Hose ein derart durchtrainierter Hintern abzeichnete, dass ich unwillkürlich schlucken musste. Bei diesem Anblick fühlte ich mich, als hätte mir meine Libido einen Stromschlag versetzt. Schnell schüttelte ich den Kopf. Ich musste mich dringend mit einer Aufgabe ablenken, die meine komplette Konzentration erforderte. Instinktiv, ohne weiter darüber nachgedacht zu haben, ging ich zum Essen, hob den Löffel mit meinen beiden Händen vom Tisch und versuchte erneut, etwas Reis auf den Teller zu schaufeln.

„Hast du vielleicht Hunger?“, sagte ich in möglichst beiläufigem Ton. „Ich habe zwar nur ein Hauptgericht und eine Vorspeise bestellt, aber es reicht sicher für uns beide. Wenn du mir hilfst …“

„Du hast meinen Bruder angerufen.“

Eiseskälte breitete sich mit einem Schlag in meinen Adern aus. Gänsehaut begann sich auf meinen Armen zu formen. Ich schluckte erneut kräftig und versuchte, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen.

„Irgendwie musste ich dir ja mitteilen, dass du dein Handy hier verloren hast. Und da dieser eine Nachname so oft eingespeichert ist, schien es mir logisch, dass es sich um deine Familie handeln muss. Ich habe einfach irgendeine Nummer gewählt.“ Es war, als führte mein Mund ein Eigenleben und plapperte ohne Kontrolle einfach so drauflos, während ich nur wie gelähmt zuhören konnte. “Alan und Franziska waren wirklich sehr nett. Sie machen sich große Sorgen, wie es dir geht, und haben mir viele Fragen …“

„Sei still!“

Mit einer Schärfe so tödlich, dass sie die von den wärmenden Gewürzen durchflutete Atmosphäre des Raums binnen Sekunden zerteilte, schnitt Cayden mir das Wort ab. Mein bis gerade eben noch so laut pochendes Herz hatte mit einem Mal den Takt angehalten.

Langsam, mit bebenden Schultern, drehte sich Cayden zu mir um. Mit einem lauten Klirren landete mein Löffel auf dem Boden und garnierte ihn mit noch mehr Basmatireis. Auf einmal war es so furchtbar kalt in meiner Wohnung, als wäre draußen tiefster Winter und jemand hätte soeben alle Fenster geöffnet. Fantasierte ich oder formte mein Atem soeben tatsächlich weiße Nebelwölkchen in der Luft? Instinktiv wollte ich meine Arme verschränken, um mich gegen diese unerklärliche Kälte zu schützen, doch Caydens Blick ließ mich auf der Stelle erstarren. Ich öffnete den Mund, aber kein Ton kam über meine Lippen. Soviel Wut und Hass spiegelten sich in den eisblauen Seen seiner Augen, deren geheimnisvolle Schönheit mich noch vor wenigen Minuten so fasziniert hatte. Jetzt aber lag in ihnen die Wildheit eines todbringenden Blizzards.

„Diese Leute gehen dich nichts an. Meine Geschichte geht dich nichts an.“

Plötzlich stürmte Cayden so pfeilschnell auf mich zu, so dass ich reflexartig zurückwich. Mit einer Kraft, die mir geradezu unmenschlich schien, packte er mich ruckartig an den Schultern und drückte mich so fest gegen die Arbeitsplatte der Küche, dass ich dachte, mir würde jeden Moment das Rückgrat brechen. Am liebsten hätte ich weggesehen, doch Caydens Blick besaß eine Intensität, dass ich nicht wagte, mich von ihm abzuwenden, obwohl er mich wie in einem Schraubstock immer stärker zwischen sich und der Holzplatte einklemmte. Mein ganzer Körper begann so sehr zu zittern, dass es mir die Beine weggezogen hätte, wäre ich nicht so fest eingeklemmt gewesen. Caydens wutentbranntes Gesicht kam dem meinen immer näher, und ich fürchtete, dass er sich jeden Augenblick vergessen würde. In der nächsten Sekunde war mir, als würde ich zurückgeschleudert in die Szenerie der letzten Nacht. Ich sah mich wieder auf der Straße, wie der Angreifer nach mir fasste, und spürte, wie ich zum Schlag ausholte. Ich hörte erneut, wie meine Tasche Knochen brach und roch zeitgleich abermals das frisch gemähte Gras des Parks. Als würde ein Film vor meinen Augen abgespielt, sah ich mich am Boden liegen und den blutüberströmten Mann erneut auf mich losgehen. Schon streckte er die Hand mit dem tätowierten Kreuz nach mir aus. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf mich die Erinnerung an das filigrane Hautbild, welches mein Unterbewusstsein zwar abgespeichert, doch vorübergehend in den Tiefen meines Geistes vergraben hatte. Ich wusste, mir blieb als letzte Möglichkeit nur noch zu schreien, und so schrie ich ihm aus Leibeskräften entgegen, dass er verschwinden solle. Ich schrie so sehr, dass mir meine Kehle brannte, doch der Unbekannte kam immer näher, und irgendwann war er mir so nah, dass seine dunkle Silhouette mit der Nacht verschmolz. Es gab kein Entrinnen mehr für mich. Jetzt stirbst du, hörte ich mich selbst zu mir sagen, und schloss daraufhin meine Augen. Wehrlos ergab ich mich dem Moment, ließ alle Gegenwehr fallen und wartete auf das Unvermeidliche. Doch statt des Schlags, der mein Schicksal besiegeln sollte, kam aus dem Nichts plötzlich eine warme Stimme, die mir tröstend zusprach.

„Du stirbst nicht. Bitte mach die Augen auf.“

Nein, flüsterte ich in diese sonderbare Stille hinein, ich will nicht sehen, wie es zu Ende geht.

So verführerisch vertrauensvoll sich diese Stimme auch angehört hatte, meine Lider waren mit einem Mal so schwer, dass sie mir jeden Dienst versagten.

„Bitte.“ Erneut dieser samtig weiche Bass. „Mach die Augen auf. Es wird alles wieder gut.“

So viel Anstrengung es mich auch kostete, dieses Mal konnte ich nicht anders, als der Stimme Folge zu leisten. Ich öffnete meine Augen und versuchte, durch den Schleier der Benommenheit etwas zu erkennen. Mir war, als sei ein Zug über mich hinweggerast. Es dauerte einen Moment lang, bis ich verstand, dass mein Kopf an eine feste, mich wärmende Brust gelehnt war, und starke Hände meinen Körper hielten. Als ich nach oben schaute, blickte ich direkt in Caydens Gesicht. Aufrichtige Sorge stand darin geschrieben, und ich musste wiederholt meine Augen zusammenkneifen, weil ich dachte, nicht richtig zu sehen.

„Was ist passiert?“, flüsterte ich. Mein Hals war plötzlich so kratzig rau. Ich hatte doch eben noch auf der Straße gelegen? Cayden hielt mich sicher an sich gedrückt, als wäre ich leicht wie ein kleines Kind, während er auf dem Fußboden meiner Küche kniete.

„Was war denn los?“, fragte ich erneut und machte Anstalten, mich aus Caydens Umarmung zu lösen. Doch statt mich gehen zu lassen, verstärkte er nur seinen Griff.

„Schhh. Nicht reden. Es wird alles wieder gut.“

Irritiert blickte ich erneut nach oben und erschrak. Tränen hatten sich aus Caydens Augen befreit und liefen ihm über seine von Kummer gezeichneten Züge. Ehe ich wirklich erfassen konnte, was gerade geschah, vergrub er sein Gesicht tief an meinem Hals. Sein ganzer Körper begann mit einem Mal zu zittern, dass ich fürchtete, er würde mich im nächsten Moment loslassen. Doch stattdessen drückte mich nur noch enger an sich, dass ich fast keine Luft mehr bekam. In seiner Umarmung lag eine unendlich tiefe Verzweiflung, die mich in ihrer Intensität bis ins Mark erschütterte. In dem Augenblick, als ich etwas sagen wollte, begann er mich wie ein kleines Kind hin und her zu wiegen. Seine nächsten Worte waren Zeuge einer Verzweiflung, wie ich sie selbst noch nie verspürt hatte.

„Es wird alles wieder gut. Ich verspreche es dir. Du stirbst nicht. Es wird alles wieder gut, Laurin.“

Und während er mich weiter beruhigend in seinen Armen wiegte, verstand ich schließlich, was Cayden widerfahren war.

Das Herz und die Dunkelheit

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