Читать книгу ... und nicht auf den Knien - E.R. Greulich - Страница 11

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Seifenblasen schillern nicht mehr

Alle paar Tage gab es eine Siegesfeier, anschließend war schulfrei; denn überall siegten die deutschen Soldaten. Meistens hielt Rektor Kunz die Rede, manchmal Lehrer Neblich. Der ließ die Kinder das Hauen, Stechen und Schießen so miterleben, dass sie sich hernach selbst als die Sieger fühlten.

Die Blätter begannen sich zu färben, die Früchte reiften, und alle Stammtischkrieger sahen bereits die wertvolle Frucht dieses Jahres in deutscher Hand: Paris. Den Vormarsch der deutschen Truppen stoppte der "Retter" Joffre, er vollbrachte "das Wunder an der Marne." Nun wurde den germanischen Bierbankstrategen das Schlachten im Westen uninteressant, und sie wandten ihren Blick gen Osten, wo ihnen der "Retter" Hindenburg mit seinem "Wunder von Tannenberg" geschenkt ward.

Nach einer unerfreulich langen Pause wurde dann Anfang Dezember 1914 die Stadt und Festung Lodz erobert. Die ganze Schule freute sich auf einige Stunden staatsoffiziellen Schwänzens. Aber Neblich hatte an das Jahrespensum erinnert, an die Überlastung der verbliebenen Lehrer; denn die im besten Alter waren "zu des Kaisers Fahnen gerufen" worden. Nicht wenig Schüler fanden das vorteilhaft, Neblichs Pflichtstrenge dagegen unbequem. Sie schworen ihm Revanche. In seiner eigenen Klasse braute sich etwas zusammen. Kopf der Verschwörer war Alois, der durch Elternhaus und Erziehung eigentlich unbeirrbarer Parteigänger Neblichs hätte sein müssen. Aber der Hohn, den Neblich dem faulen Dicken des Öfteren zufügte, trieb den zuweilen auf die andere Seite der Barrikade.

Artur beurteilte den Lehrer gerechter; in einer Art abwartender Hochachtung. Stirnrunzelnd beobachtete Neblich, dass Artur seine Leistungen etwas drosselte, um nicht Klassenerster zu werden. Was Fräulein Marein fremd gewesen war, bei Neblich wurde der Klassenerste Aufpasser, der in den Pausen an die Tafel schreiben musste, wer sich laut und ungesittet betragen hatte. Das war nichts für Walter Beckers Sohn. Gern überließ er den Angeberposten einem Willigeren, meist war es Reggi.

Auf die Enttäuschung über die ausgefallene Siegesfeier kam Kaspar in geheimer Mission zu Artur. Alois schicke ihn. Ob Artur mitmache, bis auf Reggi seien schon alle Jungen der Klasse dabei. Wobei? wollte Artur wissen. Das wisse er selber nicht, erklärte Kaspar, aber sie scheinen ein dolles Ding vorzuhaben. Heute Nachmittag Beratung in Bemmlers Schuppen auf dem Hof hinter der Bäckerei. Artur überlegte, und seine Neugier siegte. Er sagte zu.

Kaspar kam nach dem Mittagessen. Sie machten Schularbeiten, dann wurde es Zeit loszutraben. Es hatte geschneit, der Schnee war liegen geblieben. Jede Schlitterbahn auf ihrem Weg probierten sie aus.

In der 'Nähe der Bemmlerschen Bäckerei erwartete sie Bruno als Posten. "Wo bleibt ihr denn, alle andern sind schon da", schnauzte er die beiden an. Erst auf ein bestimmtes Klopfzeichen wurde ihnen die Tür zum Schuppen geöffnet. Ihre Augen mussten sich an ein geheimnisvolles Halbdunkel gewöhnen. Über einen wurmstichigen Tisch war eine zerschlissene Decke gebreitet. Die flackernde Kerze in einem Flaschenhals kleckerte ihr Wachs auf den Samt. In einer zweiten Flasche steckte ein Tischbanner aus Pappe mit einem schwarzen Totenkopf und gekreuzten Knochen darunter. Die Geheimbündler hockten auf wackligen Stühlen und zerfaserten Sesseln. Artur sah, dass höchstens zwei Drittel der Jungen aus der Klasse gekommen waren. Alois schlug dreimal mit einem verrosteten Rapier auf den Tisch, dass der Staub aus dem Samt qualmte. "Gefährten! Da nun alle da sind, lasst uns beim Säbel unsres Bundes schwören, dass wir schweigen werden wie das Grab." Sie mussten den rostzerfressenen Stahl berühren und im Chor beteuern: "Wir schwören!" Wieder drosch Alois Staub aus dem Mottenfraß und fuhr in der feierlichen Prozedur fort: "Truchsess, verlese den Plan."

Ernst Heimerdinger, des Dicken bester Freund, erhob sich und las aus einem Schulheft vor: "Vorhut, Gruppe A sichert den Weg, hängt Gartentür aus; Hauptmacht, Gruppe B, dringt zum Fenster vor, wirft Stein an Leine über Fahnenstange, entert sie; Nachhut, Gruppe C, sichert nach rückwärts, deckt Abmarsch."

Artur musste grinsen; zum Glück sah es niemand beim ungewissen Kerzenschein. Es war genau die Art kopiert, in der Neblich bei seinen Kriegserzählungen die Situation zu erläutern pflegte.

"Wir schreiten zur Aufteilung der Gruppen", verkündete Alois.

Artur trat zum Tisch. "Kann ich mal was fragen?"

Alois sah ihn nur ungehalten an, und so fragte Artur ohne Erlaubnis: "Ihr wollt die Fahne von Neblich klauen?"

"Plan wird ausgeführt, Fragen gibt's nicht", erklärte Alois, wiederum die Erzählweise Neblichs kopierend.

"Meinetwegen", sagte Artur, "dann kann ich ja gehen."

"Du hast geschworen", fauchte Alois.

"Dass ich nicht quatschen werde. Aber das mit der Fahne ist doof."

Aus dem zustimmenden Gemurmel merkte Alois, dass Artur nicht wenige Anhänger hatte. "Scher dich zum Teufel", fauchte Alois, "und die andern Feiglinge können gleich mitgehen!"

"Adjes", sagte Artur spöttisch und wandte sich zur Tür. Über die Hälfte des Geheimbunds nutzte die Gelegenheit, ebenfalls in die Unschuld zu flüchten.

"Es heißt auf Wiedersehn, du Französling." Alois huldigte der Manie jener Tage, jedes als fremdländisch verdächtige Wort auszumerzen.

"Heute nicht mehr", parierte Artur, riss den Riegel zur Seite und trat hinaus in die frische Winterluft.

"Wenn einer plaudert, schlagen wir ihn zu Puppenlappen!" kam die Stimme des Dicken aus dem Geheimbund-Dämmern, dann knallte die Tür zu.

Betreten umstand die Schar Artur, erwartungsvoll sahen sie ihn an. Ihm fiel nichts Besseres ein als die Aufforderung: "Los, zum Teich!"

Mit den Pantinen klappernd rannten sie zu jenem Tümpel, aus dem sich Karle Leutner im Sommer mit Salamandern versorgte. Die primitive Umzäunung des Teiches hinderte weder im Sommer noch im Winter die Jugend Reinshagens sich ihre Freuden dort zu suchen. Als Arturs Trupp ankam, herrschte reges Treiben auf dem Eis. Viele liefen Schlittschuh, andere schlitterten. Dem Übermut der dem Geheimbund Entronnenen waren die vorhandenen Schlitterbahnen nicht lang genug. Sie eröffneten eine neue über die ganze Länge des Eises. Man musste mächtigen Anlauf nehmen, um es bis zum andern Ufer zu schaffen. Wer die ganze Bahn, noch dazu in hockender Stellung bewältigte, wurde mit einem bewundernden 'Ah' der Mädchen belohnt. Artur und Kaspar glitten Hand in Hand bis zum andern Ufer. Solcher Ruhm ließ Bruno nicht ruhen, und er absolvierte die halbe Strecke auf dem Allerwertesten. Auch rückwärts zu schlittern war neu, noch origineller allerdings, lang auf dem Bauch liegend. Schließlich erschöpften sich einmal alle Variationen, und die Helden des Tages fanden ihr Pulver verschossen. Doch Kaspars Ruhmsucht war noch keinesfalls gesättigt. Erntete er im Unterricht nie Beifall, hier auf dem Eis wollte er ihn bis zur Neige kosten. "Machen wir Sumpfeis!" rief er. Ein Schrei der Mädchen antwortete, halb erschrocken, halb sensationsgierig. Das entschied über die Zustimmung der abtrünnigen Geheimbündler. Sie bildeten einen Knäuel, sprangen und stampften, bis das Eis in unzähligen Sprüngen barst. Nun fassten sie sich unter und liefen in einer Kette über die bearbeitete Fläche. Wie gewünscht reagierte das Eis, bildete unter der Last ein Tal, um sich hinter ihr wieder zu heben. Schneller mussten sie laufen, das Tal wurde tiefer. Mehrere mahnten, es nun genug sein zu lassen, sie würden sonst einbrechen. Aber Kaspar lechzte nach mehr Applaus. Er ging weit zurück aufs hart gefrorene Land, um einen langen Anlauf zu haben. Laut warnten die Freunde; still, mit leicht geöffneten Mündern, starrten die Mädchen. Nur Erika Borbachs helle Stimme schloss sich dem Protest der Jungen an: "Wenn du einbrichst, Kaspar, musst du ertrinken!" Genau das fehlte ihm. Endlich mal hatte jemand seinetwegen Angst. Kaspar band die Schnüre um den Spann fester, mit denen sie ihre Pantinen für den Eistanz befestigt hatten. Dann rannte er los. Großartig, dieses Senken und Beben des Eises. In der Mitte der zerstampften Fläche brach Kaspar ein. Sein Gesicht spiegelte Entsetzen. Schnell sank er, das Wasser stand ihm bis zum Hals. Erikas Befürchtungen waren übertrieben gewesen. Tiefer als eine Kasparlänge war der Teich nicht. Die Hände der älteren' streckten sich dem Erschrockenen entgegen, zerrten ihn aufs Trockene, während die Kleinen schreiend davonrannten.

Artur und Bruno drehten Kaspars Jacke wie einen Strick zusammen, sprudelnd entäußerte sie sich des eingesaugten Wassers. Andere taten es ähnlich mit Kaspars Sweater und Strümpfen. Unter Zähneklappern betonte Kaspar, wie verdammt lustig das alles sei.

"Hopsen, hopsen - feste bewegen", mahnte Erika, "und dann rasch nach Hause."

"Kommt nicht infrage", protestierte Kaspar, "erst muss alles trocken sein."

"Schandeckels", ertönte der Alarmruf. Über den Hügel kamen zwei Blaue auf den Tümpel zu. In entgegengesetzter Richtung sausten die Kinder davon. Kaspar vorneweg im Hemd.

Nach Luft schnappend blieben die Jungen hinter der alten Feldscheune stehen. Endlich konnte Kaspar das nasse Hemd abstreifen. Zwei zwirbelten es, dass es in den mürben Nähten krachte, während Artur des Freundes blau gefrorene Haut mit den Fäusten rubbelte. "Rasch alles an, und dann auf'm Umweg nach Hause", kommandierte er.

"Iiich - k-kann - niiicht, Jungs", bibberte Kaspar, "die Hucke voll ist schlimmer als frieren."

Alle unterstützten Arturs vernünftigen Ratschlag, doch Kaspar blieb bockbeinig. Lieber wollte er kaputtfrieren als so nach Hause gehen.

"Der Kanonenofen in Bemmlers Schuppen wäre jetzt das Richtige", sinnierte Franz halblaut.

"Noch besser Bemmlers Backstube", übertrumpfte ihn ein anderer. Ein Hoffnungsschimmer verklärte Kaspars weißblaues Gesicht. Artur kratzte sich lange den kurz geschorenen Kopf. "Wenn der Dicke nicht solch madiger Hund wäre. Ohne den kommen wir nicht rein in die Backstube."

"Du musst ihn breit schlagen", forderte Franz.

Im Dauerlauf rannten sie los. Geräuschvoll brachen sie in das Geheimbund-Nest ein. Unsicher schaute Alois auf die Meute, leise hoffend, sie hätten es sich anders überlegt.

"Alois", Artur ging aufs Ganze, "schmuggle Kaspar in die Backstube; er ist eingebrochen und muss seine Sachen trocknen."

Der Dicke sah seinen verhagelten Weizen wieder aufblühen. "Einverstanden - wenn ihr mitmacht."

"Das hat damit nichts zu tun."

"Dann raus mit euch!"

Artur trat dicht an den Dicken heran. "Kaspar holt sich den Tod, wenn du ihm nicht hilfst."

"Soll er sich nach Hause scheren."

"Da schlägt mich mein Vater tot", erklärte Kaspar.

"Mach mit, dann kannst du weiterleben."

"Pass Obacht", Artur packte Alois' obersten Jackenknopf, "wenn du nicht hilfst, werden wir der ganzen Schule erzählen, wie gemein du bist." Er wandte sich zu den anderen: "Nicht war, Jungs?"

"Jawoll!" trompeteten sie einstimmig.

In Alois' Augen glitzerte es. Er musste nachgeben. "Na gut", entschied er. Jovial sagte er dann: "Komm, Kaspar", und zu seinem zusammengeschmolzenen Häuflein. "Morgen sprechen wir weiter."

Artur und Kaspar verabschiedeten sich mit Handschlag. "Ich drück' den Daumen, dass dein Vater nichts merkt."

Beruhigt trabten die Jungen nach allen Richtungen davon.

Am nächsten Morgen gingen ihnen die Augen über vor Staunen. Neblich trat ins Klassenzimmer; verzichtete auf das gemeinsame Gebet und rief mit strenger Stimme: "Kaspar Leutner, stehe auf!"

Langsam, blässlich, erhob sich Kaspar.

"Warum flaggt ihr nie bei unsern Siegen?"

"Ich - ich weiß nicht, Herr Neblich", stotterte Kaspar.

"Aber aus Hass, dass andere flaggen, stiehlst du ihnen die Fahne?"

"Ge-gestohlen hab' -habe ich sie nicht."

"Du hast sie heruntergerissen wie ein Vandale. - Hier vorn stell dich her; mit dem Gesicht zur Wand. Bis Schulschluss. Wer mit dir spricht, kommt daneben. Zu Morgen schreibst du hundertmal den Satz: "Ich schäme mich vor Gott und dem Lehrer für meine hässliche Tat."

Unterdrückte Aufregung herrschte in der Klasse, kurze geflüsterte Fragen, Schulterheben, Augenzwinkern. Nur Alois wirkte ruhig und ausgeglichen.

In der ersten Pause ging Artur unbekümmert zu Kaspar.

"Wie bist du denn dazu gekommen?"

Kaspar ließ grämlich die Mundwinkel hängen. "Der Dicke hat dauernd gedrängelt, wenn ich nicht ja sage, muss ich aus der Backstube, und er erzählt's Vater."

"Und dann hast du's gemacht?"

Kaspar senkte den Kopf. "Er hat Schmiere gestanden."

"Setz dich hin, Artur", rügte Reggi, "sonst kommst du an die Tafel."

Artur beachtete ihn nicht und fragte Kaspar: "Wer war noch dabei?"

"Keiner."

"Und niemand hat euch gesehen?"

Kaspar schüttelte heftig den Kopf.

Artur drehte sich um und ging auf Alois zu, der ein Gesicht machte, als sei nichts vorgefallen. "Du hast ihn verraten!"

Überrascht von der plötzlichen Beschuldigung, lehnte sich Alois verlegen zurück und zeigte Artur einen Vogel.

"Du warst dabei, bist der Einzige, der es gewusst hat", rief Artur wütend. Erregt sammelte sich die Klasse um die beiden.

Alois versuchte an Artur vorbeizusehen und rief zur Tafel: "Reggi, wer Radau macht, soll aufgeschrieben werden!"

Stolz wandte sich Reggi um. "Schon dran."

"Hilf ihm nur", Artur drohte zur Tafel hin, "deswegen sag ich dem Drecksack doch, was er ist. Erst kriegt er Kaspar rum, Neblichs Fahne abzureißen, weil er selbst zu feige ist, und dann verpetzt er ihn."

Rufe des Abscheus und der Verachtung mischten sich mit saftigen Schimpfwörtern gegen Alois. Der verteidigte sich hochroten Gesichts: "Schwindel doch nicht drauflos, du Piepknecht, ich habe Herrn Neblich nichts gesagt."

"Dann hast du zu einem andern gequatscht, und der hat's gepetzt", schrie Artur, "das ist genauso gemein!"

Wie das Wasser einer Pfütze, in das ein Stein klatscht, spritzten sie auseinander, als Neblichs scharfes Organ ertönte: "Ist hier ein Tollhaus?"

Unbeweglich wie Marionetten saßen sie und senkten die Köpfe. Jeder suchte sich hinter dem Vordermann zu verstecken. Jetzt kam ein Gewitter, wehe, wen der Blitz traf. Neblich sah zur Tafel. Einsam prangte dort ein Name: "Artur Becker. Neblich rief den Sünder: "Steh auf!" Artur tat es und sah den Lehrer an.

"Warum warst du laut?"

"Ich hab dem - dem da", er zeigte auf den Dicken, "die Wahrheit unter die Nase gerieben." Zustimmendes Gemurmel war zu hören. Unbeherrscht klatschte Neblich mit der flachen Hand aufs Pult. "Ruhe bitte ich mir aus!" Lauernd richtete er seinen Blick auf Artur. "War es auch wieder solch eine Weisheit wie: Mit schönen Reden wird noch lange kein Krieg gewonnen?"

Puterrot wurde Artur, doch er hielt tapfer dem Blick Neblichs stand und erwiderte: "Die alles aushecken und dann alles verpetzen, die werden nicht bestraft."

Einen Augenblick sah es aus, als wollte sich Neblich auf den Jungen stürzen. Dann richtete er sich kerzengerade auf und hatte sich wieder in der Gewalt. "Du maßt dir Urteile an, die dir nicht zustehen. Du bist hoffärtig, undiszipliniert, Artur Becker, dir fehlt die rechte Gottesfurcht. Damit du in dich gehst, stellst du dich neben Kaspar Leutner. Damit die Strafe Nachhall in deiner Seele findet, sehe ich morgen hundertmal den Satz von dir: Ich soll gegen meinen Lehrer nicht respektlos sein."

Artur stellte sich neben Kaspar und knuffte ihn heimlich kameradschaftlich. Teufel, war das Leben verzwickt. Da hatte er den unsinnigen Vorschlag des Dicken mit Neblichs Fahne von sich, Kaspar und den Freunden abgewehrt, und nun war wie durch eine Hintertür das Schicksal über Kaspar und ihn gekommen. Neblich hätte doch reinen Tisch machen können, alle bestrafen und den Anstifter Alois am meisten, diesen - diesen Judas. Artur freute sich eine Weile an dem treffenden Wort, das ihm aus der Religionsstunde eingefallen war. Wenn der Neblich nicht mal hier gerecht war, wie hielt er es dann in den großen Dingen?

Endlich war auch dieser schwere Vormittag zu Ende. Wieder einmal im Leid verbunden, gingen die beiden Sünder nebeneinander nach Hause.

Artur hoffte inständig, dass der Vater an diesem Abend Zeit für ihn habe. Er musste mit ihm über die Sache reden. Sie unterhielten sich jetzt seltener als früher. Die Schufterei bei der längeren Arbeitszeit, der Kummer über den Krieg, dem auch die sozialdemokratischen Führer die Kredite bewilligten, hatten den Vater müder und stiller gemacht. Dabei musste er noch froh sein, dass er bis jetzt nicht eingezogen worden war. Als zuverlässigen Facharbeiter hatte ihn die Firma reklamiert. Dem Vater war es recht, er war gar nicht wild darauf, den Heldentod zu sterben. Doch wusste er auch, dass besonders die "Schleimscheißer" reklamiert wurden, denen aber fühlte er sich am allerwenigsten zugehörig.

Gleich nach dem Abendessen tauchte Borbach auf, und Artur wusste, dass heute wieder nichts aus der Unterhaltung werden würde. Dafür gab es allerhand Interessantes aufzuschnappen. So setzte er sich still in eine Ecke und tat, als lese er.

Borbach fragte, ob Grundewski Bescheid wisse. Vater Becker winkte ab, an dem sei Hopfen und Malz verloren. Sie stritten eine Weile darüber, denn Borbach meinte, man müsse mit allen Arbeitern sprechen, Fäuste ballen im stillen Kämmerlein nütze wenig gegen den Krieg. Dann holte er eine Zeitung hervor, mit vielen rot angekreuzten Stellen. Vater las sie und wurde immer aufgeräumter. So lebendig hatte ihn Artur lange nicht gesehen. Ausdrücke fielen, deren Sinn er nicht verstand: Revisionisten, Sozialchauvinisten, Baseler Beschlüsse, Gummimann Haase und seine fünfzehn Lendenlahmen, die wieder einmal im Reichstag umgefallen seien. Eins wusste Artur, als er sich müde in seine Kammer stahl: Karl Liebknecht war der Einzige gewesen, der den Kriegsmachern und ihren Helfern im Reichstag die Wahrheit gegeigt hatte. Und in Borbachs Zeitung hatte etwas gestanden, was Liebknecht im Reichstag nicht hatte sagen dürfen: Die Großen mit ihren Generalen logen nur von Vaterlandsverteidigung, in Wirklichkeit wollten sie andere Länder erobern, damit sie noch mehr Menschen unter ihre Fuchtel kriegten, die für sie schuften sollten.

Artur war stolz auf seinen Helden Karl. Als Einziger gegen ein paar Hundert auftreten, dazu gehörte Mut.

... und nicht auf den Knien

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