Читать книгу Koblanks - Erdmann Graeser - Страница 6
3
ОглавлениеAls der schöne Ferdinand erklärt hatte, daß er am nächsten Donnerstag nicht fahre, weil er etwas »Wichtiges« vorhabe und deshalb den ganzen Tag frei haben müsse, war es in der Brauerei zu einer unerwartet scharfen Auseinandersetzung gekommen. Ferdinand merkte, daß dahinter etwas stecken mußte, daß man etwas gegen ihn hatte – gegen ihn, der doch von jeder Ausfahrt neue Kundschaft brachte.
Gut, dann wollte er es darauf ankommen lassen, ob man ihm wirklich kündigte. Aber ihm war doch etwas unbehaglich, als er nun heute früh statt des weißen Drillichanzuges seinen guten, schwarzen Rock angezogen und statt der Mütze einen harten, runden Hut aufgesetzt hatte. Die Sachen hatten, weil er sie fast nie brauchte, in der Mottenkiste gelegen und rochen nach persischem Insektenpulver – ein Geruch, der Ferdinand immer an Tod und Begräbnis erinnerte, da er die Sachen bisher nur bei solchen traurigen Gelegenheiten getragen hatte.
Und dieser Geruch saß ihm in der Nase und wirkte auf seine Stimmung. Der Rock paßte ihm außerdem nicht mehr, war zu eng geworden und kniff ihn in den Achselhöhlen. Und der Teufel wußte, wie es zuging, aber in diesem Anzug wurde er stets ein tolpatschiger Bursche, der sich selbst ungeschickt vorkam.
All das aber hatte ihn nicht gehindert, sein Vorhaben auszuführen, zu Fuß nach der Lindenstraße zu gehen und die Landpartie mitzumachen.
Eine merkwürdige Gesellschaft, die da, in dem Kremser vereinigt, von den zwei mageren, sehnigen Pferden gezogen, unterwegs nach Pichelsberge war. Herr Zibulke hatte einen »Salz- und Pfeffernen« an und sah mit dem vorgebundenen Chemisett und dem breiten Umlegekragen ganz manierlich aus. Seine Frau aber schien nur aus einem türkischen Umschlagetuch und einem Kapotthut mit Kamillenblüten zu bestehen, denn der Kopf war ihr auf die Brust gesunken – sie schlief, trotz der holperigen Fahrt. Fräulein Auguste war ganz in Weiß mit einer schottisch karierten Schärpe und einem Florentiner mit Vergißmeinnicht. Sie saß neben Ferdinand und lutschte Fruchtbonbons, weil sie den Schlucken bekommen hatte – einen hartnäckigen Schlucken von solcher Heftigkeit, daß sie jeden Augenblick zusammenfuhr. Der Herr neben ihr, ein Onkel oder Vetter – Ferdinand verwechselte die Verwandtschaftsgrade noch –, hatte eine riesige grüne Botanisierbüchse auf den Knien, die ganz mit blauen Pflaumen gefüllt war. Trotzdem ihn seine Frau, bei der sich eine Korsettstange gelöst und durch das »Lila-Seidene« gebohrt hatte, dringend warnte, hörte er nicht auf sie, aß unentwegt Pflaumen und spuckte die Kerne über den Kopf eines kleinen, blonden Mädchens, das sich dann jedesmal sein Haar befühlte und »Aua!« sagte.
Auch die übrigen Personen waren Verwandte, aber Leute, die es nicht so gut verstanden hatten, in der Gründerzeit reich zu werden, wie der »olle Zibulke«, und die nun heute, auf seine Kosten, einen guten Tag leben wollten. Denn das schätzten sie an ihm: Wenn er sie einmal einlud, dann knickerte er mit dem Gelde nicht, so genau er sonst auch mit jedem Pfennig zu rechnen verstand. Freilich, solche Einladung war ein seltenes Ereignis und hatte immer ihren bestimmten Grund – heute konnte man ihn sich denken, wenn man auf den strammen Bierfahrer und Gustchen sah. Verständnisinnige Blicke flogen hin und her. Gewiß, gewiß – einen solchen Schwiegersohn hätte sich jede der Frauen gewünscht, wenn er – was gehabt hätte! Aber er hatte doch nichts! Na, Zibulke konnte es sich ja leisten – wo hätte er denn schließlich auch sein Geld lassen sollen. Es war höchste Zeit, daß Gustchen einen Mann bekam!
Die Männer nuppelten an ihren Zigarren, deren Stummel sie in kleine Weichselrohrspitzen steckten oder auf Streichhölzer spießten, wenn sie sie mit den Fingern nicht mehr halten konnten. Der eine war Schuhmacher, der andere Klempner, ein dritter Glaser – alle selbständige Leute, die es sich leisten konnten, mal einen Tag im Jahr ihr kleines Ladengeschäft zu schließen, um einen Ausflug zu machen.
Und sie sprachen von den Freuden, die ihrer warteten. Man wollte Kahn fahren, schaukeln und nach der Scheibe schießen, man wollte Kaffee kochen, im Walde lagern, das mitgenommene Viertel Bier trinken, das zwischen den Hinterrädern des Kremsers schaukelte. Die Hauptfreude aber galt dem Mittagessen – die Frauen waren froh, daß sie einmal nicht selbst zu kochen brauchten.
»Sie jlooben janich, za Hause esse ick fast nie ordentlich, der Geruch macht mir schon immer satt, wenn ick selber koche«, sagte die Glaserfrau, »aber jehen wir mal ins Lokal, kann ick die Portsjon nich jroß jenug kriegen!«
Doch die Schustersfrau, an die sie sich gewandt, rückte unruhig hin und her und sagte halblaut: »Wenn bloß die Männer nich immer herkiekten – ick möchte mir jerne mein Küh abschnallen, ick kann uff det Ding nich mehr sitzen!«
»Sie haben es sich woll alleene jemacht – na ja! Wenn eener die Mode mitmachen will, muß er ooch schon det Jeld dafor ausjeben. Meins sitzt – is aber ooch een jekooftes!«
Auch zwei junge Mädchen waren noch da, Töchter dieser Mütter, die Fräulein Augustes Schlucken komisch fanden. »Huppla – jetz denkt er an mir«, sagte die eine jedesmal, wenn Auguste zusammenzuckte. »Det wär’ ja ooch noch scheener, wenn er an ’ne andere dächte«, meinte die zweite Kusine und sah Ferdinand lachend an. »Jott – wie könnte ick den Mann lieben, wenn er meiner wäre! So’n Jerippe – die Juste – bloß weil sie Jeld hat! Nee – die Männer taugen allesamt nischt«, flüsterte sie dann der anderen zu.
»Besser wie’n Mops sieht er ja aus, aber meiner müßte schwarz sind. Neulich war een Italjener mit ’nem Leierkasten bei uns uff’n Hof – ick sage dir: Schwarze Locken und Jlutoojen!«
Der weiße Staub, den die Räder und die Pferdehufe aufwühlten, schwebte ständig als Wolke hinter dem Kremser – aber nun kam der Wagen auf die Waldchaussee, man hörte Finkenschmettern und das Hämmern des Spechtes. Im Weggraben blühten blaue Glockenblumen und rote Federnelken, Schmetterlinge taumelten träge dahin, und zuweilen drang eine Welle würzigen Kiefernadelduftes in den Wagen.
Da bekam man sofort Hunger und packte die mitgenommenen Frühstücksvorräte aus: Butterstullen, mit Schweizer Käse oder Schinken belegt, Schrippen, mit Braunschweiger Wurst bestrichen, sogar halbe Zervelat- und Leberwürste kamen zum Vorschein, Karbonaden und harte Eier. So genügsam diese Leute sonst auch lebten, so packten sie doch für Landpartien stets ein, als fürchteten sie, da draußen nicht das geringste zu erhalten. Aus Bierflaschen wurde schwarzer Kaffee getrunken, und die Männer nahmen aus Feldflaschen, die sie in der Rocktasche aufbewahrten, einen Schluck Kümmel.
Die Stimmung, die vorher abgeflaut, war nach dem Essen sofort wieder lebhaft. Frau Zibulke blickte jetzt munterer um sich und zeigte wieder ihren einzigen Vorderzahn – ein langes, gelbes Ding, wie es Bulldoggen besitzen.
»Wozu wir eijentlich so weit fahren!« sagte sie kopfschüttelnd. »Man hat nischt von, is nich ausjeschlafen und muß nu schwarze Lorke trinken, wo man so schön an’n Kaffeetisch sitzen könnte. Jrade, ehe es losjing, kam erst der Milchmann! Der Bäckerjunge war überhaupt noch nich da, und der Frühstücksbeutel mit die Schrippen wird nu den janzen Tag an die Türe bammeln, bis sich die olle Lorenzen oder die Kinder von Kieperts die Semmeln holen. Vielleicht brechen sie ooch in, denn dadran merken die Diebe, det keener nich zu Hause is. Uff det Meechen, die Liese, is ja keen Verlaß nich! Die schließt hinten ab und jeht mit ihrem Jrenadier in die Hasenheide!«
So nöhlte die Alte vor sich hin, ohne daß sich jemand um sie kümmerte. Nur Herr Zibulke sagte: »Kenn’ ick – weeß ick. Nu sei still, Mutter, schlaf weiter, wir wecken dir, wenn’s soweit is.«
»Is dein Schlucken noch nich weg?« erkundigte sie sich dann bei der Tochter. »Du mußt dir uff’n Magen drücken und die Puste anhalten, solange wie’ste kannst!«
»Hab’ ick alles schon jemacht, Mutter!«
»Na – denn weeß ick nich! Denn laß dir von Onkel Fritzen ’ne Prise jeben und niese mal – det hilft immer!«
Als sie aber sah, daß die Tochter gar nicht hinhörte, wickelte sie sich wieder in ihr türkisches Umschlagetuch, der Kamillenblütenhut sank vornüber, sie schlief weiter.
Ferdinand hatte sein Frühstück aus dem Zibulkeschen Vorratskorb bekommen. Immer wieder hatte ihm Gustchen eine fettgestrichene Stulle, ein paar Eier oder Karbonaden hingereicht. In kleinen Endstücken blauer Kaffeetüten hatte sie Salz und Pfeffer, und in einem henkellosen Tassenkopf führte sie sogar Mostrich bei sich. Denn sie liebte alles scharf gewürzt, und als besondere Delikatesse hatte sie deshalb auch ein paar saure Gurken mitgenommen, die ganz zum Schluß vorgeholt und redlich mit ihm geteilt wurden.
Der böse Schlucken hatte sich endlich beruhigt, und als nun die Kusinen zu singen begannen, stimmte sie mit ein:
»Im Wald und auf der Ha–ide –
Da hab’ ich meine Freu–ide –
Ich bin ein Jägersmann ...«
Und singend kam man auf die tiefgelegene Chaussee, die sich am Wasser hinzog, und hielt endlich vor dem großen Gartenlokal.
Dort war es gar nicht so still und einsam, wie man erwartet hatte. Vor der Ausspannung hielten schon mehrere Kremser, und unten, am Wasser, saßen – an zusammengerückten Tischen – ein paar andere Gesellschaften. Berliner, die es sich ebenfalls in der Woche geleistet hatten, hinaus ins Grüne zu fahren. Von der Kegelbahn herüber klang das Rollen der Kugeln und das Krachen der zusammenstürzenden Kegel und gleich darauf immer die Stimme des Jungen: »Jrenadier!« oder »Alle Neine!«
Der Kellner, ein älterer Mann in Hemdsärmeln und mit blauer Latzschürze, näherte sich und sah mit philosophischer Gelassenheit zu, wie die Ankömmlinge im Garten umherirrten. Denn immer, wenn ein Teil der Gesellschaft schon saß, machte dieser oder jener den Vorschlag, noch einen günstigeren Platz zu wählen – so zog man von einem Tisch zum anderen, bis endlich Frau Zibulke erklärte, daß sie nun sitzen bliebe, wo sie sitze, und nicht mehr aufstehe.
»Keen Deibel kriegt mir hier mehr weg, det ihr’s wißt – und damit basta!« sagte sie.
»Na – denn wollen wir man ooch!« stimmte ihr Mann zu. Und so gruppierte man sich um die grüngestrichenen Tische, und der philosophische Kellner holte aus seinem Latz eine zusammengefaltete Speisekarte und überreichte sie Herrn Zibulke, den er sofort als das Haupt der Gesellschaft herausgewittert hatte.
Mit ausgestreckter Hand, sie weit von sich haltend, studierte dieser die Karte. »Also – es jibt Wiener Schnitzel und –«
»Wie teier?« fragte Frau Zibulke.
»Laß man«, sagte er, »also Schnitzel, denn Rührei mit Schinken, denn Jänsebraten – det is allens! Ick bin for Jänsebraten – wenn er jut is, Meester?« fragte er den Kellner. »Wir haben nischt Schlechtes«, sagte der Kellner. »Aber Sie können ooch noch Brathecht kriegen – janz frischen!«
»Man bloß nich – mit die ville Jräten«, sagte Frau Zibulke, »kaum hat man wat innen Mund jesteckt, denn muß man’s wieder ’rausholen. Denn schon liebers Jänsebraten – wenn’s wahrscheinlich ooch det Teierste uff die janze Karte is!«
»Scheen – also Jänsebraten«, sagte der philosophische Kellner, »eenmal, zweemal oder wie ville? Also for alle Herrschaften – det kleene Fräulein da ooch ’ne janze Portsjon? – ick frage man bloß zur Sicherheit. Wünscht eener der Herren den Teil mit’n Stietz – denn det jibt Liebhaber dafor.«
Ja – Herr Zibulke selbst war Liebhaber des Schwanzstückes. »Mir schadet keen Fett nich«, sagte er, »andere kriegen jleich immer Jrieben ins Gesicht – ick nich. Bloß ’n juten Konjack muß ick nachher haben!«