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Ein langer Plankenzaun, grün geworden von Wind und Wetter. Dahinter hohe Holzstapel, schwarze Berge von Steinkohle und Torf. Über der Einfahrt ein ehemals weißes Schild, geschmückt mit einem Paar gekreuzter Hämmerchen, in der Mitte die Inschrift: »Holz- und Kohlenhandlung von Karl Schmidt«, kaum noch leserlich. Ein von pulverisierter Kohle schwarzgefärbter Weg führte von der Möckernstraße zu einem ausrangierten Güterwagen ohne Räder, über dessen Tür das Wort »Comptoir« stand. Die Fensterchen waren mit kleinen Gardinen verhängt und vor jedem ein grüner Kasten angebracht, in dem Fuchsien, Oleanderableger in Bierflaschen und Heliotroptöpfe standen.

Kam man im Winter in diesen Raum, so prallte man zurück vor der übergroßen Hitze, die darin herrschte, aber auch heute – an diesem schönen Herbstnachmittag mit goldenem Sonnenschein – war das »Comptoir« schon geheizt, denn der alte Herr Schmidt liebte die Wärme. Er saß in einem hohen Lehnstuhl vor seinem Rollpult, die Stahlbrille, deren Bügel tief ins Fleisch schnitten, auf der Nase und blätterte in seinen Kundenbüchern. Vor ihm, am Fensterchen, hüpfte in einem Holzbauer trillernd ein Kanarienvogel. Zu Füßen des Alten lag ein gelber, struppiger Hund, der jähzornig nach den großen, blauen Fliegen schnappte, die ihn umsummten, dann aber seine Aufmerksamkeit gleich wieder auf die Tauben richtete, die nickend und pickend auf dem freien Platz vor dem Eingang der Bude stolzierten. Da – plötzlich erhob sich der Schwarm mit knatterndem Flügelschlag und ließ sich dann in weitem Rundbogen auf dem schwarz gewordenen, schrägen Ziegeldach des nahen Wohnhauses nieder. Gleich darauf erhob sich auch der Hund, dehnte und streckte sich und trottete hinaus.

Herr Schmidt blickte erwartungsvoll über die Brillengläser, dann, als er die Eintretende erkannte, nahm er das Stahlgestell von der Nase und schob es äußerst behutsam in ein Pappfutteral. »Na« – sagte er – »Röschen, du? Wat bringste Schönes? Haste denn heute schon wieder Ausjang?«

»Aber Vater, haste denn Mutters Todestag janz verjessen? Wir müssen doch uff’n Kirchhof!«

»Ach Jott«, sagte der Alte und zwickte seine Nase, »muß ick da wirklich mit? Det Jrab is doch in schönster Ordnung, wird bejossen und jeharkt, Blumen jehen nich mehr druff, so ville sind oben – können wir da nich ooch an Muttern denken, ohne bis nach die Bellejanzstraße zu loofen? Seh mal, es kommen immerfort Kunden, morgen wird’s bitterkalt sind – die Leute wollen Feuerung for’n Winter haben –, ick kann da nich so weg, wie du denkst!«

»Vater, det wäre doch’s erstemal«, sagte Röschen vorwurfsvoll, »Mutter wartet!«

»Meenste wirklich? Seh mal, wenn sie wartet, denn is sie schon eklig, det weeß ick noch von ihre Lebzeit her – jeh man alleene, dir tut sie nischt, und sag, ick lass’ ihr jrüßen!«

Röschen setzte sich neben das Rollpult, schwieg nachdenklich ein Weilchen, hob dann jäh den Kopf und sah den Alten voll an. »Ick jeh’ ja auch alleine, Vater, aber ick habe dir an Mutters Jrab wat sagen wollen ...«

»Det kannste ja ooch hier machen, Röschen – ick weeß ja ooch wat, aber ick jebe nich nach. Nee, ick will nich, det mein eenzigstes Kind wejen so’n Luftikus unjlicklich wird! Der Mann is’s nich wert, det du so an ihn hängst. Und denn, Röschen, so wie du jewachsen bist, und mit det Jeld, wat hier det Jrundstück und det Haus mal bringt, hastet nich nötig, so’n armen Schlucker zu nehmen. Det habe ick dir neulich schon jesagt, und dabei bleibe ick! Du kannst ’ne andere Partie machen – ’n reichen Jastwirtssohn kriegen und mit ihm dann ein Lokal uffmachen. Wozu haste denn drei Jahre als Mamsell jelernt? Nee, meine Tochter soll nich unter ihren Stand und noch dazu mit so’n verdammten Schürzenjäger! Wer weeß, wie ville der schon unjlicklich jemacht hat und wie ville Kinder von ihm in die Welt ’rumloofen. Jib dir also keene Mühe, Röschen – ooch an Mutters Jrab hätte ick dir nischt anderes jesagt, in dem Punkt bin ick fest.«

Röschen trocknete sich die nassen Augen. »Vater, eenen andern nehme ick nu wieder nich, da kannste machen, wat du willst – und wenn du mir haust!«

»Ick werd’ dir nich zu hauen haben! Laß man jut sin – een halbet Jahr später, und du denkst janz anders über die Sache, wenn der Richtige kommt und der andere dir aus’n Kopp is. Und nu jeh man bei Muttern, nimm ihr meinswejen eenen von die scheenen Vanilljentöppe mit, die draußen in’n Kasten stehen!«

Röschen erhob sich, schluckte und würgte, reichte aber dem Vater doch die Hand und wollte gerade gehen, als der struppige Köter wieder kläffend aufsprang und hinauseilte.

Jemand sprach mit dem Hund, der auch sofort ruhig wurde und gleich darauf freudig erregt ins Comptoir stürzte, als wollte er die anderen rufen.

»Det is Timpe«, sagte Herr Schmidt, »ick erkenn’ ihn an die Stimme. Wat is det for’n reizender Mensch, wenn er nüchtern is, aber er kommt um sein Quartal nich ’rum – ’n rechtes Unjlick is det!«

»Scht!« machte Röschen.

Da trat Anton Timpe auch schon über die Schwelle. Auch heute, wie neulich auf dem Tempelhofer Feld, trug er den Schlapphut und die Manchesterhosen, aber statt des Rockes eine Jacke. Der Hals war frei, das Hemd vorn von einem gelb gewordenen Hornknöpfchen zusammengehalten, und auf der Weste baumelte eine dicke Messinguhrkette mit einem Eberzahn als Anhängsel.

Als er Röschen sah, stutzte er. »Na – ooch schon Feierabend jemacht?« fragte er und sah die Kusine prüfend an.

»Is denn schon so spät?« fragte sie. »Denn muß ick aber machen, sonst is der Kirchhof zu, wenn ick hinkomme.«

»Sie looft immer weg, wenn sie mir sieht«, sagte Anton, »ooch jetz noch, bloß weil ick mal ’ne Bemerkung über den Kerl jemacht habe!«

»Kerl – wen nennste Kerl?« sagte sie drohend.

Anton zuckte die Achseln. »Kerl nenne ick eenen, der heute ’n junget, hübsches Meechen ewije Lieb’ und Treue verspricht und morgen hinjeht und sich mit ’n schiefes Jerippe inläßt, bloß weil sie ’n paar tausend Taler mehr hat!«

Röschen starrte ihn an, ohne ihn zu verstehen.

»Na – du weeßt woll noch von janischt, denn laß dir’s von andere erzählen. Aber tröste dir, du bist nich die eenzige, die ihm nachweent, von Tivoli bis an die Jerusalemer Kirche sitzen welch mit sonne jeschwollene Oojen wie du – bloß die schiefe Aujuste lacht sich eens! Na, bei die kommt’s später nach, und denn werden die andern lachen!«

»Det heeßt also?« fragte Herr Schmidt und sah seinen Neffen erwartungsvoll an. »Nee, nu ’raus mit die Maus, Anton, nu will ick wissen, wat los is!«

»Ach – weiter nischt«, sagte Anton, sich an ihn wendend, »der scheene Ferdinand feiert bloß heite Verlobung mit die Tochter von dem reichen Töpper Zibulke aus die Lindenstraße. Es jeht mächtig fix, ooch die Hochzeit soll bald sind, damit er nich wieder auskneift, denn zu trauen is dem ja nich!«

»Det is erlogen und erstunken!« sagte Röschen. Ihr sonst so blühendes Gesicht war aschfahl geworden.

Anton sah verlegen weg. »Ick dachte, du weeßt’s schon, aber du scheinst nich die jeringste Ahnung jehabt zu haben – det tut mir nu leid!«

»Et is sehr jut so«, sagte der alte Schmidt, »lieber dem Hunde den Schwanz jleich uff eenmal abhacken als stückweise! Na – also, Röschen, wat habe ick dir vorhin jesagt? Nu weene nich, sei standhaft, der Kerl is deiner ja nich wert jewesen. Jeh jetzt bei Muttern uff’n Kirchhof, bejieß ihr scheene und verjiß den Vanilljentopp nich! Oder willste nu lieber hier bleiben – wat det Gescheiteste wär’?«

Aber Röschen schüttelte den Kopf und wandte sich zur Tür. Sie weinte nicht mehr, doch ihr Gesicht war starr, die Züge hart und scharf geworden. So ging sie hinaus, und die beiden Männer sahen ihr mitleidig nach.

»Schade«, sagte Anton.

»Wat is schade?« fragte Herr Schmidt.

»Det sie mir nich so liebt«, sagte Timpe, »ick hätte ihr mit ausjestreckte Hände durchs Leben jetragen!«

»Wat sie davon schon jehabt hätte!«

Anton beachtete den Einwurf nicht. »’n Künstlerer is doch wat anderes als so’n Bierfahrer, det steht in die Bibel!«

»Wenn du die Stelle findest, jeb’ ick dir ’n Taler«, sagte Herr Schmidt.

»Et kommt allens uff die rieht’je Auslejung an, hat meine Mutter immer jesagt!«

»Ick schenk’ dir den Taler ooch so«, sagte Herr Schmidt, »denn wenn det wirklich wahr is mit den scheenen Ferdinand, bin ick ’n jut Teil Sorge los!« Er faßte in das Drahtkörbchen vor sich auf dem Rollpult, in dem das Silbergeld lag, und reichte Anton das Geldstück hin.

»Nee, Onkel, lieber nich«, sagte Anton. »Jeld macht mir bloß unjlücklich, ick will dann immer sparen, und det is noch nie nich wat jeworden. Wenn eener jute Vorsätze faßt, is det schon immer een schlechtes Zeichen, denn man bleibt ja doch stets derselbichte. Wozu soll ick mir da ’ne Reue uffpacken, die ick janich nötij jehabt, wenn ick keene juten Vorsätze jefaßt hätte!«

»Wie du willst«, sagte Herr Schmidt und warf den Taler wieder in das Körbchen.

»Oder jib mir den Taler doch«, sagte Anton

»Warum?«

»Mir is eben ’ne jute Idee jekommen!«

»Da«, sagte Herr Schmidt und reichte ihm den Taler wieder hin.

Anton steckte ihn in die Hosentasche und sagte: »Wenn’s ’n Hecktaler wäre, fänd’ er da drinne scheenen Platz for seine Jungen, aber zum Hecken jehören immer zwee!«

Herr Schmidt sah ihn verdutzt an, dann schob er plötzlich das Geldkörbchen zurück und ließ den Deckel des Rollpults herunter. »So«, sagte er, »zerbrech dir nich den Kopf, Anton, et is keen Hecktaler nich.«

»Desto besser – denn braucht er ooch nich lange jewärmt zu werden – aber wat ick sagen wollte, Onkel – meinste nich, det man for Röschen wat tun müßte, det sie bald wieder uff andere Jedanken kommt?«

»Und det wäre?«

»Ick dachte an die Hasenheide!«

»Dachste?«

»Ick zum Bleistift kann mir manchmal so unjlücklich fühlen, det ick mir am liebsten den Kopp alleene abhacken möchte, wenn ick denn abers ’n Brilljantfeierwerk jesehen habe, fühle ick mir jleich wieder jehoben. Det wäre wat for Röschen.«

»Ick bin lange nich dajewesen«, sagte Herr Schmidt.

»Du wirst staunen«, sagte Anton, »wie sich det da verändert hat. Da is ’n Eisbär zu sehen, der zehn Matrosen jefressen hat, eh’ sie ihn jefangen haben. Und ’ne Seejungfrau – obenrum wie so’n richt’jes Meechen, aber unten hat se ’n Fischschwanz.«

»Det interessiert mir schon mehr, kann man denn da aber mit seine Tochter hinjehn?«

»Et is for Herren und for Damen«, sagte Anton eifrig, »außadem is sie ja aber in nasses Seejras jewickelt, und wenn sie ufftaucht, is es man immer bloß for’n Oojenblick wie bei die Seeotter im Zapperlotschen – ’ruff– ’runter, ’ruff– ’runter!«

»Warum? Da hat man doch nischt von!«

»Sie kann det Tageslicht nich vertragen, denn sie lebt doch sonst uff’n Meeresjrund. Wenn sie ’mal stillhält, wirste ja sehen, wie sie immerfort mit die Oojen plinkern muß.«

»So hängt det also zusammen«, sagte Herr Schmidt, »ja – ick wär’ schon dafor, wenn man Röschen wollte.«

»Wenn du’s ihr sagst, wird se schon wollen. Sie brauch’ ja nich zu wissen, det ick ooch bei bin. Wir treffen uns da so zufällij.«

»Na – wollen mal sehen, wenn sie nächstens wieder Ausjang hat, ick sage dir dann noch Bescheid!«

»Scheen, Onkel!«

»Aber«, sagte Herr Schmidt, »mach dir lieber keene jroßen Hoffnungen von wejen! Du weeßt doch nu, wie sie sich ihren Zukünftigen vorstellt – und du siehst jrade entjejenjesetzt aus.«

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