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Der Mahdi Mohammed Ahmed nach arabischen Quellen

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Die wichtigste arabische Quelle über den Mahdi Mohammed Ahmed außer seinen eigenen Proklamationen stammt von dem Ägypter Naum Bey Suqair, der an verschiedenen Expeditionen der Engländer teilgenommen hatte – 1885/86 unter Wolseley; 1891 vor Tokar, 1897 in Dongola, 1898 Omdurman. Bei dieser Gelegenheit gerieten ihm die wichtigsten Quellen in die Hände. Eine davon war die Lebensbeschreibung des Mahdi von einem seiner Anhänger, Ismâil Abd el-Qâdir, die jedoch von dem erklärten Gegner des Mahdiismus Suqair als Lobhudelei und Schmeichelei gegenüber dem Mahdi angesehen wurde. Trotzdem wurde Ismâil beschuldigt, missgünstige Fälschungen durchgeführt zu haben, die der Ehre des Mahdi abträglich seien. Daher wurde er vom Kalifen Abdullahi verbannt und sein Buch mit Ausnahme eines einzigen Exemplars, das ein Schreiber verborgen hatte, verbrannt. Suqair kostete es viel Mühe, dieses Exemplar zu erlangen, das er trotz der darin enthaltenen Übertreibungen im Großen und Ganzen als zuverlässig ansah. Außerdem konnte er nach der Schlacht bei Omdurman (1898) auch in die erbeuteten Schriften des Kalifen und des Mahdi Einsicht nehmen. Folgt man diesen arabischen Quellen, dann ergibt sich ein anderes Bild als das, welches mit Ausnahme von Winston Churchill von den meisten europäischen Beurteilern vertreten worden ist, die ihn von vornherein als listigen, grausamen und machtgierigen Betrüger ansahen. Man muss sich also hüten, Mohammed Ahmed so rasch und oberflächlich zu beurteilen, wie es bis zum heutigen Tag der Fall war.

Mohammed Ahmed wurde im Jahre 1258 Hedschra, das ist etwa 1843 n. Chr., auf der Insel Darâr in Dongola geboren. Sein Vater war Zimmermann, geschickt im Bau von Schiffen und Bewässerungsmaschinen. Nach dem Tode des Vaters setzten die Brüder Mohammed Ahmeds das Handwerk des Vaters fort, während Mohammed Ahmed in Khartum den Koran studierte. Unter seinen Altersgenossen erlangte er schon damals Ruhm in der Religionsausübung und Gottesfurcht, und noch viel mehr in seinem mit fanatischem Eifer betriebenen asketischen Leben. Nach Vollendung seiner Studien trat er in den Orden des Saih Mohammed Serîf ein, wo er sich ebenfalls in der Askese von den übrigen Schülern abhob. Nach sieben Jahren gab ihm sein Meister die Erlaubnis, dort hinzugehen, wohin er wolle, und den Eintritt neuer Anhänger in den Orden selbst zu regeln. Es verging nur kurze Zeit, bis Mohammed Ahmed im ganzen Land berühmt wurde und seine Gefolgschaft wuchs. Es dauerte aber auch nicht lange, bis sich die Freundschaft zwischen ihm und seinem Meister trübte. Die Ursache davon war der Anspruch Mohammed Ahmeds, der erwartete Mahdi zu sein. Das führte zunächst zur Trennung und schließlich zur offenen Feindschaft. Umgekehrt schwand auch bei Mohammed Ahmed die Verehrung gegenüber seinem Meister und er warf diesem sogar vor, dem Gesetz und dem Islam zuwiderzuhandeln. Denn Mohammed Serîf pflegte in seinen Versammlungen Weiber zu empfangen und ihnen zu gestatten, seine Hand zu küssen. Bei der Beschneidung einiger seiner Kinder lud er eine zahlreiche Menge von seinen Schülern ein und erlaubte ihnen Tanz und Gesang, während Mohammed Ahmed anwesend war. Dieser verbot es seinen Anhängern und sprach: „Das Gesetz verbietet Tanzen und Singen, und es steht nicht in der Macht eines Beliebigen, beides für erlaubt zu erklären, mag er auch der Saih des Ordens sein.“ Das kam dem Mohammed Serîf zu Ohren, und er ließ Mohammed Ahmed zu sich kommen, machte ihm heftige Vorwürfe und strich seinen Namen aus dem Orden und sprach: „Hinweg! Nunmehr ist an dir das Sprichwort wahr geworden, das da heißt: Der Dongolaner ist ein Teufel in Menschenhaut“ (Suqair 1905, dt. übers. von Dietrich 1925, S. 15).

Doch gerade diese Ausweisung aus dem Orden war für Mohammed Ahmed der Beginn seines Aufstiegs zum religiösen Führer. Er zog sich auf die Insel Abba zurück, wo er eine Höhle unter der Erde grub, in der er wohnte. Sein Ruf im Sudan stieg wegen seiner Askese und seinem religiösen Eifer immer mehr. Die Leute begannen, ihm aus allen Himmelsrichtungen zuzulaufen, und die Nilreisenden machten mit Schiffen und Dampfern Halt, brachten ihm Geschenke und erbaten seinen Segen. Dann pflegte er sie zu segnen und die Geschenke unter die Armen zu verteilen. Seine Macht und seine Anhängerschaft vergrößerte sich aber vor allem dadurch, dass er im ganzen Sudan Reisen unternahm, um den Leuten seine Vorstellung vom Ur-Islam zu verkünden und sie zu Allah zu rufen. Dabei bemerkte er die Missstimmung der Bevölkerung gegen die Regierung und ihre Sehnsucht, von ihr frei zu werden. Er konnte sich auch davon überzeugen, dass die meisten unter der Bevölkerung das Erscheinen des verheißenen Mahdi wünschten, damit er sie aus diesem Zustand befreie. Mohammed Ahmed zögerte zwar noch, das Gerede des Volkes durch seinen Anspruch auf die Mahdija zu erfüllen, aber seitdem begann er, Bücher zu durchforschen und über Wesen, Eigenschaften und Kennzeichen des Mahdi nachzulesen. Er stellte dabei fest, dass seine Eigenschaften mit all dem, was er über das Erscheinen des Mahdi gelesen hatte, übereinstimmten, und begann daher, seinen Anspruch in die Öffentlichkeit zu tragen. Bestärkt wurde er vor allem auch durch seine Zusammenkunft mit seinem späteren Nachfolger Abdullahi. Dieser hatte einen frommen Vater, der ihm vor seinem Tode gesagt hatte: „Siehe, du wirst dem Mahdi gegenübertreten und sein Wezir werden“ (Suqair 1903, S. 361ff.; dt. Übers. von Dietrich 1925, S. 18). Und er teilte ihm die Kennzeichen und Eigenschaften des Mahdi mit. Als Abdullahi mit Mohammed Ahmed zusammentraf, sah er an ihm leibhaftig die Kennzeichen des Mahdi, von denen sein Vater gesprochen hatte.

Die Tradition über den Mahdi war ein buntes Gemisch voll von einander widersprechenden Elementen. Daher war es für Mohammed Ahmed leicht, die von der Überlieferung geforderten Zeichen, Wunder und sonstigen Bedingungen eines Mahdi an sich erfüllt zu finden (vgl. zum Folgenden Dietrich 1925, S. 84ff.). Seine angebliche Abstammung von den Asraf, den Verwandten des Propheten, und der Name seines Vaters sowie sein eigener Name kamen dieser Forderung einigermaßen entgegen. Er selbst schildert seine Berufung zum Mahdi als ein plötzliches Erlebnis: „Ich wusste nichts um diese Sache, bis sie auf mich herabstürzte von seinem Gesandten, ohne dass ich’s verdiente.“ Doch er lehnte schon von Anfang an ekstatische Zustände wie Schlaf, Traum, Verzückung, Rausch oder Wahnsinn für sich ab und betonte stets sein Wachsein und den vollen Besitz seines Verstandes während des Empfangs der Offenbarung. Der Inhalt seiner Botschaft war der Mahdi-Idee entsprechend der Kampf gegen die Ungläubigen und die Wiederherstellung der Religion. Aber nicht die Christen waren seine Feinde, sondern ein Teil der Muslime selbst. Der alte Gegensatz der Sudanesen zu der herrschenden türkischen Beamtenklasse Ägyptens und der nationale Zwiespalt zwischen Arabern und Türken führte dazu, dass er die „Türken“ und die unter türkischer Oberhoheit ins Land gekommene Regierung als „Ungläubige“ ansehen musste. Sie waren für Mohammed Ahmed „die schlimmsten der Menschen an Unglauben und Heuchelei“, deren Gesetzbücher den Islam zerstört hatten. Nach seiner Auffassung befand sich die Religion damals in ihrer Leidenszeit. Weil die Menschen das Jenseits leugneten und von der Begierde nach Ansehen und Geld besessen waren, war diese Welt absolut verdorben geworden: „Allah schaut nicht mehr auf sie.“ Darum muss man als Anhänger des Mahdi die Heimat verlassen und ihm nachfolgen, bekleidet mit dem Gewand der Armut und ausgerüstet mit Gürtel und Derwischstock, Titel und Ehren verachtend und sich vor allem, „was nicht Allahs ist“, besonders vor den islamischen gelehrten Theologen und ihren dogmatischen Schriften in Acht nehmend. Für Mohammed Ahmed war alle Wissenschaft verdammenswert außer dem Koran und der praktischen Andacht. Die Gelehrten waren für ihn Weltkinder, die ihre Seele der Regierung verkauft haben, und die „die Weltliebe trunken gemacht hat“. Fragen, Disputieren und Nachdenken über seine Mahdija waren für ihn schon von vornherein Sünde, ja Unglauben; blindlings sollte sich der Ansari oder Glaubenskrieger in den Dschihad, den Heiligen Krieg, stürzen und rücksichtslos, ohne Erbarmen die „Türken“ niedermetzeln.

Mit diesen Ansichten und Forderungen unterscheidet sich Mohammed Ahmed kaum von seinen religiösen Vorläufern und der zu seiner Zeit üblichen Auffassung der Mahdija. In einzelnen Punkten jedoch geht er darüber hinaus; und hierin liegt das Neue, wodurch er in der Reihe der Mahdis als einzigartige Erscheinung hervortritt. Wer ihn als Mahdi nicht anerkennt, ist ein „kâfir“, ein Ungläubiger. Daraus folgt die Aufstellung eines neuen Bekenntnisses, das sich aus seinen Proklamationen zusammensetzt. Sein erster Grundsatz war die Wiederherstellung des idealen, gereinigten Ur-Islam. Ähnlich wie die Wahabiten, die Anhänger einer radikalen islamischen Sekte, die der Sohn Mehemed Alis Ibrahim töten ließ, verschärft er die sonst üblichen Verbote des Tabakrauchens und Alkoholtrinkens wie auch das Verbot des Heiligenkults und des Tragens von Amuletten. Seine Pläne gingen über die Eroberung des Sudan und seiner Hauptstadt weit hinaus. Ganz Ägypten wollte er erobern und daran anschließend Mekka, Syrien und Konstantinopel. Erst in Kûfa, glaubte er, werde ihn der Tod ereilen.


Abb. 3: Der Mahdi (1884, aus dem Besitz des Verfassers)

Über das Aussehen und den Charakter des Mahdi gibt es eine ausführliche und reichlich schmeichelhafte Darstellung von dem bereits erwähnten Ismail Abd el-Qadir aus Kordofan, die von Suqair trotzdem als grundsätzlich der Wahrheit entsprechend übernommen wurde und in einer zeitgenössischen Abbildung ihren Ausdruck fand.

„Mohammed Ahmed besaß eine hohe Statur, großen Kopf, breites Gesicht, braune Farbe, große schwarze Augen, lange Wimpern, breite Stirn, Adlernase, weite Brust, breiten Mund, dicke Lippen, große Schultern, kräftige Knochen, große Hände und Füße, lang gestreckte Finger und Zehen, auseinander stehende Zähne, Einschnitte auf beiden Wangen – auf jeder Wange drei horizontale – runden weit gewachsenen Bart mit leichtem Schnurrbart. Er pflegte sein Haupthaar zu rasieren und seinen Bart schön zu halten. Seine Kleidung bestand aus der Giubba und dem Turban, Er pflegte oft zu lächeln, und von seinem Lächeln ward die Spaltung seiner Zähne sichtbar, die bei den Sudanesen beliebt ist“ (Suqair 1903, S. 361ff.; dt. Übers. von Dietrich 1925, S. 69). Diese Darstellung wird zwar von dem rauen Tiroler Ohrwalder grundsätzlich bestätigt, aber negativ interpretiert: „Sein Äußeres hatte etwas Verführerisches. Er war ein Mann von kräftigem Knochenbau, schwarzer Farbe. Auf seinem Gesicht lag stets ein süßes Lächeln, das er sich zur Gewohnheit gemacht hatte. Hierdurch war stets eine Reihe weißer Zähne sichtbar, von denen die beiden oberen Mittelzähne eine große Spalte bildeten: eine solche Zahnstellung gilt im Sudan als Glück verheißend. Auch seine Art und Weise zu reden war erkünstelt süß“ (Ohrwalder 1892, S. 10).

Nicht nur über das Aussehen, sondern auch über den Charakter des Mahdi hat Ismail Abd el-Qadir eine lange Schilderung geliefert, die ebenfalls trotz einiger Vorbehalte wegen der darin enthaltenen Schmeicheleien von Suqair wörtlich übernommen wurde: „Er war beständig heiter, von gefälligem Charakter lenksam, nicht grob und nicht roh, nicht unzüchtig, nicht tadelsüchtig noch lobhudelnd. Er enthielt sich des Disputierens und dessen, was ihn nichts anging, und ließ die Leute vor dreierlei in Ruhe: er sagte keinem Schlechtes nach, noch machte er ihm entehrende Vorwürfe, noch stellte er ihm beschämende Zumutungen, noch trat er einem vor Augen mit dem, was der andere nicht mochte. Er bemerkte das Fehlen seiner Freunde und fragte nach ihnen: wer abwesend war, für den betete er, wer anwesend war, den besuchte er, wer krank war, dem machte er Krankenbesuch. Ob er saß oder stand, immer murmelte er ein Gebet. Er hatte von allen Leuten das weiteste Herz und war am aufrichtigsten im Reden und am gefälligsten an Charakter, er war der Großzügigste im Verkehr, ohne Böses mit Bösem zu vergelten, vielmehr gewährte er Verzeihung und Vergebung. Er bildete sich am erhabenen Koran, wandte an, was darin steht von Eifer, Allah zu gehorchen, sich ihm zu unterwerfen und sich zu seiner Herrschaft leiten zu lassen – hart zu sein gegen Allahs Feinde, demütig, lenksam und liebreich zu sein gegen Allahs Freunde. Er war ein Mann von Milde, Weisheit, Ausdauer, Dankbarkeit, Gerechtigkeit, Askese, Demut, Verzeihung, Enthaltsamkeit, Frömmigkeit, Schamhaftigkeit, Männlichkeit, Edelmut, Güte, Tapferkeit, Schweigsamkeit, Bedächtigkeit, Würde, Liebe zu den Gläubigen. Keiner vertraute ihm unter vier Augen etwas an, ohne dass er ihm beharrlich Aufmerksamkeit widmete, bis der andere mit seinem Gespräch zu Ende war. Er besaß von allen Menschen das unerschöpflichste Mitleid mit Allahs Geschöpfen und die höchste Milde gegen sie. Er ritt einen Esel und ließ jemanden hinter sich aufsitzen, und setzte sich auf die Erde, und aß mit dem Diener, und holte, was er brauchte, selbst vom Bazar; er mochte gern Parfüm und benutzte es, und hatte gern raue Kleider und grobe Speisen und war bekannt von seinem frühesten Alter ab durch Liebe zur Eingezogenheit und Trennung von den Menschen und zum Festhalten an der Religion“ (Suqair 1903, S. 361ff.; verkürzt nach der dt. Übers. von Dietrich 1925, S. 70f.).

Doch Ohrwalder weist darauf hin, dass der Mahdi, wenn es um seine Sendung ging, keinen Widerspruch duldete: „Er gab seine Befehle stets nach höheren Offenbarungen; daher durfte ihnen nicht widersprochen werden; dies wäre Widerstand gegen Gott gewesen und hätte den Tod zur Folge gehabt“ (Ohrwalder 1892, S. 10).

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