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In der Äquatorialprovinz des Sudan

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Bevor der südlichste Teil des Sudan zu einer ägyptischen Provinz wurde, hatte diese Gegend der englische Zivilingenieur Samuel Baker erforscht, der bis zum Quellengebiet des Nil vorgedrungen war. Seine nach Europa gelangten Schilderungen von dem zügellosen Treiben der Elefanten- und Sklavenjäger führten zum Druck der öffentlichen Meinung auf den Vizekönig von Ägypten, den Khediven Ismael Pascha, diesem Treiben ein Ende zu machen. Die Aussicht, nahezu unbegrenzte Gebiete erobern zu können, und die Notwendigkeit, die Sklavenhändler, die seine eigene Autorität im Sudan bedrohten, unter Kontrolle zu bringen, bewogen den Khediven schließlich dazu, Baker 1869 mit dem Kommando einer Expedition zu betrauen, welche die Aufgabe hatte, südlich von Gondokoro Eroberungszüge zu machen und den Sklavenhandel niederzuwerfen. Danach blieb Baker von Februar 1870 bis Juni 1873 als Gouverneur der neu errichteten Äquatorialprovinz im Dienst der ägyptischen Regierung. Er legte in dieser Zeit befestigte Militärstationen an, aber im Großen und Ganzen erreichte er trotz unausgesetzter Kämpfe nur wenig gegen die Sklavenhändler.

Als Nachfolger Bakers wurde der durch die Niederschlagung des Taipingaufstandes berühmt gewordene Charles G. Gordon ernannt. Gordon war zu dieser Zeit Mitglied der internationalen Donaukommission, die zum Schutz der freien Donauschifffahrt und der Neutralität des umstrittenen Mündungsgebietes der Donau errichtet worden war. Aber als Armeeoffizier, der nur im Kampf Befriedigung finden konnte, war ihm jede Sekunde seiner Dienstzeit bei dieser Kommission verhasst. Deshalb war es für ihn wie eine Befreiung, als ihm vom ägyptischen Ministerpräsidenten Nuber Pascha die Stelle eines Gouverneurs der Äqutorialprovinz im Süden des Sudan angeboten wurde. Die Instruktionen, die der neu ernannte Gouverneur der Äquatorialprovinz Gordon am 16. Februar 1874 erhielt, bezogen sich daher in verschärfter Weise auf Maßregeln gegen den noch immer nicht eingedämmten Sklavenhandel. Die ägyptische Regierung, in der Hoffnung, dem unmenschlichen Handel ein Ende zu bereiten, übernahm die Faktoreien der Sklavenhändler und zahlte ihren Eigentümern eine Entschädigung. Einige dieser Leute erhielten, unter dem Versprechen, nicht mit Sklaven zu handeln, die Erlaubnis, in diesen Distrikten ihre Geschäfte unter der Aufsicht des Generalgouverneurs des Sudan weiter zu betreiben. Da jedoch die Autorität des Generalgouverneurs, der in Khartum residierte, in diesen entfernten Ländern nicht zur Geltung kommen konnte, beschloss der Khedive, diese Gebiete direkt dem Gouverneur der Äquatorialprovinz zu unterstellen und den gesamten Handel als Regierungsmonopol zu erklären (vgl. Buchta 1888, S. 40). Weiterhin erhielt Gordon die Erlaubnis, die im Solde der Abenteurer stehenden Leute in die Dienste der Regierung zu übernehmen. Wenn diese aber versuchen wollten, offen oder heimlich ihre alte Lebensweise fortzuführen, so soll gegen sie „die äußerste Strenge des Standrechtes angewendet werden. Solche Leute sollten beim Gouverneur weder Nachsicht noch Gnade finden. Die Lektion soll deutlich gegeben werden, dass auch in diesen entfernten Gebieten der bloße Unterschied der Hautfarbe Menschen nicht zur Ware machen kann und Leben und Freiheit geheiligte Dinge sind“ (zit. nach Buchta 1888, S. 41). Eine andere Aufgabe für den neuen Gouverneur sollte nach diesen Instruktionen die Errichtung einer Linie von Stationen sein, welche zwischen der Äquatorialprovinz und Khartum eine direkte Verbindung herstellt. Außerdem hatte der Khedive Gordon befohlen, die von Baker begonnene Erforschung des oberen Nil fortzusetzen und eine Flussverbindung zum Albert- und Victoriasee herzustellen. Mit anderen Worten: Der neue Gouverneur sollte die Grenzen des ägyptischen Reiches weiter nach Süden ausdehnen. Gordon sah aber in diesen Instruktionen nicht so sehr den Versuch des Khediven, seinen Machtbereich zu erweitern, sondern vielmehr einen von Gott gewollten Auftrag, den von den korrupten Händlern und Sklavenjägern unterdrückten Bevölkerung zu helfen: „Ich weiß, dass Gott von je mit schwachen und geringen Mitteln große Dinge gewirkt hat. Die ganze Geschichte ist ein Beweis dafür, dass das seine Art ist, und deshalb glaube ich, dass er durch mich arbeiten kann und will“ (Gordon 1908, S. 248).

Als Gordon in Kairo zu seinem Dienstantritt als Gouverneur der Äquatorialprovinz des Sudan eintraf, beeilte er sich, seinen Stab zu ernennen. Nur ein Mann entsprach Gordons Wünschen, Romolo Gessi, ein alter Mitkämpfer Garibaldis, den er als Dragoman auf der Krim und später in Rumänien getroffen hatte. Er beschreibt Gessi als entschlossen und kaltblütig, als ein Genie im Improvisieren mit dem Charakter eines Sir Francis Drake. Nach der Ernennung seines Stabes blieb Gordon keinen Tag länger als notwendig in Kairo und fuhr bereits am 18. Februar 1874 nach Süden. Zuerst ging es in einem Sonderzug nach Suez, wobei ihnen kein Geringerer als der Erbauer des Suezkanals, der 70-jährige Ferdinand de Lesseps Gesellschaft leistete, den er für einen „netten, gescheiten und kräftigen alten Mann“ hielt. Von Suez ging die Reise per Dampfer nach Suakin am Roten Meer weiter und von dort landeinwärts nach Berber am Nil. Der Rest der Strecke wurde per Flussdampfer zurückgelegt. Bereits auf dieser Reise bewies Gordon seine geradezu sagenhafte Schnelligkeit und Ausdauer. Obwohl er nie zuvor ein Kamel geritten hatte, bewältigte er die rund 400 Kilometer von Suakin nach Berber um ganze drei Tage schneller, als die rascheste Karawane dazu brauchte. Seine ägyptische Eskorte geriet dabei an den Rand des Zusammenbruchs. Dann, während sein Dampfer den Nil aufwärtsfuhr, trieb er die Heizer bis zur totalen Erschöpfung an. Und als das Schiff einmal auf Grund lief, zog er seine Hosen aus und sprang ins Wasser, um mitzuhelfen, den Dampfer wieder in tieferes Wasser zurückzustoßen.

Am 17. März 1874 traf Gordon schließlich in Khartum ein und berichtete sogleich seiner Familie von seiner neuen Würde und dem damit verbundenen Aufgabenbereich: „Mein Titel ist: ‚Seine Exzellenz, Generaloberst Gordon, Generalgouverneur des Äquators’ – gewiss eine merkwürdige Mischung! Also kein Mensch kann und darf den Äquator überschreiten ohne die ausdrückliche Erlaubnis Seiner Exzellenz.“ Gleich zu seinem Amtsantritt veröffentlichte er ein Dekret von höchst einschneidender Bedeutung. Es betraf das Elfenbeinmonopol für die Regierung und verbot die Einführung von Feuerwaffen und Pulver: „Privatpersonen dürfen ferner keine bewaffneten Truppen ausheben und haben nicht die Erlaubnis, unser Gebiet ohne Pass zu betreten. Mit einem Wort, ich habe das ganze Gebiet unter Militärgesetze gestellt“ (Gordon 1908, S. 253). Gegenüber den europäischen Diplomaten, die in Khartum das üppige Leben eines orientalischen Paschas führten, war Gordon voller Verachtung. Gleich zu Beginn seines kurzen Aufenthaltes in Khartum gelang es ihm, den damaligen Generalgouverneur Ismail Ayub Pascha zutiefst zu beleidigen. Er hatte ein zu seinen Ehren gegebenes Fest abrupt verlassen, nachdem sich der erregte und wahrscheinlich betrunkene österreichische Konsul Martin Hansal unter die halb nackten Tänzerinnen gemischt hatte (Nutting 1966, S. 106). Auch später während der Belagerung von Khartum bestätigte sich Gordons wenig gute Meinung gegenüber dieser fragwürdigen Zierde der österreichischen Diplomatie, als er erfuhr, dass Hansal mit seinen sieben „weiblichen Begleiterinnen“ geneigt war, zu den Arabern überzulaufen. Gordons lakonischer Kommentar in seinem Tagebuch war: „Ich hoffe er wird es tun“ (Gordon 1898, S. 19). Hansal hatte es aber nicht getan und wurde nach der Einnahme von Khartum von den Anhängern des Mahdi umgebracht.

Nach diesem kurzen Aufenthalt in Khartum beeilte sich Gordon, in die Hauptstadt der Äquatorialprovinz Gondokoro zu kommen. Bald erkannte er, dass das ganze Land hoffnungslos unter einer beständigen Hungersnot litt. Er war entsetzt von der Gleichgültigkeit der Eltern, die ihre Kinder im Stich ließen oder sogar für einige wenige Lebensmittel verkauften. Die einzige Idee, welche die eingeborenen Stämme damals wirklich beherrschte, stellte Gordon nach vielen traurigen Erlebnissen fest, „ist der Wunsch nach Nahrung. Daher halten sie Kühe für die wertvollste Erwerbung, die sie machen können. Ehrgeiz besitzen sie nicht. Ihre Fehden werden immer aus Nahrungssorgen ausgefochten, niemals aus Eroberungssucht. Ihr einziges Bedürfnis ist: Regen für ihre Kornfelder“ (Gordon 1908 S. 289). Auch der Sklavenhandel, an dem die ihm untergeordneten korrupten Gouverneure seines Gebietes beteiligt waren, bereitete ihm große Sorgen: „Mein Dolmetscher öffnete aus reiner Neugier einen Brief, der von der Station der Sklavenhändler am Giraffenfluss an den Gouverneur von Fashoda gerichtet war. Hier stand zu lesen: ‚Ich bin unterwegs zu Dir mit den 2000 Kühen, die ich Dir versprach … und mit allem Nötigen, um Deine Wünsche zu befriedigen.’ Diese Kühe hatte man den umwohnenden Stämmen weggenommen, also Räuberei! Und ‚alles Nötige’ bedeutet ein Haufen Sklaven. In andern Briefen an verschiedene Personen hieß es etwa: ‚Ich bringe Dir die Negerin, die Du haben wolltest, ich hoffe, sie gefällt Dir!’ und anderes derart. Diese Sklavenhändler wissen offenbar nicht, dass ich unterwegs bin zum Mudir von Fashoda und sie alle abfangen kann. Die 2000 Kühe werde ich konfiszieren. Denn ich kann sie den weitab wohnenden Stämmen nicht wiedergeben, denen man sie gestohlen hat. Die Sklaven aber werde ich festhalten und, wenn irgend möglich, in ihre Heimat zurückbringen. Die Sklavenhändler sollen ihre verdiente Strafe haben. Denn der Weg, auf dem die bewusste Sendung heraufkommt, berührt mein hiesiges Lager“ (Gordon 1908, S. 262ff.).

Gordon war zwar der Meinung, dass der Krieg der Sklavenhändler mit den eingeborenen Schwarzen, die den Zweck hatten, Sklaven zu fangen, eine abscheuliche Sache ist. Denn die vollständige Entvölkerung von ganzen Gebieten machte die Sklaverei zu einem so furchtbaren Fluch. Aber infolge der geringen Truppenzahl, die in den Garnisonen der Äquatorialprovinz stationiert war, war es ihm unmöglich, über das Gebiet, das in seinem ganzen Umfang von den Sklavenhändlern beherrscht war, Kontrolle auszuüben. Hinzu kam noch, dass das Klima für die europäischen Offiziere geradezu tödlich war. So klagt Gordon: „Was machen meine Kranken mir für Arbeit! Dabei ist leider keine Aussicht, dass sie in der nächsten Zeit wieder aufkommen. Mein Lager gleicht einem vollständigen Spital … Linant und Campbell liegen in Nachbarhäusern. Sie werden von Zeit zu Zeit medizinisch behandelt durch einen der besten Ärzte, den ich kenne, nämlich durch mich! Russell liegt in meinem eigenen Zelt, unter meiner besonderen Aufsicht“ (Gordon 1908, S. 273). Auch die Verstärkung seiner Truppen, die er aus Khartum angefordert hatte, war für ihn eine herbe Enttäuschung. Von den 250 arabischen Soldaten war die Hälfte bereits auf dem Weg gestorben und 100 Mann kamen nur als kranke Invaliden an.


Abb. 6: Sklavenkarawane in der Äquatorialprovinz (aus Casati 1891)

Erfreulich war dagegen der nun monopolisierte Handel mit Elfenbein. Da Gordon die Häuptlinge mit Geld und nicht mit wertlosen Glasperlen bezahlte, schleppten die Eingeborenen das Elfenbein in großen Mengen herbei, sodass Gordon noch im selben Jahr seines Regierungsantritts sagen konnte: „Wir haben eine große Menge Elfenbein in Besitz, und ich habe guten Grund zu hoffen, dass wir nicht nur genug haben, um alle Ausgaben der Regierung in diesen Provinzen damit zu decken, sondern dass wir sogar noch einen Überschuss bekommen“ (Gordon 1908, S. 281). Trotz dieser Erfolge begann Gordon aber zu zweifeln, ob der Khedive, dem es weniger um das Wohl der eingeborenen Bevölkerung, sondern mehr um die Erweiterung seines Machtbereiches und die daraus resultierenden Einnahmen ging, mit ihm zufrieden sein könnte: „Ich kann mir nicht helfen, ich glaube, der Khedive wird bald herausfinden, dass er einen großen Fehler begangen hat, als er mich in seinen Dienst nahm. Ich fürchte, er bereut es jetzt schon. Wie leicht hätte er einen Mann haben können, der ruhiger wäre: einen leicht zu behandelnden, Gehalt einstreichenden Menschen! Aber das ist seine Schuld … Er kann mich ja entlassen, wann er will, und ich werde mich darüber nicht zu Tode grämen“ (Gordon 1908, S. 281f.).

Um seinen in den Instruktionen vorgeschriebenen Auftrag zu erfüllen, die großen Seen mit der Äquatorialprovinz zu verbinden und das Land für den Khediven Ismail zu annektieren, beschloss Gordon schließlich im Frühjahr 1875 mit zwei Raddampfern und zwei kleineren Stahlboten den Nil stromaufwärts zu fahren, um die Verbindung mit dem Albertsee zu öffnen. Nachdem sein Adjutant Gessi den Albertsee umfahren und damit bewiesen hatte, dass der Nil im Victoriasee entsprang, und Gordon selbst den Nil bis zu einem Punkt 100 Kilometer von dessen Ursprung entfernt persönlich vermessen hatte, war dieser Auftrag damit im Grunde genommen vollendet. Anderseits war es ihm jedoch nicht gelungen, die eingeborenen Stämme zu unterwerfen. Er hatte weder ein Schiff noch eine ägyptische Fahne bis zum Victoriasee gebracht. Und die Sklavenfrage war ungelöst geblieben. „Ägypten kann ohne Sklaven nicht existieren“, so musste er feststellen, „und doch ist der Sklave eigentlich Herr über seinen Herrn in Ägypten. Alle Welt wünscht, dass Ägypten seine Sklaven aufgibt. Aber das Land kann ohne sie nicht existieren“ (Gordon 1908, S. 289f.). In dieser Situation entschloss sich Gordon zu dem immer wieder überlegten Schritt, seinen Abschied als Gouverneur der Äquatorialprovinz einzureichen und das Land für immer zu verlassen. Er begab sich nach Kairo, wo er kurz nach seinem Eintreffen vom Khediven empfangen wurde. Er informierte diesen, dass er sich entschieden habe, den Sudan für immer zu verlassen. Als Begründung für seinen Rücktritt gab er seinen ständigen Streit mit dem Generalgouverneur Ismail Ayub an, den er beschuldigte, seine Arbeit in der Äquatorialprovinz in jeder Hinsicht behindert zu haben. Er sei nicht in der Lage, den Sklavenhandel im Süden zu unterbinden, wenn ihn der Generalgouverneur im Zentrum toleriere. Dieser Vorwurf war jedoch nicht gerechtfertigt. Denn in Wirklichkeit hatte der von Gordon so viel geschmähte Ismail Ayub dem Sklavenhandel den schwersten Schlag versetzt, weil es ihm gelungen war, das Haupt der Sklavenjäger Ziber Pascha nach Kairo zu locken, wo man diesen sofort gefangen setzte. Am Ende der Unterredung mit dem Khediven erklärte sich Gordon schließlich doch bereit, nach einem kurzen Urlaub in England wieder in den Sudan zurückzukehren. Allerdings forderte er vom Khediven, als er tatsächlich wieder nach Ägypten zurückkehrte, die Ernennung zum Generalgouverneur des ganzen Sudan, was ihm dieser auch zubilligte. Damit herrschte Gordon über ein Territorium so groß wie Westeuropa. Und als zusätzliches Zeichen seiner Gunst ernannte ihn Ismail zum Feldmarschall der ägyptischen Armee und schenkte ihm eine herrliche goldbestickte Galauniform.

Das Reich des Mahdi

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