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Heldentum und Todessehnsucht

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Dass Gordon von seinem Charakter her gesehen ein höchst unbequemer Held war, hat keiner so genau und so frühzeitig erkannt und beschrieben wie der junge Kavallerie-Leutnant Churchill, der an jenem Feldzug teilnahm, der den grausamen Tod Gordons rächen sollte: „Seine Launen waren schwankend und kapriziös, seine Leidenschaften unbändig, seine Tatkraft sprunghaft und widersprüchlich. Ein tödlicher Feind am Morgen konnte ihm noch vor Einbruch der Dunkelheit ein vertrauenswürdiger Verbündeter sein. Den Freund, den er heute liebte, konnte er morgen schon verabscheuen. In seinem fruchtbaren Geist nahm ein Projekt nach dem anderen Gestalt an und kam dem vorhergehenden in die Quere. Alle wurden sie begeistert vorangetrieben, bis sie dann plötzlich allesamt mit Geringschätzung wieder verworfen wurden. Ein bereits von Natur aus überspanntes Temperament wurde durch die erworbene Angewohnheit des Rauchens angestachelt, und der General trieb es dermaßen zum Extrem, dass er kaum je ohne Zigarette gesehen wurde. Seine Tugenden heben ihn hoch heraus, in einem Krieg können seine Kühnheit und Geistesgegenwart das Blatt wenden, und seine Energie kann ein ganzes Volk beflügeln. Seine Leistungen sind bekannt, doch es gehört auch festgehalten, dass nur wenige so unberechenbare und unlenksame Männer wie Gordon jemals in der Verwaltung und Diplomatie zum Einsatz gekommen sind“ (Churchill 1899, I, S. 27f.; dt. Übers. 2008, S. 57). Doch Gordon war auch gegen sich selbst kritisch, auch wenn er sich gegen die Kritik anderer wehrte: „Wie töricht ist es doch eigentlich, dass wir einander beurteilen, als ob jeder einzelne konsequent wäre!“ (Gordon 1908, S. 291). Auch war er sich im Klaren darüber, dass sein Kettenrauchen seiner Gesundheit höchst abträglich war, und versuchte es immer wieder einzuschränken, wie sich durch eine seiner Tagebuchaufzeichnungen nachweisen lässt: „Das Rauchen habe ich jetzt beinahe ganz aufgegeben, denn ich merke, dass mein Blutumlauf dadurch merklich gestört wird“ (Gordon 1908, S. 354).


Abb. 5: Charles G. Gordon (aus Gordon 1898)

Während Gordons Zeitgenossen nicht nur in England, sondern auch in Deutschland und Frankreich in ihm nur den kriegerischen Helden und Märtyrer sehen wollten, haben ihm spätere Biografen vorgeworfen, von Ruhmsucht beseelt gewesen zu sein, obwohl er selbst mit bitterer Verachtung das Streben nach weltlichem Ruhm immer wieder verurteilt hat und für sich vielmehr nur in Anspruch genommen hat, bloß seine „armselige Pflicht“ zu erfüllen (Nutting 1966, S. 314). Ein weiterer Schriftsteller kehrt sogar die übertriebene Heldenverehrung, die man Gordon nach seinem Tod entgegenbrachte, ins Gegenteil um, wenn er andeutet, dass Gordon ein Säufer und Feigling gewesen sein soll (Strachey 1918, S. 22). Eine derartige Behauptung geht allerdings auf die höchst zweifelhafte Erzählung zurück, dass Gordon während eines Angriffs in der Äquatorialprovinz sein Zelt, in dem er mit der offenen Bibel und einer Kognakflasche saß, nicht verlassen wollte. Diese Geschichte muss jedoch als eine Verleumdung angesehen werden. Denn sie wurde von einem Offizier verbreitet, der von Gordon entlassen worden war.

Was aber nicht entkräftet werden kann, ist Gordons fast mystische Todessehnsucht, die immer wieder in seinen Tagebüchern und Briefen hervorbricht, wenn er stöhnt: „Und oft, o wie oft habe ich Gott um einen ruhigen Tod gebeten, damit ich von diesen Qualen frei wäre.“ Er war auch von einem religiösen Fatalismus und Determinismus bestimmt, der besagt, dass Gott das Schicksal des Menschen mit absoluter Notwendigkeit lenkt: „Kein Trost auf Erden kommt doch dem festen Gottvertrauen gleich, wenn man einen starken Glauben hat, nicht bloß mit Worten, sondern in Wahrheit, dass alle Dinge vorbestimmt sind und mit Notwendigkeit geschehen. Wer diesen festen Glauben besitzt, ist eigentlich schon dem Leben und seinen Qualen abgestorben“ (Gordon 1908, S. 273). Daher ist es auch konsequent, dass Gordon die Meinung vertritt, dass es für den Menschen keinen freien Willen gibt: „Diejenigen, die an die Willensfreiheit des Menschen glauben, müssen dementsprechend durch ihre guten Handlungen mehr oder weniger erhobenen Mutes sein. Wenn Du aber annimmst, dass der Mensch keinen freien Willen hat – und das ist meine feste Überzeugung! – dann wirst Du niemals erhobenen Mutes sein. Denn Du würdest dann Deine Handlungen nicht für Dich in Anspruch nehmen. Andererseits können Deine bösen Handlungen Dich freilich auch nicht ganz zu Boden drücken“ (Gordon 1908, S. 336).

Doch die Frage, was der Grund für sein ungeduldiges Sehnen nach dem Tod war, bleibt unbeantwortet. Eine mögliche Antwort, die er selbst auf diese Frage gegeben hat, ist seine mystische Vorstellung von der Seelenwanderung, in welcher der Tod des Leibes nur ein Durchgangsstadium zu einem besseren Leben sein soll: „Ich halte unser Leben bloß für ein einzelnes von einer ganzen Reihe von Lebensläufen, die unser fleischliches Teil durchlebt hat. Denn es bestehen für mich nur geringe Zweifel darüber, dass wir schon einmal existiert haben, und auch in unserem früheren Leben, glaube ich, waren wir in Tätigkeit. Daher glaube ich, wir werden auch im künftigen Leben nicht ohne Beschäftigung leben. Und ich halte gern an diesem Gedanken fest. Wir werden meiner Meinung nach in jenem zukünftigen Leben weit vollkommener sein. Überhaupt befinden wir uns auf einem Wege zu höherer Vollendung, aber erreichen werden wir sie niemals“ (Gordon 1908, S. 349f.).

Diese Haltung, eine rigorose Pflichterfüllung und eine fast mystische Todessehnsucht, die ihn alle Gefahren trotzen ließ, begleitete Gordon von Beginn seines kriegerischen Lebens im Dienst fremder Mächte an bis zu seinem grausamen Ende beim Fall von Khartum.

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