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Einleitung: Die Gefangenen des Mahdi

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Mehr als zehn Jahre lang, von 1885 bis 1897, war der Sudan ein von der gesamten Welt abgeschlossenes Reich, in dem die strengen Regeln der Erlöserfigur der islamischen Religion, des Mahdi oder „Rechtgeleiteten“, herrschten. Über die Person des sudanesischen Mahdi Mohammed Ahmed und seinen Aufstand gegen die ägyptisch-türkische Herrschaft, die Gründe und Ursachen dieses Aufstandes, seinen Ablauf und sein blutiges Ende gibt es von allem Anfang an bis heute eine Fülle von unterschiedlichen Darstellungen. In ihnen wird Mohammed Ahmed einer höchst unterschiedlichen Interpretation und Bewertung unterworfen, die vom falschen Propheten und religiösen Fanatiker bis zum Sozialrevolutionär und Befreier des sudanesischen Volkes reichen. Dagegen galt Charles Gordon, der als Generalgouverneur des Sudan hoffnungslos in der Hauptstadt Khartum eingeschlossen war und nach dem Fall der Stadt brutal ermordet wurde, als ein christlicher Märtyrer und als das wahre Gegenstück zu dem teuflischen, falschen Propheten. Gordon selbst sah aber den Mahdi zumindest in seiner politischen Bedeutung als einen ebenbürtigen Gegner an und versuchte mit ihm in Verhandlungen einzutreten, in denen er dem Mahdi sogar anbot, jenen von ihm bereits eroberten Teil des Sudan selbst zu verwalten. Er unterschätzte aber vollkommen das religiöse Sendungsbewusstsein des selbst ernannten Mahdi, der keinen Kompromiss zuließ. Und so musste Gordon diese Verhandlungen abbrechen, als ihm vom Mahdi zugemutet wurde, zu kapitulieren und zum Islam überzutreten. Seine Tagebuchaufzeichnungen weisen ihn aber auch als eine höchst eigenartige Persönlichkeit aus. Weder Auszeichnungen noch Belohnungen hatten für ihn irgendeine Bedeutung. Er war ein tief religiöser Christ, der in der Hoffnung auf ein jenseitiges Leben in dieser Welt keine Furcht kannte und keine Mühsal in der Erfüllung seiner ihm aufgetragenen Verpflichtungen scheute und dadurch zum tragischen Helden einer ganzen Nation wurde.

Während ihm durch seinen von ihm selbst gewünschten Tod das Elend einer langjährigen Gefangenschaft erspart geblieben war, mussten die in die Hände des Mahdi gefallenen Europäer je nach ihren religiösen oder politischen Einstellungen fürchterliche und zum Teil auch demütigende Erlebnisse in ihrer Gefangenschaft ertragen. So hatten auch die beiden berühmtesten Gefangenen im Reich des Mahdi einen ganz unterschiedlichen beruflichen, gesellschaftlichen und auch religiösen Hintergrund. Rudolf Slatin stammte aus einer jüdischen Wiener Familie. Sein Vater, ein Seidenfärber von Beruf, war nur aus pragmatischen Gründen zum Christentum übergetreten, da er für sich und seine Nachkommen in Wien des 19. Jahrhunderts als Jude keine Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstiegs sah. Daher hatte auch Rudolf Slatin, wie er später in einem Brief an seinen Vorgesetzten, den Generalgouverneur des Sudan Gordon, bekannte, „keine strenge religiöse Erziehung genossen“. Sein Übertritt zum Islam bereits vor seiner Gefangennahme hatte, wie der Religionswechsel seines Vaters, ebenfalls nur einen pragmatischen Charakter. Da er nach der Meinung der von ihm befehligten mohammedanischen Soldaten als einziger Fremder und Christ nie einen religiösen Krieg gewinnen könnte, wollte er lieber den Schein des Glaubenswechsels auf sich nehmen, um das ihm anvertraute Land der ägyptischen Regierung so lange wie möglich zu erhalten. Während Slatin, wie er selbst sagt, „stets geneigt war, jeden nach seiner Art selig werden zu lassen“, war jedoch der Tiroler Josef Ohrwalder, der in den Jesuitenorden eingetreten war und als apostolischer Missionar für Zentralafrika in den Sudan geschickt wurde, völlig kompromisslos. Er wollte lieber den Tod erleiden, als seinen Glauben aufgeben.

Ein enthusiastischer Verehrer Gordons, aber eine etwas obskure Figur in diesem Drama war der dritte unter den berühmt gewordenen Gefangenen im Reich des Mahdi, der preußische Kaufmann Karl Neufeld. Wie Ohrwalder und Gordon dachte er zunächst nicht daran, seinen christlichen Glauben aufzugeben, um sein Leben zu retten. Dafür musste er aber unter ständiger Angst hingerichtet zu werden die ganze Härte eines zehnjährigen Lebens in Ketten in einem menschenunwürdigen Gefängnis ertragen. Seinen Gefängnisaufenthalt konnte er nur durch die Mithilfe bei der Pulvererzeugung und durch seine Beschäftigung im Arsenal der Mahdisten zeitweise unterbrechen. Dieser verhängnisvolle Schritt, dem Feind bei seinen Kriegsvorbereitungen geholfen zu haben, hatte ihm nach seiner Befreiung den Abscheu der ganzen westlichen Welt eingetragen. Sein später erschienenes Buch, das lange nicht die gleiche Beachtung wie die Bücher von Slatin und Ohrwalder erfahren hatte, diente vor allem seiner Rechtfertigung und der Verteidigung vor den gegen ihn erhobenen Vorwürfen, liefert aber auch einen getreuen Einblick in die strafrechtlichen Prinzipien eines fundamentalistischen islamischen Gottesstaates, der politisch gesehen bereits nach dem frühen Tod des Mahdi unter seinem Nachfolger, dem Kalifen Abdullahi, zu einer militärischen Zwangsherrschaft geworden war, die erst nach zehn Jahren mit dem Rachefeldzug des Generals Herbert H. Kitchener beendet wurde.

Dem von Kitchener als Sirdar (Oberbefehlshaber) der anglo-ägyptischen Armee mit unpersönlicher Strenge organisierten Feldzug, in dem der einzelne Soldat nur ein kleines Rad in einer Kriegsmaschinerie war, ist zwar die Wiedereroberung des Sudan zu verdanken. Aber der Preis dafür war ein schreckliches Blutbad, das die anglo-ägyptische Armee mit ihrer überlegenen Waffentechnik unter den Derwischen des Kalifen Abdullahi anrichtete. Es war der junge Kavallerieleutnant Winston S. Churchill, der als ein von Kitchener wenig geschätzter Freiwilliger an diesem Feldzug teilnahm und der über den von ihm sogenannten „Flusskrieg“ (River War) einen umfangreichen kritischen Bericht verfasste, der in seiner eindrucksvollen poetischen Darstellungsweise bereits den künftigen Nobelpreisträger für Literatur erahnen ließ. Die ursprünglich zweibändige Version dieses Berichtes enthält nicht nur eine für die damalige Zeit ungewöhnliche positive Würdigung der Person des damals in der westlichen Welt so vielfach geschmähten Mahdi Mohammed Ahmed, sondern auch eine erstaunlich scharfe und mutige Kritik der Vorgangsweise der siegreichen Armee gegenüber den verwundeten und sterbenden Derwischen nach der Entscheidungsschlacht von Omdurman. Sogar der Oberbefehlshaber Kitchener selbst wurde von Churchill angegriffen. Die von ihm angeordnete Zerstörung des Grabmals des Mahdi und die pietätlose Zerstückelung der Leiche, der – wie schon zuvor der von Gordon – der Kopf abgeschlagen wurde, war für Churchill eine barbarische Gräueltat, unwürdig der westlichen Zivilisation und Kultur. Die blutige Schlacht von Omdurman war jedoch noch nicht das Ende des Mahdi-Reiches. Der eigentliche Untergang dieses Reiches erfolgte erst mit dem Tode des Kalifen Abdullahi, der nach der Niederlage von Omdurman geflüchtet war, sich dann aber mit seinen letzten treu gebliebenen Anhängern zu einer Entscheidungsschlacht stellte, in der er selbst umkam.

Das Reich des Mahdi

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