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Vorwort

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Anfang des Jahres 1885 erschütterte die westliche Welt die Nachricht von dem Fall von Khartum und der brutalen Ermordung des damals berühmten britischen Generals Charles Gordon, der als Generalgouverneur des Sudan in die Dienste der türkisch-ägyptischen Regierung getreten war. Nach seinem Tod wurde der gesamte Sudan von den Anhängern des Mahdi Mohammed Ahmed beherrscht. Die Tradition der Mahdi-Bewegung reicht bis in das 9. Jahrhundert zurück. Der Begriff al mahdi, wörtlich „der Rechtgeleitete“, kommt nicht im Koran vor. Die Mahdi-Vorstellung im Islam stammt aus den sogenannten Haditen, die sich aus den von den Prophetengefährten überlieferten Aussagen des Propheten Mohammed zusammensetzen. Dort wird auf die Abstammung des Mahdi von der Familie des Propheten verwiesen und verkündet, dass mit der Ankunft des Mahdi das Reich der Gerechtigkeit anbrechen werde. Die islamische Welt hat seit dem Mittelalter bis in die jüngste Vergangenheit eine Reihe von Mahdi-Bewegungen erlebt. Doch keiner in der langen Reihe der selbst ernannten Mahdi konnte sich so lange halten wie der sudanesische Mahdi Mohammed Ahmed.

Zwölf Jahre lang war das Reich des Mahdi von der übrigen Welt völlig abgeschlossen. Deshalb erregten die Berichte der europäischen Gefangenen, die den Aufständischen in die Hände gefallen waren, beträchtliches Aufsehen. Diese Gefangenen galten viele Jahre als verschollen, bevor ihnen mit Hilfe des britischen militärischen Geheimdienstes die Flucht gelang. Während ihres langjährigen Aufenthalts im Sudan mussten sie sich zwangsweise an die strengen aus dem siebten Jahrhundert stammenden Regeln und Gesetze eines islamischen Gottesstaates anpassen, über die sie später so genaue Angaben liefern konnten, wie sie noch nie zuvor aus eigener Erfahrung gemacht worden sind.

Zwei von diesen Gefangenen waren Österreicher: der aus Tirol stammende Jesuitenpater Josef Ohrwalder, der in eine Missionsstation in den Nubagebirgen geschickt wurde, und der junge Leutnant der Reserve der k. u. k. Armee Rudolf Slatin aus Wien, der mit 23 Jahren zum Gouverneur der sudanesischen Provinz Darfur ernannt worden war. Ihre umfangreichen Berichte über ihre Erlebnisse in der Gefangenschaft wurden sowohl in einer englischen als auch deutschen Version veröffentlicht. Sie erlebten viele Auflagen und wurden wie spannende Kriminalromane unter anderen auch von der englischen Königin Victoria und dem späteren Premierminister Winston S. Churchill verschlungen, der dann selbst im Jahre 1898 als junger Kavallerieleutnant an dem Rachefeldzug des General Kitchener gegen das Mahdi-Reich teilnahm. Diese Episode aus der Zeit des Kolonialismus war nach dem Gräuel zweier Weltkriege fast völlig vergessen. Erst als man in Europa das Entstehen von islamischen Staaten und den damit verbundenen Terrorismus als Bedrohung anzusehen begann, rückte die Geschichte des schon längst vergangenen Mahdi-Reichs wieder in den Vordergrund des Interesses.

Mir selbst war bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert als 17-jähriger Gymnasiast Slatins Buch „Feuer und Schwert im Sudan“ in die Hände gefallen. Seitdem habe ich die aus der Zeit des Mahdi-Aufstandes veröffentlichten Originalwerke gesammelt, wo immer ich sie auftreiben konnte. Nachdem ich mich lange Zeit durch mehrere Tausend Seiten durchgearbeitet hatte, kam ich dabei zu der Einsicht, dass sich die Beurteilung dieser dramatischen Ereignisse heutzutage ändern müsste. Als die Bücher von Ohrwalder und Slatin erschienen, die auch ein Aufruf zur Wiedereroberung des Sudan waren, galt der Mahdi Mohammed Ahmed für den damaligen imperialistischen Kolonialismus als ein fanatischer Anführer einer Horde von Wilden und Barbaren, die sich der westlichen Zivilisation und dem wahren Glauben verweigerten. Dies blieb bis in die jüngste Zeit auch die Haupttendenz aller weiteren sekundären Werke über den Mahdi-Aufstand, ob es sich nun um bloß romanhafte oder populäre Darstellungen handelte. Dagegen muss man nach genauer Durchsicht der Originalwerke erkennen, dass wegen der Korruption der fremdländischen Verwaltungsbeamten und Steuereintreiber ein berechtigtes soziales und politisches Anliegen hinter diesem Aufstand lag, bei dem der religiöse Hintergrund eine verhängnisvolle Rolle gespielt hat. Soziale Unterdrückung und wirtschaftliche Ausbeutung verbunden mit religiösem Fanatismus auf der einen Seite und die Ausweitung der politischen Machtsphäre verbunden mit wirtschaftlicher und militärischer Überlegenheit auf der anderen Seite hat damals wie auch heute zu jenen grausamen Vernichtungskämpfen geführt, von denen der Dschihad oder „Heilige Krieg“ im Sudan und der sich daran anschließende Rachefeldzug der Kolonialmächte eindrucksvolle Beispiele sind. In diesem Buch geht es daher nicht nur um die Darstellung einer ebenso abenteuerlichen wie auch schrecklichen Geschichte, sondern vielmehr um die Einsicht, dass man aus den Fehlern der Vergangenheit etwas für die Gegenwart lernen sollte. Denn in der Geschichte der islamischen Staaten scheint sich alles zu wiederholen. Heutzutage haben sich die Herrscher von Tunesien, Ägypten Libyen, Syrien und Jemen nicht weniger korrupt und grausam gegen ihr eigenes Volk erwiesen als der sudanesische Kalif Abdullahi, der als Nachfolger des Mahdi eine militärische Schreckensherrschaft errichtet und sich auf Kosten seines verarmten Volkes bereichert hatte. Und die Feldzüge der westlichen Mächte gegen den Irak und Afghanistan hatten bereits ihr Vorbild in dem Feldzug der damaligen britischen Kolonialmacht gegen das Reich des Mahdi.

In einer Zeit der politischen Debatte um die Integration islamischer Zuwanderer in Europa gewinnt daher diese historische Episode vom Aufstieg und Untergang des Mahdi-Reichs, die mit Recht als die Geburtsstunde des modernen politischen Islam angesehen wurde, wieder an Aktualität. Es ist vor allem die Forderung nach der Einbindung des auf den Koran gegründeten islamischen Rechts, der Scharia, in die europäische Rechtsordnung, die dem Rückblick auf die vor mehr als hundert Jahren im Sudan erfolgte Errichtung eines fundamentalistischen Gottesstaates Bedeutung verleiht. Denn an diesem realen Beispiel lässt sich zeigen, wie es ist, wenn man sich als Europäer der islamischen Kultur und ihrer Rechtsordnung beugen muss. Nur eine eingehende Kenntnis der über die Jahrhunderte gewachsenen Kultur und ebenso lang praktizierten Religion des Islam, wie sie gerade der langjährige Aufenthalt der europäischen Gefangenen im Mahdi-Reich verschaffen konnte, lässt erahnen, wie schwierig das durch die weltweite Mobilität der Völker immer drängender gewordene Problem des Zusammenlebens zweier derart divergierender Kulturen ist. Erst dann, wenn auch der Islam die Trennung von Staat und Religion vollzogen haben wird, die ja in Europa auch nur nach blutigen Auseinandersetzungen gelungen ist, besteht Hoffnung auf die Lösung dieses Problems.

Wien, im Sommer 2011 Erhard Oeser
Das Reich des Mahdi

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