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ОглавлениеNachts auf dem fremden Planeten, zwölf Parsec von Dsirra entfernt
Die Chance, im Weltall andere vernunftbegabte Lebewesen zu finden, ist schwer abzuschätzen. Doch selbst wenn man annimmt, daß wir solchen Wesen begegnen, und weiterhin, daß sie annähernd menschenähnlich sind – beides recht fragwürdige Voraussetzungen –, ist die in der phantastischen Literatur häufigste Kontaktvariante, nämlich die Begegnung von Zivilisationen auf annähernd gleicher Entwicklungsstufe, noch immer äußerst unwahrscheinlich, wenn man berücksichtigt, daß über 99 % der bisherigen Menschheitsgeschichte auf die Steinzeit entfallen. Die menschenähnlichen Wesen, die Raumfahrer auf fremden Planeten vorfinden könnten, befänden sich also kaum in einem dem unseren vergleichbaren Stadium, sondern viel eher auf dem Niveau der Urgesellschaft. Aber was kümmert den Phantastikautor die Wahrscheinlichkeit?
Seit zwei Stunden irrten sie nun schon durch die Nacht des fremden Planeten, vom vielschichtigen Gewebe ihrer Skaphander vor der Atmosphäre geschützt, die für sie giftig war. Irgendwo hinter ihnen lag in der Dunkelheit ihr Raumschiff – eine makabre Parodie auf die mächtige Maschine, die es vor dem Absturz gewesen war, jetzt nur noch ein Haufen toten Metalls, der nie wieder fliegen würde, und das Grab für vier ebensolche Wesen wie Thaar und Lyar.
Sie gingen hintereinander, schleppten sich durch eine Wildnis seltsamer hoch aufragender Säulen, die wohl Pflanzen waren, denn weiter oben verzweigten sich diese unregelmäßigen Gebilde und schufen ein dichtes Dach, durch das das Licht der Sterne und des großen gelblichweißen Trabanten nur selten hindurchdrang. So tasteten sie sich vorwärts, mit einem kurzen Seil aneinandergebunden, stießen gegen die Stämme der Pflanzen, sanken entkräftet zu Boden, denn die Gravitation war auf diesem Planeten um das zweieinhalbfache stärker als in ihrer Heimat Dsirra, und standen wieder auf, um sich weiterzuschleppen – noch hatten sie die Kraft dazu –, zuerst Lyar, der Biologe, hinter ihm Thaar, der vor zwei Stunden der Zweite Pilot eines Raumschiffes gewesen war. Vor zwei Stunden … zwei Ewigkeiten.
Etwas Weiches, Elastisches, Schweres traf den Körper Thaars von der Seite und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Thaar stürzte. Das straff gespannte Seil brachte auch Lyar zu Fall, und so lagen sie am Boden, der eine auf der Seite, der andere auf dem Rücken, fühlten den Schmerz in ihren Muskeln und Gelenken langsam nachlassen und lauschten dem Schlag ihrer Herzen. Sie hörten nicht, wie sich das fremde Tier, das Thaar angesprungen hatte, leise wieder entfernte, denn in der Finsternis waren sie fast blind und taub. Und stumm. Die mächtigen Scheinwerfer ihrer Helme waren ohne Energie ebenso nutzlos wie die Sprechfunkanlagen und Außenmikrophone ihrer Skaphander.
Als das Raumschiff auf den Planeten stürzte, lagen drei Mitglieder der Besatzung noch in den Anabiosekammern. Die drei anderen befanden sich in der Zentrale des Schiffes; sie hatten den Absturz nicht überlebt.
Wie durch ein Wunder waren die Anabiosezellen unversehrt geblieben. Die Automatik hatte die letzten Reste von Energie aus dem schon toten Körper des Raumschiffes gesogen und Thaar und Lyar zum Leben erweckt. Als das Schiff seinen Erbauern diesen letzten Dienst erwiesen hatte, verblieb gerade noch genug Energie, um 57 Minuten lang die Notbeleuchtung mit Strom zu versorgen. In dieser Zeit gelang es den beiden, sich eine Vorstellung vom Zustand des Schiffes zu verschaffen, zumindest von dem geringen Teil, der ihnen noch zugänglich war.
In der Anabiosezelle 3 fanden sie Sahir, den Bordingenieur. Er war tot. Die verbliebene Energie hatte nicht gereicht, alle drei zu revitalisieren, die Automatik hatte zwei der Zellen ausgewählt und die dritte abgeschaltet – ihr war es gleichgültig, wer in den Zellen lag. Es gab einen Zufallsgeber in der Anlage; ihm verdankten Thaar und Lyar ihr Leben.
Sie entdeckten auch zwei intakte Skaphander, die zwar wie das gesamte Raumschiff ohne Energie waren, von denen aber jeder noch Atemgas für elfeinhalb Stunden enthielt. Später, als die Notbeleuchtung schon verloschen war und Finsternis die beiden umgab, machten sie eine andere Entdeckung: Bei Thaar zeigten sich die ersten Anzeichen einer beginnenden Vergiftung. Die Sektion des Raumschiffes, in der sie sich aufhielten, mußte undicht sein – durch ein kleines Leck drang offensichtlich die Atmosphäre des fremden Planeten und vermischte sich langsam mit der im Schiff. Sie taten das einzige, was ihnen zu tun blieb, wenn sie weiterleben wollten: Sie legten die Skaphander an. Fast eine halbe Stunde brauchten sie, um die innere Tür der Luftschleuse mit Hilfe des Handmechanismus zu öffnen. Bei der Außenluke der Schleuse blieb ihnen das erspart – die äußere Verkleidung des Schiffes war weit aufgerissen, und durch den klaffenden Spalt betraten sie den fremden Planeten, von dem sie wenig mehr wußten, als daß er zwölf Parsec von Dsirra entfernt war, eine giftige Atmosphäre und eine grausam starke Schwerkraft hatte.
Als sie in das kalte Licht des fremden Mondes hinaustraten, reichte der Vorrat in den Atembehältern ihrer Skaphander für knapp elf Stunden, und sie machten sich auf die Suche. Noch gab es für sie eine Hoffnung auf Rettung.
Lyar war es gelungen, wieder auf die Beine zu kommen. Er wollte den Weg fortsetzen, doch ihn hinderte das Seil, an dessen Ende Thaar am Boden lag. Lyar wankte die wenigen Schritte zurück, setzte sich neben den Gefährten und tastete mit der Hand nach dem Helm Thaars. Er fürchtete, Thaar hätte aufgegeben, hätte auf die letzte Chance verzichtet und ihn in dieser schrecklichen Nacht allein gelassen. Doch seine Befürchtung bestätigte sich nicht: Er fand das Visier an Thaars Helm geschlossen.
Lyar senkte den Kopf, bis sein Helm den Thaars berührte. So konnten sie miteinander sprechen, ohne schreien zu müssen – zum Schreien fehlte ihnen schon die Kraft.
»Thaar«, sagte Lyar, »Thaar, wir müssen weiter.« Keine Antwort.
»Thaar, wir dürfen nicht aufgeben! Wir müssen sie suchen. Wir müssen …«
»Nein.« Thaars Stimme klang leise und fremd. »Es ist sinnlos. Sinnlose Quälerei.«
»Es ist nicht sinnlos. Du weißt, daß es nicht sinnlos ist. Vielleicht ist der Planet bewohnt … Vielleicht finden wir Hilfe. Vielleicht ist ganz in der Nähe eine Stadt, eine große Stadt. Hier muß eine Stadt sein, verstehst du?! Du wirst sehen …«
»Das glaubst du selbst nicht«, sagte Thaar, und Lyar wußte, daß er recht hatte. Aber sie mußten es versuchen, sonst war alles umsonst, sonst wären sie besser nie aus der Anabiose erwacht – wie Sahir, der Bordingenieur.
»Noch leben wir«, sagte Lyar. »Noch haben wir Zeit. Willst du dein Leben wegwerfen? Wenn statt deiner Sahir …«
Ein Ruck ging durch Thaars Körper. Die Helme verloren den Kontakt, und Lyar wußte, daß es zwecklos war weiterzusprechen; Thaar konnte ihn nicht mehr hören. Doch es war auch nicht nötig. Thaar stand auf, Lyar folgte ihm. Sie gingen weiter, dicht nebeneinander jetzt, und sie stützten sich gegenseitig. Es wäre klüger gewesen, den Abstand des Seiles einzuhalten; jetzt setzten sie sich gleichzeitig den Gefahren aus. Doch das hatte keine Bedeutung mehr für sie.
Dann sahen sie das Licht. Es kam direkt von vorn, und sie gingen darauf zu. Es war viel leichter, sich in dem unbekannten Wald fortzubewegen, wenn man sah, wohin man ging. Trotzdem waren sie zu Tode erschöpft, als sie den Fluß erreichten, der sie von ihrem Ziel trennte. Der Lichtschein kam vom anderen Ufer, und dort erblickten sie, deutlich wie nichts zuvor in dieser Nacht, das Ende all ihrer Hoffnungen.
Ja, der Planet war bewohnt. Um ein großes offenes Feuer saßen Lebewesen, die den Dsirranern ähnlich sahen. Sie waren nackt und hielten an langen Stöcken etwas ins Feuer, Fleischstücke offenbar. Einer von ihnen sprach gerade zu seinen Gefährten, er gestikulierte heftig. Ein anderer schlug immer wieder mit einem Stein auf den Erdboden, oder wohl eher auf einen zweiten Stein, der dort im Gras lag.
Es waren ohne Zweifel intelligente Lebewesen, doch sie standen auf einer hoffnungslos primitiven Kulturstufe. Diese Eingeborenen würden den beiden Schiffbrüchigen nicht helfen können, sie würden nicht einmal verstehen, was von ihnen verlangt wurde.
Vielleicht gab es auf diesem Planeten Gebiete mit einer höheren Zivilisation, die wenigstens imstande gewesen wäre, Thaar und Lyar mit dem Gasgemisch zum Atmen und mit allem anderen Lebensnotwendigen zu versorgen, aber wenn es sie überhaupt gab, dann nicht in dieser Wildnis, sondern irgendwo weit entfernt, zu weit für Thaar und Lyar, deren Atemvorrat nur noch wenige Stunden lang reichen würde – jedenfalls nicht lange genug. Es war sinnlos.
Lyar öffnete als erster das Visier seines Helms.
»Da!« rief eines der Wesen am anderen Ufer und wies über den Fluß. »Da drüben hat was geblitzt! Ich glaube, da ist jemand.«
»Ach, laß mich in Ruhe«, sagte der Mann mit dem Stein in der Hand. »Kein Mensch verirrt sich jetzt in den Wald, nur ich Idiot lasse mich auf diesen Unsinn ein. Mit Leuten, die vom Bootfahren keine Ahnung haben! Der Propankocher ist hin, das Zelt klitschnaß, der Proviant auch, bis auf die Konserven, die ich ohne Öffner nicht auf kriege; und wie ich meine Sachen trocknen soll, wenn ich die Kunstfaser nicht übers Feuer hängen kann, ist mir immer noch ein Rätsel. Dabei könnten wir bequem zu Fuß in die Stadt gehen, es sind keine zwei Stunden. Aber in diesem nassen Zeug – mein Gott, ich mache mich doch nicht lächerlich!«