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9. Kapitel / Eine große Ente auf einem kleinen Teich

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nde Juni 1915 nahmen wir unsere Tätigkeit bei der Armee des Generals von Gallwitz auf. Die Front verlief eng an der alten politischen Grenze, die Russland von Warschau bis Kowno durch gut ausgerüstete Forts gesichert hatte. Meilenlang bildete der Narew die Grenze und hinderte unsere Truppen, Warschau von der Rückseite anzugreifen. Nordöstlich von Warschau lag die starke Festung Pultusk. Uns fiel die Aufgabe zu, in der Nacht vor dem zum Angriff festgesetzten Tage die Schützenlinien und Außenforts von Pultusk mit Bomben zu belegen, um den Feind in Verwirrung zu bringen und der Armee Gallwitz die Möglichkeit zu geben, ihn zu überrumpeln.

Als wir kurz nach Mitternacht ausstiegen, fanden wir die ganze Gegend in dichten Nebel gehüllt. Stundenlang tasteten wir in ihm herum, er hob sich nicht, und so kehrten wir unverrichteter Dinge zurück. Unsere Infanterie ging jedoch unter dem Schutze eben dieses Nebels vor, und es gelang ihr, die russische Front in breiter Linie zu durchbrechen.

Während die Deutschen auf dem Nordflügel weiter vorstießen und die durch deutsche Truppenteile verstärkte k. u. k. Armee die russische Front im Süden mehr und mehr aufrollte, beunruhigten unsere drei Zeppeline den zurückgehenden Feind und zerstörten die Eisenbahnen, damit er der deutschen Verfolgung nicht entkam.

Die Hauptlinien zwischen Warschau und Petersburg und besonders die von Warschau nach Dünaburg waren noch in russischen Händen und wurden sorgfältig bewacht. Der einzige Weg, an sie heranzukommen, waren unsere Luftschiffe. Während die kleine alte „Sachsen“ unter Hauptmann George, später Oberleutnant Scherzer, mit ausgezeichnetem Erfolg gegen die Forts von Lomza und LZ 39 unter Hauptmann Horn gegen Tluscz und Nowogeorgiewsk vorgingen, konzentrierte sich mein Z XII auf die Bahnlinie nach Dünaburg und besonders auf die Bahnhöfe von Malkin und Vialystok. Die Julinächte sind in diesen nördlichen Gegenden verhältnismäßig kurz, und bei wolkenlosem Himmel schien der Mond zu hell, um Streifzüge zu gestatten; trotzdem ließen wir uns nur ein einziges Mal durch die Wetterlage zurückhalten. Im August waren wir ununterbrochen tätig, und der Z XII warf rund 9000 Kilogramm Sprengstoffe auf die Bahnhöfe ab.

Wieder steigen wir in einer schönen Sommernacht von Allenstein auf, beladen mit Brennstoff für acht Stunden und fast drei Tonnen Bomben, die für Bialystok bestimmt sind. Der Z XII überquert die Front in 1600 Metern Höhe, ohne entdeckt zu werden; nur das Feuer der Infanterie knattert in der Tiefe. Wir kommen bis auf acht Kilometer an die hell erleuchtete Stadt heran, als plötzlich alles Licht in ihr erlischt und zwei Batterien an der Bahnlinie das Feuer auf uns eröffnen. Die Schrapnelle explodieren jedoch so hoch über uns, dass ich mich entschließe, auf nur 1600 Meter zu bleiben, denn um über die Gefahrzone hinauszusteigen, hätte ich ihre Schusshöhe durchqueren müssen. Hie und da findet uns einer der Scheinwerfer, aber die Geschosse kommen nicht näher. Ich folgere daraus, dass der Feind nur einfache Feldgeschütze hat, die auf einen bestimmten Steilwinkel umgestellt sind. Offenbar hat er erwartet, dass wir mindestens 800 Meter höher fahren würden, und dieser Irrtum schützt uns vor seinem Sperrfeuer, denn er hat keine Zeit, die Lafettenschwänze der Kanonen anders einzugraben.

Auf den Bahnanlagen unter uns herrscht fieberhaftes Treiben. Schwere Züge rangieren, um sich in Sicherheit zu bringen, bevor unser Bombardement begann. Aber schon platzen unsere kleinen Bomben auf den Seitengeleisen. Der Bahnhof gleicht im Nu einem aufgestörten Ameisenhaufen, kopflos rennt alles durcheinander und sucht Deckung. Auf der Hauptstrecke bemerke ich einen auffallend langen Zug, der zwischen mehreren anderen auf ein Nebengeleise verschoben ist. Ein inneres Gefühl sagt mir, dass es mit diesem Zug eine besondere Bewandtnis hat, und so drücke ich das Schiff auf knapp 800 Meter herunter, bis wir genau darüber stehen. Dann gebe ich Befehl, die halbe Ladung unserer schwersten Bomben auszulösen. Die Wirkung ist ungeheuerlich. Die Züge sind mit Munition beladen, und mit jedem Einschlag fliegt eine Ladung nach der anderen in die Luft, bis der ganze Bahnhof eine einzige siedende Flammenhölle ist. Das Getöse der Explosionen übertönt das Orgeln unserer Motoren, die Lufterschütterung schlägt mit der Kraft eines Riesenhammers an unsere Gondel, die herumfliegenden Granaten und Trümmer rufen hinter dem Z XII einen wahren Wirbelsturm hervor.

Als die Scheinwerfer und Batterien ihre Tätigkeit eingestellt haben, steigen wir sofort über die Gefahrenzone hinaus. Aus 2500 Metern Höhe lässt sich unser Zerstörungswerk noch besser übersehen. Der große, wichtige Eisenbahnknotenpunkt Bialystok ist nicht mehr. Sehr zufrieden mit dem Ergebnis, mache ich meine Eintragung in das Bordbuch und sprenge, heimkehrend, mit dem Rest unseres Bombenvorrates auf zwei Zwischenstationen noch einen kleineren Bahnhof und eine Brücke. Das Glück ist mit uns gewesen, wir haben auch nicht einen einzigen Treffer erhalten. Ich juble innerlich, aber ich juble zu früh.

Der Rückweg führt über die russische Festung Ossoviec, und ich muss darüber hinweg, weil unser Brennstoff nur gerade noch für die kürzeste Strecke nach Allenstein reicht. Eine dicke Nebelschicht und niedrige Wolken hüllen die Sümpfe und Wälder ein, und so verlasse ich mich darauf, dass man uns von der Festung aus nicht sehen kann. Durch das Geräusch unserer Motoren aufmerksam gemacht, richtet die Besatzung ihre Scheinwerfer auf uns. Die Strahlenbalken stoßen gegen die Unterseite der Wolken und malen hübsche helle Kreise und Ellipsen auf das schwarze Tuch, das sich tausend und mehr Meter unter uns breitet, während unser Schiff wie ein schwarzer Schatten mit dröhnenden Motoren und lärmendem Auspuff durch die Nacht gleitet. Nun beginnen die Gewehre zu bellen, ihre Läufe zielen, wie wir wissen, in der Richtung, aus der unser Motorlärm kommt. Wir schenken der Knallerei wenig Beachtung, bis plötzlich, ohne Warnung, die schützende Wolkendecke unter uns weggezogen wird und wir in der klaren Luft dem Feuer preisgegeben sind. Ein Scheinwerfer fängt uns in seinen Kegel, verliert uns einen Augenblick, fängt uns wieder und hält uns fest. Die Schützen in den kochtopfähnlichen Forts und in den Schützengräben unter uns pfeffern eine Salve nach der anderen direkt in unseren Weg. Sie schießen zu kurz, und als wir wieder in eine Wolke schlüpfen können, ist die Gefahr nicht mehr so groß. Aber sie schießen blindlings weiter, und eine letzte Salve krepiert zufällig gerade hinter unserem Heck. Das bedeutet, dass unsere hinteren Gaszellen von Schrapnellen durchlöchert sind, wir verlieren an Gas und damit auch an Auftrieb. Aber gleich jenseits Ossoviec ziehen sich unsere eigenen Linien hin, und wir haben nur noch zweieinhalb Stunden bis nach Hause. So wird wohl alles gut gehen.

Der Tag bricht an, als wir den Punkt, der meiner Berechnung nach Allenstein sein muss, erreichen. Aber wir sehen nichts. Dicker, grauer Nebel hält das Land verschluckt. Wir können mit unserer Station nicht in Verbindung treten, denn wir hatten die Funkanlage ausgebaut, um dafür mehr Bomben mitzunehmen. Hätte die Station Allenstein einen Pilotballon zur Hand gehabt, so hätte sie ihn aufsteigen lassen, und wir wüssten nun, wo wir landen müssen. Die nächste Station ist Königsberg, allein es ist wenig wahrscheinlich, dass die Wetterverhältnisse dort besser sind.

Ich habe damit gerechnet, dass nach Tagesanbruch die Sonne unser Traggas erwärmen und uns dadurch wieder einigen Auftrieb geben würde, aber um fünf Uhr morgens ist sie von hochliegenden Wolken verdeckt. Die Lage wird ernst. Wir können nicht mehr steigen. Wir können auch nicht beliebig kreuzen, denn die Benzintanks sind fast leer, und dabei müssen wir die Luftschrauben schnell genug laufen lassen, um das Fahrzeug steuerfähig zu erhalten. Wir richten die Nase des Schiffes auf, um ein weiteres Sinken zu vermeiden. Schon haben wir allen Ballast und alles Bewegliche, wie das Werkzeug und die Winde des Spähkorbes, über Bord geworfen. Nach zweistündigem Umhertappen habe ich nur noch für 45 Minuten Betriebsstoff, ohne dass sich irgendwelche Anzeichen von Aufklaren bemerkbar machen. Unter diesen Umständen entschließe ich mich zur Landung.

Die folgenden zehn Minuten gehören zu den unangenehmsten meines Lebens. Kein Kommandant möchte sein Schiff verlieren. Wir stoßen mit gesenkter Nase durch den Nebel, der kalt und feucht ist wie ein Wintertag. Noch hoffe ich, dass er nicht dicht am Boden aufliegt und dass wir einen der vielen kleinen Seen finden, um das Schiff auf die Wasserfläche aufzusetzen.

Aber der Nebel reicht bis auf die Erde. Schon zeigt unser Höhenmesser eine so niedrige Höhe an, wie es in dieser Gegend eigentlich überhaupt keine gibt, und trotzdem sehen wir den Boden noch nicht! Wir fallen sechs Meter in der Minute, denn die riesige Baumwollhülle saugt die Nässe auf wie ein Schwamm, und die Gaszellen schrumpfen fast sichtbar zusammen, weil es unten kälter ist. Schließlich lasse ich die Motoren mit Vollgas laufen, um das Schiff in der Gewalt zu behalten, während man normalerweise in solcher Bodennähe umgekehrt die Geschwindigkeit so viel wie möglich drosselt. Ich weiß nicht, was meine Leute von dieser Maßnahme denken, aber es ist eine kaltblütige Bande, und jeder Mann nimmt seine Befehle entgegen und führt sie aus, als seien wir auf harmloser Übungsfahrt.

Ich sehe aus der Kabine, als keine zwei Schiffslängen vor uns ein mit Bäumen bestandener Hügel auftaucht. Über ihn hinweg können wir nicht mehr, weil gerade einer der Motoren stottert und zeitweilig aussetzt; so werfen wir das Ruder herum und rutschen auf Armlänge mit 70 Kilometern Stundengeschwindigkeit und keine zehn Meter über dem Boden daran vorbei. Wenn doch nur ein See in Sicht kommen wollte. Kaum gedacht, so ist auch schon einer da. Es ist ein ganz kleiner See, eigentlich mehr ein Ententümpel, und bevor wir stoppen können, haben wir das andere Ufer erreicht. Der Wasserspiegel verschwindet hinter uns, und die Wildenten, die erschrocken hochgesurrt waren, fallen wieder ein. Ich befehle, hart beizudrehen, und wir beschreiben einen Kreis. Der See kommt wieder in Sicht, und diesmal sind wir vorbereitet. Alle Motoren werden gestoppt, dann lasse ich die Luftschrauben mit Vollgas rückwärts laufen und bringe so das Schiff zum Stehen. Die hintere Maschinengondel setzt klatschend ins Wasser, und die vordere folgt. Der See ist seicht, und der Aufschlag reißt die beiden hinteren Motoren aus den Streben. Ich habe also nur noch einen Motor zur Verfügung, um das 150 Meter lange Schiff aus einem waldumrahmten See zur Halle zurückzubringen. Da schwimmt es nun, eine große Ente auf einem kleinen Teich. Die Wasserfläche ist immerhin umfangreich genug, dass wir wenden können, aber das ist auch alles. Wir sitzen wie in einer Mäusefalle, denn außer der Lichtung, durch die wir hereingeschlüpft sind, schneiden die Bäume jede Möglichkeit zum Entkommen ab. Die Luftschraube an dem heilgebliebenen Motor taucht ins Wasser, und ich versuche, unser Luftschiff als Seeschiff zu benutzen, aber der Propeller läuft nicht langsam genug, um nicht durch den Widerstand des Wassers zu zersplittern, und so gebe ich den Versuch schleunigst wieder auf. Wir haben keinen Anker, und der Wind zerrt uns herum. Deshalb waten ein paar Mann ans Ufer, schlingen ein Seil um einen Baum und legen so das Heck des Schiffes fest. Damit es nicht in die Bäume schwingen kann, erleichtern wir es nach Möglichkeit. Mittlerweile habe ich einen Mann ausgesandt, um die Luftschiffstation anzurufen und irgendwoher Hilfe zu holen. Er erscheint mit einigen Bauern, von denen einer eine Axt geschultert hat. Ein alter Soldat kommt mit einem Trupp russischer Gefangenen die hier auf den Feldern arbeiten. Sie bilden eine tadellose Haltemannschaft.

Wir sind, wie mir erfahren, nur sechzehn Kilometer vom Luftschiffhafen Allenstein entfernt er schickt auf Lastwagen Gas und Brennstoff und bietet weitere Hilfe an. Aber wir sind stolz und verzichten.

Inzwischen nämlich ist die Sonne durchgebrochen, sie trocknet das Schiff und dehnt die restliche Gasfüllung aus. Obwohl eine hintere Zelle ganz und zwei andere halb ausgelaufen sind, so bin ich doch sicher, dass der Z XII noch Auftrieb genug hat, um wegzukommen, wenn wir die Besatzung aus drei oder vier Mann beschränken.

Ich ordne an, dass außer mir nur noch zwei Rudergänger und ein Maschinist an Bord bleiben, und schiffe die übrigen aus. Sie und die Russen halten das Schilf an den Leinen, bis ich den Befehl gebe, loszulassen. Langsam und schwerfällig hebt es sich von der Seefläche, unser letzter Motor springt an, und während uns seine Melodie lieblich in den Ohren klingt, trudeln wir geradeswegs nach Allenstein, landen, und eine halbe Stunde nach dem Wasserstart liegt Z XII bereits in seiner Halle. Ein paar Minuten später bricht ein Sturm los, die Hallentore knarren, die Fenster schlagen. Ich höre es, während ich mich todmüde in meine Decke wickle, und lache einschlafend in mich hinein: Glück muss der Zeppelinmann haben!

In den nächsten Tagen, in denen der Z XII ausgebessert wurde, hatte ich Muße, mir erzählen zu lassen, wie es derweil meinen Kameraden erging. Südwestlich von uns, im Luftschiffhafen Posen, war der LZ 79 stationiert, ein 840pferdiges Armeeluftschiff von 81 900 Kubikmetern Gasfassung. Dieser sehr verbesserte Schiffstyp war in Stromlinienform gebaut und nach dem Heck hin zugespitzt. Dadurch wurde er schneller, auch an Tragkraft übertraf er seine Vorgänger. In der gleichen Nacht, in der wir über Bialystok standen, stieß Hauptmann Gaissert mit LZ 79 auf die Festung Brest-Litowsk vor, an der die geschlagenen Russen die deutschen und österreichisch-ungarischen Verfolger zum Stehen zu bringen hofften. Er benutzte die Flammenzeichen der Ortschaften, die die Rassen auf ihrem Rückzug angezündet hatten, als Wegweiser und warf um Mitternacht ein volles Dutzend seiner schwersten Bomben mitten auf den überfüllten Bahnhof Brest-Litowsk. Dann drehte er nach Südost und widmete um 2.30 Uhr den Rest seiner Ladung dem Knotenpunkt Kowel. Gegen einen steifen Nordwestwind erreichte Gaissert ohne Zwischenfall am nächsten Vormittag wieder Posen. Er hatte in siebzehn Stunden 1600 Kilometer zurückgelegt und 3000 Pfund Sprengstoff abgeworfen.

Als Gaissert zwei Wochen später Brest-Litowsk abermals einen Besuch abstattete, waren die Russen gerade dabei, Stadt und Festung selber zu zerstören. Von oben gesehen, glich Brest-Litowsk einem einzigen Flammenmeer, über dem schwarzgeballt der Rauch hing. Gaissert verspürte keinerlei Neigung, die Gasfüllung des LZ 79 mit dem glühenden Backofen in Berührung zu bringen, und schlug deshalb einen achtungsvollen Bogen um die verlorene Stadt. Als er bei Luminecz die Bahnlinie erreichte, auf der die Russen ihre Truppen transportierten, bedachte er jeden Zug mit einer Bombe, und die Züge hörten auf zu fahren. Nachdem der LZ 79 so noch einmal seine Visitenkarte abgegeben hatte, verabschiedete er sich von der Ostfront und wurde auf den westlichen Kriegsschauplatz zurückversetzt.

Die Ausbesserung des Z XII hatte sich verzögert, weil der heilige Bürokratius es sich erst gründlich überlegen musste, ob er mir die nötigen Ersatzteile geben sollte. Aber Anfang September 1915 konnten wir unseren neuen Luftschiffhafen Königsberg beziehen und waren eifrig damit beschäftigt, die Stationen der von Wilna ausgehenden Bahnlinie in Kraterlöcher zu verwandeln.

So aufregend und gefahrvoll diese Arbeit auch sein mochte, so befriedigte sie uns doch nicht ganz. Insgeheim hatten wir uns ein anderes Ziel gesetzt, das unseren menschlichen Gefühlen mehr entsprach, und dieses Ziel war der Großfürst Nikolai Nikolajewitsch, Onkel des Zaren und Oberstkommandierender der russischen Armee. Bei seinem Rückzug durch Polen ließ der Großfürst das Land als Wüste hinter sich, vertrieb die Bevölkerung und überantwortete Frauen und Kinder einem elenden Tode in den Sümpfen. Der ständige Anblick der verbrannten Dörfer und zerstampften Felder, den wir von oben hatten, erfüllte uns mit einer dumpfen Wut, und so leid uns sonst jedes Opfer unserer Bombenwürfe tat, so empfanden wir Nikolai Nikolajewitsch gegenüber den glühenden Hass des Jägers hinter einem Wolf. Heute darf ich es gestehen: wir haben regelrecht Jagd auf den Oberstkommandierenden aller Reußen gemacht. Allerdings war das mehr ein Privatkrieg, den wir da führten, und wir hüteten uns, im deutschen Hauptquartier unserer Absicht Erwähnung zu tun. Uns war bekannt, dass der Großfürst kein festes Standquartier hatte; er benutzte seinen Sonderzug dazu, der nachts aus irgendeiner Bahnstation mit Telegrafenverbindung hielt. Durch unauffälliges Fragen brachten wir gelegentlich aus einem der jüngeren Stabsoffiziere heraus, wo das gerade war — vorausgesetzt natürlich, dass man es beim Oberkommando Ost selber wusste.

Wenn sich die Jagd auf Nikolai mit unseren dienstlichen Aufgaben vereinbaren ließ, so überfielen wir die Stationen, auf der man den Großfürsten vermutete. Einmal, auf unserer zweiten Fahrt nach Malkin, machte ich einen Abstecher von hundert Kilometern, um Siedlce zu besuchen, wo sich der russische Oberbefehlshaber den neuesten Nachrichten zufolge aushielt. Da ich keinen ernsten Widerstand fand, so ging ich sehr tief hinunter und entdeckte auf einem Seitengeleise einen Luxuszug, der abgeblendet und bestimmt kein Truppentransport war. Sechs unserer besten Bomben wanderten hinab, die komfortablen Wagen flogen in Fetzen auseinander, und ihre Trümmer wirbelten Hunderte von Metern hoch in die Luft. Mag der Großfürst nun gerade nicht in dem Zug gewesen sein oder war es überhaupt nicht sein Zug — jedenfalls wartete ich vergebens darauf, seinen Tod bestätigt zu finden. Er war im Gegenteil aktiver als je zuvor und zog sich mit der ihm unbestreitbar eigenen strategischen Begabung in weit ausholender geschlossener Linie zurück. Diese Linie reichte jedoch nicht bis in das Baltikum, und wenn Hindenburg damals die angeforderten Verstärkungen erhalten hätte, so wäre die ganze russische Nordarmee nach seinem Plan umgangen und abgefangen worden. Ehe die Operationen an der Ostfront im Winter 1915/16 ganz zum Stillstand kamen, erhielten wir durch zwei weitere Luftschiffe Zuzug. Das eine, der neue LZ 85 unter Scherzer, warf zwölf Tonnen Spreng- und Brandbomben auf die Eisenbahnen und Brücken bei Dünaburg, Riga und Minsk. Das andere, LZ 39, bombardierte die Festung Rowno. Dabei wurden seine hinteren Gaszellen von Schrapnellen durchlöchert, und ein Sprengstück knickte eine Strebe der vorderen Motorgondel. Als der Kommandant Dr. Lempertz daraufhin den Rückweg antrat, wurde das Heck des Schiffes immer schwerer und seine Schräglage infolgedessen bedrohlich. Plötzlich brach die Strebe ganz ab, und die Gondel fiel mitsamt dem Maschinisten in die Tiefe. Da auch dem ihr vorgelagerten Führerstand ein gleiches Schicksal drohte, zog sich Lempertz mit seinen Offizieren in das Innenschiff zurück. Steuerlos begann LZ 39 in immer steiler werdendem Winkel nach Russland zurückzutreiben. Aber die Besatzung gab sich nicht verloren. Alle Hände arbeiteten fieberhaft, aller Ballast im Hinterschiff wurde abgeworfen, Brennstofftanks flogen über Bord. Die Ladung wurde vom Heck nach vorn gebracht, und schließlich konnte Lempertz den Notführerstand im hinteren Teile des Schiffes benutzen. Auf diese Weise kam die kleine Schar über die Linien zurück und brachte unsern von Luck, dass in deutscher Hand war, das Schiff glatt zu Boden. Leider fehlte es an Hilfsmitteln, um die nötigsten Ausbesserungen an Ort und Stelle vorzunehmen, so zerschellte LZ 39 vollends und wurde abmontiert. Viel später, in Friedenszeiten, als Dr. Lempertz beim Luftschiffbau in Friedrichshafen den Gedanken fand und ausarbeitete, einen gasförmigen Brennstoff für die Maybach-Motoren des „Graf Zeppelin“ zu verwenden, haben wir uns noch manchmal darüber unterhalten, wie ungleich die Glücksgöttin ihre Gnaden verteilt, denn mir hätte es mit dem Z XII genauso gehen können wie Dr. Lempertz mit seinem LZ 39.

Bald darauf bot der einbrechende Winter unserer Tätigkeit im Osten Halt. Zugleich mit dem Befehl, den Z XII nach Darmstadt zu überführen, erhielt ich ein Telegramm:

„Ich drücke dem Kommandanten, den Offizieren und der Mannschaft des Z XII anlässlich des Ausscheidens aus meinem Kommando meinen Dank und meine Anerkennung aus und wünsche ihm bei seiner weiteren Tätigkeit Glück und Erfolg.

von Hindenburg.“

Auf Luftpatrouille und Weltfahrt

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