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6. Kapitel / Im Butterfass zwischen Himmel und Erde

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er Luftschiffbau in Friedrichshafen hatte schon in den ersten sechs Kriegsmonaten einen gewaltigen Aufschwung genommen. In Potsdam entstand eine zweite Werft, und der Voranschlag sah für 1915 nicht weniger als 26 Luftschiffe des Heeres und der Marine vor. Allmählich wurde die Bauzeit so beschleunigt, dass in beiden Werften zusammen eine Zeitlang alle vierzehn Tage ein neuer Zeppelin fertig war.

Gleich zu Beginn des Jahres wurden Oberstleutnant von Gemmingen und ich von der „Sachsen“ auf eines der neuen Luftschiffe, den Z XII, versetzt. Obwohl auch dieser Neubau mit nur 25 000 Kubikmetern Gasfassung, zwölf Tonnen Zuladung und knapp 100 Kilometern Stundengeschwindigkeit den Anforderungen des Luftkrieges noch nicht entsprach, so bedeutete er doch gegenüber den Vorkriegstypen einen merklichen Fortschritt. Die bisher offenen Gondeln waren eingekapselt und der Laufgang wenigstens teilweise schon in den Schiffsrumpf verlegt. Manche Verbesserungen waren von Gemmingen und mir angeregt worden; andere, wie der Übergang zur Stromlinienform, ließen sich aus praktischen Gründen damals noch nicht verwirklichen. Es handelte sich jetzt vor allem darum, Luftschiffe so rasch und viel wie möglich zu bauen; deshalb mussten die Ringe, aus denen sich das Starrgerüst zusammensetzt, möglichst gleichen Durchmesser haben, damit sie leicht ausgewechselt oder ergänzt werden konnten.

Das deutsche Volk erhoffte und erwartete von den Zeppelin-Luftschiffen Außerordentliches. Seine Erbitterung richtete sich besonders gegen England, das über unsere Frauen und Kinder die Hungerblockade verhängte, aber selber vom Festland und von der See aus unangreifbar blieb. Umso leidenschaftlicher forderte die deutsche Meinung den Angriff aus der Luft. Die Oberste Heeresleitung verschloss sich dieser Forderung nicht, nur waren ihre Gründe nicht so sehr gefühlsmäßiger Art. Ihr kam es vor allem darauf an, der Störung des deutschen Seeverkehrs und der Unterbindung unserer Versorgung zu begegnen. Auf den britischen Inseln selbst sollten die Luftschiffe und Flieger ausschließlich Anlagen von strategischem Wert, wie Docks, Arsenale, Munitionsfabriken, Lagerhallen und Bahnhöfe, mit Spreng- und Brandbomben belegen und dadurch erhebliche Streitkräfte im Lande festhalten. Den moralischen Gewinn sah die Heeresleitung darin, dass die Luftangriffe den Unternehmungsgeist der eigenen Leute stärken und die Widerstandskraft des Feindes schwächen würden.

Es gab viele, denen der eingeschränkte Luftkrieg als Vergeltungsmaßnahme gegen die unbeschränkte Hungerblockade nicht genügte und die deshalb vorschlugen, sich nicht in Einzelangriffen zu verzetteln, sondern mit ganzen Luftflotten über England herzufallen.

Zwanzig große Luftschiffe sollten mit je 300 Brandbomben über London erscheinen. 6000 Bomben, so rechnete man, würden in der Weltstadt so viel Feuersbrünste hervorrufen, dass es nicht möglich wäre, diesen Riesenbrand einzudämmen. Selbst wenn jeder dritte Zeppelin abgeschossen werden sollte, so würde sich die todgeweihte Mannschaft im Absturz doch noch ihrer Bomben entledigen.

Nach meiner technischen Meinung gefragt, gab ich zu, dass die Idee an sich durchführbar sei. Aber der Gedanke, eine wehrlose Zivilbevölkerung außerhalb des eigentlichen Kriegsgebietes allen Schrecken des Bombenkrieges zu überliefern und unersetzliche Kulturwerte zu zerstören, war für jeden von uns Grund genug, den Plan von der Hand zu weisen.

Der Kaiser hatte sich anfangs überhaupt jedem Luftangriff auf England widersetzt und nur unter dem Druck seiner Admirale und Generale darin eingewilligt, dass wir Ziele von wirklicher militärischer Wichtigkeit bombardierten. Bestimmte Plätze der Hauptstadt, wie der Buckingham-Palast, die Westminster-Abtei, die St.-Pauls-Kathedrale und die Regierungsgebäude, durften aber unter keinen Umständen, auch nicht durch Zufall, in Mitleidenschaft gezogen werden.

Ich befehligte das Armeeluftschiff, das als erstes über England flog, und ich wusste, was der kaiserliche Befehl bedeutete und was es für mich bedeutet hätte, wenn ich gegen ihn verstoßen würde.

Deshalb breitete ich meine Karte von London aus und zeichnete mit roter Tinte um jene Gebäude Kreise, ähnlich den sogenannten Gefahrkreisen, die der Schiffskapitän verwendet, um Riffe und Sandbänke zu vermeiden. „Sehen Sie“, meinte ich zu Gemmingen, „wie vorsichtig wir sein müssen!

Man wird uns schwerlich Zeit genug lassen, um alle unsere Bomben auf einmal über die City abzuladen. Wir werden also eine Runde beschreiben müssen und dabei zweifellos in einen dieser Gefahrkreise hineinstoßen. Um nicht vorzeitig entdeckt zu werden, brauchen wir Wolken, die uns verbergen, und darunter klare Luft, damit wir die Ziele sehen. Unter diesen Umständen werden wir wohl leider oft darauf verzichten müssen, an die Bank von England heranzukommen, und uns mit den Docks und militärischen Objekten am Rande der Hauptstadt begnügen.“

In jenen Tagen schickte sich der Kommandant des LZ 35, Hauptmann Masius, gerade zu einem Streifzug über verschiedene Ortschaften hinter den englischen Linien — Cassel, St. Omer und Hazebrouck — an, als ihm ein chiffriertes Telegramm überbracht wurde. Durch direkten Befehl des Kaisers wurde ihm verboten, St. Omer mit Bomben zu belegen, und stattdessen ein Angriff auf Poperinghe angeordnet. Der Grund wurde bald bekannt: das Hauptquartier hatte erfahren, dass die Führer der Entente in St. Omer eine geheime Zusammenkunft hatten, an der auch die Könige von England und Belgien teilnehmen sollten. Als Masius mir davon erzählte, fügte er achselzuckend hinzu: „Die Häupter der Alliierten kommen im Rathaus von St. Omer zusammen. Dieses Rathaus steht einsam in der Mitte eines großen freien Platzes. Nichts wäre leichter, als es mit einem einzigen Bombentreffer zu erledigen.“ Wir verstanden es alle, dass der Ort, an dem König Georg oder König Albert gerade weilten, von unseren Bombengeschwadern zu meiden sei. Andererseits war man auf Seiten der Entente nicht so rücksichtsvoll, denn verschiedentlich waren Charleville und Stenay Luftangriffen ausgesetzt, obwohl oder vielleicht auch weil die feindlichen Flieger wussten, dass sich zeitweise der Kaiser und der Kronprinz dort aufhielten.

Die Rücksichtnahme auf außermilitärische Bedenken rein menschlicher oder auch dynastischer Art fiel uns überdies immer schwerer, je mehr uns der Feind unsere militärischen Aufgaben erschwerte.

Seine Flugzeuge wurden immer schneller, zuverlässiger und steigfähiger, seine Scheinwerfer stärker, seine Abwehrgeschütze wirkungsvoller. Die feindlichen Flieger kletterten bis zu unserer Höhe empor, der nächtliche Himmel wurde auf das erste Alarmzeichen hin taghell erleuchtet, und die Abwehrbatterien zielten bisweilen besser als ihre Ziele.


Beim Ausbringen meines ersten Kriegsluftschiffes


Oberstleutnant von Gemmingen (rechts) mit mir an der Westfront

Jedes Mal, wenn wir die eigene Front überschritten hatten, mussten wir damit rechnen, in ein Wespennest zu geraten. Gemmingen und ich zerbrochen sich den Kopf darüber, wie wir dieser gefährlichen Abwehr begegnen könnten.

Wir hatten die Idee, vom Luftschiff eine kleine Beobachtungsgondel herabzulassen, von der aus der Beobachter den Kurs angeben und den Bombenabwurf leiten sollte, während das große Schiff tausend Meter darüber ungesehen vom Feind in einer Wolkenbank seinen Weg verfolgte. Mir als Ingenieur kam die Aufgabe zu, diese Idee technisch durchzuarbeiten. Auch andere Leute hatten denselben Einfall gehabt, und der Zivilingenieur Hagen in Köln, der sich damit an uns wandte, besorgte uns eine Handwinde und ein Stahlkabel von 3,8 Millimeter Durchmesser und 300 Meter Länge.

Wir fanden ein altes Butterfass und versahen es mit einem Schwanzstück, das als eine Art Windfahne wirken und Drehungen verhindern sollte. Mittschiffs im Bombenraum wurde eine Winde montiert, von der das Stahlkabel ablief. Um Stöße abzufangen, war das Fass mit ein paar starken Stahlfedern an dem Kabel befestigt. Ein gewöhnliches Feldtelefon verband es mit der Führergondel.

Nachdem ich dem Steuermann auf dem Kommandostand die Augen verbunden hatte, kroch ich in das Butterfass und gab den Befehl, es herabzulassen. Das ging anfangs ganz glatt, das Stahlseil begann ächzend und quietschend abzurollen, und ich sank wie der Eimer im Brunnen. Aber als ich ungefähr 150 Meter unter dem Luftschiff hing, bekam die alte Handwinde ihre Mücken. Das Seil begann zu rucken und zu pendeln, ich wurde peinlich herumgestoßen und hatte Mühe, mich in meinem Butterfass zu behaupten. Misstrauisch schielte ich nach dem Kabel, das nicht allzu widerstandsfähig war, und fürchtete jeden Augenblick, die Winde über Bord gehen zu sehen. Dieses unbehagliche Gefühl beschleunigte die Berechnungen, die ich dabei anstellte. Mit einem Taschenkompass bestimmte ich die Richtung, die das Schiff nehmen sollte, und gab danach telefonisch meine Befehle an den blinden Steuermann in der Führergondel. Die Befehle wurden prompt ausgeführt, und das Schiff bewegte sich, wie und wohin ich es haben wollte. Zufrieden mit diesem Ergebnis, ließ ich mich wieder nach oben kurbeln.

Sobald der Z XII gelandet war, gab ich eine leistungsfähige Winde in Auftrag. Sie sollte nicht mehr mit der Hand bedient werden, sondern durch einen der großen Benzinmotoren des Luftschiffes. Weiter ließen wir uns ein 900 Meter langes Kabel aus hochwertigem Stahl anfertigen. In dieses Kabel war ein mit Gummi isolierter Kupferdraht eingefügt, der als Telefonleitung diente. Der Spähkorb selbst war aus Weidenruten und glich einem winzigen Flugzeugrumpf mit Schwanz und Seitensteuer. Dieses sollte es dem Beobachter ermöglichen, seitliche Schwingungen auszugleichen, wenn das Schiff in störende Luftströmungen geriet. In der Praxis erwies sich aber dann, dass diese Maßnahme nicht nötig war. Der Spähkorb enthielt einen bequemen Stuhl, einen Kartentisch, Kompass, Fernsprecher, elektrisches Licht und einen Blitzableiter. So gerüstet, brannten wir darauf, die ersten zu sein, die den Briten aus seiner eigenen Insel heimsuchten. Aber wir hatten Schwierigkeiten, und so kamen uns die beiden Marine-Zeppeline L 3 und L 4 unter den Marineoffizieren Fritz und Graf Platen zuvor, indem sie am 19. Januar 1915 die englische Küste abgrasten. Noch hatten wir die Hoffnung, wenigstens die ersten über London zu sein. Die Schwierigkeiten, die uns in den beiden ersten und kältesten Monaten des zweiten Kriegsjahres zu schaffen machten, gingen darauf zurück, dass auf dem neuen Z XII die Öltanks und Rohrleitungen der Motoren gegen starke Kälte nicht genügend geschützt waren. Bei einem Vorstoß auf Nancy an einem ausnehmend kalten Februartag stieg unser Schiff ohne besondere Anstrengung auf die damals noch ungewöhnliche Höhe von 3300 Metern. Das Thermometer sank auf zehn Grad unter Null; in Wirklichkeit war es noch viel kälter, aber unsere Instrumente waren auf tiefere Temperaturen nicht geeicht. Die Führergondel war nicht heizbar, die Mannschaft, die außerhalb der Hülle zu tun hatte, fror jämmerlich, und ich fürchtete, dass die Maschinisten sich die Finger erfrieren würden. Die Lage wurde ernst, als einer der drei Motoren stehenblieb. Während wir versuchten, ihn wieder in Gang zu bringen, hörte ein anderer vorübergehend auf. Das Schmieröl in den Tanks war in feste Stücke geronnen. Mit nur einem Motor den Vorstoß fortzusetzen, wäre Selbstmord gewesen; wir konnten von Glück sagen, wenn wir überhaupt noch heimkamen. Wir mussten die Tanks aufreißen, das zu Klumpen verdickte Öl herausnehmen, in kleine Teile zerschneiden und spanweise direkt durch den Reiniger in die Motoren füttern. Auf diese Weise hielten wir den einen Motor in Gang und brachten auch noch einen zweiten wieder zum Laufen. In einem wahren Schneckentempo schlichen wir heimwärts.

Auf Grund dieser schlechten Erfahrungen wurden die Brennstoff- und Ölanlagen geändert. Am 8. März 1915 übersiedelten wir dann nach unserem neuen Lufthafen Maubeuge im besetzten französischen Gebiet. Schon drei Tage nach unserer Ankunft erhielten wir den ersehnten Auftrag: „Bis auf weitere Befehle sind Bombenflüge zu machen, möglichst auf militärische Ziele in England, besonders in London.“

Der Befehl war sehr allgemein gehalten, und das war mir nur lieb. Denn dadurch blieb es mir überlassen, zu bestimmen, wann und wohin wir fahren würden. Die letzte Entscheidung dabei hing vom Wetter ab, und mit der Wettervorhersage war es während des Krieges für uns schlecht bestellt. Die deutsche Hauptwetterwarte war in Belgien eingerichtet, und ihre Informationen stammten von der Front, die keine 150 Kilometer entfernt war. Für uns Luftschiffer war das fast nutzlos, denn ein Sturmzentrum, das sich mit 50, 60 Kilometern Schnelligkeit in der Stunde vorwärts bewegte, war vorüber oder änderte die Richtung, bevor wir vor ihm gewarnt waren. Wir waren also oft gezwungen, blindlings Fahrten anzutreten, die zwanzig Stunden dauern konnten. Unter diesen Umständen blieb uns nichts übrig, als an Bord aus der Veränderung der Wolkenformen, des Windes in verschiedenen Höhenlagen, der Temperatur und des Barometerstandes unsere Schlüsse zu ziehen. Meiner Schätzung nach sind mindestens dreißig Prozent der Luftangriffe gegen England und Frankreich infolge unvorhergesehener Wetterstürze abgebrochen worden, und das ist noch ein außerordentlich günstiges Ergebnis, wenn man bedenkt, dass die Zeppeline bei jedem nur einigermaßen erträglichen Wetter hinausgingen. Schon mäßiger Gegenwind stellte den Erfolg in Frage, weil er das schwerbeladene Fahrzeug länger als ratsam in Reichweite des Feindes hielt, und starker Regen konnte es so beschweren, dass es nicht mehr hoch genug kam, um dem Gegenangriff zu entgehen.

Zu diesen Hemmnissen des Wetters trat die Schwierigkeit, sich Zurechtzufinden. Im Frieden sind die Städte hell erleuchtet, an allen Küsten blinken Leuchttürme, und das Luftschiff fährt so niedrig, wie es ihm passt. Da ist die Navigation eine einfache Sache. Im Krieg dagegen sind nicht einmal die gewöhnlichen Bodenhilfen brauchbar. Den Funksender benutzte ich, um dem Feind nicht unseren Standpunkt zu verraten, nur auf großer Fahrt oder bei unvorhergesehenen Ereignissen während der Rückkehr. Astronomische Beobachtungen schieden aus, wenn die Sterne nicht zu sehen waren. Damals hatten wir noch nicht unseren Scheinwerfer, nach dessen Lichtkreis auf dem Boden sich der Windeinfluss berechnen lässt. Unsere einzigen Anhaltspunkte in Belgien waren die beiden Leuchttürme bei Ostende und Steenbrugge. Wenn wir uns zwischen ihren beiden senkrechten Lichtbalken eine waagerechte Verbindungslinie gezogen dachten, so zeigte diese genau auf die Themsemündung.

Auf Luftpatrouille und Weltfahrt

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