Читать книгу Auf Luftpatrouille und Weltfahrt - Ernst A. Lehmann - Страница 5
2. Kapitel / Zaungäste der Revolution
Оглавлениеie Sonne sank, die Sonne steigt, „Graf Zeppelin“ kreuzt auf der Höhe von Recife. Wir machen den normalen Dienst und können im Übrigen nichts tun als warten. An sich eilt es uns nicht so, wir sind vier Tage unterwegs und können uns, wenn es nottut, noch vier Tage ohne Zwischenlandung halten. Das eben ist der große Vorteil des Luftschiffes vor dem Flugzeug, das nur mit laufenden Motoren, also mit genügend Betriebsstoff, flugfähig bleibt. Da wir sparsam waren, reicht unser Benzin und Öl noch; Lebensmittel und Frischwasser sind zwar knapp, weil wir auf eine so lange Ausdehnung der Reise nicht gefasst waren, aber wir kämen damit aus. Doch da der Dampfer „España“ der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschifffahrtsgesellschaft auf unserem Kurs steht, so nutze ich die Gelegenheit zu dem Experiment, ein Luftschiff vom Seeschiff aus zu verproviantieren.
Ein Funkspruch fliegt zum Landsmann wie der Wunschzettel zum Weihnachtsmann:
Kapitän Espana dhgt
Steuern Sie an zur Aufnahme von Proviant falls Ihnen möglich
30 Kilo Brot wie vorhanden
1 Stück Kalbsschlegel
1 Stück Rinderkeule
10 Pfund Fleischwurst
25 Kilo Kartoffeln
Büchsenheringe für 50 Portionen
25 Flaschen Bier kalt
5 Pfund Mehl
5 Pfund Spaghetti
50 Paket Zwieback
Grafzeppelin
Grafzeppelin
Können alles bekommen außer Flaschenbier dafür ein Fass Bier Kartoffeln nur frisch in Säcken stop Wie nehmen Sie es über und wann Fragezeichen Wenn nötig setzen wir Boot aus stop Position 12 Uhr gmt 6.42 Süd 33.04 West Kurs 204 rw Gruß
Schneekloth
Espana
Danken für Hilfe bitten Proviant ohne Bier bereithalten stop Zum Manöver Kurs gegen den Wind volle Fahrt stop Abgeben auch mit Leine Netz zum Verpacken stop Aufnahme im zweiten Anlauf
Grz
Das Programm wird beiderseits so prompt und glatt erledigt, als seien Seeschiff und Luftschiff in hundert Proben aufeinander eingespielt. „Graf Zeppelin“ schiebt sich von rückwärts über die „España“ heran, die mit volllaufender Maschine vor uns her dampft, beschreibt einen Bogen und geht tiefer. Gegen die Windrichtung eingestellt, steuert das Luftschiff über den Frachtdampfer, unsere Motorenkraft ist so weit abgedrosselt, dass sie dem Gegenwind gerade nur die Wange hält. „Graf Zeppelin“ tritt, wie man beim Militär sagt, auf der Stelle.
Es ist ein Augenblick, der jedes deutsche Herz höher schlagen lässt, als Flagge über Flagge das neue Deutschland grüßt. Schiff ist so nah an Schiff, dass wir mit der Besatzung Gruß und Nachricht tauschen können, während Schillers Leute durch die Fallreeptür der Passagiergondel das Netz herablassen. Das ist bedeutend größer als das Einkaufsnetz, mit dem unsere Hausfrauen in der fernen Heimat auf den Marktplatz gehen, aber es erfüllt denselben Zweck. Kaum ist das Seil mit seiner 110 Kilo schweren Nutzlast wieder aufgewunden, so gehen unsere Motoren auf volle Kraft. Die „España“ sinkt hinter uns zurück, schon wirkt sie wie ein Spielzeugschiff im Weihnachtsladen, und die Mannschaft besteht nur noch aus Punkten. Aus unserer Funkbude springt ein Dank zurück zum wackeren Kapitän, der uns geholfen hat:
Kapitän Schneekloth dght
Recht herzlichen Dank jetzt können wir Ende Pernambuco Revolution abwarten Gruß
Lehmann
Weiter kreuzen wir auf See, zwischen der Festlandküste und dem vulkanischen Felskegel der kleinen Inselgruppe Fernando Noroñha, die als Vorposten Amerikas aus dem Meere aufsteigt. Haushoch donnert die Brandung um die Klippen, und der weiße Gischt scheint sich zu fliegendem Getier zu verdichten: Seeadler, Albatrosse, Reiher flitzen wie Schneegestöber um die Felsentürme; im gläsern blauen Meer unter uns gleitet des Luftschiffes violetter Schattenumriss über torpedoförmige Haie und braune, deckenflache Riesenrochen dahin. Die Hauptinsel, zweieinhalb Kilometer breit, elf Kilometer lang, erinnert mich an Helgoland: über breitem Strand erhebt sich hundert Meter hoch der rotgebrannte Fels. Auf seinen Rücken schmiegen sich, zwischen Mais- und Bohnenfeldern, Maniok und Rizinus, ein paar flache Steinhäuser, überragt vom Gerüst der Funkstation. Einen einzigen Menschen werde ich gewahr: regungslos steht er am Strand und schaut dem Luftschiff nach. Ist der Mann am Strand einer der 160 Wärter, ist es einer der politischen Verbrecher, die hierher verbannt sind? Verbannt auf die glühendrote Insel, drei Grad vom Äquator, 750 Kilometer von der nächsten Festlandküste. Einmal im Monat kommt der Dampfer von Recife de Pernambuco und bringt für die Gefangenen und ihre Wärter Post und Proviant. Es war bald nach der vorigen Militärrevolte in Pernambuco, als die Kunde von einem tollen Piratenstreich durch die Zeitungen ging. 600 politische Gefangene, so hieß es, hatten die 160 Wärter auf Fernando Noroñha überwältigt, die Funkstation zerstört und sich des Regierungsdampfers bemächtigt, der gerade dabei war, auszubooten. Aufseher und Gefangene tauschten die Rolle, die Freibeuter nahmen Kurs auf Recife, ergänzten im Hafen ihre Vorräte und stachen wieder in See. Die Regierung bot Wasserflugzeuge und zwei Kleine Kreuzer auf, um die Ausreißer zu stellen, aber der Atlantische Ozean ist ein weites Feld und die Küste Brasiliens 8000 Kilometer lang, und so währte es eine Weile, bis dem unzeitgemäßen Spuk Cooperscher Marineromantik ein Ende gemacht war. Später wurde Fernando Noroñha — oder richtiger gesagt: die See davor — Standort für das Mutterschiff der deutschen Postflugboote, die „Graf Zeppelin“ jetzt vertritt. In Recife haben wir selber noch die Spuren der vorigen Rebellion gesehen, die von Polytechnikum und Jägerkaserne ausging, und im Hotel Central hat man unseren Fahrgästen, die dort abzusteigen pflegen, die Geschichte der Kugellöcher in der Wand erzählt.
Der Speisesaal des Hotels nimmt den achten, obersten Stock des schmalen Turmbaus ein, der inmitten der niedrigen Tropenhäuser einen Wolkenkratzer in Taschenformat darstellt. Man hat aus seiner Höhe noch drei Seiten wunderbaren Ausblick: auf den Atlantik, dessen Brandung sich gischtend an dem viele hundert Kilometer langen Sandsteinriff der Flachküste bricht, auf das grelle, heiße Labyrinth der unabsehbar ausgedehnten Stadt und auf die moorigen Lagunen mit den langstieligen Staubwedeln der Kokospalmen, zwischen denen von Zeit zu Zeit der Silberfisch „Graf Zeppelin“ unter senkrechter Sonne schimmert.
Die Brise von der See streicht kühlend durch den Saal; an den weißgedeckten Tischen, über die winzige Ameisen nach Zucker jagen, speisen vornehme Brasilianer, blonde Deutsche, ungenierte Bürger der USA., lautlos bedient von straffhaarigen, braunen Indios.
In diese friedliche Versammlung von Gentlemen und Ladies in Weiß trägt der Fahrstuhl einen schwerbewaffneten Soldaten. Der Mann ist, gemessen an den Deutschen, klein und zierlich und nimmt sich in seiner gelben Khaki-Uniform wie ein Bruder des kraushaarigen Negerknaben aus, der den Lift bedient und mit verschreckten Rehaugen kindlich zu ihm aufschaut. Höflich teilt der Soldat den Gästen mit, dass in diesem Augenblick die Revolution beginnt, und ersucht sie, die Fensterplätze zu räumen, da sogleich geschossen wird. Die Gäste, wie sich denken lässt, beeilen sich, den Wunsch des jungen Helden zu erfüllen; kaum haben sie sich an die fensterlose Wand des Speisesaals zurückgezogen, so hebt drunten ein Maschinengewehr zu tacken an, Gewehre knallen, in Fensterscheiben und Saaldecke erscheinen mit Geklirr und Klatschen runde Löcher.
Nationalmiliz schlägt den Aufruhr nieder, dessen politische Drahtzieher im Hintergrund verschwinden. Es heißt, dass kommunistische Propaganda im Spiele ist; ein verwegener Freibeuter der Politik, Luiz Carlos Prestes, taucht seit der Revolution von 1924 immer wieder auf.
Graf Zeppelin“ übernimmt Proviant vom Dampfer „España“
Speisesaal, Passagierkabine und Mannschaftsmesse im „Graf Zeppelin“
Die Fäden der Verschwörung sollen in Fabriken und Kasernen, ja sogar bis in einzelne Ministerien reichen, und die große Spinne in dem fernen Moskau sei bestrebt, ihr Netz auch auf Argentinien, Paraguay und Chile auszudehnen. Nun, Brasilien ist gesund und stark, sein fähiger Präsident, Getulio Bargas, wird auch jetzt mit dem Hochverrat der Verführten fertig werden. Der Empfänger in unserer Funkkabine nimmt zwischen den vielen tausend Wetter- und Standortsmeldungen begierig jede politische Verlautbarung aus Rio de Janeiro auf. Der Bundespräsident hat das Kabinett zur Notstandssitzung einberufen. Garnison, Marine, Polizei sind alarmiert. Banken, Bahnhöfe, Fabriken werden militärisch bewacht. Durch Parlamentsbeschluss wird über ganz Brasilien für dreißig Tage der Belagerungszustand verhängt. Alle kommunistischen Führer im Land sind zu verhaften.
Schärfe und Umfang der getroffenen Maßnahmen beweisen, dass es sich diesmal denn doch nicht mehr um einen Putsch rein lokalen Charakters handelt, obwohl in Rio selbst noch alles ruhig scheint. Der Herd der Unruhen ist ausgerechnet dort zu suchen, wohin wir wollen — nicht bloß wollen, sondern müssen!
Der Ausstand ist in der Nacht des 23. November gleichzeitig in den drei aneinandergrenzenden Bundesstaaten Rio Grande do Norte, Parahyba und Pernambuco ausgebrochen, was beweist, dass er nach genauem Plan organisiert worden ist. Im Staat Grao Pará, der in Äquatornähe zwischen den seeartigen Strommündungen des Para und des Amazonas liegt, und im Staat Alagôas, der südlich auf Pernambuco folgt und dessen Hauptstadt Maceio ist, sind die Putschvorbereitungen rechtzeitig aufgedeckt und vereitelt worden.
In Natal der Hauptstadt von Rio Grande do Norte, hat sich das meuternde 21. Jägerbataillon der Regierungsgebäude und der Funkstation bemächtigt und dadurch andere Truppenteile zu sich herübergerissen. Der Staatspräsident Rafael Fernandez ist in die Polizeikaserne geflüchtet. Die Funkstation verkündet eilfertig den Sieg der Revolution, den der Generalstreik von 200 000 Arbeitern besiegele. Die Bundesregierung in Rio de Janeiro dementiert; von beiden Parteien wird der Rundfunk als Propagandawaffe in den Bürgerkrieg einbezogen.
In Parahyba, Hauptstadt des gleichnamigen Staates, haben sich die Aufrührer verschanzt und werden von Polizei und Regierungstruppen angegriffen. Unser Reiseweg führt uns gelegentlich über Parahyba nach Pernambuco. In Recife selbst, der Hauptstadt von Pernambuco, hat sich aufsässiges Militär — Unteroffiziere, Militärschüler, Jäger — zu Herren der Kasernen gemacht und rückt gegen die Regierungsgebäude und den Hafen vor; blutige Straßenkämpfe mit regierungstreuen Truppen und Nationalmiliz sind im Gange. Hundertmal haben wir vom „Graf Zeppelin“ den Eindruck der Lagunenstadt aus der Vogelperspektive in uns aufgenommen und sind mit ihrer Topographie vertraut. Wir kennen die lange, schmale, schnurgerade Linie des Korallenriffes, das Recife den Namen gab und den einfahrenden Schiffen vor der Brandung Hafenschutz gewährt. Wir sehen die Einfahrt zwischen Riff und der Halbinsel Bairro do Recife von altertümlichen Forts bewacht und die Frachtdampfer am Kai schneeweißen Rohrzucker, Baumwollballen und die quadratisch zugeschnittenen Balken des roten Brasilholzes laden, nach dem sich Pernambuco nennt. Wir sehen das Gewimmel der Eingeborenen in allen Farben zwischen Weiß und Schwarz, Gelb und Braun, hören das herrische Klingeln der Staatsautomobile und das Rattern der vielen Bonds — wie hier die Straßenbahnen heißen — auf den Brücken, die zur Bairro do Antonio Vaz und von dieser Insel zur Villenvorstadt Bõa Vista führen. Wird um Bahnhof, Marinearsenal, Kommandantur und Zollamt des Hafenviertels schon gekämpft? Ist die Vrijborg auf São Antonio, die sich der Stadtgründer Moritz von Nassau, deutscher Feldherr in holländischen Diensten, baute, noch in Händen der Regierung? Wir wandern in Gedanken wieder durch die Hauptstraße, deren Geschäftsschilder so viele deutsche Namen zeigen und in der uns von dem mächtigen Kontorhaus der Exportfirma Herm. Stoltz & Co. die deutsche Handelsflagge grüßt. Dort ist der Sitz der Aeronauta, die die Belange der Deutschen Zeppelin-Reederei vertritt. Wenn sich — woran wir nicht zweifeln — der Ansturm der Rebellen an der Tatkraft der Regierung bricht, so muss er zwangsläufig über die Brücken des Rio Capiberibe zurückfluten nach Bõa Vista, wo unsere deutschen Landsleute mit Frau und Kindern wohnen.
Wir waren so manches liebe Mal Gast im Deutschen Klub, haben gekegelt und eisgekühltes Bier dazu getrunken und sogar die Schule im Obergeschoss des Klubhauses besucht, das ein Patrizierhaus aus dem brasilianischen Empire ist. Kokospalmen schauen mit Giraffenhälsen über das durchbrochene Dach, durch das die Meeresbrise streicht; ein gilbender Bananenhain, dicht wie ein Maisfeld, hängt in mächtigen Büscheln voller Frucht; der Brotbaum bietet den Kindern auf dem Spielplatz seine ungebackenen Laibe; das spröde Gras hat, wo es sich zu Strahlen teilt, innen einen zarten Silberstern. In schwarzschlammigen Tümpeln längs des Laubenganges fielen Krebse, und der Tyrannenvogel pickt immer hungrig nach Insekten. An der heißen Mauer, die das Klubgelände einsäumt, sonnen sich Leguane; die Kehlen der langschwänzigen Echsen flattern vor Erregung, wenn ein Kind sich ihnen nähert, während sie doch Neugier bannt. Erst wenn die Kinderhand nach ihnen greift, retten sie sich in huschende Flucht.
Es ist Turnstunde, als wir kommen; paarweise springen je ein Mädel und ein Bub übers Seil. Als einer von uns es den Kleinen nachmacht und dabei das Seil wirft, erhebt sich jubelndes Gelächter. Danach marschieren wir an Tennisplatz und Kegelbahn vorbei in die Klassenzimmer: Rechenstunde. Man rechnet auf eine neue Art mit Zerlegung der Zahlen; ich zittere heimlich, dass der Herr Lehrer mich befragen könnte. Die Kleinen aber kennen keine Schulangst, ihre semmelblonden Köpfe glühen vor Eifer; und auch die Lesestunde, die dann folgt, ist eitel Lust. Nur über das schwere Wort „Pflug“ stolpern ihre flinken Zungen, niemand kann es sprechen, und niemand weiß auch zu sagen, was das ist: ein Pflug. Da holt der Lehrer einen großen Buntdruck, darauf ist alles, was ein deutsches Dorf enthält: das Bauernhaus mit dem Storchnest, der Acker mit dem Pfluggespann, die Eiche und der deutsche Wald. Die Kinder, plötzlich still geworden, schauen mit großen Augen: das also ist das ferne Land, wo alle Leute ihre deutsche Muttersprache sprechen!
Später, als wir auf der Holzbahn Kegel schieben, schmiegt sich eine kleine weiche Patschhand in die meine; blaue Kinderaugen schlagen sich vertrauensvoll zu mir auf: „Ich will auch mit dem Zeppelin nach Deutschland — bitte, schreib mir ein Billett.“ Es ist die sechsjährige Helga des Klubverwalters Lederer; ich schreibe ihr ein Billett. Die Geschwister wollen nicht zurückbleiben, und die siebenjährige Annelore schreibt eigenhändig ihren Namen ein: „Aneloreleterao“ — lautgetreu so, wie ihn die Brasilianer sprechen. Helga, Annelore, Wolfgang haben sich damit begnügen müssen, auf dem Ankerplatz das Luftschiff zu betreten. Für sie, die von Entfernungen nichts wissen, macht das keinen Unterschied — und in der Tat: es ist ja deutscher Boden, den ihr Fuß betrat.
Unsere Besorgnis um die kleine deutsche Kolonie wird nicht geringer, als es sich in neuen Meldungen bestätigt, dass die Aufständischen über den Fluss zurückgetrieben werden und sich in den Vorstädten einzunisten suchen. Sechs Kilometer von Recife, mit ihm durch die Straßenbahn verbunden, ragt auf einem Höhenzug und dadurch vom Luftschiff weit sichtbar die alte Bischofsstadt Olinda. Deutsche Benediktinerinnen leiten dort das Töchterinstitut und Lehrerinnenseminar, und im Kloster nebenan bilden deutsche Franziskaner für den Missionsdienst aus. Diese Stadt der barocken Kirchen hält das 29. Jägerbataillon besetzt; es hat sich der Revolte angeschlossen und deckt den Aufständischen in der Hafenstadt den Rücken.
Unser Landungsplatz Giquia liegt außerhalb von Recife am Rande der Mangrovensümpfe, die für Meuterer und Mob gleichfalls gute Deckung bieten. Es verlautet, dass Kapitän Reis die Meuterer, die in den Straßenkämpfen 100 Tote, 70 Verwundete und 90 Gefangene verloren haben sollen, gegen die Sümpfe abdrängt, soweit sie nicht in den Kasernen zerniert sind. Das Schwergewicht des Bürgerkrieges scheint jedoch Natal zu sein, wohin die Zentralregierung alle verfügbaren Truppen und die beiden Kreuzer „Bahia“ und „Rio Grande do Sul“ dirigiert.
Unser Mittelsmann an Land, Herr Sievert, hat in dieser Verwirrung der Zustände einen schweren Stand. Sein Briefbericht, den wir später zu lesen bekommen, erzählt davon:
„Seitdem ich am Sonntagmorgen die Nachricht von den Unruhen erhielt, habe ich so gut wie kein Auge mehr zubekommen. Zu jener Stunde erhielt ich noch einen Mietwagen, der mich in die Secretaria brachte. Die Antwort auf meine Frage, was wir mit dem Zeppelin machen sollten, war: „E inconveniente o Zeppelin vir!“ Ich habe sofort ein Radio via Rio losgelassen — Telefon ging von der Polizei aus — und dringend Rückkehr des Schiffes nach Spanien angeraten.
Ob das ging, wusste ich natürlich nicht, aber es schien mir die einzige ganz sichere Lösung, da sich nicht übersehen ließ, was aus der Revolution werden würde. Man hatte bei der Obrigkeit die stärksten Besorgnisse wegen des Umfanges der Bewegung. Ich wollte dann selbst zur Radiostation Pina; es war nicht möglich, da irgendein Mietwagen selbst um Gold nicht zu haben war.
Durch einen Zufall beförderte man mich noch zum Derby, wo ich wegen der Sicherstellung des Platzes, der Haltemannschaften usw. vorsprechen wollte. Verständlicherweise hatte man im Augenblick aber keine Zeit für solche Fragen, da die Truppenteile erst einmal auf die verschiedenen Posten in der Stadt verteilt werden mussten. Unverrichteter Dinge kehrte ich in den Deutschen Klub zurück, um von hier aus in unserem eigenen Wagen loszufahren. Aber als ich gerade in die Garage wollte, setzte eine wilde Knallerei ein. Die Kommunisten hatten sich von hinten durch das Gelände auf die Wasserscheide durchgeschlichen und lieferten sich von hier mit den von der anderen Seite der Brücke angreifenden Polizeitruppen ein feuriges Stelldichein, das uns während einer guten halben Stunde zwang, Deckung zu nehmen. Auch das ging vorbei, gegen 16 Uhr konnte ich meinen Wagen noch unter Schusskonzert aus der Garage holen. Telefone funktionierten ja nicht mehr, aber glücklicherweise kam ich, wenn auch nach tausend Schwierigkeiten, noch durch nach der Funkstation Pina. Nachrichten vom Zepp lagen noch nicht vor. Anscheinend hatte er unsere Warnung noch nicht erhalten. Ich gab erneut durch, dass er, falls die Rückkehr unmöglich sei, zumindest seine Ankunft hier soweit wie möglich hinausschieben solle.
Zum Zeppfeld durchzukommen, war ausgeschlossen. Man kam nur bis zur Afogadosbrücke, wo die Knallerei schon begann. Ich fuhr darum zum Quartel General. Man schilderte mir die Lage als ‚muitissimamente delicada‘ und hatte für den Zeppelin keine Hoffnung. Ein Telegramm vom Kriegsminister lag bereits vor mit dem Befehl, das Zeppelinfeld zu besetzen und den Aufenthalt des Luftschiffes sicherzustellen. ,Mais que fazer, eu nao tenho tropas‘. So war es: es standen im Augenblick noch keine Truppen zur Verfügung, und das Zeppfeld lag in den Händen der Revolutionäre. Natal, das gegenwärtig einer Räterepublik zu gleichen scheint, beweist die Gefahr der Bewegung.
Ich konnte im Augenblick auch nichts machen, hoffte aber immer noch, dass der Zepp ungefährdet sei. Nachrichten von ihm waren nicht zu bekommen.
Gegen 20 Uhr erhielt ich auf Umwegen den Bescheid, dass ein Telegramm für mich vom Zepp mit der Mitteilung da sei, dass er Montag früh 6 Uhr ankäme und sofort landen müsse.
Mir war ganz und gar nicht wohl bei dieser Mitteilung, und ich fuhr für alle Fälle erst einmal wieder in die Stadt, wo ich zuerst das Quartel General aufsuchte. Dort war man nicht weniger bestürzt als ich, denn die Truppen aus Parahyba konnten frühestens gegen Morgen eintreffen.
Schließlich erschien mir aber der Inhalt des Telegramms so unverständlich, dass ich mich auf die Beine machte, um es selbst in Pina zu lesen. Versuche, mit dem Wagen durchzukommen, scheiterten. Ein besonderer Passierschein verschaffte mir überall Zutritt und Passage. So kam ich durch die dunkle Rua Imperial mit dem Verbot, den Scheinwerfer anzustellen, glücklich an der aufgerissenen Straße vorbei, um mir dann beim Abbiegen nach Pina sagen zu lassen, dass die Pina-Brücke unter Feuer stehe und nicht passierbar sei. Also wieder zurück und versucht, zu telefonieren.
Das klappte denn schließlich auch, und ich erfuhr in einem neuen Telegramm von Lehmann persönlich, dass man wohl bis Dienstag mit der Landung warten könne. Ich habe dann die ganze Nacht im Kontor zugebracht, von wo wir uns, wenn auch unter Schwierigkeiten, mit Pina verständigen konnten.
Auf Grund meiner eingehenden Berichte teilte Kapitän Lehmann das Gas so ein, dass er bis Mittwoch, eventuell auch bis Donnerstag auskommen kann.
Zwischendurch setzte ich mich immer wieder mit dem Quartel General in Verbindung (denn ich musste über die Lage im Bilde sein), bis ich die Gewissheit der späteren Landemöglichkeit hatte. Jetzt bereiten wir alles auf Mittwochnachmittag vor, wenn ich auch noch Furcht vor Sabotageakten habe.
Darum beabsichtige ich, möglichst viel Deutsche zur Landung zu verwenden. Largo da Paz ist wild zugerichtet. Die gesamte Stromzufuhr ist unterbrochen, also auf dem Feld alles dunkel. Darum wäre es das Beste, am Donnerstagmorgen zu landen, während des Tages Gas nachzufüllen und gegen Abend wieder abzufahren.
Es scheint heute schon bedeutend ruhiger, nachdem sich Socorro ergeben haben soll. Auf jeden Fall stehe ich mit dem Zepp in dauerndem Radiokontakt, so dass man dort über alles unterrichtet ist.“