Читать книгу Die Schmugglerin des Lichts - Esther Chang - Страница 9
Das Wunder
ОглавлениеDiesmal war Esthers Großvater ins Krankenhaus mitgekommen. Er sah die Angst im Gesicht seines Sohnes und das schmerzte ihn. Und was ihn außerdem schmerzte, war die Tatsache, dass er das Wichtigste in seinem Leben nicht an seine Kinder und seine Enkel hatte weitergeben können. Der Gott, dem er diente, regierte nicht im Herzen seines Sohnes und seiner Enkeltochter. Dieses Wissen vergrößerte seinen Schmerz, wie er dort im Flur des Krankenhauses stand und wartete.
Er sah seinen Sohn an und wünschte mit jeder Faser seines Herzens, dass sie nur einen kurzen Moment lang im Gebet verbunden sein könnten. Dass sie gemeinsam zu dem Gott rufen könnten, der das ganze Universum in Händen hält. Er wusste, dass seine Familie ihm grollte wegen alldem, was sie durchgemacht hatten. Aber er wusste auch: Wenn seine Familie nur erfahren würde, wie viel Gnade und Liebe von diesem Gott, dem Herrn des Universums, ausgeht, dann würden sie für immer inneren Frieden und Freude haben.
Esthers Vater war so konzentriert auf die schmale Gestalt auf dem OP-Tisch, dass er nicht bemerkte, wie der Großvater den Operationssaal betrat. Der Großvater begann zu beten – er wusste ja, dass niemand sonst es tun würde. Er betete und bestürmte Gott, Esthers Leben zu retten.
Der Arzt warf einen letzten Blick auf Esthers leblosen Körper und ihr Gesicht, das bereits totenblass wurde. Dann ging er zur Tür und erklärte ihrem Vater die Situation. Dessen Gesichtsausdruck wechselte sekundenschnell: aus großer Sorge wurde tiefster Kummer. Andere Verwandte, die ebenfalls gekommen waren, hörten die Nachricht und schluchzten auf. Manche zogen sich ein wenig zurück, um den engsten Angehörigen zu erlauben, Abschied zu nehmen.
Andere fuhren zurück ins Dorf und berichteten, dass Esther gestorben war.
Ihr Großvater betete weiter. Er glaubte aus tiefstem Herzen, dass Esther zu Größerem bestimmt war und dass ihr Leben nicht einfach so plötzlich enden konnte. Inbrünstig flehte er, dass sie wieder völlig gesund würde, auch wenn das in diesem Moment absolut irrwitzig klingen mochte. Er weigerte sich einfach, die Auskunft des Arztes ernst zu nehmen, denn er wusste: Ein Arzt konnte nur sehen, was vor Augen war. Im Glauben konnte der Großvater weiter sehen.
Während er betete, begann Esthers Hand zu zucken; dann flackerten ihre Augenlider ein wenig. Wenige Augenblicke, nachdem der Arzt sie für tot erklärt hatte, begann das Mädchen wieder zu atmen.
„Sie lebt!“ Die Stimme der Krankenschwester klang schockiert.
Alle stürzten an Esthers Bett. Konnte das wahr sein? Konnte der Arzt sich getäuscht haben? Hatte das ganze Team nicht gerade dieses Mädchen, das nun tief und regelmäßig atmete, für tot erklärt?
Die Nachricht verbreitete sich im ganzen Krankenhaus. Esthers Dorf erreichte sie erst viel später am Tag. Die Nachricht von ihrem Tod löste nicht halb so viel Entsetzen aus wie die, dass sie wieder am Leben war. Das ganze Dorf kannte ihren Großvater und alle wussten, dass er an Jesus Christus glaubte. Rasch verbreitete sich die Kunde, dass der Großvater einem mächtigen Gott diente. Die meisten Dorfbewohner waren zwar nicht seiner Meinung, aber sie verspotteten ihn von da an nicht mehr.
Esthers Eltern wurden Zeugen der großen Macht Gottes, die Wunder wirken kann. Sie hatten ihre Tochter schon fast verloren und erlebten, dass Gott dem Tod seine Beute entriss. Nun waren sie überglücklich, dass Gott ihre Tochter geheilt und sie ins Leben zurückgeholt hatte.
Einen Moment lang verspürte Esthers Großvater die Hoffnung, dass seine Kinder und Enkel jetzt Jesus als Herrn und Retter annehmen würden. Er wünschte sich nichts sehnlicher. Er hätte sein eigenes Leben gegeben, nur um zu erleben, dass seine Kinder und Enkel seinen Glauben teilten. Der Gedanke, dass sie die Ewigkeit in der Hölle verbringen würden, war ihm unerträglich.
Aber dieser Moment der Hoffnung war kurz. Esthers Vater war dankbar für das Gebet des Großvaters und die Antwort, die Gott darauf gegeben hatte, aber er war nicht bereit zu glauben. Er weigerte sich nachdrücklich, den Namen Jesus Christus zu nennen. Aber so konnte er niemandem sagen, was wirklich geschehen war. Das ganze Dorf hatte von Esthers wunderbarer Heilung gehört. Aber wenn jemand ihren Vater ansprach und mehr wissen wollte, wechselte er sofort das Thema.
Sogar Esther wollte nicht anerkennen, dass Gott sie geheilt hatte. Sie fand, sie war zu jung, um zu verstehen, welches Wunder sich da ereignet hatte. Auch wenn es für ihren Großvater offensichtlich war, dass Gott sie nicht verlassen hatte – die übrige Familie fühlte sich von ihm im Stich gelassen und einer ungerechten Verfolgung ausgeliefert.