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UNTERLIEBT ♥ Eine Vorwortgeschichte

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Ein grauer Oktobertag 1998. Irgendwo in der Steiermark.

Ein großes österreichisches Unternehmen hat mich beauftragt, seine Mitarbeiter zu motivieren und sie auf die neue Strategie einzuschwören. Ich bin für zwei Tage gebucht. Ein Blick aus dem Hotelzimmerfenster. Draußen ist es grau. Nebel. Die wunderschöne Steiermark gibt sich bedeckt. Ich nehme meine Unterlagen und trete auf den Gang hinaus. Kalte Beleuchtung. Ich gehe den langen Gang zum Seminarraum. Vorbei an Bildern von Rom, Florenz und Venedig. Was soll ich mit diesen Bildern? Hotels erzählen oft sehr eigenartige Geschichten. Ich betrete den Seminarraum.

Das Licht ist grau. Die Tische sind grau. Die Sessel sind grau. Die Pinnwände sind grau. Draußen der Nebel. Der Teppich ist schwarz, wegen der Flecken. Der Kaffee ist farblich eher schwer zu definieren. Ich nehme mir trotzdem einen. Setze mich und warte. Vor mir nehmen die 23 Teilnehmer nach und nach Platz. Die Unterhaltung ist spärlich. Lachen fehlt. Die Gesichter sind fahl. Die Zahlen sind rot. Deshalb hat mich ja das Unternehmen gebucht. Deshalb ja auch die neue Strategie. Ich soll die Widerstände gegen die neue Strategie behandeln und die Menschen zu neuen Höchstleistungen anspornen. Wenn ich gute Arbeit mache, werden die Zahlen dann auch wieder grau, vielleicht sogar schwarz.

Die im Raum vorhandene Energie kannst du mit einem alten Wettex zusammenwischen. Die Angst ist spürbar. Gepaart mit Unlust. Wenn die selbst entscheiden könnten, wären die sicher nicht hier. So gut sind die Brötchen auch nicht.

23 Menschen.

Ich mach mir meine üblichen Gedanken. Fühle mich in die Gruppe ein. Wen hab ich denn da so vor mir? Nach meinen damaligen Erfahrungswerten:

• 8, die gerne eine Beziehung hätten

• 12, die sich in ihrer Beziehung nicht mehr wohl fühlen

• 16, die sexuell frustriert sind

• 2, die sexuell missbraucht worden sind

• 1-2, die bereits lösungsorientiert über Selbstmord nachdenken.

• 6, die ein ausgeprägtes Helfersyndrom haben

• 5, die unfruchtbar sind

• 4, deren Kinder drogenabhängig sind (vorzugsweise Pharmazeutika)

• 6, die ihre Kinder schlagen

• 7, deren bester Freund der Alkohol ist

• 14, die sich fragen, wozu mach ich den ganzen Blödsinn eigentlich noch. Und damit nicht nur diesen Workshop meinen.

• 5, die viele Überstunden machen, um sich ihren Therapeuten leisten zu können, der ihnen dann sagt, sie sollen keine Überstunden machen.

• 9, die viele Überstunden machen, um es dem Papa oder wem auch immer zu beweisen

• 17, die einfach Angst haben. Vor dem Atomkrieg und dem Leben überhaupt. Besonders davor, dass ihnen das Geld ausgeht. Das war 1998. Heute haben die Menschen weniger Angst vor dem Atomkrieg. Dafür fürchten sie sich vor Terror und Überfremdung. Die Geldangst ist noch immer da.

• 9, die sich als Opfer der Umstände fühlen

• 6, die sich mit ihren Wünschen an das Universum richten

• 5, die sich komplett auf ihr Großhirn konzentrieren. Gefühle – nein, danke!

• 13, die den Job wechseln möchten

• 18, die den Job nicht verlieren möchten. (Da sind auch ein paar dabei, die den Job gerne wechseln würden. Diese Ambivalenz ist ein weit verbreitetes Phänomen. Gibt es auch in Beziehungen.)

• 11, die sich nicht sicher sind, ob sie’s noch darennen

• 22, die sich denken, was will der Trottel da vorne eigentlich

• 1, der 23., sitzt noch am Klo

Diese Truppe soll ich nun begeistern und zur Höchstform führen. Zum Glück haben die meisten dieser 23 Menschen auch tolle Fähigkeiten. Die sind auch begeisterungsfähig. Energie ist genug da. Sie ist nur gut versteckt und im Schlummermodus. Ich muss sie nur wecken. Ich werde diese Menschen und ihre Energie in den nächsten Stunden zum Erblühen bringen. Ich bin gut. In spätestens 15 Minuten lächelt die oder der erste. Nach zwei Stunden, spätestens aber am Ende des Vormittags gehören sie mir alle.

Doch an diesem tristen Oktobertag stelle ich mir zum ersten Mal bewusst die Frage: »Warum sind die eigentlich so schlecht drauf?« Auf die Welt sind die ja alle ganz anders gekommen. Und jetzt das da.

Bis zum Abend stehen auf meinem Block dann noch die Fragen:

• »Wer hat die so gemacht?«

• »Wer braucht solche Menschen?«

• »Wer hat einen Nutzen davon?«

• »Was kann man dagegen machen?«

Jetzt, an diesem grauen Oktobertag in der Steiermark, warten diese 22 Menschen darauf, dass ich beginne. Ich warte auf den 23., der hoffentlich bald vom Klo kommt. Die Tür geht auf. Da ist er endlich. Murmelt irgendeine Entschuldigung, die niemanden interessiert. Ich beginne meine Arbeit. Auf der Flipchart steht mein Name.

Bist du unterliebt?

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