Читать книгу Bist du unterliebt? - Roland Düringer, Eugen Prehsler - Страница 9
UNTERLIEBT ♥ Ich habe Angst vor Ihnen
ОглавлениеIch denke und schreibe, deshalb bin ich. Sie nehmen sich, was Sie brauchen. Einverstanden? Das ist ein faires Abkommen, finde ich. Ich bin ja in der schwächeren Position. Ich oute mich hier ja, während Sie in Ihrer Anonymität den Daumen nach oben oder nach unten richten können. Anonymität macht Menschen anders, mit einer Tendenz zu gefährlich. Die Aktiengesellschaft heißt ja im Französischen so beeindruckend ehrlich société anonyme.
Jetzt hab ich mir selbst Angst gemacht. Vor Ihnen. Sie sind irgendwo da draußen und haben die Macht, mir wohl gesonnen zu sein oder mich zu zerstören. Sie können über dieses Buch in den höchsten Tönen schwärmen oder es vollkommen zerreißen. Ob Sie das tun, in welcher Intensität und auf welche Art, hängt sehr von Ihrem Selbstwert ab. Wahrscheinlich mehr als von der Qualität meiner Gedanken und meiner Art zu schreiben. Puhhh. Unter Angst denkt es sich so schlecht. Da will ich Ihnen dann gefallen, damit Sie mir nichts Böses tun. Irgendwie bin ich ja von Ihrer Anerkennung abhängig. Sie kennen das sicher aus Ihrem Alltag. Menschen, die sich ständig anbiedern, andere anschleimen. Manchmal aus Berechnung, meistens aus Angst. Ich mag das nicht. Ich mache das auch bei Ihnen nicht. Soll ich Ihnen vielleicht schreiben, dass Sie mein Traumleser oder meine Wunschleserin sind? Dass Sie tolle Augen, ein bezauberndes Lächeln und eine attraktive Ausstrahlung haben und mich total inspirieren? Dass ich mein ganzes Leben nur auf Sie gewartet habe? Das Sie ein einzigartiges Original sind? Also ehrlich, wenn das bei Ihnen funktioniert und Sie sich darüber freuen, dann haben Sie schon ein wirklich großes Selbstwert- und Selbstliebeproblem. Die natürlichere und angemessenere Reaktion wäre, dass Sie einfach angeekelt sind, mich einen oberflächlichen und penetranten Psychofuzzi schimpfen und das Buch im Altpapier entsorgen.
Da sind wir also. Sie mit Ihrer Macht der Anonymität und ich mit meiner Angst vor Ihnen. So geht das nicht. Da kann ich nicht schreiben. Ich brauche ein konkretes Vis-a-Vis. Ein möglichst nettes, das mich hie und da anlächelt und mir Mut macht. Ich könnte mich jetzt in die Marktforschung flüchten und Sie in ein Zielgruppenprofil oder einen Cluster pressen. Der durchschnittliche Leser ist weiblich, über 45, einmal geschieden, bereits mit Therapieerfahrung und überfordert durch den eigenen Perfektionismus. Sie liest auch die folgenden Bücher xy. Gibt jährlich 86 Euro für Bücher und 198 Euro für Frauenmagazine aus. Oder die Kernzielgruppe sind Männer zwischen 38 und 52, in gehobenen Führungspositionen mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 68.000 Euro. Verheiratet, 1,47-facher Vater mit einem außerehelichen Verhältnis. In der Midlifecrisis auf der Suche nach dem Selbst und Anzeichen von Burn Out. Ich mag so etwas nicht. Sie wohl auch nicht. Obwohl wir beide ständig in solche Cluster und Zielgruppendefinitionen gepresst werden. Wir machen das hier aber nicht. Mir ist das zu wenig konkret, zu wenig menschlich und zu wenig individuell. Ein bisschen würdelos und auf jeden Fall zu wenig wertschätzend. Außerdem trifft diese Merkmalkonsolidierung auf Sie wahrscheinlich nicht zu. Sie sind dann eine statische Abweichung. Mit so etwas unterhalte ich mich auch eher ungern. Das ist ja auch kein guter Name: Statische Abweichung?