Читать книгу Ready to Eat - Eva von Wyl - Страница 19

Push- und Pullfaktoren der Amerikanisierung

Оглавление

Die Vereinigten Staaten avancierten im 20. Jahrhundert zu einem Vorreiter der modernen Konsumgesellschaft und wurden zu einem eigentlichen kulturellen und wirtschaftlichen Leitbild. Oft verwendete Ausdrücke wie American way of life oder American way of manufacturing verweisen auf diese Überlegenheit – beziehungsweise auf die Wahrnehmung einer solchen Dominanz. Die amerikanische Historikerin Victoria de Grazia attestiert den USA in diesem Zusammenhang eine «bemerkenswerte Fähigkeit, auch für andere souveräne Staaten neue Konsumgewohnheiten zu definieren»: Die Amerikaner hätten dies über zwischenstaatliche Kanäle auf Regierungsebene sowie über die Vermittlung des American way of life durch Direktinvestitionen und Geschäftsabschlüsse privater Unternehmen, durch die freie Marktwirtschaft und den Export von Konsum- und Kulturgütern bewusst gesteuert.166 Auch Richard Pells macht auf die Vielschichtigkeit des amerikanischen Einflusses aufmerksam: «American corporate and advertising executives, as well as the heads of the Hollywood studios, were selling not only their products but also America’s culture and values, the secrets of its success, to the rest of the world.»167

Damit ist ein zentraler Punkt angesprochen: Die USA waren stets daran interessiert, nicht nur Güter zu exportieren, sondern ganz bewusst auch ihre Denk- und Lebensweise.

Die Übernahme amerikanischer Praktiken, Lebensweisen und Konsumgüter ist in Europa während rund 50 Jahren (1920–1970) feststellbar, wobei in der geschichtswissenschaftlichen Forschung von einem Höhepunkt in den 1950er- und 1960er-Jahren ausgegangen wird.168 Wesentlich ist, dass es sich bei dieser Beeinflussung sowohl um ein «Bringen» (Push) als auch um ein «Holen» (Pull) handelte. Keineswegs geschah die Amerikanisierung nur in eine Richtung. Kritiker werfen den Amerikanern gerne Kultur- und Wirtschaftsimperialismus vor, doch die Schweizerinnen und Schweizer zeigten sowohl als Konsumenten wie auch als Produzenten mindestens ebenso viel Interesse am American way of life beziehungsweise am American way of manufacturing, selling, marketing, wie die Amerikaner ihrerseits versuchten, die Europäer von ihren Werten und Handlungsweisen zu überzeugen.

Dieses Neben- und Miteinander von europäischem Nachahmungswillen und amerikanischem Sendungsbewusstsein war entscheidend für die erfolgreiche Adaption amerikanischer Ideen und Konzepte. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde Europa als das Zentrum der westlichen Welt wahrgenommen – wirtschaftlich, wissenschaftlich, politisch und kulturell. Zwar setzten die USA bereits ab der Zwischenkriegszeit mit ihren rationalisierten, standardisierten Massenproduktions- und Arbeitsorganisationskonzepten (Taylorismus und Fordismus) und der einsetzenden Konsumkultur auf Basis des New Deals einen Meilenstein für die zukünftige «Konsum-Moderne», doch politisch und wirtschaftlich blie ben die USA bewusst im Hintergrund.169 Dies änderte sich mit dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg – und vor allem nach dem Krieg: Die USA avancierten zur führenden Macht der westlichen Welt, zu einer «Chiffre für die Moderne»170 und zu einem Leit- und Vorbild für Konsum, Produktion und Lebensweise. Gleichzeitig versuchten die amerikanische Politik, die Wirtschaft und auch die Unterhaltungsindustrie gezielt, den europäischen Kontinent zu beeinflussen, ja gar zu «amerikanisieren».171 Die USA sahen sich als God’s own country, das sich für das Wohl der ganzen Welt einsetzen musste. Europa hingegen war aus Sicht der Amerikaner am Ende des Zweiten Weltkriegs ein zerstörter, hilfloser Kontinent, der trotz souveränen Staaten auf die wirtschaftliche, politische und kulturelle (Entwicklungs-)Hilfe der neuen Weltmacht angewiesen war. Mit geradezu missionarischem Eifer machten sich die USA nach Kriegsende daran, Europa auf politischen und staatlichen, aber auch auf privaten, wirtschaftlichen Kanälen mit amerikanischen Konzepten, Produktionsverfahren, Werten und Überzeugungen zu bekehren.172

Um die europäische Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in Schwung zu bringen und den Aussenhandel zu stimulieren, riefen die USA das European Recovery Program (ERP), besser bekannt unter dem Begriff «Marshallplan», ins Leben.173 Das ERP war die erste und bedeutendste von insgesamt vier «Missionen», die das amerikanische Engagement in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg umfasste. Neben der Wirtschaftshilfe und dem Kulturexport diente das amerikanische Engagement im anbrechenden Kalten Krieg im Wesentlichen aber auch dazu, die Attraktivität des kommunistischen Gedankenguts in Europa zu schmälern und im Gegenzug die Vorzüge des Kapitalismus aufzuzeigen.174

Die Marshallhilfe dauerte vom Frühling 1948 bis zum Sommer 1952. Obwohl die Schweiz keine amerikanischen Hilfsgelder benötigte, beteiligte sie sich am Marshallplan.175 In dem Zusammenhang wurde die Schweiz auch Mitglied bei der Organization for European Economic Cooperation (OEEC), die als Organisations- und Verteilungsorgan der Marshallhilfe gegründet worden war und deren Mitgliedschaft Bedingung für die Beteiligung am Marshallplan war. In der OEEC hatte die Schweiz bekanntlich jedoch einen Sonderstatus, der in der sogenannten «Schweizer Klausel» geregelt war (Art. 14 der OEEC-Vereinbarung). Die Klausel ermöglichte, dass die Schweiz der OEEC trotz Neutralität und bilateralen Wirtschaftsbeziehungen nach Ost und West beitreten konnte. Art. 14 ermöglichte der Schweiz, Entscheide der OEEC zurückzuweisen, ohne dass dabei das Prinzip der Einstimmigkeit verletzt worden wäre. Die Motivation zur Teilnahme war denn auch in erster Linie handelspolitischer Natur. In der Schweiz zeichnete sich bereits 1947 ein Wirtschaftsboom ab, und der Schweizer Franken gehörte zu den stabilsten Währungen der Welt. Im Gegensatz zu den anderen europäischen Ländern verfügte die Schweizer Nationalbank zudem über reichlich US-Dollars. Trotzdem hatte der Marshallplan für sie grosse Bedeutung: Als europäisches Binnenland mit beschränkten Ressourcen war die Schweiz vom Aussenhandel abhängig. Mit der Teilnahme an den Marshallplan-Aktivitäten wollte sie deshalb einer wirtschaftlichen Isolation und Diskriminierung entgegenwirken, ohne dabei in eine europäische Zollunion integriert zu werden, wie dies die USA vorsahen. Zu wichtig waren ihr die bestehenden bilateralen Handelsabkommen, die ihr ein hohes Aussenhandelsvolumen sicherten.176


Abb. 6: Werbeplakat für das European Recovery Program (ERP), 1950. Obwohl sich die Schweiz nicht aktiv daran beteiligte, erscheint sie an prominenter Stelle.

Die USA investierten insgesamt rund 12,5 Milliarden Dollar in den Wiederaufbau Westeuropas.177 Dadurch erhielten sie einerseits enormen wirtschaftlichen Einfluss auf die Empfängerstaaten. Denn die Marshallgelder waren an verschiedene Bedingungen geknüpft, darunter die regelmässige Berichterstattung über die inländische Wirtschafts-, Produktions- sowie Handelssituation. Andererseits war insbesondere die psychologische Beeinflussung von grosser Bedeutung: Die Amerikaner bedienten sich modernster Werbe- und Marketingmittel, um die Europäer vom Marshallplan und den amerikanischen Werten, Überzeugungen und Lebensstilen zu überzeugen. Mal offensichtlicher, mal unterschwelliger wurde den Westeuropäern mittels Plakaten, Comics, Fotoausstellungen, Radiosendungen und mobilen Puppentheatern gezeigt, wie sich ihre Situation durch die amerikanischen Hilfsgelder und -güter, aber auch durch die Übernahme der überlegenen amerikanischen Konzepte sowie den freien Handel verbessern würde.178 Ein Beispiel eines solchen Werbeplakats für den Marshallplan zeigt Abbildung 6. Die Botschaft ist offensichtlich: Das Schiff «Europa» kommt dank ERP mit vollen Segeln voran. Interessant ist an dieser Darstellung aber noch ein weiterer Punkt: Obwohl die Schweiz innerhalb der OEEC einen Sonderstatus erwirkt hatte und nur partiell am Marshallplan teilnahm, ist das Schweizerkreuz bei der Anordnung der Landesfahnen auffallend prominent dargestellt, während andere Voll-Teilnehmerländer wie Irland, Luxemburg oder Portugal kaum erkenntlich sind. Gab es für diese Anordnung einen besonderen Grund, oder steckten dahinter bloss ästhetische Überlegungen? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage lässt sich aus heutiger Perspektive schwer finden. Fest steht jedoch, dass die Schweizer Teilnahme am Marshallplan gerade wegen des Beitritts zur OEEC innenpolitisch umstritten war.179 Die Darstellung jedoch suggeriert, dass die Schweiz innerhalb des ERP ein zentrales Element ist. War es also Propaganda an die Adresse der Schweizer Öffentlichkeit?

Eine jener amerikanischen Eigenschaften, die die Europäer von den Amerikanern übernehmen sollten, war eine effiziente Produktion. Hierfür wurde ein kleines, relativ unabhängiges Teilprogramm zum Marshallplan geschaffen, die sogenannte US Technical Assistance and Productivity Mission (USTA&P) oder kurz Productivity Mission.180 Ziel der Aktivitäten der USTA&P war, die Produktivität der europäischen Industrie und Verwaltung zu steigern und dem Level ihrer amerikanischen Pendants anzugleichen.181 Als der Marshallplan im Juni 1952 offiziell auslief, wurde die Productivity Mission zu einem der wichtigsten amerikanischen Unterstützungsprogramme, die noch stärker als der Marshallplan zum Ziel hatten, in Europa amerikanische Werte, Techniken sowie Wissen und Verhaltensweisen zu etablieren.

Ein wichtiger Bestandteil der Productivity Mission war die Förderung von Studienreisen, wie sie zu jener Zeit auch in der Schweiz in vielen Wirtschaftsbranchen äussert beliebt waren. Im Rahmen des Austauschprogramms der Productivity Mission erfolgten Studienreisen in beide Richtungen. Zum einen wurden amerikanische Geschäftsleute, Gewerkschaftsvertreter und Professoren nach Europa geschickt, damit sie ihre europäischen Pendants über amerikanische Organisationen, Methoden, Theorien informieren konnten, zum anderen bekamen auch zahlreiche europäische Entscheidungsträger aus den unterschiedlichsten Bereichen die Gelegenheit, an einer Reise in die USA teilzunehmen, um von den Amerikanern zu lernen.182

Vorgelebt und vermittelt wurde der American way of life den Europäern nach 1945 auf vielfältige Weise: Durch die GIs, in amerikanischen Kinofilmen und zunehmend auch in Fernsehserien, in der Werbung sowie in Zeitschriften und den Nachrichten durch Beiträge und Bilder. Richard Pells hält fest:

«The ubiquitous GI was often the first American most people in Britain, France, Italy, or Germany had ever met, the first American whose behavior they were able to observe at close range. […] As they swaggered down the street, brimming with health and confidence, looking larger than life and certainly more robust than the local population, the soldiers seemed the embodiments of a vulgar, flamboyant, mythological America.»183

Diese Aussage trifft auch auf die Schweiz zu, obwohl Pells sie hier vernachlässigt. Die rund dreitausend GIs, die nach dem Krieg zur Erholung in der Schweiz reisten, hinterliessen hierzulande einen ebenso bleibenden Eindruck wie im übrigen Europa, und sie brachten die einheimische Bevölkerung in Kontakt mit neuen Konsumgütern und Lebensmitteln, aber auch mit amerikanischem Jazz und amerikanischen Verhaltensweisen.184 Der englische Frontartikel in der NZZ vom 25. Juli 1945 mit dem Titel «Welcome to Switzerland»185 sowie die Broschüre, die man den amerikanischen Soldaten als Erinnerung an ihre Reise übergab, sind Beispiele dafür, dass die GIs willkommene Gäste waren.186 Besonders bei den Jugendlichen hatte das lässige, unautoritäre Auftreten der Amerikaner grosse Anziehungskraft.187 Die europäischen Gesellschaften, in denen – so die Erinnerung von Hans Magnus Enzensberger – «unbekleidete Damen […] nur im Museum zu besichtigen [waren]», «für unverheiratete Paare […] der Kuppelei-Paragraf [galt]» und in denen «Homosexualität […] mit gesellschaftlicher Ächtung und Abtreibung mit Gefängnis bestraft [wurde]»,188 wirkten dagegen verkorkst, borniert und starr. Die USA hingegen waren das Land der Verheissung, des Wohlstands, der Freiheit. Und gleichzeitig sahen viele nach Kriegsende in der neuen Weltmacht eine Art Held und Beschützer, mit dem man sich identifizierte, wie etwa die Anekdote des Schweizer Philosophen Georg Kohler aus dessen Kindheit zeigt:

«Mein Freund damals hiess Res, Res Stalder. […] Ich war sieben, Res neun. Von Res lernte ich ziemlich viel. Zum Beispiel, warum die Schweiz vor den Russen keine Angst haben musste, obwohl diese jetzt die Atombombe hatten. Deshalb nämlich, weil die ‹Amerikaner›, und das bedeutete, ‹wir›, eben nicht bloss die Atom- und die Wasserstoffbombe, sondern neuerdings auch die ‹Kobaltbombe› besässen.»189

So wurden die USA in der Nachkriegszeit zu einem Leitbild in mehrfacher Hinsicht: Gesellschaftlich-kulturell waren es insbesondere die Jugend, aber auch proletarische Kreise, die dem amerikanischen Vorbild folgten und von Musikstilen über Verhaltensweisen, Konsumgüter und Genussmittel bis hin zur Mode den American way of life imitierten und adaptierten. Kaspar Maase spricht in diesem Kontext auch von «Amerikanisierung von unten».190 Die «Erwachsenen» aus dem Mittelstand hingegen übernahmen amerikanische Konzepte und Gewohnheiten weniger im Privatleben als in der Arbeitswelt: bei der Produktion, im Verkauf, bei der Vermarktung. Hier wird insbesondere der Effekt der Nachahmung eines «vermeintlichen oder tatsächlichen» Vorsprungs wichtig. Auch im weiblichen, «heimischen Arbeitsumfeld» wie der Küche und dem Haushalt wurde der American way bedeutend, wie noch zu zeigen sein wird.

Ready to Eat

Подняться наверх