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Wie vorhergesagt, schien auch zur Mittagszeit noch die Sonne von einem strahlend blauen, Himmel herab. Die Anzeigentafel einer Apotheke in der Innenstadt wies dreiundzwanzig Grad aus. Das nächste Tiefdruckgebiet näherte sich aber bereits von den britischen Inseln und sollte in den nächsten Tagen für stärkere Regenfälle sorgen.

Joachim Magiera und Olaf Müller gingen zügig durch die belebte Fußgängerzone. Sie aßen jeden Tag irgendwo anders zu Mittag. Manchmal beim Chinesen, häufig tat es aber auch ein Brötchen oder eine Bratwurst auf die Hand. Um diese Zeit liefen viele Leute aus den Büros mit Schlips und Kragen oder Business-Kostüm in den Straßen herum. Das sonnige Wetter hatte viele Menschen in die Stadt gelockt, vermutlich auch, weil einigen bei den sommerlichen Temperaturen klar geworden war, dass sie nichts Geeignetes mehr zum Anziehen hatten.

An einer Ecke stand ein älterer Mann mit abgerissener Kleidung und ungepflegtem Vollbart und versuchte, die Obdachlosenzeitung zu verkaufen. Vor einem Bratwurststand hatte sich eine Schlange gebildet, die weit in die Fußgängerpassage reichte. Sie gingen zum Marktplatz, wo ein Imbisswagen stand, der Tische und Stühle herausgestellt hatte. Joachim bestellte sich Backfisch mit Kartoffelsalat. Olaf nahm den Eintopf mit Bockwurst. Sie setzten sich auf die weißen Plastikstühle, die mit den Jahren stumpf und grau geworden waren. Die Tische waren dunkelblau und deutlich jünger und passten so gar nicht zu den Stühlen. Als sie saßen, sah Olaf in Joachims nachdenkliches Gesicht.

»Du wolltest mir heute Morgen doch noch etwas erzählen«, stellte Olaf fest und pustete den heißen Eintopf auf seinem Löffel an.

»Du hast doch nicht etwa Beziehungsstress?«, fügte er scherzhaft hinzu, weil Joachim nicht gleich antwortete.

»Wie kommst du denn darauf?«, wandte Joachim ein.

»Na ja, ihr seid doch jetzt auch schon bestimmt ein halbes Jahr zusammen. Bei meinen bisherigen Beziehungen ging es dann meistens mit den ersten Meinungsverschiedenheiten los«, erwiderte Olaf undeutlich, da er gleichzeitig Luft in seinen geöffneten Mund einsaugte, weil der Eintopf noch zu heiß zum Herunterschlucken war.

»Nein, bei uns läuft noch immer alles super. Ich glaube, dieses Mal habe ich wirklich Glück.«

Joachim nahm ein Stück Backfisch auf die Gabel.

»Aber was ich vorhin erzählen wollte, hat trotzdem etwas mit Cornelia zu tun. Heute Morgen meinte ich, sie am Hauptbahnhof gesehen zu haben. Sie stieg in einen Zug nach Oberhausen. Ich sah sie nur einen kurzen Augenblick und dann war sie im Waggon verschwunden. Doch sie kann es eigentlich nicht gewesen sein. Sie ist doch heute Morgen gleich in den Kindergarten gefahren.«

»Woher willst du wissen, dass es wirklich nicht Cornelia war?«, fragte Olaf, während er seinen Blick abwandte und einer jungen Frau mit kurzem Rock nachsah, die an ihrem Tisch vorbeischlenderte.

»Hast du anschließend noch mit Cornelia telefoniert?«, fügte er nach einer Pause hinzu, ohne seinen Blick von den Hüften der Frau zu nehmen.

»Nein, noch nicht, obwohl ich auch schon daran gedacht habe, sie anzurufen. Aber du weißt doch, was heute Vormittag in der Firma alles los war«, sagte Joachim und machte eine kurze Pause, »und außerdem mag Cornelia es nicht, wenn ich sie im Kindergarten anrufe.«

Joachim hatte seinen Backfisch bereits zur Hälfte aufgegessen und blickte Olaf jetzt wieder sehr nachdenklich an.

»Könnte Cornelia denn einen Grund haben, nach Oberhausen zu fahren?«

»Nicht, dass ich wüsste und außerdem hätte sie mir davon bestimmt erzählt oder mich zumindest angerufen, wenn es sich spontan ergeben hätte. Vielleicht nicht auf meinem Handy, denn Handys kann sie nicht ausstehen, aber mit Sicherheit in der Firma«, sagte Joachim, der auf eine Gräte gebissen hatte und diese mit der Zunge im Mund suchte.

»Ich habe auf jeden Fall von Cornelia keinen Anruf entgegengenommen, auch nicht, bevor du heute Morgen in die Firma kamst«, stellte Olaf klar.

»Nach unserem Meeting heute Nachmittag werde ich Cornelia sofort anrufen, dann müsste sie eigentlich wieder zu Hause sein. Meist legt sie sich nach der Arbeit kurz hin«, sagte Joachim, der mittlerweile die vierte Gräte am Rand seines Papptellers abgelegt hatte und den letzten Bissen Backfisch zusammen mit dem Rest Kartoffelsalat auf die Plastikgabel schob.

Nach dem Essen gingen sie zwei Straßen weiter in Richtung Spedition Rohling & Söhne und kehrten in einen der Coffeeshops ein, die seit geraumer Zeit in der Innenstadt förmlich aus dem Boden schossen. Olaf bestellte sich einen Cappuccino. Joachim nahm einen doppelten Espresso. Sie saßen auf Barhockern an einem Stehtisch und tranken ihren Kaffee in wenigen Minuten aus. Noch rechtzeitig gelangten sie in ihr Büro zurück und hatten sogar noch ausreichend Zeit, ihre Unterlagen für das Meeting mit den Maersk-Leuten zusammenzusammeln.

Das Meeting dauerte über zwei Stunden. Neben Herrn Rohling war von Rohling & Söhne noch der Vertriebsleiter dabei. Die Maersk-Leute waren zu dritt. Neben der Beantwortung einiger Logistikfragen stand auch die Verhandlung von Preisen an. Die Besprechung fand in dem repräsentativsten Raum für solche Zwecke statt, einem Besprechungsraum direkt neben Herrn Rohlings großem Büro. Auf der Fensterbank standen verschiedene Tischflaggen und diverse Modelle von Containerschiffen und Lastkraftwagen. Joachim musste beim Anblick dieser Speditionsutensilien immer an den bedruckten Stehteller denken, der die Skyline von New York zeigte und in dessen Mitte das World Trade Center besonders hervorgehoben wurde. Auf dem Tellerrand prangte der Schriftzug der Firma Rohling & Söhne. Diesen Stehteller hatte Herr Rohling höchstpersönlich in größerer Stückzahl für seine Kunden als Werbegeschenk bestellt. Doch nur wenige Tage, nachdem die Teller geliefert worden waren, kam der 11. September 2001. Das World Trade Center gehörte der Vergangenheit an und die Stehteller waren keinem Kunden mehr zuzumuten. Sie wurden an die Mitarbeiter von Rohling & Söhne verschenkt und in irgendeiner Umzugskiste hatte Joachim noch drei davon zu Hause herumliegen.

Nach dem Meeting versuchte Joachim sofort, Cornelia in ihrer gemeinsamen Wohnung zu erreichen; vergeblich. Vermutlich war sie noch einkaufen gegangen, schließlich wollten sie am Abend zusammen italienisch kochen. Rotwein hatten sie auch nicht mehr im Haus. Selbst gemachte Pizza und Minestrone waren Cornelias Spezialitäten. Hierfür durften nur frische Zutaten verwendet werden, von den im Glas eingelegten Kapern einmal abgesehen.

Joachim probierte es in kurzen Abständen noch zweimal, doch sie war noch immer nicht zu Hause. Er beschloss, etwas eher Feierabend zu machen, um eventuell noch die Möglichkeit zu haben, das Fahrrad mit seinem Ford-Kombi zu holen. Olaf Müller wollte an diesem Tag ohnehin noch länger arbeiten, denn einer von beiden musste jeden Tag mindestens bis achtzehn Uhr im Büro die Stellung halten.

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