Читать книгу Albulapass - Fabian Holting - Страница 9

6

Оглавление

Brian Hansen saß in seinem silbernen Alfa Romeo Spider. Er war eingenickt. Draußen regnete es noch immer. Im Fahrzeuginneren wirkten die Tropfgeräusche des Regens, deren Monotonie nur gelegentlich durch das Peitschen des böigen Windes durchbrochen wurde, einschläfernd und täuschten eine nicht vorhandene Behaglichkeit vor. Der starke Wind ließ die Regentropfen an der Windschutzscheibe und den Seitenfenstern in unterschiedliche Richtungen verlaufen. Brian Hansen war noch nass vom Regen, vor allem seine im Schulterbereich durchfeuchtete Jacke fing nur allmählich an zu trocknen. Der kurze Weg vom Auto zum Ticket-Schalter war daran schuld. Den Schirm hatte Hansen im eilig gepackten Kofferraum nicht finden können.

Vor nicht einmal fünfzehn Minuten hatte sich die schwere Bugklappe der Britannica geöffnet und in schneller Folge Autos, Wohnmobile, Lastwagen und Motorräder jeglicher Art ausgespuckt. Nach wenigen Minuten waren alle Fahrzeuge aus dem Bauch der Fähre herausgefahren. Brian Hansen wusste, dass die zahlreichen Passagiere deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen würden, um von Bord zu gelangen. Außerdem mussten die Schiffsdecks noch gereinigt werden. Er hatte sich eine gute Ausgangsposition gesichert. Vor ihm standen nur drei Autos und ein Kleinlaster, die genau wie er darauf warteten, endlich das Signal zu erhalten, um in den Schlund der Fähre abtauchen zu dürfen.

Brian Hansen war ein stämmiger mittelgroßer Mann Anfang vierzig. Er hatte eine Halbglatze und sah dadurch einige Jahre älter aus, obwohl in seinem immer kurz geschnittenen dunkelblonden Haarkranz noch kein graues Haar zu erkennen war. Diese Nacht hatte er nur kurz und schlecht geschlafen. Mit dem Auto war er bereits gegen fünf Uhr morgens von London aus via Colchester über die A120 nach Harwich International Port gefahren. Er hatte sich vorgenommen, die Fähre um neun Uhr früh nach Hoek van Holland zu nehmen, um wieder auf das europäische Festland zu gelangen. Erst gestern war er dort gewesen und abends mit dem letzten Flugzeug von Rotterdam nach London zurückgeflogen. Brian Hansen war noch in derselben Nacht in sein Londoner Büro gefahren, um einige Unterlagen und sein Auto zu holen. Er brauchte für die Aufgaben, die ihm nunmehr bevorstanden, uneingeschränkte Mobilität, ohne auf dem Kontinent von Fahrplänen und Abfahrtszeiten abhängig zu sein. Nachdem Hansen alles, was er aus dem Büro brauchte, beisammengehabt hatte, war er noch in seiner Londoner Dreizimmerwohnung gewesen. Hier hatte er zwei Reisetaschen mit den wichtigsten Kleidungsstücken für die nächsten Tage gepackt. Wie lange er genau unterwegs sein würde, wusste er nicht. Einige Tage auf jeden Fall. In seiner Wohnung war es kalt und ungemütlich gewesen. Victoria wohnte jetzt seit einem knappen Jahr nicht mehr bei ihm. Vier Jahre waren sie zusammen gewesen, doch dann war in ihrer Beziehung alles schief gelaufen. Sie hatten sich getrennt und Victoria war wieder ihre eigenen Wege gegangen. Brian Hansen hatte die Trennung noch nicht überwunden, denn er liebte sie noch immer. Auch beruflich war er nicht mehr zufrieden. Er kam nicht voran und verdiente für Londoner Verhältnisse viel zu wenig Geld. Brian Hansen war mit sich und der Welt unzufrieden, doch jetzt sah er eine Möglichkeit, dies grundlegend zu ändern. Endlich bekam er eine Chance, auf die Sonnenseite des Lebens zu gelangen.

Nach einer kurzen Nacht war er zu seinem Auto gegangen, hatte die beiden Reisetaschen zu den anderen Sachen im unaufgeräumten kleinen Kofferraum geworfen und war nach Harwich gefahren.

Ein dumpfer Schlag auf die Windschutzscheibe riss Brian Hansen aus dem mittlerweile tiefen Schlaf. Im gleichen Moment hörte er ein durchdringendes Gegröle aus mindestens drei heiseren Männerkehlen.

»We`ll win coz we`re Arsenal, We`ll win coz we`re Arsenal …«, sangen die Männer vor seinem Auto mit unmusikalischen Stimmen und nach der Melodie Go West. Ein Mann beugte sich mit hochrotem Kopf weit über die Motorhaube und schwenkte seine Arme, von denen mehrere Fanschals herabbaumelten. Nach wenigen Sekunden zogen die Männer weiter, doch ihr Gesang war noch einige Zeit zu hören. Arsenal London hatte Ajax Amsterdam im Auswärtsspiel in der Champions League drei zu eins geschlagen. Hansen war schlagartig wach geworden und fühlte sich elend. Er gähnte und streckte dabei den Rücken durch. Die Autoschlangen hinter und neben ihm waren weiter angewachsen. Etwa dreihundert Fahrzeuge sollten auf der Fähre Platz haben, so stand es jedenfalls in der Broschüre der Reederei. Es verließen noch immer Passagiere die Fähre und gingen an den wartenden Fahrzeugen vorbei. Hinter einer Absperrung und geschützt von einer Überdachung, standen die neuen Fahrgäste bereit, um an Bord der Fähre zu gehen. Hansen langweilte sich. Er hatte ganz vergessen, sich eine Zeitung zu kaufen. Die Unterlagen aus seinem Büro kannte er in und auswendig. Er schaltete das Autoradio ein. Eine Cover-Version von A whiter shade of pale wurde gespielt. Hansen drehte das Radio leiser. Er musste an seine Anzahlung denken. Während der Überfahrt wollte er seine Bank in der Schweiz anrufen und sich nach dem Eingang der Überweisung erkundigen. Es war vereinbart, dass er noch viel mehr Geld bekommen sollte, wenn alles wunschgemäß geregelt war.

Hansens Blick ging ins Leere. Er malte sich aus, was er mit dem vielen Geld alles machen konnte. Auf die faule Haut legen wäre eine Möglichkeit, vielleicht für ein oder zwei Jahre. Anschließend könnte er sich selbstständig machen, ein eigenes Büro gründen, mit fünf bis zehn Angestellten vielleicht.

Ein durchdringendes Hupen ließ Brian Hansen aus seinen Gedanken aufschrecken. Im Rückspiegel sah er einen Mann, der hinter dem Lenkrad seines bulligen Offroaders saß und wild mit den Armen gestikulierte. Hansen schaute nach vorne und nahm gerade noch wahr, wie das Auto, das die ganze Zeit vor ihm gestanden hatte im Schlund der Fähre verschwand. Die Fahrzeugschlange neben ihm war längst in Bewegung. Ein Auto nach dem anderen fuhr in das Schiff hinein. Erst jetzt bemerkte Hansen den Mann vom Schiffspersonal, der eine Reflektorweste trug und ihn böse ansah. Mit einem Signalstab in der Hand ging er forsch auf Hansens Auto zu. Hansen drehte den Zündschlüssel und der Motor seines Alfa Romeo Spider sprang an. Mit einer entschuldigenden Handbewegung fuhr er an. Um neun Uhr sollte die Fähre ablegen und gegen Mittag Hoek van Holland erreichen, einen Stadtteil von Rotterdam.

Albulapass

Подняться наверх