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b) Abwägung im Einzelfall
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Am Ende des Entscheidungsprozesses steht schließlich immer eine Abwägung der Unternehmensleitung, ob ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden soll. Diese Abwägung muss grundsätzlich eigenständig für jeden Einzelfall vorgenommen werden. Die Unternehmensleitung hat hierbei ohne Sonderinteressen und sachfremde Einflüsse zu entscheiden, denn nur so handelt sie zum Wohle des Unternehmens.54 Die einzelfallspezifische Kosten-/Nutzenabwägung kann dabei in den folgenden Schritten erfolgen:
– Zunächst ist eine (kursorische) Prüfung der Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs durchzuführen;
– erst wenn diese Vorabprüfung auf einen durchsetzbaren Schadensersatzanspruch hinweist, bedarf es einer substantiierten rechtlich-ökonomischen (Einzelfall-)Prüfung der Schadensersatzansprüche, wobei insbesondere die Schadenssumme und etwaige Verjährungsthemen, aber auch Fragen des anwendbaren Rechts sowie etwaige Gerichtsstände zu berücksichtigen sind.55
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Als wesentlicher Maßstab der Abwägung gilt schließlich, dass geschädigte Unternehmen von der Verfolgung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche lediglich dann absehen können bzw. werden, wenn eine Abwägung auf hinreichend gesicherter Informationsbasis ergibt, dass die Kosten und/oder Belastungen für das betroffene Unternehmen außer Verhältnis zu dem erreichbaren Nutzen stehen, insbesondere weil der Anspruch wirtschaftlich wertlos ist oder Unternehmensressourcen durch ein komplexes Verfahren unverhältnismäßig lang gebunden wären.56 Wesentliche Abwägungsgesichtspunkte sind hierbei:57
– Art der Geschäftsbeziehung zu mutmaßlichem Kartellanten (direkte Vertragsbeziehung, indirekte Geschäftsbeziehung oder lediglich mögliche Preisschirmeffekte) und daraus folgend auch die Erfolgsaussichten einer (gerichtlichen) Durchsetzung;
– Verhältnis eines möglichen Schadens zum von der Geschäftsbeziehung betroffenen Gesamtvolumen;
– Bedeutung der Geschäftsbeziehung für die Tätigkeit des Unternehmens;
– positive Kosten-/Nutzenabwägung im Hinblick z.B. auf die Beschaffung der für den Nachweis des Schadens erforderlichen Informationen und die voraussichtlichen Rechtsverfolgungskosten;
– Verjährungsgesichtspunkte.
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Fällt die Kosten-/Nutzenabwägung hinsichtlich der potenziellen Schadensersatzforderung positiv aus, ohne dass ein gewichtiger Aspekt des Unternehmenswohls gegen eine Durchsetzung spricht, besteht für die Geschäftsleitung eines geschädigten Unternehmens grundsätzlich die Pflicht, den Ersatzanspruch geltend zu machen.58 In diesem Fall hat die Unternehmensleitung dafür Sorge zu tragen, dass das Bestehen von Ansprüchen geprüft, die wirtschaftliche Situation eines Schuldners beobachtet wird, Vorkehrungen gegen eine drohende Verjährung getroffen werden sowie außergerichtliche und, falls erforderlich, gerichtliche Durchsetzungs- und Vollstreckungsmaßnahmen konsequent betrieben werden.59
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Für den Entscheidungsprozess der Kartellanten gilt wiederum, dass eine positive Kosten-/Nutzenabwägung bzw. Schätzung der Erfolgsaussichten potenzieller Schadensersatzforderungen regelmäßig einen hinreichenden Grund darstellen wird, für eine kooperative Vorgehensweise (insb. Vergleichsverhandlungen) zu optieren. Andere gewichtige Gründe des Unternehmenswohls können aber auch hier im Einzelfall ein anderes Ergebnis vorgeben. Im Vergleich zum Entscheidungsprozess geschädigter Unternehmen dürfte der Ermessensspielraum der Geschäftsleitung von Kartellanten aber deutlich umfangreicher ausgestaltet sein.60
38 Vgl. dazu ausführlich Stancke, WuW 2015, 822. 39 Bspw. in den Pressemitteilungen der Europäischen Kommission zu aktuellen Bußgeldentscheidungen, vgl. in jüngster Zeit: Kommission, Pressemitteilung vom 30.1.2020, IP/20/157; oder den Praktischen Leitfaden der Europäischen Kommission. 40 Insoweit kann auf die Kartellschadensersatzrichtlinie und die 9. GWB-Novelle (BT-Drs. 18/10207) verwiesen werden. 41 Vgl. hierzu auch Kapitel M Rn. 70ff. 42 Vgl. auch Bayer/Scholz, NZG 2019, 201, 203. 43 Vgl. u.a. § 93 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG; siehe ferner jeweils m.w.N.: Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 176ff., 307ff.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG, § 43 Rn. 214ff., 339ff.; Spindler, in: MüKo-AktG, § 93 Rn. 82. 44 Die Business Judgment Rule gilt in gleichem Maße für Kartellanten, die entscheiden müssen, ob sie eine konfrontative oder kooperative Linie gegenüber möglichen Anspruchsstellern verfolgen wollen. Die dargestellten allgemeinen Prüfungs- und Abwägungsmaßstäbe sind insoweit uneingeschränkt auch auf diesen Entscheidungsprozess übertragbar. 45 Vgl. Bayer/Scholz, NZG 2019, 201, 203f.; Stancke, WuW 2015, 822, 824; Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 34–38; Rother, in: Fuchs/Weitbrecht, KartellR-HdB, § 3 Rn. 26ff.; kritisch: Altmeppen, ZIP 2019, 1253, 1253f. 46 Detailliert hierzu auch: Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 66ff.; Fleischer, in: MüKo-GmbHG, § 43 Rn. 80ff. 47 Kartellanten mit derartigen Geschäftspartnern sollten daher mit einer höheren Wahrscheinlichkeit von Schadensersatzansprüchen rechnen. 48 Vgl. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB; Stein/Friton/Huttenlauch, WuW 2012, 38, 40ff.; in diesem Zusammenhang sollten Kartellanten frühzeitig erwägen, mit den Geschäftspartnern zu kooperieren und hierdurch auch den erforderlichen sog. Selbstreinigungsprozess (§ 125 GWB) zu fördern, da sonst erhebliche wirtschaftliche Einbußen drohen können. 49 Spindler, in: MüKo-AktG, § 93 Rn. 55–57 m.w.N. 50 Näheres zum Zugang zu Informationen Kapitel G. 51 Vgl. hierzu Spindler, in: MüKo-AktG, § 93 Rn. 55ff.; Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 37; ferner jeweils m.w.N.: Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 70; Fleischer, in: MüKo-GmbHG, § 43 Rn. 84; Stancke, WuW 2015, 822, 825. 52 Vgl. auch Weber/Kiefner/Jobst, NZG 2018, 1131, 1133f., die auch zutreffend darauf hinweisen, dass mit zunehmender Digitalisierung die Anforderungen an die Informationsbeschaffung steigen können. 53 Grundsätzlich ist es im Rahmen eines Monitorings ausreichend, dass – neben der Sicherstellung, der im Unternehmen wahrgenommenen Verdachtsmomente hinsichtlich etwaiger Kartellaktivitäten von Lieferanten oder anderen Geschäftspartnern – die kartellbehördlichen Pressemitteilungen zu Verfahrenseinleitungen oder -abschlüssen in den für das jeweilige Unternehmen relevanten Produktmärkten gesichtet und die in diesen enthaltenen Informationen aufbereitet werden. Näher zum Monitoring und Kartellscreening unten Kapitel C Rn. 4ff.; vgl. auch Rother, in: Fuchs/Weitbrecht, KartellR-HdB, § 3 Rn. 28. 54 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 66; Fleischer, in: MüKo-GmbHG, § 43 Rn. 80 mit Verweis auf BT-Drs. 15/5092, S. 11; Stancke, WuW 2015, 822, 824. 55 Vgl. hierzu auch Kapitel C Rn. 17ff. 56 Vgl. Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 88; Fleischer, in: MüKo-GmbHG, § 43 Rn. 101. 57 Hierzu auch Stancke, WuW 2015, 822, 825ff.; Bayer/Scholz, NZG 2019, 201, 203f.; Beurskens, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 43 Rn. 35–38. 58 Vgl. BGH, 21.4.1997, II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 254ff.; BGH, 8.7.2014, II ZR 174/13, BGHZ 202, 26, 32; BGH, 18.9.2018, II ZR 152/17, BGHZ 219, 356, 363ff. hinsichtlich der Pflicht zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen pflichtwidrig handelnde Vorstandsmitglieder. 59 Stancke, WuW 2015, 822, 827; ferner jeweils m.w.N.: Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, Bd. 1, § 93 Rn. 88; Fleischer, in: MüKo-GmbHG, § 43 Rn. 101. 60 Vgl. hierzu auch Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 91a; Fleischer, in: MüKo-GmbHG, § 43 Rn. 102a.