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I. Der privatrechtliche Geltungsanspruch des Kartellrechts

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Die Wettbewerbsregeln des deutschen und europäischen, aber auch des außereuropäischen, Kartellrechts betreffen ganz überwiegend Rechtsverhältnisse auf der Ebene des Privatrechts.1 Der privatrechtliche Geltungsanspruch, der neben die Sanktionskompetenzen der Wettbewerbsbehörden tritt,2 bedarf daher einer rechtlichen Absicherung. Das gilt zum einen für die Gewährung materieller Ansprüche bei Rechtsverstößen, zum anderen aber auch hinsichtlich der Regelung der Zuständigkeiten und Verfahren zur Durchsetzung privatrechtlicher Rechtsfolgen.

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Das europäische Wettbewerbsrecht als maßgeblicher Orientierungspunkt des Kartellrechts hält dabei nur wenige direkt anwendbare Regelungen bereit. Die materiell-rechtliche Anordnung der Nichtigkeit wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen nach Art. 101 Abs. 2 AEUV ist die einzige direkt anwendbare privatrechtliche Regelung für die Anwendung der Wettbewerbsregeln.3 Die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte zur Anwendung der Wettbewerbsregeln ist in Art. 6 VO 1/2003 normiert. Weiter untermauert hat diesen unionsprivatrechtlichen Geltungsanspruch die Rechtsprechung des EuGH, der in seinen berühmten Entscheidungen in den Rechtssachen „Courage“4 und „Manfredi“5 postuliert hat, dass „Jedermann“ nach nationalem Recht die Möglichkeit haben muss, einen Schadensersatzanspruch effektiv geltend zu machen, der sich aus einem Verstoß gegen EU-Wettbewerbsrecht ergibt.6 Das Verfahren zur Durchsetzung dieser Rechte unterliegt – in den allgemeinen Grenzen des Unionsrechts (insbesondere Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz) – dem nationalen Recht, da es im Unionsrecht keine direkt anwendbaren besonderen Regelungen dazu gibt.7 Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz bedeuten: Die dafür maßgeblichen Bedingungen dürfen nicht ungünstiger ausgestaltet sein als für gleichartige Klagen des innerstaatlichen Rechts und sie dürfen den Schutz der unionsrechtlich gewährten Rechte des Einzelnen nicht erschweren oder unmöglich machen.8

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Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich im Anwendungsbereich des Unionsrechts eine weitgehende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihr materielles Recht und ihr Prozessrecht so auszugestalten, dass es zur praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts beiträgt und diese nicht etwa behindert.9 Damit verbunden ist nicht zwingend ein Anspruch auf Strafschadensersatz, etwa um die Abschreckungswirkung von Art. 101 AEUV zu erhöhen. Ein solcher Anspruch ist nach dem Äquivalenzprinzip nur dann begründet, wenn das mitgliedstaatliche Recht bei Verstößen gegen das nationale Recht eine entsprechende Sanktion vorsieht. Begrenzend gilt der Grundsatz, dass die gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Anspruchsberechtigten führen dürfen.10

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Der privatrechtliche Geltungsanspruch des Kartellrechts im nationalen Recht ergibt sich aus den jeweils anwendbaren deliktischen oder sonstigen Anspruchsnormen. Genannt seien hier § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 1, 19ff. GWB bzw. Art. 101, 102 AEUV bzw. – nach der 9. GWB-Novelle11 – § 33a Abs. 1 GWB. Verbunden damit sind materiell-rechtliche Spezialnormen in den §§ 33aff. GWB. Hinsichtlich des Prozessrechts ist die Lex fori und damit – in Deutschland – das deutsche Zivilverfahrensrecht, insbesondere die ZPO, anwendbar. Zu beachten sind aber auch Sonderregelungen für das Kartellschadensersatzverfahren, insbesondere die §§ 33b, 33g (die materiell-rechtlich ausgestaltet sind) sowie die §§ 87 bis 89e GWB. Jenseits dieser Spezialregelungen sind die allgemeinen Regelungen des deutschen Schadensersatz- und Zivilverfahrensrechts zu beachten. Anders als in den USA mit der Möglichkeit der „punitive damages“ haben Verurteilungen zu Schadensersatzzahlungen in Deutschland keinen Strafcharakter. Leitmotiv ist hier allein das Kompensationsprinzip und damit ein kalkulatorischer Ausgleich tatsächlich erlittener Schäden.12

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Mit der Anordnung einer Ersatzpflicht bei Kartellverstößen verfolgt der Gesetzgeber letztlich aber einen doppelten Zweck.13 Durch die möglichst weitgehende Verpflichtung der „Kartellsünder“ zum Ersatz von Schäden soll zugleich im öffentlichen Interesse die Durchsetzung des Kartellrechts gefördert werden, weil die betroffenen Dritten immer noch „die besten Kartellwächter sind“. Die privatrechtlichen Sanktionen ergänzen insofern die kartellbehördlichen Sanktionen.14 Diese funktionale Sichtweise darf aber nicht dazu führen, den gesetzesmäßigen Fokus des Kartellschadensersatzverfahrens aus den Augen zu verlieren, der allein auf die Kompensation erlittener Schäden gerichtet ist.

1 Entsprechend: Mestmäcker/Schweitzer, in: Mestmäcker/Schweitzer, § 23 Rn. 1. Vgl. auch die Ausführungen des EuGH, wonach „Art. 101 Abs. 1 AEUV in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen erzeugt und in deren Person Rechte entstehen lässt, die die nationalen Gerichte zu wahren haben“: EuGH, 20.9.2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 Rn. 23 – Courage; 14.3.2019, C-724/17, EU:C:2019:204 Rn. 24 – Skanska Industrial Solutions u.a.; 12.12.2019, Rs. C-435/18, ECLI:EU:C: 2019:1069 Rn. 21 – Otis u.a. 2 Nach deutschem und europäischem Kartellrecht ist somit sowohl eine behördliche Sanktionierung als auch eine Verurteilung zu zivilrechtlichem Schadensersatz aufgrund desselben Kartellsachverhalts möglich. 3 Mestmäcker/Schweitzer, in: Mestmäcker/Schweitzer, § 23 Rn. 1. 4 EuGH, 20.9.2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 – Courage. 5 EuGH, 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, ECLI:EU:C:2006:461 – Manfredi. 6 Vgl. dazu Bunte/Stancke, Kartellrecht, S. 431 und zuletzt EuGH, 12.12.2019, Rs. C- 435/18, ECLI:EU:C:2019:1069 Rn. 22f. – Otis u.a. 7 EuGH, 20.9.2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 Rn. 29 – Courage; EuGH, 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, ECLI:EU:C:2006:461 Rn. 62–64 – Manfredi; Grave/Nyberg, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, Art. 101 AEUV Rn. 48. Vgl. nun aber Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.11.2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union („Kartellschadensersatzrichtlinie“), ABl. L 349/1 v. 5.12.2014. 8 Grundlegend: EuGH, 16.12.1976, Rs. 33–76, ECLI:EU:C:1976:188 Rn. 5 – Rewe/Landwirtschaftskammer Saarland; EuGH, 14.12.1995, verb. Rs. C-430/93 u. C-431/93, ECLI:EU:C:1995:441 Rn. 17 – van Schijndel und van Veen. Für den Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz in Schadensersatzsachen: EuGH, 20.9.2001, Rs. C-453/99, ECLI:EU:C:2001:465 Rn. 29 – Courage; EuGH, 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C- 298/04, ECLI:EU:C:2006:461 Rn. 62 – Manfredi. Aus diesen Prinzipien folgt auch, dass aus einem Verstoß gegen Art. 101 AEUV resultierende Ansprüche von den mitgliedstaatlichen Gerichten auch dann von Amts wegen zu prüfen sind, wenn sich Parteien darauf nicht berufen haben. Das gilt immer dann, wenn eine solche Verpflichtung oder eine solche Möglichkeit für entsprechende Normen des innerstaatlichen Rechts besteht (EuGH, 14.12.1995, verb. Rs. C-430/93 u. C-431/93, ECLI:EU:C:1995:441 Rn. 15 – van Schijndel und van Veen. 9 Mestmäcker/Schweitzer, in: Mestmäcker/Schweitzer, § 23 Rn. 3. 10 EuGH, 13.7.2006, verb. Rs. C-295/04 bis C-298/04, ECLI:EU:C:2006:461 Rn. 99 – Manfredi; Mestmäcker/Schweitzer, in: Mestmäcker/Schweitzer, § 23 Rn. 8. 11 Vgl. BGBl. I v. 8.6.2017, S. 1416ff. 12 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2, § 33 GWB Rn. 2. 13 Alexander, Schadensersatz und Abschöpfung im Lauterkeits- und Kartellrecht: Privatrechtliche Sanktionsinstrumente zum Schutz individueller und überindividueller Interessen im Wettbewerb, S. 299ff. 14 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2, § 33 GWB Rn. 2.

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