Читать книгу Kartellrechtliche Schadensersatzklagen - Fabian Stancke - Страница 23
I. Pflicht zur Anspruchsverfolgung
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Die Organe von juristischen Personen sind u.E. in aller Regel verpflichtet, Kartellschadensersatzansprüche geltend zu machen. Diese Pflicht folgt aus den gesellschaftsrechtlichen Generalklauseln (z.B. § 93 Abs. 1 AktG und § 43 Abs. 1 GmbHG).1 Entscheidungen über die Geltendmachung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen stellen nach richtiger Ansicht eine im Ermessen der Unternehmensleitung stehende unternehmerische Prognoseentscheidung2 dar.3 Sie ist stets pflichtgemäß, wenn die Unternehmensleitung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (sog. „Business Judgment Rule“). Das Merkmal der angemessenen Informationsbeschaffung verlangt jedoch nicht, dass sämtliche verfügbaren Informationen eingeholt werden.4 Erscheint die Anspruchsdurchsetzung erfolgversprechend und auch wirtschaftlich sinnvoll, kann die Anspruchsverfolgung nur ausnahmsweise unterbleiben, falls überwiegende Gründe des Unternehmenswohls gegen die Rechtsverfolgung sprechen; etwa befürchtete Imageschäden (z.B. durch eine zu erwartende einseitige und verzerrte Medienberichterstattung), nicht mehr im Verhältnis zum Wert der Forderung stehender Prozess(kosten),5 eine zu erwartende Verunsicherung des Marktes oder schließlich eine wirtschaftliche Abhängigkeit von dem betroffenen Kartellbeteiligten.6 Sachfremde Erwägungen, wie z.B. persönliche Beziehungen zwischen oder ein kollegialer Verhaltenskodex unter den Vorständen können eine Nichtverfolgung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche nicht rechtfertigen.7 Bevor auf die Durchsetzung von Ansprüchen jedoch ganz verzichtet wird, sollten auch weniger konfrontative Maßnahmen als die gerichtliche Anspruchsdurchsetzung, wie z.B. ein Vergleich oder die Abtretung der Ansprüche an Dritte, in Erwägung gezogen werden.
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Praktisch bedeutet dies, dass zunächst die Kartellabsprache, der Kartellzeitraum und die kartellbeteiligten Unternehmen zu ermitteln sind. Basierend auf diesen Informationen ist zu prüfen, in welchem Umfang von der Kartellabsprache betroffene Produkte bezogen wurden. Zudem ist eine Einschätzung der Schadenshöhe notwendig, wobei es zunächst ausreichen dürfte, auf empirische Erfahrungswerte zurückzugreifen.8 Ferner sind die Erfolgsaussichten einschließlich etwaiger Verjährungsrisiken zu prüfen. Schließlich müssen die zu erwartenden Kosten der Rechtsverfolgung in die Entscheidung einbezogen werden.
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Die Entscheidungsfindung der Unternehmensleitung sollte umfassend schriftlich dokumentiert werden, um in Zweifelsfällen darlegen zu können, dass die Entscheidung für oder gegen die Geltendmachung eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs pflichtgemäß getroffen wurde.9
1 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel B. 2 Zu dem Erfordernis einer Prognose als Merkmal unternehmerischer Entscheidungen vgl. die Begründung zum RegE zu § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, BT-Drs. 15/5092, S. 11. 3 Franz/Jüntgen, BB 2007, 1681, 1684. Vgl. auch von Falkenhausen, NZG 2012, 644; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 68. 4 Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, vgl. Dauner-Lieb, in: Hennsler/Strohn, GesR, § 93 AktG Rn. 22; Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 34. 5 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 88; Stancke, WuW 2015, 822, 825. 6 Franz/Jüntgen, BB 2007, 1681, 1685. 7 Franz/Jüntgen, BB 2007, 1681, 1685; Stancke, WuW 2015, 822, 825f. 8 Bei Preiskartellen etwa soll die durchschnittliche Kartellrendite zwischen 15 und 20 % betragen, vgl. die für die EU-Kommission 2009 erstellte Oxera-Studie, Quantifying antitrust damages. Towards non-binding guidance for courts. 9 Hölters, in: Hölters, AktG, § 93 Rn. 36. Dies gilt insb. wegen der möglichen Haftung nach § 93 Abs. 2 AktG.