Читать книгу Kartellrechtliche Schadensersatzklagen - Fabian Stancke - Страница 34

3. Auswahl des Gerichtsstands

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Liegen die Voraussetzungen für eine gerichtliche Zuständigkeit in mehreren Mitgliedstaaten vor, sollte sorgfältig und einzelfallbezogen geprüft werden, wo eine Klageerhebung am sinnvollsten wäre.95

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Gemäß Art. 4 EuGVVO kommt bei Kartellgeschädigten mit Sitz in Deutschland eine Klage in einem anderen Mitgliedstaat im Wesentlichen dann in Betracht, wenn ein Kartellbeteiligter seinen Sitz im Ausland hat. Zudem genügt es, wenn der Handlungs- oder Erfolgsort in einem anderen Mitgliedstaat liegt.96 Die örtliche Zuständigkeit dürfte auch dort begründet sein, wo die mithaftende Muttergesellschaft ansässig ist und auch eine Begründung der Zuständigkeit am Sitz der Tochter- oder Schwestergesellschaften scheint möglich.97 Ist ein Gericht im Ausland örtlich zuständig, können die anderen Kartellbeteiligten gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVVO dort mitverklagt werden.

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Bei der Auswahl des Gerichtsstands spielt neben den Kosten(-risiken) die Verfahrensdauer und die Expertise des Gerichts in der Spezialmaterie Kartellschadensersatz eine wichtige Rolle. Ferner waren in der Vergangenheit die unterschiedlichen Vorschriften zu Verjährung und Offenlegung stets von Relevanz. Hier werden auch mit der Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie Unterschiede bestehen bleiben.

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Grundsätzlich haben sich Deutschland, die Niederlande und das Vereinigte Königreich als Foren für Kartellschadensersatzklagen in Europa etabliert.98 Wie sich der sog. „Brexit“ auf die Stellung des Vereinigten Königreichs auswirken wird,99 bleibt abzuwarten.

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Noch ist unklar ob nach der Übergangsfrist, in der das Withdrawal Agreement100 die Beziehungen des Vereinigten Königreichs zur EU regelt, ein Handelsabkommen in Kraft treten wird und wie dessen Regeln ausgestaltet sein werden. Das Withdrawal Agreement sieht im Grundsatz vor, dass das Unionsrecht auch während einer Übergangsphase in Kraft bleibt. Die Brüssel I Recast Verordnung101 findet, insbesondere mit ihren Zuständigkeitsregeln die z.B. auch das Vorgehen bei Parallelverfahren regeln, weiterhin auf Verfahren Anwendung, die vor dem Ende des Übergangszeitraums eingeleitet wurden.102 Zudem bleiben die Rom I-Verordnung103 und die Rom II-Verordnung104 sowie das Lugano-Abkommen 2007,105 das im Verhältnis zwischen EU-Mitgliedstaaten und den EFTA-Staaten gilt, anwendbar. Die Europäische Kommission bleibt in diesem Zeitraum auch zuständig für die Durchsetzung des Unionsrechts im Vereinigten Königreich und darüber hinaus für bereits anhängige Verfahren.106 Während des Übergangszeitraums bleibt der EuGH für alle neuen und laufenden Verfahren zuständig, für anhängige Verfahren auch nach dem Ende des Übergangszeitraums.107 Zumindest hat das Vereinigte Königreich im April 2020 die Aufnahme zum Lugano-Abkommen 2007 beantragt, doch es bleibt abzuwarten ob die Europäische Union neben den EFTA Staaten auch ihre Zustimmung erteilen wird.

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Sollte die Übergangsphase ohne ein Abkommen enden, gilt Folgendes: Für bereits laufende Gerichtsverfahren im Vereinigten Königreich sollte sich auch ohne Abkommen nichts ändern. Die Gerichte werden auf der Grundlage des Withdrawal Agreements die prozessualen Regeln über die gerichtlichen Zuständigkeiten und zur Vollstreckung anwenden, wie sie zum Zeitpunkt der Klageerhebung (d.h. vor dem Brexit bzw. während des Übergangszeitraums) galten.108 Dies gebieten neben rechtlichen auch praktische Erwägungen, da die andernfalls eintretende Unsicherheit dazu führen dürfte, dass die Justiz im Vereinigten Königreich de facto handlungsunfähig würde. Für neue Klagen auf Kartellschadensersatz nach Ende des Übergangszeitraums ohne Abkommen gilt hingegen, dass die nach dem Übergangszeitraum erlassenen Entscheidungen der Europäischen Kommission keine Bindungswirkung mehr entfalten.109 Unionsrecht müsste dann als Tatsachenvortrag (ausländische Rechtstatsachen) in einen Prozess eingebracht werden.110 In jedem Falle scheinen dann Wertungswidersprüche im Zusammenspiel von Entscheidungen der britischen Wettbewerbsbehörde, der CMA, und der Europäischen Kommission vorprogrammiert. Die CMA wird regelmäßig in Fällen die sowohl den EU-Binnenmarkt als auch das Vereinigte Königreich betreffen ein Parallelverfahren zu einem Verfahren der Europäischen Kommission einleiten. Dies würde sich nicht nur auf die öffentliche Durchsetzung des Kartellrechts, sondern auch auf die private Durchsetzung auswirken.111 Eine Änderung ergäbe sich auch hinsichtlich der nach dem Brexit ergangenen Entscheidungen des EuG und des EuGH; diese wären– sofern keine anderweitige Regelung getroffen wird – nicht mehr bindend für die nationalen Gerichte des Vereinigten Königreichs.112

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Schlussendlich müssten die Gerichte im Vereinigten Königreich voraussichtlich im Verhältnis zu einigen Mitgliedstaaten die Regeln des Brüsseler Übereinkommens von 1968,113 im Übrigen die allg. Common Law-Regeln des innerstaatlichen Rechts anwenden, die derzeit in Fällen Anwendung finden, in denen der Beklagte nicht aus der Europäischen Union stammt und ein Kläger dennoch vor einem Gericht des Vereinigten Königreichs klagen möchte. Zudem wären Urteile von Gerichten des Vereinigten Königreichs dann allerdings nicht mehr wie bisher nach der Brüssel I Recast Verordnung automatisch in (anderen) Mitgliedstaaten anzuerkennen und vollstreckbar.114

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DeutschlandNiederlande115UK
VerfahrensdauerUneinheitlich, in der Regel mindestens 2–3 Jahre in der ersten InstanzIn der Regel 1–2 Jahre, insbesondere beschleunigt die Möglichkeit, über prozessuale Vorfragen zügig vorab zu entscheiden, das VerfahrenIn der Regel 1–4 Jahre, zügiger aber insb. vor dem Competition Appeal Tribunal (CAT), da große Expertise und hohe Kapazitäten („Summary Judgments“, „Fast-Track“ für einfache Verfahren)
Eigene KostenÜberschaubar, abhängig von Klagesumme, Erfolgshonorare sind grundsätzlich verbotenÜberschaubar, abhängig von Klagesumme, Erfolgshonorare sind bei Kartellschadensersatzfällen nicht vorgesehenHoch, insb. für Disclosure, Unterlegener zahlt Verfahrenskosten voll (High Court) bzw. Aufteilung der Verfahrenskosten im Ermessen des Gerichts (CAT), Erfolgshonorare sind zulässig
KostenerstattungsrisikoÜberschaubar; Unterlegener zahlt gedeckelte Verfahrenskosten voll; Prozessfinanzierung möglichÜberschaubar; Unterlegener zahlt gedeckelte Verfahrenskosten voll (in der Regel rund 20 % der angefallenen Kosten); Prozessfinanzierung möglichHoch, keine Kostendeckelung aber Möglichkeit einer sog. ATE (after the event)-Versicherung und Prozessfinanzierung
OffenlegungWenig Erfahrung mit Offenlegung, aber neuer eigener materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch; Kostenerstattungsanspruch gemäß § 33g Abs. 7 GWBEingeschränkte Erfahrung mit Offenlegung; Vorschriften sehen vorgerichtliche Zeugenvernahme sowie Herausgabe von Dokumenten vorUmfangreiche Offenlegung („Disclosure“); Parteien müssen vorab verfahrensrelevante Dokumente benennen
Verjährung5 Jahre kenntnisabhängig;10 Jahre kenntnisunabhängig5 Jahre kenntnisabhängigHigh Court und CAT: 6 Jahre kenntnisabhängig
Kollektiver Rechtsschutzkollektive Klagemöglichkeit für Verbraucher (Musterfeststellungsklage) ohne Schadensersatz, für Unternehmen nur Anspruchsbündelungneues Gesetz seit 2020 schafft Opt-out-Sammelklage auf Schadensersatz durch gesetzlich festgelegte Vertreter; daneben bleibt Anspruchsbündelung möglichOpt-out-Klage auf Schadensersatz seit 2015
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