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II. Praktische Relevanz kartellrechtlicher Schadensersatzklagen

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Es entsprach lange der allgemeinen Wahrnehmung, dass die zivilgerichtliche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen im Nachgang von Kartellrechtsverstößen in Deutschland wenig entwickelt sei.15 Die von der Kommission beauftragte Anwaltskanzlei Ashurst legte 2004 eine umfangreiche Studie über die mitgliedstaatliche Rechtspraxis bei der Gewährung von Schadensersatz für Kartellverstöße vor,16 die zu dem Ergebnis kam, dass dieser Rechtsbereich in den Mitgliedstaaten völlig unterentwickelt sei. Das BKartA hat diesen Befund in seinem Diskussionspapier „Private Kartellrechtsdurchsetzung“ im Jahr 2005 zu Recht als bereits damals für Deutschland in dieser Pauschalität unzutreffend kritisiert und darauf hingewiesen, dass zum damaligen Zeitpunkt lediglich Ansprüche von Opfern von Hardcore-Kartellen nur einmal erfolgreich eingeklagt worden seien.17 Nicht falsch ist es jedenfalls festzustellen, dass sich die zivilgerichtliche Durchsetzung des Kartellrechts ursprünglich auf die Vorschriften zum Marktmachtmissbrauch und zu Vertikalvereinbarungen konzentrierte.

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Übersichten zur Entwicklung von Schadensersatzklagen nach Kartellverstößen gibt es kaum. Nach den statistischen Erhebungen des BKartA ergingen in Deutschland bereits im Jahre 2004 38 Gerichtsentscheidungen, in denen kartellrechtlicher Schadensersatz gegebenenfalls neben anderen Ansprüchen in Rede stand. 19 dieser Klageverfahren waren erfolgreich.18 Seitdem beschäftigen kartellrechtliche Schadensersatzklagen in Form von „Follow-on-Klagen“ zunehmend deutsche Gerichte und Gerichte anderer Mitgliedstaaten der EU. Nach einer Übersicht der Beratungsfirma econ-da aus dem Jahre 2019 werden im Vereinigten Königreich, in den Niederlanden und in Deutschland nach wie vor europaweit am häufigsten Klage infolge behördlicher Bußgeldfälle eingereicht. Vor allem Schadensersatzklagen infolge des „LKW-Kartells“ wurden allerdings auch vor Gerichten in einer Vielzahl anderer Mitgliedstaaten anhängig gemacht.19 Nach einer aktuellen Zählung gab es bis zum Jahre 2019 119 Urteile deutscher Gerichte zu Kartellschadenersatzklagen – 91 von Landgerichten, 24 von Oberlandesgerichten und vier vom Bundesgerichtshof.20

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In der Praxis stellt Deutschland neben dem Vereinigten Königreich und dem Königreich der Niederlande die für Kläger anscheinend attraktivste Rechtsordnung für die Durchsetzung kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche dar. So sollen im Jahre 2019 allein in Deutschland etwa 650 Fälle anhängig gewesen sein.21 Zudem haben nicht nur US-Klägerkanzleien mittlerweile den deutschen Markt entdeckt, sondern gerade im Zuge der Klagen in Sachen LKW-Kartell wird eine Vielzahl auch rein deutscher Kanzleien aktiv. So hat sich im Laufe der letzten Jahre die klageweise Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen der Abnehmer kartellbefangener Produkte stark intensiviert. Viele dieser Fälle werden allerdings letztlich außergerichtlich beigelegt. Eine interessante Entwicklung ist, dass auch große Industrieunternehmen auf Klägerseite zu finden sind, die ansonsten eher auf der Beklagtenseite stehen. Dies ist wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die aus ihrer Sicht Geschädigten eines Kartells – jedenfalls wenn sie als Kapitalgesellschaften organisiert sind – wegen der Vermögensfürsorgepflichten der Vorstände bzw. Geschäftsführungsmitglieder verpflichtet sein können, greifbare Ansprüche auch durchzusetzen.22 Ein weiterer Trend ist die Industrialisierung des Klagewesens, z.B. durch die IT-basierte Durchsetzung von Massenschadensfällen durch hierauf spezialisierte Rechtsdienstleistungsunternehmen.23 Es ist zu erwarten, dass die außergerichtliche und gerichtliche Geltendmachung kartellbedingter Schäden in naher Zukunft noch erheblich zunehmen wird. Dies hängt nicht zuletzt mit der jüngsten Gesetzesentwicklung zusammen.

15 Lübbig, in: MüKo-Wettbewerbsrecht, § 33a GWB Rn. 6. 16 Abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/antitrust/actionsdamages/study.html (zuletzt aufgerufen am 11.2.2020). 17 Ollerdißen, in: Wiedemann, Kartellrecht, § 60 Rn. 62. 18 Böge/Ost, ECLR 2006, 197; Lübbig, in: MüKo-Wettbewerbsrecht, § 33a GWB Rn. 6. 19 Vgl. Sailer, „Follow-on Klagen nach Kartellverfahren – die Entwicklung seit 2000 in Zahlen“, abrufbar unter http://kartellblog.de/2015/03/02/katharina-sailer-follow-onklagen-nach-kartellverfahren-die-entwicklung-seit-2000-in-zahlen/ (zuletzt aufgerufen am 11.2.2020), und Sailer, Update on development of follow-on damages claims: 2000–2018, abrufbar unter http://www.econ-da.com/post/2019/7/23/update-on-development-of-follow-on-damages-claims-2000-2018 (zuletzt aufgerufen am 11.2.2020). 20 Rengier, Cartel Damages Actions in German Courts: What the Statistics Tell Us, JECLAPAdvance Articles, 16 December 2019. 21 Rengier, Cartel Damages Actions in German Courts: What the Statistics Tell Us, JECLAPAdvance Articles, 16 December 2019 m.w.N. 22 Lübbig, in: MüKo-Wettbewerbsrecht, § 33a GWB Rn. 10; vertiefend: Stancke, WuW 2015, 822, 824ff.; vgl. dazu auch unten Rn. 34ff. 23 Hierzu krit.: LG München, 7.2.2020, 37 O 18934/17 – Financialright (nicht rechtskräftig).

Kartellrechtliche Schadensersatzklagen

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