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SCHNEE IN MAILAND

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Ich erinnere mich noch an die Kälte. Am Sonntag, dem 13. Januar. In den Wochen zuvor ist die Temperatur auf mehr als fünfzehn Grad unter null gefallen. Der Frost scheint nicht mehr weichen zu wollen. Sogar in Rom hat es geschneit. Und am 13. Januar 1985 beginnt es auch in Mailand zu schneien. Glücklicherweise gehöre ich zu denen, die in den Abhörräumen des Justizpalastes der Telefonüberwachung zugeteilt sind. So bin ich wenigstens im Warmen.

Die Stimmen im Raum krächzen und vermischen sich. Wir hören mehr als dreißig Telefonnummern von Leuten ab, die der Terrororganisation Comunisti organizzati per la liberazione proletaria nahestehen. Ihre Gespräche werden von einem Magnetband aufgezeichnet, das lautlos zwischen den beiden Spulen von Tonbandgeräten des Modells Uher RT 2000 läuft, das heute jeden Sammler glücklich machen würde.

Die Köpfe der COLP sitzen im Gefängnis. Aber wie noch heute üblich, wurden ein paar weniger bedeutende Mitglieder nicht verhaftet. Um die Ermittlungen weiterzuführen, Spuren zu verfolgen und zu verstehen, wie die Gruppe reagiert und sich reorganisiert.

Meine Schicht hat gerade begonnen. Ich setze die Kopfhörer auf und fange an, die Telefonate zu transkribieren. Bei dieser Tätigkeit vergeht die Zeit wie im Flug, und um Mitternacht werde ich abgelöst. Von den Kollegen, die dann ihren Dienst antreten, kommt Talpa als Letzter herein. Der Maulwurf. Wir nennen ihn so, weil er sich auf Dauer in den Abhörraum hat versetzen lassen. Er hat es so gewollt. Es gefällt ihm. Wir dagegen hassen diese Arbeit. Wir sind junge Leute mit dem Wunsch, das Vaterland zu retten, und erpicht darauf, draußen zu sein, auf der Straße. Oder Überwachungsmaßnahmen durchzuführen und mutmaßliche Terroristen zu observieren, zu kontrollieren und zu beschatten. Stundenlang jemandem zu folgen, ohne dass er es merkt, das ist für uns das höchste der Gefühle. Wir wollen nicht herumsitzen und irgendwelches Geschwätz transkribieren.

Ich begrüße Talpa mit einem Klaps auf die Schulter. Alle Telefone schweigen, vielleicht weil tiefe Nacht ist. Talpa hat Glück, er wird eine ruhige Schicht haben.

»Was ist, gehst du?«, fragt er mich. »Bleib doch, lass uns eine Partie Karten spielen. Komm schon, ich werde dich beim Scopa schlagen.«

Es klingt wie ein Befehl. Übrigens ist er ein Stück älter als ich. Ich lehne ab. »Ich gehe. Es schneit. Ich bin müde, entschuldige.«

Ein andermal wäre ich dageblieben. Heute nicht. Ich kann nicht. Am Nachmittag, bevor ich zum Justizpalast aufgebrochen bin, war ich noch kurz im Büro. Und als ich gehen will, höre ich draußen im Flur, wie ein Kollege meinen Namen ruft.

»Andrea ist am Telefon, er will dich dringend sprechen«, sagt er, als er mich gefunden hat.

»Was hast du zu ihm gesagt?«

»Dass du hier bist«, gibt er zurück.

Andrea, das Jesuskind der Gruppe, versucht mich seit zwei Tagen zu erreichen. Bisher habe ich mich verleugnen und ausrichten lassen, dass ich im Außendienst bin. Aber nun hat er mich erwischt. »Ich komme gleich«, sage ich zu meinem Kollegen.

Wie immer spricht Andrea in einem Ton, der mich stört. Er ist seit ein paar Monaten nicht mehr bei der Gerichtspolizei, denkt aber immer noch, er wäre unser Chef. »Du bist der Einzige, der mich nie besucht, verflucht noch mal«, weist er mich zurecht. Verflucht noch mal ist seine Lieblingsfloskel, die er oft ins Gespräch einstreut.

»Entschuldige, Andrea, aber wir sind ständig draußen. Mir bleibt nicht mal Zeit zu schlafen.«

»Ich habe gehört, dass sie dich zum Dienst im Justizpalast verdonnert haben. Was hast du denn angestellt?«, fragt er lachend.

Es stimmt: Außer Talpa betrachten alle den Dienst im Abhörraum als eine Strafe. Ich antworte nicht.

»Ich muss mit dir reden«, sagt Andrea jetzt.

»Heute nicht. Ich bin spät fertig, um Mitternacht. Vielleicht ein anderes Mal«, versuche ich ihn zu vertrösten.

Aber er ignoriert meine Antwort und fährt fort: »Bist du zu Fuß da?«

»Nein, mit dem Auto.« Und mechanisch, ohne zu wissen, warum, nenne ich ihm das Modell und die Farbe, als wäre Andrea mein Vorgesetzter, dem ich Rechenschaft schuldig bin.

»Ich warte um Mitternacht in der Via Freguglia auf dich, vor dem Justizpalast. Ich muss mit dir sprechen.« Er lässt nicht locker. Und während ich noch nach einer Ausrede suche, hat er bereits aufgelegt.

Die Flure des Justizpalastes, menschenleer und nachts ziemlich unheimlich, verstärken den Widerhall meiner Schritte. Die Luft scheint dumpfer als sonst. Ich schaue durch die Fenster hinaus, bevor ich am Ausgang bin. Die riesige Statue der Justitia im Hof des Gerichtsgebäudes wirkt nicht so grau und streng wie sonst, sie hat sich in eine Dame ganz in Weiß verwandelt. Ich reiße die Augen auf, um das Bild scharfzustellen. Es muss eine Menge Schnee gefallen sein.

Der Haupteingang ist natürlich geschlossen. Ich wende mich nach links ins große Atrium und passiere die wachhabenden Carabinieri, die gewöhnlich am Einfahrtstor Posten stehen. Aber es ist zu kalt, und so haben auch sie sich ins Innere geflüchtet.

Ich grüße mit einer Bewegung des Kinns. Ich öffne die Glastür. Die Stufen sind kaum zu erkennen. Wo ist mein Auto? Ich war sicher, dass ich es vor dem Justizgebäude geparkt hatte. Ich fange an, mit den Händen dicke Schneeschichten von den Autos zu schaufeln. Endlich habe ich meines gefunden. Die Verabredung mit Andrea ist mir fast egal, so abgelenkt bin ich von dieser ungewohnten Szenerie. Es sind dicke, gemächlich fallende Flocken. Aber bevor sie sich auf dem Weiß der Straße niederlassen, überlegen sie es sich noch einmal anders und steigen in lautlosen Kapriolen erneut auf. Ich puste in die Luft, um die Wirkung zu beobachten. In der Stadt habe ich es schon seit Jahren nicht mehr so stark schneien sehen. Es ist ein magischer Tanz. Ich hebe die Nase ins Gegenlicht der Laternen und sehe die Kristalle in den einzelnen Flocken glitzern. Es sind Kristalle von Sternen, Zuckerkörnchen, Quarzrhomben, die sich aneinander anlagern, bis sie Wolken aus schwebenden Blütenblättern bilden. Und wenn sie die Erde erreichen, bleiben sie mit ihren eisigen Reflexen liegen und warten darauf, von anderen Flocken überlagert zu werden.

Es schneit so stark, dass man zusehen kann, wie die Schneeschicht wächst. Ich setze mich mit dem Gedanken ans Steuer, wie ich am nächsten Morgen ins Büro kommen soll. Ich rutsche ein wenig, während ich in die Einbahnstraße Richtung Via San Barnaba einbiege. Und da steht er, mitten auf der Straße: Andrea ist schon da.

Die Gehsteige sind unpassierbar. Ich fahre so langsam, dass ich nicht einmal bremsen muss. Er öffnet die Beifahrertür, und beim Einsteigen bringt er einen Schwall Guerlain Vetiver mit. Er trägt immer so viel davon auf, dass wir, als er noch bei uns gearbeitet hat, schon an der Parfümwolke wussten, ob er da ist oder nicht. Durch die geöffnete Tür dringt auch ein eiskalter Luftzug in den Wagen, der mir von den Beinen bis in den Magen steigt, sodass ich fast einen Krampf bekomme.

Andrea grinst. Ich weiß nicht, was es zu grinsen gibt. Aber er ist immer fröhlich und selbstsicher. Ich biege nach rechts ab. Dann noch einmal nach rechts in die Via della Guastalla bei der Synagoge. Und dann noch mal nach rechts auf den Corso di Porta Vittoria. Auf der rechten Straßenseite, gleich hinter dem Haupteingang des Justizpalastes, halte ich an. Die große beleuchtete Uhr auf dem gegenüberliegenden Gebäude springt auf 00.15, die angezeigte Temperatur beträgt zwei Grad unter null. Sie ist stark gestiegen, verglichen mit der Kälte der vergangenen Nächte.

»Wie ist dein neuer Job?«, frage ich ihn. Er antwortet nicht sofort. Er wartet darauf, dass ich ihn mustere. Er will sicher sein, dass ich auch unter diesen Umständen seine Kleidung bemerke. Sportlich, aber elegant. Blauer Kaschmirmantel. In der Jackentasche unter dem Mantel der unverwechselbare Montblanc-Kugelschreiber. Und die Rolex Daytona, auf die er mächtig stolz ist und die mittlerweile mit seinem Handgelenk verwachsen sein muss.

»Mit einem Kugelschreiber fängt es an«, sagt Andrea, fast als könne er meine Gedanken lesen. Ich verstehe. Er versteht, dass die Botschaft angekommen ist. Und damit wechseln wir das Thema.

»Hör zu, Simone«, beginnt Andrea. »Giacomo hat in Mailand ein Büro aufgemacht, in der Via Turati, und am Donnerstag dem 17. ist die Eröffnung. Er möchte, dass du dabei bist. Und ich auch.«

Ein Büro? Sie haben sich also an mich erinnert. Vielleicht springt ja etwas dabei heraus. Vielleicht werde ich wie Andrea den Job wechseln und ein normales Leben führen können. Nicht wie heute, wo ich sonntags in einem Raum eingesperrt bin und Telefonate transkribiere, während der Rest der Welt sich amüsiert. Mir ist augenblicklich klar, dass ich nicht lange überlegen darf. Andrea wartet auf meine Antwort. Ich spüre, dass ich an einem Scheideweg stehe. Und wenn man sich verlaufen hat, wenn man nicht mehr weiß, wohin man unterwegs ist, ist es egal, welchen Weg man einschlägt. Auch wenn man keine Ahnung hat, wohin er einen führt. Auch wenn Giacomo mir überhaupt nicht gefällt.

»Ja, danke. In Ordnung«, sage ich und lege meine rechte Hand auf seine linke Schulter, wie um einen Pakt zu besiegeln.

»Also dann ciao«, verabschiedet sich Andrea. »Und komm nicht ins Rutschen«, fügt er hinzu und deutet auf die verschneite Straße. Er muss immer das letzte Wort haben. Er steigt aus und verschwindet hinter der Ecke der Via Manara.

Wohin geht er? Zu Fuß, bei dieser Kälte. Ich bin versucht, ihm zu folgen. Aber es ist eine Einbahnstraße, und ich stehe direkt unter dem Einfahrtsverbotsschild. Ich fahre um den Häuserblock herum. Auch ich möchte ihn überraschen. Aber Andrea ist verschwunden. In der Ferne, in der vom stetigen Schneefall diesigen Luft, sieht man nur die Scheinwerfer eines Geländewagens. Das Bild ist verschwommen, und ich erkenne weder das Modell, noch kann ich das Nummernschild lesen.

Am Tag der Begegnung mit Giacomo, am Anfang der Via Turati, zwei Schritte vom amerikanischen Konsulat entfernt, laufe ich Filippo über den Weg. Er ist noch dicker eingemummelt als sonst und trägt wieder den Schal um den Hals, von dem er sich niemals trennt. Er scheint nicht überrascht, mich zu sehen. Ich bin es schon. Ich sehe ihn fragend an. Er hebt den Blick zu den Schneeflocken, die beharrlich vom Himmel fallen. Er zieht eine Grimasse, die ein Lächeln sein will, und schiebt mich in Richtung der Eingangstür des Hauses mit der Nummer, die Andrea mir genannt hat. Die Via Turati ist eine elegante Straße, die von der Piazza della Repubblica mitten ins Mailänder Modeviertel führt: Via Manzoni, Via della Spiga, Via Monte Napoleone, Lichter und Schaufenster, Mode und Milliarden – bis zur Statue des bärtigen Leonardo da Vinci, die die Piazza della Scala beherrscht.

»Schau«, sage ich, »da ist ein Schild: James & Brothers – sechster Stock.«

Filippo, der kein Englisch kann, will wissen, was das bedeutet.

»Gebrüder Giacomo«, sage ich.

Der Lift öffnet sich. Eine Etage mit blauem Teppichboden und dem gedämpften Licht von Wandleuchten. Eine der drei gepanzerten Türen ist halb geöffnet, von innen sind Stimmen zu hören. Eine ist unverwechselbar die von Mattia mit seinem süditalienischen Akzent. Ein starker Tabakgeruch überlagert fast das Parfüm. Natürlich Guerlain Vetiver. Andrea, unser Jesusknabe, ist also schon da.

Die Räume sind völlig kahl. Ein Konferenztisch. Ein paar Stühle. Telefon. Fax. Außer nach Rauch und Parfüm stinkt es nach nassem Hund, vielleicht der feuchte Teppichboden. Ein Geruch so ekelerregend, dass ich möglichst schnell wieder wegwill.

Giacomo hat sich zum Fenster gedreht, die brennende Zigarre zwischen den Fingern. Und vor dem Fenster das Zentrum von Mailand, komplett weiß. Ich begrüße ihn mit einem festen Händedruck. Ich sehe ihm scharf in die Augen.

»Es hört nicht mehr auf«, sagt er und deutet auf den Schnee, der seit vier Tagen fällt. Auf den Straßen liegt er siebzig Zentimeter hoch, außerhalb der Stadt mehr als einen Meter. In den Zeitungen und im Fernsehen sprechen sie bereits von einem Jahrhundertschnee.

Ich bin überrascht. Fast alle, die bei dem ersten Treffen im Restaurant Ibiza dabei waren, sind hier versammelt. Damit ist klar: Sie haben sich weiterhin getroffen, aber mir hat niemand etwas gesagt. Trauen sie mir etwa nicht? Und warum beziehen sie mich jetzt wieder ein? Ich bemühe mich, meine Verblüffung zu verbergen. Das Gefühl der Übelkeit wegen des Hundegeruchs und die Nervosität, die mir vom Magen in den Kopf steigen, werden immer stärker. Aber wie ein versierter Schauspieler fange ich an, einen nach dem anderen zu betrachten, und versuche, jede Emotion zu kaschieren.

Wir setzen uns an den Tisch: Giacomo, Mattia, Tommaso, Filippo, Andrea und ich. Mattia, der Freund von Andrea, der zum militärischen Nachrichtendienst gewechselt ist, ist extra aus Rom gekommen. Andere fehlen, besonders Giovanni und Giuda. Wir behalten unsere Anoraks an. Die Heizung läuft nicht.

Giacomo lässt den Blick umherschweifen, er sucht einen Aschenbecher. Da keiner zur Hand ist, legt er seine Zigarre auf den Tischrand neben sich. Er öffnet einen bordeauxroten Aktenkoffer mit einer ovalen silbernen Plakette und dem Schriftzug »Cartier«. Mit theatralischer Geste nimmt er einen Stapel Papiere heraus. Es sind Mappen. Auf jedem Umschlag steht ein Name von uns. Bevor er sie uns aushändigt, überprüft Giacomo die abgehefteten Blätter und nickt gelegentlich zum Zeichen der Zustimmung. Er sieht sie offenbar auch zum ersten Mal. Währenddessen erzählt Andrea weiter von seinem neuen Job. Und endlich händigt Giacomo uns die Mappen aus. Einige hat er beiseitegelegt und schließt sie wieder in seinen Aktenkoffer. Vielleicht sind sie für die Abwesenden bestimmt.

»Bitte«, sagt Giacomo und fordert unser aller Aufmerksamkeit, »diese Informationen brauche ich so schnell wie möglich. Kontaktiert mich nicht. In der Mappe findet ihr eine Telefonnummer. Es schaltet sich ein Anrufbeantworter ein. Ihr hinterlasst eine Nachricht, und ich auch. Entschuldigt, aber ich muss gleich wieder los.« Und ohne uns Zeit für eine Antwort zu geben, hebt er die Hand zum Gruß und verschwindet.

Sprachboxen sind seit ein paar Monaten in Mode. Das haben auch die Kriminellen gemerkt. Es ist die sicherste Methode, um anonym Nachrichten zu senden und zu empfangen. Wir sind im Begriff aufzustehen und das Büro zu verlassen. Aber Mattia, der junge Geheimdienstler, hält uns zurück. »Wartet«, sagt er. Er breitet pathetisch die Arme aus und sagt mit halb ernster, halb amüsierter Miene: »Um die Sicherheit Italiens müssen wir uns kümmern.«

Wir schauen einander an. Jeder von uns, die wir hier sitzen, sucht in den Augen der anderen eine Erklärung für Mattias Worte. Doch was ich entdecke, ist eine Mischung aus Verwunderung und Angst.

Ich rolle die Mappe mit den Blättern zusammen und schiebe sie unter meinen Anorak. Filippo und ich gehen, ohne uns von den anderen zu verabschieden. Wir kehren zu Fuß in unsere Büros zurück. Wir versinken im Schnee und müssen aufpassen, dass wir nicht ausrutschen. Vor allem aber müssen wir uns vor den dicken Eiszapfen in Acht nehmen, die sich von Hausdächern und Dachgesimsen lösen. Während des langen Fußmarsches sage ich kein Wort. Ich möchte Filippo meine Verärgerung spüren lassen und gleichzeitig seinen Ärger anstacheln.

Abends, zu Hause, vernichte ich alle Spuren dieser Mappe. Ich reiße die Blätter in kleine Fetzen und weiche sie in dem mit heißem Wasser gefüllten Waschbecken ein. Den Papierbrei spüle ich ins Klo. Giacomo will, dass ich vertrauliche Informationen über ein hohes Tier des größten italienischen Chemiekonzerns sammle: Giuseppe Garofano, den späteren Finanzchef der Gruppe Ferruzzi-Monteison. Erst Jahre später, im Zuge der Korruptionsermittlungen von Mani pulite, wird er zugeben, Schmiergelder in Höhe von 150 Milliarden Lire, fast 80 Millionen Euro nach heutigem Wert, gezahlt zu haben: an Abgeordnete und Vertreter verschiedener Flügel der Christdemokraten, Sozialisten, Sozialdemokraten, Liberalen und Republikaner, jener fünf Parteien, die zwischen 1990 und 1992 an der Macht waren. Aber im Jahr 1985 sagt mir der Name Garofano gar nichts. Laut den Unterlagen, die jetzt durch das Abflussrohr der Toilette in die Kanalisation hinunterrauschen, ist es meine Aufgabe, das herauszufinden. Nein, ich lasse es lieber bleiben. Der Aufwand lohnt sich nicht. Doch für wen arbeitet Giacomo? Und für wen sind diese Informationen bestimmt?

Es ist Tommaso, der eines Tages meine Zweifel bestätigt. Wir sitzen im Auto. Wir reden nie über Giacomo. Aber an diesem Tag nehme ich meinen Mut zusammen und frage ihn: »Hast du ihn angerufen?« Ich brauche nicht einmal den Namen zu nennen oder das Treffen in der Via Turati zu erwähnen.

»Nein, nein«, antwortet Tommaso, »und ich will auch nichts davon wissen. Das ist der Geheimdienst, der steckt dahinter.«

Eine hingeworfene Bemerkung, mehr nicht. Ich antworte nicht darauf.

In den folgenden Monaten lassen weder Andrea noch Giacomo mehr etwas von sich hören. Auch Giuda rutscht die Bemerkung heraus, dass er von den beiden nichts mehr wissen will. Aber was ist passiert? Alle scheinen besser informiert zu sein als ich. Kann es sein, dass ich nichts kapiert habe? Und warum interessiert sich niemand mehr für mich? Vielleicht hat mein Schweigen den Eindruck erweckt, ich hätte Angst. Ich sei nicht vertrauenswürdig. Vielleicht denken sie, ich sei der Aufgabe nicht gewachsen.

Ich bin enttäuscht. Aber ich kann mit niemandem darüber reden. Und in Anspruch genommen von der täglichen Arbeit im Abhörraum des Justizpalastes, komme ich zu dem Schluss, dass es besser ist, all das aufzugeben und zu vergessen. Erst im Lauf der Jahre werde ich lernen, dass nichts zufällig geschieht.

Der amerikanische Agent

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