Читать книгу Der amerikanische Agent - Fabrizio Gatti - Страница 16
EIN KOFFER FÜR DEN ABGEORDNETEN
ОглавлениеIch sperre die Tür auf. Kontrolliere das Protokoll der Alarmanlage auf dem Gerät an der Wand und vergewissere mich, dass niemand in die Wohnung eingedrungen ist. Dann schalte ich den Videorekorder ein.
Handgriffe, die ich inzwischen ganz mechanisch ausführe. Ich habe einen lautlosen Alarm installiert. Ohne Sirene. Mir genügt es zu wissen, ob jemand durch die Wohnungstür oder die Fenster eingedrungen ist oder es versucht hat. Die Sensoren sind hinter den Bilderrahmen und im Blumentopf am Eingang versteckt. Werden sie aktiviert, filmen vier Minikameras den Eindringling, sodass ich Gegenmaßnahmen ergreifen kann.
Ich strecke mich auf dem Sofa aus, während Musik das Wohnzimmer erfüllt. Diana und die Kleine sind in den Ferien. Die moderne Technik ist mir eine große Hilfe. Ich habe den Videorekorder mit dem Musikkanal MTV synchronisiert, der in Italien von einem Privatsender übertragen wird. Und ich habe den Zeitraum eingestellt, der mich interessiert. Ich nehme nur von Uhrzeit x bis Uhrzeit y auf.
Was für eine grandiose Methode. Auf diese Weise kommunizieren wir schon seit ein paar Monaten. Die Zuschauer können jemandem einen Song widmen, Freunde grüßen oder eine Liebeserklärung machen, und MTV übermittelt die Nachricht als Text unter dem Videoclip. Wenn ich nach Hause komme, spule ich das Band zurück und schaue mir die Aufnahme an. Wenn es eine neue Nachricht für mich gibt, habe ich sie in wenigen Minuten gefunden.
Ich lese die Sätze, die über den Bildschirm laufen. Ein Song folgt auf den anderen. Ich muss auf Nachrichten achten, die mit einem Tiernamen und einem Datum beginnen und enden. Jedem Tier entspricht eine ganz bestimmte Stadt. Falke ist Florenz, Rabe ist Rom. Die Adresse ist stets dieselbe und war von Anfang an festgelegt. Das tatsächliche Datum des Treffens jedoch verschiebt sich gegenüber dem im Fernsehen angezeigten um eine Woche. Die Uhrzeit bleibt gleich. Eine einfache und sichere Methode. Keine Telefonate. Keine Gefahr, abgehört zu werden.
Auch für dringende Treffen gibt es ein Verfahren. Wenn wir uns kurzfristig treffen müssen, befestigen sie ein schwarzes Klebeband am Laternenpfahl an der Ecke meiner Straße. Um sie wissen zu lassen, dass ich es entdeckt habe, muss ich es herunterreißen und auf den Abfalleimer am selben Laternenpfahl kleben. Von dem Moment an habe ich zwölf Stunden Zeit, um in dem privaten Anzeigenblatt Secondamano, Aus zweiter Hand, eine Verkaufsanzeige für eine kaputte Waschmaschine aufzugeben, in der ich Ort, Tag und Uhrzeit der Abholung nenne. Meinen Controller treffe ich dann drei Tage und drei Stunden später als zu dem in der Anzeige genannten Datum.
Und bei einem solchen über MTV festgesetzten Treffen erhalte ich meinen ersten richtigen Auftrag. Am Tag der Operation stehe ich im Morgengrauen auf. Ich gehe unter die Dusche, wenn das Bad schon voller Dampf ist. Das heiße Wasser rinnt über meinen Körper. Ich schließe die Augen und bleibe zehn Minuten. Das mache ich immer, wenn ich mich entspannen und nachdenken will. Ich kleide mich gepflegt. Weißes Hemd. Blauer Nadelstreifenanzug. Klassische Krawatte mit weißen und blauen Streifen. Ich schnüre die schwarzen, in der Schweiz handgefertigten Schuhe der Marke Bally, Modell Flabber, zu. Inzwischen kann ich mir schöne Dinge gönnen. Mit dem Föhn erwärme ich ein paar Sekunden die ghanaische Sheabutter, die meine gebräunte Gesichtshaut glatt und glänzend macht. Der Duft von Morris, meinem Lieblingsparfüm, legt sich auf jede Faser meines Anzugs. Ich rufe in der Taxizentrale an.
»Zehn Minuten, Pisa 49«, sagt die Vermittlerin.
Ich öffne das Etui mit dem Geschenk, das ich mir mit dem ersten Geld von der Agency selbst gemacht habe: eine Rolex Cellini Date. Ich lege sie voller Stolz an. Ich überprüfe, ob die beiden Steckdosen mit der Zeitschaltuhr richtig eingestellt sind, um abwechselnd den Fernseher und die Stehlampe ein- und auszuschalten. Auf diese Weise sieht es aus, als wäre jemand zu Hause. Ich ziehe die Rollläden hoch. Mache die Vorhänge zu. Dann verlasse ich das Haus.
Ich werfe einen letzten Blick auf die gepanzerte Tür, die ich soeben abgeschlossen habe. Als könnte sie mir bei meiner Rückkehr wichtige Details verraten. Die Aufzugstür ist offen. Letzte Nacht bin ich um halb vier nach Hause gekommen, und ich weiß genau, dass ich wie immer den Lift wieder ins Erdgeschoss hinuntergeschickt habe. Ich drehe das Handgelenk und sehe, dass es 6.25 Uhr ist. Es muss also jemand in meine Etage hochgefahren sein, nachdem ich nach Hause gekommen bin. Und das war bestimmt nicht meine neunzigjährige Nachbarin. Ein elektrisierender Schauder läuft mir über den Rücken. Meine Beinmuskeln spannen sich an. Gefahr. Das ist das Signal, das mein Verstand in meinen ganzen Körper schickt.
Ich schlucke. Renne die Treppe hoch in die oberste Etage. Ich erwarte, dort jemanden zu finden, der sich auf dem Treppenabsatz versteckt hält. Von dort gelangt man auf die große Terrasse. Nichts. Der Durchgang zum Dach ist abgesperrt. Ich kehre in mein Stockwerk zurück, wo ich den Lift durch die geöffnete Tür blockiert habe. Ich ziehe meine Jacke aus und stelle fest, dass ich Schweißflecken unter den Achseln habe. Gewiss, wir haben August, und es ist schon früh am Morgen recht heiß. Ich ärgere mich über mich selbst. Ich gebe meiner Paranoia die Schuld, die mich inzwischen Tag und Nacht verfolgt.
Das Taxi ist schon da. Bevor ich einsteige, schaue ich mich in alle Richtungen um.
»Buongiorno, zum Flughafen Linate bitte«, sage ich zu dem Fahrer. Er dreht sich um und begrüßt mich mit einem Lächeln. Er ist nicht älter als dreißig. Wenn man sieht, wie viel Platz er auf dem Sitz einnimmt, kann er nicht besonders groß sein. Bürstenhaarschnitt. Graue Kapuzenjacke. Eine Kapuzenjacke im sommerlichen Mailand?
»Gern, Signore«, antwortet er.
Ich spanne sämtliche Muskeln an. Drücke das linke Bein zwischen die beiden Vordersitze, bereit, dem Taxifahrer mit der Faust ins Gesicht zu schlagen, falls er der Köder einer Falle ist. Meine rechte Hand umklammert den Griff der Autotür. Ich würde nicht zögern, die Tür zu öffnen und zu fliehen. Auf dem Autobahnring ist kein Verkehr. Alle sind im Urlaub. Aber ich bin in der Stadt und arbeite. Je näher wir dem Flughafen kommen, desto mehr entspanne ich mich. Keine Straßensperre. Keine Kontrolle durch meine Kollegen, die vielleicht kein bloßer Zufall wäre. Nicht einmal der Taxifahrer hat mich eines zweiten Blickes gewürdigt. Auch nicht durch den Rückspiegel. In der Ablage zwischen den beiden Sitzen hinter dem Schaltknüppel liegt eine Packung Levothyroxin-Kapseln. Ich kenne die Tabletten, weil ich sie meiner neunzigjährigen Nachbarin besorge, die an Schilddrüsenunterfunktion leidet. Wer diese Krankheit hat, friert ständig. Auch im August. Deswegen trägt der Taxifahrer eine Kapuzenjacke. Nicht, um eine Pistole darunter zu verstecken. Ich muss über meinen Argwohn schmunzeln.
Ich entspanne mich vollständig und mache es mir auf dem Sitz bequem. An die Kopfstütze gelehnt, sehe ich mein Gesicht im Rückspiegel. Ich betrachte mich, als wäre ich eine fremde Person. ›Hör auf, dich wie ein Idiot zu verhalten‹, sage ich zu meinem Spiegelbild. ›Ein Idiot wäre ich, wenn ich mich nicht so verhalten würde‹, gebe ich mir zur Antwort.
Solche Selbstgespräche werden mir allmählich zur Gewohnheit. Sie helfen mir, nachzudenken und zu verstehen. Man könnte mich für schizophren halten, aber es ist eine mentale Übung. Geboren aus der Notwendigkeit, mit jemandem zu sprechen, ohne dass ich Gefahr laufe, verraten zu werden. Mit jemandem, der mir Ratschläge für das erteilen kann, was ich jeweils gerade mache. Und dieser Jemand bin ich.
»Lassen Sie mich beim Abflug raus«, sage ich zu dem Taxifahrer.
Die Klimaanlage im Innern des Flughafens ist eine Wohltat. Ich warte ein paar Minuten. Gehe wieder hinaus, um zu überprüfen, ob das Taxi weggefahren ist. Levothyroxin hin oder her, Vorsicht ist immer besser. Ich kehre ins Flughafengebäude zurück und begebe mich zum Zeitungsstand, nur um sicher zu sein, dass niemand mich beschattet. Dann gehe ich zur Rolltreppe und fahre einen Stock tiefer in die große Ankunftshalle. Ich muss auf einen Koffer warten, der von Las Vegas über Rom nach Mailand unterwegs ist. Ich werfe einen Blick auf die Anzeigetafel. Das Flugzeug ist vor wenigen Minuten gelandet.
Ich begebe mich zu dem der Polizei vorbehaltenen Eingang. Aus dem Augenwinkel sehe ich zwei Polizisten in Uniform vor dem Gepäckscanner. Ich wende mich ihnen nicht zu, sondern hebe nur beiläufig die rechte Hand zum Gruß. In der Linken habe ich die elektronische Karte, die die Betreibergesellschaft des Flughafens meiner Dienststelle vor sechs Monaten im Rahmen der Ermittlungen zu einem Terrornetzwerk zur Verfügung gestellt hat. Diese Karte habe ich noch nie benutzt und weiß nicht einmal, ob sie überhaupt noch aktiviert ist. Ich stecke sie in den Schlitz und hoffe, sie richtig herum hineingeschoben zu haben, sodass das Magnetband gelesen werden kann. Nichts. Nervös drehe ich die Karte mehrmals um, ohne Erfolg. Ich bemerke, dass einer der Polizisten mich beobachtet. Jetzt kommt er auf mich zu. Es sind nur fünf oder sechs Meter. Ich könnte mich umdrehen und gehen. Aber von hinten steigt mir zuerst ein starker Knoblauchgeruch in die Nase, dann spüre ich seinen warmen Atem.
»Dottore, hier funktioniert nichts. Geben Sie sie mir«, sagt er. Er arbeitet vermutlich seit Jahren in Mailand, doch seinen sizilianischen Akzent hat er nicht abgelegt. Er nimmt mir die Karte aus der Hand und reibt sie an der Hose seiner Uniform. Dann schaut er mir in die Augen, steckt den Ausweis in den Schlitz, und die Tür öffnet sich.
Er sieht mich an, als hätte er ein Zauberkunststück vorgeführt.
»Danke, danke«, sage ich zu ihm und deute eine Verbeugung an. Ich muss mir ein Schmunzeln verkneifen, weil er mich für einen seiner Vorgesetzten hält. Auch diesmal haben mein eleganter Anzug, die Schuhe und die Rolex Wirkung gezeigt. Kleider machen eben Leute. Ich agiere wie ein Schauspieler auf der Bühne. Vielleicht ist genau dies das Leben.
Die Halle mit den Gepäckbändern ist fast menschenleer. Eine Reisetasche. Zwei Koffer. Ein roter, in Zellophan eingewickelter Trolley. Sie drehen auf dem Gepäckband ihre Runden, aber niemand nimmt sie herunter. Ich warte eine weitere Runde ab, blicke mich nach allen Seiten um und greife dann nach dem Trolley, um den am Griff angebrachten Anhänger zu entziffern. Das ist er. Ich ziehe das Namensschild heraus. Auf der Rückseite stehen mein Name und eine fiktive Adresse. Ich stecke das Namensschild wieder in den Anhänger und begebe mich zum Ausgang.
Den Koffer hinter mir herziehend, passiere ich den Zoll. Im kalten Neonlicht ist ein Beamter der Finanzpolizei mit einem Drogenspürhund an der Leine damit beschäftigt, einen Chinesen zu kontrollieren. Ein anderer Zollfahnder hinter dem Tisch, auf dem das Gepäck zur Kontrolle geöffnet wird, nimmt mich in den Blick. Ich spüre, wie die Schweißflecken unter meinen Achseln immer größer werden. Und wenn man mich anhält?
Blitzartig kommt mir eine Idee. Ich fange an, mit dem Hintern zu wackeln und den rechten Arm hin und her zu schlenkern. Ich verlangsame meinen Schritt und schaue den Zollbeamten an, wie ihn mit Sicherheit keine Frau jemals angeschaut hat. Mit einem Umweg von ein paar Metern gehe ich auf ihn zu. Er ist jung. Er errötet und schlägt die Augen nieder. Jetzt bin ich zwei Meter vom Ausgang entfernt. Im Spiegelbild der automatischen Glasschiebetür sehe ich, dass er zu seinem Kollegen getreten ist und lachend und mit ausgestrecktem Arm auf mich zeigt. Ich entdecke die Videokameras an den Pfeilern der Flughafenhalle und fange an, mich wieder normal zu bewegen. Im Sommer ist die Luft in Mailand klebrig. Aber jetzt spüre ich voller Erleichterung, wie sich die schwüle Hitze auf mein Gesicht legt. Ich bin draußen.
Nur ein paar Meter entfernt steht der Bus. Alle zwanzig Minuten fährt einer in Richtung Hauptbahnhof. Ich warte, bis der Fahrer den Kofferraum geschlossen hat. Jetzt ist der Koffer in Sicherheit. Mit drei Schritten bin ich bei seinem Kollegen, der die Tickets verkauft. Er hat sich neben dem vorderen Einstieg postiert. Ich spreche ihn auf Englisch an, aber er registriert es gar nicht. Er nimmt das Geld und reicht mir das Ticket. Ich steige ein und finde einen freien Platz ganz hinten, die Tür im Blick. Der Bus fährt los. Nach mir ist niemand mehr eingestiegen.
Ich entspanne mich. Die letzte Kontrolle werde ich machen, wenn wir in der Stadt sind, auf der Busspur. Erst dann weiß man, ob man von einem Auto verfolgt wird. Ich schalte das Aufnahmegerät ein, das ich in der Tasche habe. Ich befestige das kleine Mikrofon am Aufschlag meiner Jacke und fange an, alle Modelle der Autos zu diktieren, die ich vom Fenster aus sehe, dazu die Autonummern. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es extrem schwer ist, Dutzende Modelle und Nummernschilder im Kopf zu behalten. Ich werde die so gesammelten Daten transkribieren und dann beurteilen, ob man mich beschattet hat.
Am Hauptbahnhof steige ich aus. Wie immer wimmelt es von Menschen. Das kann mir nur recht sein. Ich betrete die Halle mit dem monumentalen Gewölbe. Ich gehe langsam und gemächlich. Nach wenigen Schritten stehe ich in der Schlange vor dem Zugschalter. Kurz bevor ich an der Reihe bin, trete ich aus der Schlange heraus und begebe mich zum Taxistand. Ich lasse mich in die Via Brusuglio, Ecke Via Pietro Bembo fahren. An der äußersten Peripherie. Unter anderen Umständen hätte ich mich weit entfernt vom Treffpunkt absetzen lassen. Aber es ist heiß, ich bin müde, und ich will den roten Rollkoffer endlich loswerden. Im Kopf überschlage ich die Entfernung, die mich noch von meinem Ziel trennt. Dreihundertzwanzig Meter zu Fuß. Ich bringe sie zügig hinter mich, den Koffer hinter mir herziehend. Es ist elf Uhr. Um Viertel nach elf muss ich am Treffpunkt sein. Das Ziel ist ein riesiges Gebäude, möglicherweise eine ehemalige Fabrik. Ich habe es schon auf der Schnellstraße Viale Enrico Fermi vom Taxi aus gesehen.
Im Geist rekapituliere ich die Anweisungen. An der Ecke Via Camillo Colombi entdecke ich das weiße Auto, einen Alfasud. Er ist exakt da geparkt, wo man es mir gesagt hat. Das Nummernschild stimmt. Ich nähere mich dem Wagen. Öffne den Kofferraum, der, wie erwartet, unverschlossen ist. Ich hebe den roten Trolley in den Kofferraum, mache ihn wieder zu, und als ich mich umdrehe, bemerke ich einen Mann. Ein junges Gesicht der Politik. Ein Versprechen aus dem Mitte-Rechts-Lager. Seit Monaten sehe ich ihn immer mal wieder im Fernsehen, vor allem in lokalen Sendern. Jetzt weiß ich, dass er Karriere machen wird. Ich gehe weiter, ohne mich noch einmal umzudrehen. Höre, wie er die Wagentür öffnet. Und wieder schließt. Vor allem aber höre ich das Knirschen der Gangschaltung.
»Er ist ganz schön nervös«, denke ich.
»Wer ist der Politiker?«
Simone Pace lächelt. Seine Stimme ist noch leiser, als er sagt: »Einer, der damals noch ganz am Anfang stand. Und der den Amerikanern offenkundig gefallen hat.«
»Und hat er dann Karriere gemacht?«
»Ja.«
»Wo ist er heute?«
»Er ist immer noch in der Politik«, antwortet Simone Pace und sieht mir in die Augen.
»Sein Name?«
»Sehen Sie, wie ich schon gesagt habe, handelt es sich um verdeckte Operationen. Es existiert kein einziges Dokument, kein einziger Beweis, der belegt, was geschehen ist. Den Namen sage ich Ihnen nicht. Zu Ihrer eigenen Sicherheit. Und zu meiner. Es gibt nicht viele Zeugen. Ich weiß, wer dieser Politiker ist. Er weiß es. Die Amerikaner, die die Operation genehmigt haben, wissen es. Auf der ganzen Welt gibt es drei, vier, höchstens fünf Personen, die den Namen kennen«, bemerkt Simone Pace. Er hat recht.
»Er ist also ein erpressbarer Politiker«, bohre ich nach. Das ist schließlich meine Aufgabe als Journalist.
»Sicher, aber erpressbar nicht durch mich. Das ist nicht mein Stil. Und wie gesagt, es gibt kein einziges Dokument, das belegt, was geschehen ist. Vielleicht haben Sie es noch nicht bemerkt, aber ein großer Teil der zeitgenössischen Geschichte ist auf Wasser geschrieben. Und zwar mit voller Absicht. Was man uns erzählt, ist nur die offizielle Version. Die Wahrheit lautet oft anders und ist gut versteckt. Die Demokratie oder vielmehr die im Verfall begriffene Demokratie der medialen Welt, in der wir heute leben, braucht die Lüge. Wenn die Wähler die ganze Wahrheit kennen würden, wie könnten dann die Herrschenden den Konsens aufrechterhalten?«
»Ich verstehe, was Sie meinen. Aber was war in dem roten Trolley? War er schwer?«
»Schwer? Wenn Sie glauben, es waren Waffen drin, lautet die Antwort Nein«, sagt Simone Pace und muss lachen.
»Nicht unbedingt Waffen, aber …«
»Ich habe den Koffer nicht geöffnet, er war mit einem Vorhängeschloss gesichert. Aber es war Geld drin. Ich weiß nicht, wie viel, aber dieser Trolley war voller Geld«, verrät mir Simone Pace. »Patrick hat es mir gesagt, als er mir die Operation zugewiesen hat. Es ist Sommer 1989. Die Welt steht vor einem epochalen Umbruch: Fall der Berliner Mauer, Ende des Kalten Kriegs, Kapitulation der Sowjetunion. Und auch in Italien, das aufgrund seiner strategischen Lage am Mittelmeer ein wichtiger Verbündeter der Vereinigten Staaten ist, muss dieser Umbruch unterstützt werden. Nachdem die Amerikaner den Kalten Krieg gewonnen haben, denken sie vielleicht schon darüber nach, der korrupten Politik der Ersten Italienischen Republik ein Ende zu bereiten.«
»Ich verstehe.«
Simone Pace lacht. »Ja, aber diejenigen, die diesen Umbruch finanzieren und steuern, sind dieselben wie zuvor.«
»Wie ist der Koffer zum Flughafen Linate gelangt?«, frage ich.
»Das weiß ich nicht. Ich habe niemanden getroffen. Ich habe den Koffer vom Gepäckband dieses Fluges aus Rom genommen. So lautete die Anweisung.«
Niemand, fährt Simone Pace fort, sagt mir, ob meine Mitarbeit wertgeschätzt wird. Aber sie bezahlen mich weiter, und dafür muss es einen Grund geben. In meiner Dienststelle wird der Arbeitsrhythmus immer hektischer. Inzwischen fotokopiere ich fast alle Dokumente, die dann direkt nach Langley gehen. So stelle ich es mir jedenfalls vor.
Einmal im Monat, manchmal auch öfter, treffe ich mich mit Enrique. Der Venezolaner, der mich in Innsbruck dem Test unterzogen hat, hat Patricks Posten übernommen. Wir treffen uns jedes Mal in einem anderen Land oder einer anderen Stadt. Immer Samstagnachmittag oder Sonntag. Nie in der Schweiz. Eines Tages erklärt mir Enrique, dass aufgrund irgendwelcher Abkommen die Schweiz das einzige Land Europas ist, in dem die CIA nicht operieren kann.
Wenn ich die Instruktionen zu einem Treffpunkt erhalte, hoffe ich jedes Mal, dass er nicht allzu weit entfernt liegt. Denn je länger ich unterwegs bin, desto größer ist das Risiko. Wenn ich das Haus verlasse, bin ich unerreichbar. Nicht einmal zu Diana sage ich, wohin ich gehe. Falls etwas schiefgeht, darf meine Frau, selbst wenn sie unter Druck gesetzt wird, nichts zu erzählen haben. Diana weiß nichts von meinem zweiten Job. Ich schätze ihre Zurückhaltung. Im Lauf der Zeit jedoch merke ich, dass sie eine Erklärung für meine ständige Abwesenheit möchte. Manchmal bin ich nahe daran, ihr die Wahrheit zu sagen. Aber sie fragt nie nach. Und ich sage nichts. Bis heute bin ich überzeugt, dass ich mich richtig verhalten habe. Im Moment nimmt sie die Situation hin, wie sie ist. Wir haben keine Geldsorgen mehr. Und das hilft, die vielen Unstimmigkeiten zwischen uns zu lösen.
Nur die ersten Male, als ich verschwinde, sagt Diana: »Und wenn jemand nach dir fragt?« Ich erkläre ihr, sie solle sagen, wir hätten uns gestritten und ich sei rausgegangen. Aber es hat nie jemand nach mir gefragt. Wenn ich gezwungen bin, länger als einen Tag von zu Hause fortzubleiben, vermeide ich es anzurufen. Aber in einer Familie kann immer etwas passieren. So wie an jenem Abend, als ich die Tür öffne und niemand da ist. Auf dem Tisch liegt ein Zettel: »Mach dir keine Sorgen. Ich bin mit der Kleinen in der Notaufnahme.«
Ich soll mir keine Sorgen machen? Ich setze mich ins Auto und rase ins Krankenhaus. Ich hätte fast drei Unfälle gebaut und eine Frau auf dem Zebrastreifen überfahren. Die Kleine hat hohes Fieber. Sie erbricht. Nichts Ernstes, gewiss. Beschwerden, wie sie Kleinkinder öfter haben. Ich betrachte sie in ihrem Bettchen auf der Kinderstation des Krankenhauses und zittere und bange, von Schuldgefühlen gepeinigt.