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DER ANRUF

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Eines Morgens meldet sich in der Telefonzentrale der Redaktion, in der ich arbeite, ein Mann und lässt sich meine Durchwahl geben.

»Bitte entschuldigen Sie, aber ich kann Ihnen meinen Namen nicht gleich nennen«, sagt er, nachdem er sich vergewissert hat, dass ich selbst am Apparat bin. »Ich habe schon mehrmals versucht, Sie zu erreichen, heute habe ich Glück. Ich freue mich, mit Ihnen zu sprechen.«

Er spricht perfekt Italienisch. Nur die Vokale sind etwas gedehnt wie bei Italienern, die schon lange in den Vereinigten Staaten leben.

»Ich bin beruflich viel unterwegs«, antworte ich. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich hätte eine interessante Geschichte zu erzählen«, fährt er fort, »und möchte fragen, ob Sie sie hören möchten.«

»Wenn Sie wollen, jetzt gleich.«

»Nein, nicht am Telefon. Aber vorher möchte ich wissen, wie viel Ihnen eine Geschichte wert ist.«

»Sie meinen, wie viel ich Ihnen dafür zahle?«

»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagt der Unbekannte, »aber es ist eine Geschichte, die niemand kennt, und ich möchte mich absichern. An meine Zukunft denken, verstehen Sie?«

Er ist nicht der Erste, der anruft, um mir etwas zu verkaufen. Ich wimmele ihn sofort ab: »Ich verstehe. Aber wenn Sie mit mir sprechen wollen, dann nur, weil die Geschichte es wert ist, erzählt zu werden, und weil mehr Menschen Dinge erfahren sollten, die für sie wichtig sein könnten. Ich habe noch nie eine Nachricht gekauft.«

»Es geht nicht ums Kaufen.« Der Mann lässt nicht locker.

»Sie schlagen mir aber doch ein Tauschgeschäft vor. Danke, dass Sie mich kontaktiert haben, aber probieren Sie es bei jemand anderem.«

Ein paar Monate später, als ich zur Abendessenszeit in Rom unweit der Kirche San Pietro in Vincoli unterwegs bin, sehe ich, dass jemand auf meinem Handy angerufen hat, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Die Nummer beginnt mit 0048, der Ländervorwahl von Polen. Ich rufe zurück. Eine Männerstimme meldet sich. Der Mann spricht nur Polnisch. Er versteht mich nicht, ich verstehe ihn nicht. Im Hintergrund Kinderlachen. Ich bitte auf Englisch um Entschuldigung und beende unser absurdes Gespräch.

Kurz danach vibriert mein Handy erneut. Es ist dieselbe polnische Nummer. Ich gehe ran. »Buongiorno«, sagt eine Männerstimme am anderen Ende der Leitung in tadellosem Italienisch. »Oder vielmehr buonasera, denn bei euch ist ja jetzt Abend. Wir haben vor ein paar Monaten miteinander telefoniert. Ich wollte Ihnen sagen, dass ich bereit bin, Ihnen alles zu erzählen, ohne irgendetwas dafür zu verlangen. Ich teile das, was Sie mir über den Wert einer Geschichte gesagt haben. Und was ich erlebt habe, ist wirklich für alle wichtig.«

Es ist der Unbekannte, der in der Redaktion angerufen hatte.

»Aber von wo rufen Sie an? Um diese Uhrzeit ist es auch in Polen Abend«, sage ich verblüfft, und er fängt an zu lachen.

»Mit meinem Computer ist nichts unmöglich. Ich telefoniere über die Nummer einer ahnungslosen polnischen Familie«, erklärt mir der Mann, »aber ich bin nicht in Polen. Wenn Sie Telegram noch nicht auf Ihrem Mobiltelefon haben, installieren Sie es. Kennen Sie es? Es ermöglicht den Austausch verschlüsselter Nachrichten, die von niemandem abgehört werden können. Verzeihen Sie, aber ich habe mir unerlaubt Ihre Handynummer verschafft. Sobald Sie Telegram heruntergeladen haben, schreibe ich Ihnen über diesen Messaging-Dienst. Aber jetzt würde ich lieber Schluss machen, bevor der Pole merkt, dass ich seine Leitung gekapert habe.«

Ich lade mir die Telegram-App aufs Handy. Und er schreibt mir wie versprochen. Er stellt sich mit Vor- und Zunamen vor: Simone Pace. Mehr nicht. Eine Minute nachdem ich die Nachricht gelesen habe, löscht sie sich automatisch. So hat es begonnen. Wir haben uns auch in den Vereinigten Staaten getroffen, in einer billigen Pension nahe dem Flughafen von Las Vegas. Was Simone Pace erzählt, entspricht dem, was wir Europäer gesehen, erlebt und erlitten haben. Sein Name ist garantiert falsch. Aber sein Leben ist eng mit unserem verknüpft. Zusammen ergeben wir ein perfektes Puzzlebild. Deshalb habe ich beschlossen, seine Geschichte aufzuschreiben: weil – und davon bin ich überzeugt – die amerikanische Erziehung existiert und bis heute im Verborgenen überall ihre Wirkung entfaltet.

Der amerikanische Agent

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