Читать книгу Requiem für eine Elster - Fee-Christine Aks - Страница 5
Sonntag, 18. Oktober 2015.
ОглавлениеCarlotta Strandt erwacht ausgeruht und so entspannt wie lange nicht mehr. Mit einem wohligen Seufzer rollt sie sich in dem breiten Kingsize-Bett auf die Seite und öffnet langsam ihre schokoladenbraunen Augen.
Ein Blick aus dem bodentiefen Fenster bestätigt ihr, dass es kein Traum ist. Sie befindet sich tatsächlich in der Stadt der Liebe; denn deutlich sichtbar über den Dächern des sechsten und siebten Arrondissements auf der anderen Seite des Flusses ragt rechts neben der goldenen Kuppel des Invalidendoms der romantischste Stahlschrott der Welt in den hellrosa gefärbten Morgenhimmel.
Es ist ihr erster richtiger Urlaub in diesem Jahr, denn die Aufenthalte auf Malta im Sommer und auf einer kleinen schwedischen Insel im Frühjahr haben wenig von Entspannung und Abwechslung von Lottas Berufsalltag als Kommissarin bei der Hamburger Polizei gehabt.
Darüber hinaus ist es an der Zeit, ihre auf etwas wackligen Beinen stehende Beziehung zu Moritz zu festigen. Und ein Trip nach Paris soll laut ihrer besten Freundin Susanna Eberhardt wahre Wunder wirken.
Vielleicht hat Sanna aber auch nur ihre eigene Erfahrung mit Profi-Fotograf Alex Chambers als Anlass genommen, dieses Reiseziel vorzuschlagen. Denn so sehr die Werbe-Layouterin es bisher immer zu verschleiern versucht hat, sie ist und bleibt eine unheilbare Romantikerin, geboren um wie eine Prinzessin behandelt zu werden. Und genau das ist es, was Alex seit vier Monaten tut – einschließlich Begleitung zu ‚Gigs‘ bei den French Open Ende Mai bis Anfang Juni, der Fashion Show Haute Couture im Juli und der Paris Fashion Week Ende September bis Anfang Oktober.
Lotta streckt sich genüsslich und tastet blindlings hinter sich, wo sie den warm und aufregend athletischen Körper von Moritz erfühlt, der tief und fest schläft nach einer Nacht voller Leidenschaft.
Es ist keine vierundzwanzig Stunden her, dass sie nach einem Direktflug mit der Billigtochter der größten deutschen Fluggesellschaft am Flughafen Charles-de-Gaulle aus einer Airbus-Mittelstreckenmaschine gestiegen und mit der Bahn zum Gare du Nord und dann mit der Metro weiter in die Innenstadt von Paris gefahren sind. Auch das Superior-Hotel am Place de la Concorde mit Blick auf die Seine, die Tuileriengärten und das Panorama jenseits des Flusses ist eine Empfehlung von Sanna gewesen.
Den Beginn des Pflichtprogramms für Touristen – Besteigung des Eiffelturms per Treppe, gefolgt von einer gemütlichen Bootsfahrt auf der Seine und einem sündhaft teuren Abendessen in einer namhaften Brasserie am Boulevard Saint-Germain – haben sie bereits gestern absolviert.
Für heute stehen der Invalidendom mit dem Grabmal Napoleons und ein ausgedehnter Besuch des Louvre auf dem Programm. Lotta fühlt bereits die leise kribbelnde Vorfreude, auch wenn sie sich ein bisschen über die Anspannung wundert, mit der Moritz diese Reise angetreten hat. Ob es daran liegt, dass er seine ersten Herbstferien seit seiner eigenen Schulzeit hat? Sie bekommt alles hautnah mit, denn seit Beginn des Schuljahres wohnt er auch offiziell bei ihr in Hamburg-Othmarschen und arbeitet als Referendar für Sport und Mathematik an einem altsprachlichen Gymnasium in der Nähe.
Vielleicht wird diese Woche Urlaub in Paris helfen, um sein Stresslevel wieder zu senken. Und wenn nicht, überlegt Lotta, wird sie ihnen nach ihrer Rückkehr in die Hansestadt einen Tag im Wellnesstempel an der Binnenalster spendieren und Moritz so rundum entspannt zurück in den Schulalltag schicken.
„Bon jour mon amour“, hört sie seine verschlafene Stimme in ihrem Rücken, gefolgt von einem herzhaften Gähnen. „Mann, was habe ich gut geschlafen.“
„Habe ich gehört“, grinst Lotta und ahnt seine Reaktion, noch bevor er anfängt sie zu kitzeln. Quiekend versucht sie ihm zu entkommen, doch er zieht sie mit sanfter Gewalt in seine Arme und bedeckt ihren Hals mit Küssen.
„Anflug von Erkältung“, brummelt er. „Normalerweise schnarche ich nicht.“
„Weiß ich doch“, seufzt sie und fühlt einen warmen Schauer über ihren Rücken kriechen, als eine seiner Hände unter der Bettdecke abwärts wandert und südlich ihrer Taille zu liegen kommt. „Wie wäre es mit Frühstück im Bett?“
„Ja, Appetit genug habe ich“, murmelt er, schon halb auf dem Weg hinab zum Ausschnitt ihres Satinnachthemdes. „Aber erst nach meiner Vorspeise…“
Kichernd steigt Lotta ein und beginnt ihrerseits, ihre Hände über seinen Körper gleiten zu lassen. Das Berühren seiner sportlich-schlanken Gliedmaßen jagt ihr einen anregenden Schauer nach dem nächsten über den Rücken; seine Küsse spürt sie bis tief in ihr Innerstes und erwidert sie mit aller Leidenschaft, zu der sie fähig ist.
Es fällt ihr zunehmend leichter, sich in seiner Gegenwart fallen zu lassen, seine Zärtlichkeiten zu genießen und ihrerseits ihn nach allen Regeln der Kunst zu verwöhnen, sodass sie einander mit jeder Berührung weiter reizen und in einen Strudel feuriger Lust versinken. Ihrer beider Appetit ist selbst nach vergangener Nacht so groß und glühend, dass es kaum eine halbe Stunde dauert, bis sie schwer atmend nebeneinander in den zerwühlten Laken liegen.
Mit dem Ohr auf seiner nackten Brust genießt Lotta das ermattete Streicheln ihrer Schulter, während sie dem sich nur langsam beruhigenden Herzschlag von Moritz lauscht. Fröhlich grinsend verabschiedet sie sich wenig später für eine erfrischende Dusche ins vornehm mit dunklem Marmor ausgekleidete modern eingerichtete Vollbad, während Moritz noch im Liegen per Haustelefon und in etwas eingerostetem Schul-Französisch zweimal kontinentales Frühstück mit Tee, Orangensaft und zwei Croissants extra bestellt.
Der Zimmerservice trifft ein, als Moritz gerade frisch geduscht mit einem Handtuch um die Hüften zurück ins Zimmer kommt, wo Lotta in Unterwäsche und frischem Poloshirt vom kleinen Balkon vor dem Fenster aus den Panoramablick auf das erwachende Paris genießt. Unten auf der Place de la Concorde beginnt sich eine mehr und mehr anwachsende Karawane von Autos um den Obelisken zu drehen und sich in alle Richtungen zu verstreuen.
Der Hotelangestellte erkundigt sich freundlich bei Moritz, ob auf dem Balkon gedeckt werden solle. Lotta nickt Moritz zu und zieht rasch ein Laken vom Bett, um ihre nackten Beine vor den Blicken des jungen uniformierten Mannes und der Kühle vor dem Fenster zu schützen.
Während der Zimmerkellner routiniert den Tisch aus weiß gestrichenem Metall eindeckt und Polster auf die filigranen Stühle legt, fährt Lotta rasch in Jeans und Cashmere-Pullover und reicht Moritz seine Jeans, die sie ihm vergangene Nacht in Sekundenschnelle ausgezogen hat.
„Les gazettes, Madame“, sagt der Hotelangestellte höflich und reicht Lotta ein Exemplar der größten französischen Tageszeitung sowie die Sonntagsausgabe der auflagenstärksten deutschen Boulevardzeitung.
„Merci“, antwortet Lotta, während Moritz dem Zimmerkellner im Vorbeigehen unauffällig einen Fünf-Euro-Schein als Trinkgeld in die Hand drückt.
Noch bevor der Uniformierte die Tür hinter sich geschlossen hat, ist Lotta schon sämtliche Textschnipsel der deutschen Titelseite durch. Bei einem Glas frisch gepresstem Orangensaft überfliegt sie wenig später den Rest der Zeitung, um die sie ansonsten immer einen weiten Bogen macht, die es aber offenbar an so ziemlich jedem Urlaubsort als deutsche Presse im Angebot gibt.
Die andere Zeitung ist weitaus gehaltvoller, aber trotz Lottas ganz passablen Schulkenntnissen der französischen Sprache etwas schwerer zu lesen. Dennoch kann sie den Inhalt mehrerer Artikel ausmachen, angefangen beim Leitartikel über ein wirtschaftliches Gipfeltreffen zwischen Frankreichs Präsident und der deutschen Bundesregierung und dem nationalen Aufmacher über die in Kürze bevorstehende Ehrung eines Helden der Résistance, der mit dem derzeitigen Bürgermeister von Paris verwandt ist.
Lotta blättert weiter und überfliegt Meldungen, in denen über einen Doping-Skandal bei einem ehemaligen Tour de France-Gewinner, die bevorstehende Ehrung der Britin Clarissa Sinclair mit dem französischen Filmpreis für ihren neuesten Film, die schmutzige Scheidung eines berühmten französischen Schauspieler-Ehepaars und über den Raub eines Monet-Gemäldes aus einer Londoner Galerie berichtet wird.
„Monet hat offenbar Saison“, murmelt Lotta und zeigt Moritz den Artikel auf der ersten Seite des Kulturteils. „Vor zwei Monaten wurde Die Waterloo-Brücke aus der Hamburger Kunsthalle gestohlen. Das Raubdezernat ist dran, hat aber, soweit ich weiß, noch keine Spur.“
„Jetzt hat es die National Gallery erwischt“, ergänzt Moritz nach einem Blick in den Artikel, „Die Themse unterhalb von Westminster.“
„Wenn ich mich richtig erinnere“, murmelt Lotta, „war da vor einiger Zeit auch ein Einbruch in einer Galerie in den USA. Die Beute war ebenfalls ein Monet, eines aus einer umfangreichen Serie seiner Öl-Gemälde vom Westminster-Palast, den ‚Houses of Parliament‘.“
„Klaut sich da jemand London durch die Augen von Claude Monet zusammen?“
„Möglich“, seufzt Lotta, „aber es interessiert mich nicht. Nicht mein Gebiet.“
„Und außerdem“, fügt sie zur Verstärkung des zufriedenen Ausdrucks auf dem Gesicht von Moritz hinzu, „bin ich nur eine überbeschäftigte Kommissarin beim Morddezernat. Soll sich das Raubdezernat drum kümmern, oder von mir aus auch Scotland Yard, das FBI oder Interpol. Ich habe Urlaub.“
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