Читать книгу Requiem für eine Elster - Fee-Christine Aks - Страница 9
Beschattung
ОглавлениеSein Ausweichmanöver war geglückt. Renard hatte den Verfolger abschütteln und im Schutze der Nacht wie geplant bis zur Saint-Sulpice schleichen können, wo er mithilfe seines Dietrichs eine Seitentür geöffnet und es sich in einer abgeschiedenen Ecke der großen Kirche für einige Stunden gemütlich gemacht hatte.
Der verabredete Treffpunkt war von hier aus mit der Metro in knapp zwanzig Minuten zu erreichen. Doch er musste warten, denn das Fahrgastaufkommen war am Vormittag nach der Rush Hour nicht hoch genug, sodass ein gewisses Risiko bestand, dass er beim Umsteigen an der Station Châtelet oder beim Aussteigen an der Station Rambuteau bemerkt werden würde.
Er wusste, dass er nur wenige Minuten für die Übergabe hatte, um zwölf Uhr mittags auf dem Vorplatz mit den Wasserbecken voll bunter, abstrakt moderner Kunst. Dafür wünschte er sich den Schutz der Masse, und den bot ihm nichts so effektiv wie die Schulklassen, die zum nachmittäglichen Besuch im Centrum für moderne Kunst eintrafen.
Er sah auf seine digitale Armbanduhr. Es war erst kurz vor zehn Uhr, das Centre Pompidou öffnete erst in einer Stunde. Es blieb noch genug Zeit für ein schnelles Frühstück in einem Café in der Rue de Rennes.
Er überprüfte sein Outfit, das ihn mit verwaschenen Jeans, abgetragenem Parka und einer halblangen dunkelbraunen Lockenperücke unter einer Baskenmütze nach einem französischen Kunststudenten aussehen ließ. Selbst seinen Spezial-Rucksack hatte er wie geplant mit wenigen Handgriffen umgedreht und zum abgetragen wirkenden Behältnis für Pinsel, Stiftebox und Sketchbuch gemacht. Alles war, wie es sein sollte.
Er verließ die Kirche durch das Hauptportal. Die wenigen Besucher des Morgengebets und der Priester nahmen ihn kaum wahr. Sie beeilten sich ihre Regenschirme noch im Schutze des Vorraums aufzuspannen, bevor sie die Stufen zur Straße hinunterstiegen.
Er folgte ihnen mit hochgeschlagenem Kragen bis zum großen Brunnen und wandte sich in Richtung der nahen Metro-Station. Sein Magen knurrte leise, als er die Tür zum Café aufschob und seinen Parka ausschüttelte.
Mit einem frisch gebackenen Croissant in der Rechten, dem aufgeschlagenen Sketchbuch und einer Tasse schwarzem Kaffee vor sich und einem Bleistift in der anderen Hand saß er wenig später an einem Eckplatz mit freier Sicht auf die Straße vor den Fenstern des Cafés. Von hier aus konnte er auch den Eingang zur Metro gut einsehen ohne selbst hinter den Art-Deco-Fensterscheiben gesehen zu werden. Alles war gut.
Er seufzte zufrieden und schob sich den Rest des Butterhörnchens in den Mund. Heute würde er die Belohnung bekommen für all seine Mühe. Er hatte es sich verdient, denn er hatte alle Aufgaben gelöst, die man ihm gestellt hatte. Nach heute würde man anerkennen, dass er der Beste der Besten war. Er war würdig, die Nachfolge der Legende anzutreten und in gewissen Kreisen zur absoluten Berühmtheit zu werden. Der Fuchs hatte die Elster gefressen.
Gerade wollte er den letzten Schluck Kaffee trinken und ein paar Münzen aus seiner Hosentasche hervorholen, da sah er ihn. Es war derselbe Mann wie am Tag zuvor, der dort in Hut und Mantel die Treppe der Metro-Station heraufkam.
Es konnte ein Zufall sein, aber Renard glaubte nicht an Zufälle. Und er behielt recht damit; denn der Hut-und-Mantel-Mann ging zu einem Zeitungsstand auf der anderen Straßenseite, kaufte sich eine Sportzeitung und blieb dann scheinbar lesend an der Bus-Station stehen.
Wie, zum Teufel, hatte sein Verfolger ihn wiedergefunden? Er konnte ihn nicht erkannt haben in seiner neuen Aufmachung. Und in der Kirche oder einfach so auf der Straße konnte er ihn auch nicht aufgespürt haben.
Während er das Sketchbuch und den Bleistift zurück in den Rucksack schob und versuchte, seinen erhöhten Puls zu beruhigen, überlegte er fieberhaft, was jetzt zu tun war. Es war Zeit aufzubrechen, wenn er nicht zu spät zum Treffpunkt kommen wollte. Aber zunächst musste er seinen Verfolger loswerden.
Wie auf Bestellung sah er weiter vorne nahe der Tür eine Gruppe Studenten von zwei zusammen gestellten Tischen aufstehen. Er beschloss, sie als seinen Schutz zu nutzen und es zu wagen, notfalls zu Fuß bis zur nächsten Metro-Station Saint Germain des Près zu laufen.
Er stand auf und schob sich am Nachbartisch vorbei, wo ein junges Paar – der Kleidung nach aus Westeuropa – sich gerade die zweite Tasse Café au lait samt Croissant schmecken ließ. Ein dickes rot-blaues Taschenbuch – dem Aufdruck nach ein Reiseführer für Paris – lag aufgeschlagen vor der jungen Frau, deren kurze kastanienfarbigen Locken und großen braunen Augen ihn sowohl an die Amélie-Schauspielerin als auch an die zierliche Hauptdarstellerin aus seinem Lieblingsfilm Wie klaut man eine Million? denken ließen.
„Pardon“, murmelte der athletisch gebaute große blonde Mann, der neben ihr saß, und zog den überzähligen Stuhl mit zwei getrockneten, steppgefütterten Regenjacken näher an den Tisch heran, um ihm mehr Raum zum Vorbeigehen zu ermöglichen.
Renard nickte dankbar und beeilte sich, den Anschluss an die Gruppe Studenten nicht zu verpassen, die sich gerade aus der Tür schlängelten und nach rechts zur Bushaltestelle stadteinwärts in Richtung Sorbonne wandten. Er grinste, als er sah, dass sein Verfolger die Studenten kurz musterte, sich dann aber wieder in seine Sportzeitung vertiefte.
Der Bus kam und nahm die Studenten auf. Da passend dazu auch der Bus in die Gegenrichtung eintraf, gewann er wertvolle Sekunden, in denen er von seinem Verfolger abgeschirmt war und unbeobachtet in die Rue du Vieux Colombier in Richtung Saint-Sulpice einbiegen konnte.
Er ging schnell und warf immer wieder einen verstohlenen Blick zurück. Es war niemand zu erkennen, der sich mehr für ihn interessierte als ein Pariser sich im Regen für einen anderen vorbeieilenden Pariser interessiert. So erlaubte er sich ein Grinsen, als er die nächste Seitenstraße passierte und sich an der nächsten Kreuzung nach links wandte.
Die Rue Bonaparte war fast menschenleer, nur hinter den Scheiben von Pierre Hermé konnte er im Vorbeigehen einige Damen ausmachen, die mit großer Hingabe bunte Macarons kauften.
Er erreichte unbehelligt den Boulevard Saint-Germain, wo wie immer reger Betrieb herrschte. Bis zur Metro-Station Saint-Germain des Près war es nicht mehr weit, als er seinen Verfolger bemerkte. Es war derselbe Mann wie zuvor, der von links über den Place du Québec herankam und ebenfalls der Metro zustrebte.
Leise fluchend beschleunigte Renard seine Schritte und begann zu laufen, sobald er die Treppe zur Metro erreicht hatte. Es kam nun darauf an, so viel Raum wie möglich zu gewinnen. Selbst wenn er seinen Verfolger hier nicht abschütteln konnte, so hoffte er inständig, ihn spätestens beim Umsteigen an der Station Châtelet loszuwerden. Am verabredeten Treffpunkt konnte er schließlich nicht mit seinem Schatten zusammen auftauchen.
Für einen Moment überlegte er, ob es seine Auftraggeber waren, die ihm diesen lästigen Schatten an die Fersen geheftet hatte. Aber warum erst jetzt?
Warum hatten sie ihn nicht schon in Zürich, Washington, New York, Hamburg und London überwacht? Was war jetzt anders? Oder war es nur, weil dies der letzte Coup war, bevor er seinen Triumph voll auskosten konnte?
*****
Seufzend lässt Moritz Guth seinen grüngrauen Blick durch das Art-Deco-Café wandern. Ringsum sitzen Studenten, die meisten davon augenscheinlich Kunst- oder Mode-Exzentriker, und nippen an ihren Milchkaffees. Manche trinken das starke Gebräu schwarz, mit oder ohne Zucker, während die beiden superschlanken jungen Frauen am Tisch gegenüber nur heißes Wasser mit Zitrone vor sich stehen haben – kein Croissant, kein ‚petit pain au chocolat‘.
Aber selbst die Kombi aus Butterhörnchen, Schoko-Blätterteiggebäck und einer großen Schale Milchkaffee ist nicht ausreichend. Auch wenn laut Lotta darin genug Kalorien für fast einen ganzen Tag versteckt sein mögen, ist Moritz nicht überzeugt, geschweige denn satt. Das französische Frühstück ist nichts für ihn.
„Wir können ja“, schlägt Lotta grinsend vor, da sie seine unzufriedene Miene bemerkt hat, „später noch eine Crêpe essen oder ein paar Macarons auf dem Weg zum Jardin du Luxembourg, was hältst du davon?“
„Klingt nach einem Plan“, nickt Moritz dankbar und angelt lächelnd nach dem Baedeker, der mit vielen bunten Post-its versehen neben seiner leeren Kaffeeschale auf dem runden Tisch liegt. „Ich wäre für Macarons, die sollen ja eine Offenbarung sein…“
„Sag lieber ‚Sucht‘“, grinst Lotta und trinkt den Rest ihres Milchkaffees aus. „Es gibt hier zwei gute Läden dafür, hat Sanna gesagt. Beide saumäßig teuer, aber in Paris ist ja alles teuer…“
„Unbezahlbar“, antwortet Moritz mit einem leicht schiefen Grinsen, „denn jede Sekunde ist mit dir.“
„Charmeur.“
Er sieht, dass sie trotz ihrer amüsierten Abwehr des Kompliments errötet. Die frische Farbe in den schmalen Wangen steht ihr gut und zaubert einen sanften Glanz in ihre großen schokoladenbraunen Augen, die ihn unwillkürlich an eine bekannte Schauspielerin denken lassen, die in ihrer fabelhaften Welt auf der Suche nach einem Geist durch ganz Paris von Fotoautomat zu Fotoautomat zieht und einen Gartenzwerg auf Weltreise schickt.
Aber Lotta ist unendlich viel schöner, jedenfalls für ihn. Nicht zum ersten Mal stellt er fest, wie sehr er diese kleine, zierliche, sportliche und selbstsichere Frau liebt. Auch wenn die ersten Wochen an der Schule sicherlich nicht einfach gewesen sind und auch sie beruflich mehr als genug zu tun hat, so ist sie sein Anker, sein Fels in der Brandung, sein Leben.
Moritz muss sich sehr zurückhalten, in die Innentasche seiner Wetterjacke zu greifen, die dicht neben ihm über der Lehne seines Stuhles hängt. Was, wenn der Kunststudent, der vor wenigen Minuten beim Aufstehen gegen den Stuhl gestoßen ist, sein kleines funkelndes Geheimnis gestohlen hat? Mit den halblangen dunklen Locken unter der Baseballkappe hat der junge Mann so ausgesehen wie die Hälfte der anwesenden männlichen Studenten in diesem Café.
Moritz bemüht sich, seine pessimistischen Gedanken zu verscheuchen. Es ist gut, kein Grund zur Sorge. Er hat alles geplant, für später im Jardin du Luxembourg. Doch nun fällt es ihm schwer sich zu beherrschen.
„Der Louvre war toll“, wird er von Lottas Stimme aus seinen Gedanken gerissen und blickt auf, direkt in ihre schönen Augen. „Nicht wahr?“
„Ja, allerdings war die ‚Mona Lisa‘ eher enttäuschend… So klein.“
„Ich freue mich auf morgen“, antwortet Lotta, „das Orsay hat eine großartige Sammlung, speziell Impressionisten, die ich am liebsten mag – Renoir, Monet und so weiter.“
„Na“, murmelt Moritz, „dann hoffe ich für dich, dass noch welche da sind von Monet. Nicht dass dort auch noch ein Parlamentsgebäude verschwindet…“
„Seltsam, hm? Naja, ich freue mich mehr auf Renoir. Obwohl Monets ‚Elster‘ zu den Werken gehört, die ich im Kunstunterricht gern analysiert habe. Am besten finde ich aber seine ‚Seerosen‘…“
„Wir gehen ja“, nickt Moritz grinsend, „noch in die Orangerie, nur Geduld. Bist du eigentlich fertig?“
Lotta nickt und schlägt den Reiseführer zu. Der Kellner, der soeben mit einem Tablett voll leerer Kaffeetassen und einer Wolke kalten Rauches von draußen hereingekommen ist, bemerkt den Blick von Moritz und bringt ungefragt sofort die Rechnung.
Moritz bezahlt, fährt in seine Jacke und spürt den beruhigenden leichten Druck des kleinen Kästchens auf seiner linken Brustseite, bevor er Lotta galant in ihre Steppjacke hilft. Die Studenten ringsum lächeln ihnen unverbindlich zu, als sie zur Tür hinüber gehen. Moritz spürt, wie ihm mehrere der auffallend hübschen und jungen Französinnen hinterher sehen. Er sieht, dass Lotta es bemerkt hat.
„Mein Französisch ist zwar sehr eingerostet“, grinst sie, als sie auf die Straße hinaus treten, „aber dank Moulin Rouge kann ich ja zumindest einen Satz, den die Modepüppchen dort drinnen eben garantiert alle im Kopf gehabt haben…“
„Nämlich?“
„Voulez-vous couche...“
„Oui, Mademoiselle“, grinst Moritz und reicht ihr seinen Arm, als sie die breite Straße hinunter in Richtung Sorbonne und Panthéon gehen. „Sehr gern. Und von mir aus nicht nur heute Abend, sondern auch die ganze Nacht…“
Gerade als er sich zu Lotta hinunter beugen und sie zu einem innigen Kuss an sich heranzuziehen will, kommt ein Mann auf sie zu. Moritz stutzt, als der Mann sie in eine schmale Seitenstraße drängt und mit leiser Stimme ein paar Worte auf Französisch zischt.
„Pardon“, antwortet Moritz verdutzt, „habe ich Sie richtig verstanden?“
„Sie sind verhaftet“, wiederholt der Franzose auf Englisch. „Mademoiselle, ich muss Ihren Begleiter mitnehmen.“
„Wieso verhaftet?“ fragt Lotta, ebenfalls auf Englisch, während Moritz nur mit ungläubiger Miene daneben stehen kann.
Der Franzose hat seinen Arm gepackt wie in einem Schraubstock, hält ihm mit der freien Hand einen Polizeiausweis unter die Nase und ignoriert Lottas Frage. Unbeeindruckt von Lottas sofortigem Protest fährt der Franzose fort, Moritz seine Rechte zu erklären.
„Was soll er getan haben?“ fragt Lotta ruhig dazwischen, während Moritz nur sprachlos zuhört und nicht glauben kann, was er da hört. „Was genau werfen Sie ihm vor?“
„Mademoiselle“, wiederholt der Franzose, „ich wiederhole mich nicht gern, Sie können jetzt gehen.“
„Ich bleibe“, erwidert Lotta zur großen Erleichterung von Moritz und zieht ihren eigenen Polizeiausweis aus der Jackentasche. „Und jetzt sagen Sie mir, worum es geht. S’il vous plait.“
„Sie kennen den jungen Mann, Mademoiselle?“ fragt der Franzose ohne seinen harten Griff zu lockern, während er seinen Ausweis einsteckt und Moritz sich vom graublauen Blick des Mannes von Kopf bis Fuß geröntgt fühlt.
„Allerdings“, erwidert Lotta mit fester Stimme, „sehr gut sogar. Was werfen Sie ihm denn nun vor?“
„Können Sie bestätigen“, fragt der Franzose, als ob Lotta nichts gefragt hätte, „wo er in den vergangenen achtundvierzig Stunden gewesen ist?“
„Ja“, antwortet Lotta mit ruhiger Stimme, die jedoch voll beherrschter Wut ist. „Er war nie mehr als drei Meter von mir entfernt. Das gilt sogar für die letzten zweiundsiebzig Stunden, wenn Sie es genau wissen wollen. Und jetzt sagen Sie mir bitte endlich…“
„Und wie“, erwidert der Franzose, wieder ohne auf Lottas Frage einzugehen, „kommt dann das hier auf seine Jacke?“
Mit spitzen Fingern zieht der Mann etwas von der Multifunktionsjacke, das sich in einer kleinen Falte des Ärmelstoffes verfangen haben muss. Moritz erkennt nicht sofort, was es ist. Aber das Dings, das so klein ist wie eine halbe Ein-Cent-Münze, scheint ein technisches Gerät zu sein.
„Ein GPS-Sender?“ fragt Lotta verwundert. „Warum denn das?“
„Wo waren Sie heute Morgen?“ fragt der Franzose an Moritz gewandt. „Gegen halb zehn Uhr?“
„Im Hotel“, antwortet Moritz zeitgleich mit Lotta.
„Was haben Sie mit dem Rucksack gemacht?“
„Was für ein Rucksack?“ fragt Lotta anstelle von Moritz, der deutlich hört, dass ihr Geduldsfaden sehr kurz vor dem Reißen ist.
Der Franzose schweigt. Moritz hat das Gefühl, dass der Mann beginnt, an den Anschuldigungen zu zweifeln. Was genau soll er denn getan haben? Um was für ein Vergehen geht es?
„Wo waren Sie“, fragt der Franzose schließlich mit gerunzelter Stirn, „während der letzten sieben Monate? Sind Sie gereist?“
„Nur nach Malta“, antwortet Moritz, während Lotta nachdenklich vor sich hin starrt, bevor sie leise fragt: „Worum geht es, Monsieur?“
„Wie kommt der Sender an Ihre Jacke?“ fragt der Franzose statt einer Antwort.
„Keine Ahnung“, murmelt Moritz. „Vielleicht in dem Café…“
„Der Typ am Nebentisch“, ergänzt Lotta, „der sah aus wie alle anderen Gäste in dem Café, unauffällig. Er ist gegen deine Jacke gekommen, als er gegangen ist.“
„Merde!“ knurrt der Franzose leise. „Au revoir.“
Ohne ein weiteres Wort lässt er Moritz los, macht auf dem Absatz kehrt und ist nach wenigen Augenblicken um die nächste Hausecke verschwunden. Verblüfft starrt Moritz hinterher, sieht aber nur den Verkehr auf dem Boulevard Saint-Germain vorbeirauschen.
„Was sollte denn das?“ flüstert er schließlich.
„Keine Ahnung“, antwortet Lotta achselzuckend, „aber ich finde, wir sollten uns beschweren. Das war gegen die Polizeivorschriften. Warum hat er nicht gesagt, worum es geht?“
Moritz zuckt stumm mit den Schultern, bevor er ihre Hand fasst und erneut in seine Armbeuge legt. Für einen Moment hat er sich erschrocken, nun ist er ein bisschen verwundert. Lotta wiederum scheint ärgerlich zu sein; jedenfalls ist ihr sonst so weicher Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst.
„Komm“, sagt Moritz leise und spürt das kleine Kästchen beruhigend in seiner Innentasche gegen seine Brust drücken. „Lassen wir uns von den verrückten Franzosen nicht den Tag vermiesen. Ich will meinen Urlaub genießen, jede freie Minute mit dir, meine Süße.“
Lotta lächelt geschmeichelt und zieht ihn sanft am Kinn zu sich hinunter. Nur zu gern folgt Moritz der Einladung und erwidert ihren zärtlichen Kuss, sodass er in allen Fasern seines Körpers das elektrisierende Gefühl verspürt, das nur Lottas Nähe in ihm auslöst. Er vergisst, wo er sich befindet. Es ist ihm egal, wer ihnen zusieht; er versinkt in einem zunehmend innigeren Kuss mit seiner Lotta.
*****