Читать книгу Requiem für eine Elster - Fee-Christine Aks - Страница 7

Ausweichmanöver

Оглавление

Es war leicht gewesen, beinah zu leicht. Unwillkürlich hatte Renard sich gefragt, ob er zu unvorsichtig sei, zu leichtsinnig. Hatte er sich dieses Mal übernommen und zu sehr auf seine sprichwörtliche List verlassen?

Die Versuchung war groß gewesen, der Ansporn, die Herausforderung genau das, was er benötigte für das Festigen seines Rufes als der Beste der Besten. Auch wenn er ahnte, dass er sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen hatte, war er auf den Handel eingegangen. Er glaubte an sich und seine Schlauheit, die ihn schon in den vergangenen Monaten begleitet und abgesichert hatte; aber dieses Fehlen von Schwierigkeiten war seltsam, beinah verdächtig. Wohl war es seiner genauen Planung zu verdanken, aber es bescherte ihm doch wie immer ein seltsames Gefühl in der Magengrube.

Als er nun auf dem asphaltierten Bürgersteig in der Rue de Verneuil landete und den Blick nach links zur fernen Straßenecke der Rue du Bac wandte, klopfte sein Herz so schmerzhaft gegen die Innenseite seines Brustkorbes, dass er schon fast glaubte, es würde jeden Moment herausspringen wollen.

Er zwang sich zur Ruhe. Alles war gut. Niemand hatte ihn bemerkt, keiner sah in der Abenddämmerung an den herrschaftlichen Fassaden der alten Stadthäuser empor und erst recht nicht bis hinauf zu den Dächern des 7. Arrondissements. Nur eine flügellahme Taube war ihm begegnet, als er sich ein zweites Mal in die Luft geschwungen hatte und auf dem nächsten Dach gelandet war.

Nun stand er am Fuße der Feuerleiter im Schatten der Hauswand und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch sein kurz geschnittenes rotbraunes Haar. Die schwarze Maske, die Handschuhe und die Spezialschuhe zum Klettern hatte er sicher verstaut in einem schwarzen Müllsack, den er außer Sicht hinter dem Container deponierte, von dem er wusste, dass er erst in drei Tagen geleert werden würde; genug Zeit für Auguste, den Sack unauffällig abzuholen. Renard war es zufrieden, er hatte alles bedacht, alles an seinem Plan war bis ins letzte Detail durchdacht.

Nur diese Visitenkarte, damit hatte er nicht gerechnet. Es war ein Schock für ihn gewesen, ein Schlag ins Gesicht. Aber dann hatte er einfach weitergemacht. Es konnte auch nur eine Finte sein, eine Herausforderung seines Konkurrenten, des größten seit Le Filou aus dem Verkehr gezogen war. Er würde es wissen, wenn er etwas Zeit hatte, seine Beute in Ruhe zu überprüfen. Und wenn sich herausstellen sollte, dass man ihn erneut gelinkt hatte, dann… ja, was dann?

Er seufzte, prüfte den Verschluss seiner schwarzen Blouson-Jacke und wandte sich nach rechts zur Rue des Poitiers, den schwarzen Rucksack amerikanischen Fabrikats lässig über der Schulter und die schwarze Baseballkappe leicht schief und tief in die Stirn gezogen, ein Fachbuch der Ökonomie unter den Arm geklemmt. Wer ihn sah, würde ihn für einen Studenten halten, der – vielleicht von einem Lernbesuch kommend – der Metro zustrebte.

Das war sein Plan, unauffällig bleiben und in der Masse untertauchen, auch wenn hier gerade wenig los war. Er warf einen prüfenden Blick über die Schulter und konnte am Ende der Straße gerade noch drei junge Leute über die Rue de Lille schlendern sehen, Richtung Museum. Sie beachteten ihn nicht.

Mit einem zufriedenen Lächeln wandte er sich um, bog in die Rue de l’Université ein und schritt beschwingt die nächste Querstraße linker Hand hinauf, die ihn zum breiten Boulevard Saint-Germain bringen würde.

Doch als er gerade um die Ecke biegen und mit großen Schritten die Stufen zur Metro-Station Solférino hinuntersteigen wollte, bemerkte er seinen Verfolger. Der Mann war plötzlich aufgetaucht, wie ein Geist aus der Hauswand geglitten, so schien es jedenfalls. Und der Verfolger kam näher.

Mit der scheinbaren Leichtigkeit eines Studenten auf dem Nachhauseweg nahm Renard die letzten Treppenstufen und tauchte vollends ein in den typischen Mief der Metro-Stationen. Er ging schnell, denn er wusste, dass die nächste M12 gleich in die Station einfahren würde.

Vielleicht schaffte er es, seinem Verfolger davon zu fahren. Doch als sich leise die Türen schlossen, sah er den Umriss seines Verfolgers im nächsten Waggon. Er trug Hut und Mantel, ein unauffälliger Passant mit dem nötigen Kleingeld, um sich einen sauber gestutzten Schnurrbart mit leicht hochgezogenen Spitzen stehen zu lassen. Wenn er statt des Hutes eine Baskenmütze und zur Gauloise eine Tüte mit Baguette unter dem Arm gehabt hätte, so wäre er das perfekte Klischee eines in die Jahre gekommenen Pariser Junggesellen gewesen.

Auch wenn der Monsieur dort drüben eher schmal gebaut war, so war selbst durch die Scheiben der benachbarten Waggons die Gefahr zu spüren, die von ihm ausging. Der Verfolger sah nicht direkt zu ihm, aber Renard wusste und fühlte sich beobachtet. Es war sein Instinkt, der Instinkt eines Fuchses.

Unwillkürlich fasste er den Schulterriemen seines Rucksacks fester und starrte auf den Streckennetzplan, der über ihm an der Waggonwand hing. Wo sollte er hin? Unter diesen Umständen konnte er es nicht wagen, zum verabredeten Treffpunkt zu fahren – jedenfalls nicht direkt.

Die Metro hielt an der nächsten Station – Rue du Bac. Renard spähte vorsichtig umher und sah seinen Verfolger beschwingt aussteigen – und gleich wieder einsteigen; dieses Mal jedoch in seinen Waggon. Hinter dem Mann in Hut und Mantel schob sich eine beleibte dunkelhäutige Frau mit Kinderwagen und einem Kleinkind an der Hand herein. Sie quetschte den Mann in Hut und Mantel zur Seite, sodass dieser sich zwischen die anderen Fahrgäste zwängen musste, um nicht vom Kinderwagen zerdrückt zu werden.

Kurz entschlossen machte Renard einen Schritt zur Tür, die sich gerade zu schließen begann. Es gelang ihm gerade noch hinauszukommen. Er drehte sich nicht um, sondern lief mit weit ausgreifenden Schritten zum nächsten Ausgang. Er sprang die Treppen hinauf und stand kurz darauf auf dem Boulevard Raspail. Er wusste, dass es jetzt nur darauf ankam, möglichst viel Raum zwischen sich und seinen Verfolger zu bringen, der in diesem Moment wohl gerade innerlich fluchend mit der Metro bis zur nächsten Station Sèvres-Babylone fahren musste. Konnte er es unter diesen Umständen doch wagen, sich direkt – und zu Fuß, wohlgemerkt – zum geplanten Zwischenstopp zu begeben?

Gerade als er den Entschluss gefasst hatte und sich anschickte, an der nächsten Ampel den Boulevard Saint-Germain zu überqueren, sah er hinter sich in der Menge der Passanten einen Hut aufblitzen. Vor Schreck wäre er beinah mitten auf der breiten Straße gestolpert.

Hastig nahm er sich zusammen und eilte nach rechts, den Boulevard hinunter in Richtung Saint Germain des Près. Doch nach einem kurzen Blick zurück über die Schulter änderte er seinen Plan und duckte sich – verborgen von einer Gruppe japanischer Touristen – auf Höhe der Rue de Luynes nach links in eine kleinere Seitenstraße. Dann lief er los, dicht im Schatten der Hauswände und im rekordverdächtigen Tempo, und erreichte kaum eine Minute später sein Ausweichziel.

*****

Requiem für eine Elster

Подняться наверх