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ZEHNTE ABHANDLUNG: ÜBER DIE LIEBE
ОглавлениеDie Liebe ist auf der Bühne angenehmer zu gewahren als im Leben des Menschen, denn auf der Bühne ist sie stets Gegenstand von Komödien und nur hin und wieder von Tragödien, doch im Leben richtet sie viel Unheil an. Manchmal ist sie wie eine Sirene, manchmal wie eine Furie. Es ist beachtenswert, dass unter all den großen und ehrwürdigen Geistern (deren man sich noch erinnert, entweder aus alter oder aus neuerer Zeit) nicht ein einziger ist, der sich von der Liebe bis zum Wahnsinn hätte anstacheln lassen, was beweist, dass große Geister und große Taten sich von dieser schwächenden Leidenschaft fernhalten. Jedoch müssen wir dabei Marcus Antonius, den Mitregenten des Römischen Reiches, und Appius Claudius, den Decemvir und Gesetzgeber, ausnehmen. Der Erstere war wahrlich ein zügelloser Lüstling, aber der Letztere war ein asketischer und weiser Mann. So scheint es, dass (wenn auch selten) die Liebe nicht nur Eingang in ein offenes Herz, sondern auch in ein wohl verschlossenes zu finden vermag, wenn es nicht wachsam genug ist. Es ist ein armseliger Ausspruch Epikurs, wenn er sagt: „Satis magnum alter alteri theatrum sumus [Es reicht aus, wenn der eine dem anderen ein großes Schauspiel bietet].“ Als ob der Mensch, der zur Betrachtung des Himmels und aller erhabenen Objekte geschaffen ist, vor einem kleinen Idol niederknien und sich ihm unterwerfen würde, zwar nicht durch den Mund (wie es bei Tieren der Fall ist), wohl aber durch das Auge, das ihm zu höheren Zwecken verliehen wurde. Es ist seltsam, das Übermaß dieser Leidenschaft zu betrachten, welche die Natur und den wahren Wert der Dinge durch ein andauerndes Reden in Übertreibungen verzerrt, was ausschließlich in der Liebe anmutig wirkt. Dies betrifft nicht nur die gebrauchten Redewendungen; denn wenn, wie es heißt, der Mensch sich selbst gegenüber der Erzschmeichler ist, mit dem alle geringeren Schmeichler in Einklang stehen, dann gilt das noch mehr für den Liebenden. Denn nicht einmal der stolzeste Mensch hält von sich selbst so viel wie der Liebende von der Person, die er liebt. Daher rührt das weise Sprichwort: „Es ist unmöglich, zu lieben und gleichzeitig weise zu sein.“ Auch ist diese Schwäche nicht nur für die Anderen erkennbar, sondern auch für die geliebte Person, ja vor allem für sie, es sei denn, sie erwidert diese Liebe. Denn es ist eine eherne Regel, dass Liebe entweder mit ihrer Erwiderung oder mit geheimer und stiller Verachtung belohnt wird. Umso mehr sollte sich der Mensch vor dieser Leidenschaft in Acht nehmen, bei der er nicht nur Dinge verlieren kann, sondern auch sich selbst. Was diese Dinge angeht, die zu verlieren er befürchten muss, so drückt der Dichter sie sehr gut aus, wenn er beschreibt, wie jener, der Helena den Vorzug gab, die Geschenke der Juno und der Pallas zurückerstatten musste. Wer das Gefühl der Liebe zu hoch achtet, begibt sich sowohl des Reichtums als auch der Weisheit. Diese Leidenschaft ist am stürmischsten in Zeiten der Schwäche, nämlich in großem Glück oder in großem Unglück (auch wenn sie bei Letzterem seltener beobachtet wurde). In solchen Zeiten entzündet sich die Liebe, wird immer glühender und erzeigt sich auf diese Weise als ein Kind der Narrheit. Jene, die der Liebe nicht entsagen können, tun gut daran, sie im Zaume zu halten und völlig von den ernsten Geschäften und Handlungen ihres täglichen Lebens abzusondern, denn wenn sich die Liebe mit dem Geschäft verbindet, trübt sie den Wohlstand und lenkt den Menschen von seinem eingeschlagenen Weg ab. Ich weiß nicht warum, aber Soldaten sind besonders der Liebe ergeben. Ich vermute, sie sind es auf die gleiche Weise, wie sie dem Wein ergeben sind, denn Gefahr will mit Vergnügen aufgewogen werden. In der Natur des Menschen liegt eine heimliche Neigung zur Liebe des anderen, die sich, wenn sie nicht auf nur eine oder wenige Personen beschränkt wird, auf viele erstreckt und den Menschen barmherzig und mildtätig macht, wie man es bisweilen bei Mönchen beobachten kann. Eheliche Liebe sichert den Fortbestand der Menschheit; freundschaftliche Liebe vervollkommnet sie, aber wollüstige Liebe verdirbt und beschämt sie.